"Schafft endlich die Normseite ab!"
von Ute Hacker
Als Expertin für Schreibhandwerk erhalte ich die unterschiedlichsten Anfragen, eine jedoch wiederholt sich in steter Regelmäßigkeit: Wie formatiere ich eine Normseite? Wobei diese Anfragen meist ein Hilferuf sind, denn die AutorInnen wollen in der Regel an einem Wettbewerb teilnehmen, und der Abgabetermin steht vor der Tür.
Sie haben - fast - alle Hürden geschafft: Sie haben einen Text geschrieben, sie sind damit auch einigermaßen zufrieden, sie haben ihn sogar rechtzeitig fertiggestellt - doch nun drohen sie an einer Forderung im Ausschreibungstext zu scheitern: maximal 10 Normseiten (30 Zeilen à 60 Zeichen). Stunden-, ja tagelang versuchen sie, in ihrer Textverarbeitung eine Einstellung zu finden, die diese Vorgaben erfüllt. Ich behaupte, sie alle scheitern daran, denn es gibt keine Einstellung.
Daher meine Forderung an alle Verleger, Ausschreibenden und Herausgeber: Schafft endlich die verflixte Normseite ab!
Zugegeben: Was man so alles an Kreationen erhält, wenn man eine Ausschreibung macht, ist abenteuerlich. Als Herausgeberin verschiedener Anthologien weiß ich, wovon ich spreche. Handschriftliches Gekritzel auf Butterbrotpapier mit Kaffeeflecken gibt es zum Glück nicht mehr, aber Schriftgröße 8 Punkt, einzeiliger Abstand, keine Absätze, jeweils 1 cm Rand ist nach wie vor keine Seltenheit.
ABER - liebe Verleger, Ausschreibenden, Herausgeber etc: Ist denn das Äußere wirklich wichtiger als der Inhalt? Werfen Sie einen Text automatisch in den Müll, nur weil die Normseite nicht eingehalten wurde? Ich behaupte: nein, denn dann hätte ich bis heute keine einzige Zeile veröffentlichen dürfen.
Damals ...
Woher stammt der Begriff Normseite eigentlich? Die Älteren unter uns können sich sicher noch an PC-freie Zeiten erinnern, als man Manuskripte noch mühsam mit der guten, alten Schreibmaschine tippte. Es gab in der Regel nur einen Schrifttyp (Courier), der sich vor allem durch eines auszeichnete: Jeder Buchstabe, egal welchen Platz er beansprucht, hat dieselbe Breite. Ein "i" nimmt also denselben Raum ein wie ein "m". Da ist es natürlich ein Leichtes, 60 Zeichen in eine Zeile zu packen, und das regelmäßig über die gesamte Seite verteilt.
Aber wir leben jetzt im Zeitalter der modernen Medien. Selbst Autoren, die eine Erstfassung noch mit der Hand schreiben, haben in der Regel jemanden, der das Manuskript früher oder später in einen Computer tippt. Und natürlich möchte man auch die Vorzüge eines PC ausnutzen (ich gebe zu, dass hier AutorInnen manchmal etwas übertreiben). Kein Mensch kann ernsthaft erwarten, dass ich einen Text in Courier setze, nur damit ich eine Normseite erhalte! Nicht nur ist diese Schrift scheußlich, man tut sich auch schwer, sie zu lesen. Dafür hat man ja die Proportionalschriften erfunden, um dem Leser entgegenzukommen. (Proportionalschrift deshalb, weil jeder Buchstabe hier nur den Platz erhält, den er beansprucht. Ein "i" ist hier also sehr viel anspruchsloser als ein "m".)
Machen Sie den Test. Drucken Sie eine Seite in Courier aus und eine in Times New Roman oder einer anderen Proportionalschrift, und Sie werden den Unterschied sehr schnell sehen.
Zeichen statt Zeilen
Nicht alles, was aus den USA kommt, ist gut, aber auch hier haben die Amerikaner eine Vorreiterrolle übernommen. Sie verlangen Texte, die eine bestimmte Anzahl von Zeichen nicht überschreiten dürfen. Darüber hinaus machen sie Vorgaben für Rand- und Zeileneinstellungen, und heraus kommen einheitlich aussehende Manuskripte, ohne dass der Autor sich stundenlang abmühen muss. Warum stellen wir nicht auch auf diese Vorgabe um? Die heißgeliebte Normseite hat 1.800 Anschläge (60 Zeichen x 30 Zeilen). Wenn ich also Texte haben möchte, die eine Länge von maximal 10 Normseiten haben, kann ich Texte mit maximal 18.000 Zeichen fordern. Jede moderne Textverarbeitung kann die Zeichen eines Textes zählen, man hat als Autor also jederzeit den Überblick. (Achtung: Manchmal werden die Leerzeichen mitgezählt, manchmal nicht!) Kombiniert mit den oben erwähnten Angaben für Rand- und Zeileneinstellung wäre das eine wunderbare Hilfe für alle AutorInnen.
Es wäre wünschenswert, wenn sich diese Vorgaben so bald wie möglich durchsetzten und damit die lästige Normseite ablösten. Kein Verleger kann ernsthaft daran interessiert sein, dass sich ein Autor mehr mit der Formatierung als mit dem Schreiben des Textes befasst. Deshalb rate ich allen AutorInnen, die sich Hilfe suchend an mich wenden, die Normseite zu ignorieren und meine Einstellungen zu verwenden:
- Ränder: oben 2,7 cm, unten 2,5 cm, links 3,0 cm, rechts 2,75 cm, Bundsteg 0 cm, Kopfzeile 1,25 cm, Fußzeile 2,0 cm
- Schrift: Arial, 13 Punkt; Zeilenabstand 1,5
- Einzug 1. Zeile: 1 cm (Ausnahme bei neuem Absatz, also nach einer Leerzeile)
- Flattersatz; mit Silbentrennung, wenn ich den Text selbst ausdrucke, ohne Silbentrennung per E-Mail
(Ute Hacker schreibt Kurzgeschichten und Romane für Kinder und Erwachsene und ist Herausgeberin diverser Krimianthologien. Kürzlich erschien "Tatort Kanzel" (Fr. Wittig Verlag), herausgegeben zusammen mit Tatjana Kruse. Sie ist seit vielen Jahren Mitglied der International Online Writing Group. Derzeit arbeitet sie an ihrem zweiten Kriminalroman. Mehr Informationen auf http://www.utehacker.de/)