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Blockade
Es stinkt erbärmlich. Mit diesem Geruch hatte ich nicht gerechnet.
Ich puste das Streichholz, das ich eben noch unter das Räucherstäbchen gehalten habe, aus und warte einige Sekunden, um sicherzugehen, dass ich richtig liege. Ja, der Rauch, der aufsteigt, verströmt einen süßlich-modrigen Duft der mir den Atem raubt. Ich entledige mich des Streichholzes, halte mir die Nase mit einer Hand zu, während ich die andere Hand, die den Luftverpester hält, so weit wie möglich von mir strecke und laufe in Richtung Klo. Dort angekommen, entsorge ich Geruchsbelästigung und kehre, gebeutelt von einigen Schauern, an meinen Schreibtisch zurück, wo ich mich schwer auf meinen Drehsessel fallen lasse, mich zurücklehne und kurz die Augen schließe.
Als ich sie wieder öffne, erscheint das leere weiße Blatt auf dem Bildschirm, auf das ich schon die letzten Stunden gestarrt habe.
Die Sache mit dem Räucherstäbchen war ein zugegebenermaßen kläglicher Versuch, auf andere Gedanken zu kommen, in der Hoffnung, danach mit dem Roman beginnen zu können, der seit Monaten in meinem Kopf steckt. Ich habe mir Unmengen an Notizen gemacht und stundenlang medizinische Notfälle recherchiert, die für den Roman eine wichtige Rolle spielen. Ich kenne die Figuren, ihre Namen, ihre Biografien und welchen Zweck sie für die Geschichte erfüllen. Mein Protagonist ist eine Art Antiheld, der eine schwere Kindheit hatte, ein dunkles Geheimnis in sich trägt und kurz davor steht, einen schweren Fehler zu begehen, der die Geschehnisse meiner Geschichte ins Rollen bringt. Auch an einen superfiesen Antagonisten habe ich gedacht. Ihm habe ich sogar mehr Zeit gewidmet, als meiner Hauptfigur, immerhin finde ich, dass eine Story nur so gut ist, wie der dazugehörige Bösewicht. Ich weiß alles, was man über meinen Roman wissen kann.
Aber ich schaffe es nicht, ihn zu schreiben.
Auf der rechten Seite meines Schreibtischs liegen haufenweise Notizblöcke, gefüllt mit Informationen, die mehr oder weniger relevant sind. Ich habe sie in der U-Bahn, im Bett, auf dem Klo, im Park, im Schwimmbad, beim Esstisch, auf der Couch, beim Autofahren, im Wartezimmer eines Arztes, auf der Straße, im Flugzeug, im Kaffeehaus und an unzähligen weiteren Orten in meine Blöcke gekritzelt. Ungefiltert. Unfähig, etwas wegzulassen, aus Angst, es könnte etwas dabeisein, was sich erst beim zweiten Hinsehen als brauchbar entpuppt. Mit dem Resultat, dass ich von der schieren Menge der Details erschlagen werde. Was soll ich davon verwenden? Was lasse ich fallen? Alles mehr oder weniger unwichtig oder essentiell.
Der Gedanke, einen Roman zu schreiben, bestimmt mein Leben schon seit geraumer Zeit. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich meinen Fernseher das letzte mal eingeschalten oder ein Buch gelesen habe. All meine Freizeit habe ich in diese Geschichte und den damit verbundenen Recherchen gesteckt. Ich sehe, höre und fühle diese Geschichte schon beinahe. Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich meinen Protagonisten vor mir, genauso, wie ich ihn mir ausgedacht habe. So, als würde er tasächlich existieren. Manchmal bin ich mir auch gar nicht mehr so sicher, ob es ihn nicht tatsächlich gibt, ich mich sozusagen an einer Person aus dem wirklichen Leben orientiert habe, oder ich ihn einfach nur schon so gut kenne, dass es mir so vorkommt, als wäre er echt.
Der Cursor blinkt in der linken oberen Ecke des leeren Blattes, der Rythmus erinnert an Lachen. Sogar man mein Mac scheint sich über mich lustig zu machen. Ich kann es ihm auch nicht verdenken. Ich komme mir vor wie einer, der alle Zutaten für ein großartiges Gericht zusammengetragen hat, aber unfähig ist, dieses zuzubereiten. Ich scheitere schon beim ersten Satz. Plötzlich überkommt mich das Gefühl, laut und lange zu schreien. Diese Scheißblockade einfach aus mir hinauszukreischen. Kurz bin ich auch geneigt, diesem Impuls nachzugeben. Aber ich lasse es dann doch sein. Möglicherweise hilft mir ein Tee.
Die nächste Verlegenheitshandlung, die mich daran hindert, endlich loszulegen. Ich bin mir darüber im Klaren, stehe aber trotzdem langsam auf und schlurfe geräuschvoll in die Küche, um mir einen Früchtetee zuzubereiten. Während der Wasserkocher arbeitet, gehe ich im Kopf die Handlung meiner Geschichte zum hundertsten mal durch und stelle fest, dass ich immer noch nichts daran optimieren kann. Die Story passt von Anfang bis zum Ende. Besser geht’s eigentlich nicht. Da kann einfach nichts schiefgehen. Ein lautes Klack! des Wasserkochers reißt mich aus meinen Überlegungen und die nächste Minute verliere ich mich in der Welt der Teetassen, Teebeutel und Zuckerdosen.
Zurück am Schreibtisch. Ich sitze. der Cursor lacht noch immer. Ich nehme einen Schluck Tee und blinzle den Bildschirm an. Der Titel meines Romans ist großartig. Er lautet ‘Hurenkind’.
Ich musste auch gar nicht lange überlegen, er war immer schon da, wartete sozusagen irgendwo in meinem Unterbewußtsein darauf, dass ich ihn eines Tages benötigen würde.. Mein Protagonist ist der Sohn einer Dame aus dem horizontalen Gewerbe und einer lokalen Größe aus der Wiener Unterwelt. Einen treffenderen Titel kann es unmöglich geben. Ich gehe in Gedanken kurz eine Szene durch, in denen der Sohn auf seinen Vater trifft und es zu einer folgenschweren Auseinandersetzung kommt. Das ganze wirkt so echt, als wäre ich tatsächlich dabeigewesen. Ich muss lächeln. Langsam verliere ich wohl den Verstand.
Ich stelle die Teetasse beiseite, richte mich auf, ziehe die Tastatur zu mir her und schiebe meine ausgestreckten Finger langsam über die Tasten, bereit, jederzeit loszulegen.
Du. Kannst. Das.
Ein einziges Wort ist alles, was ich brauche. Die Initialzündung quasi. Nur ein bisschen Starthilfe. Habe ich mal den ersten Satz geschrieben, geschieht der Rest von selber, dessen bin ich mir sicher. Eine geniale Idee kommt mir. Ich könnte doch zum Einstig etwas komplett anderes schreiben. Um diese seltsame Blockade loszuwerden. Einfach irgendeinen sinnlosen Text tippen, der dafür sorgt, dass einfach nur mal Worte aus meinen Fingern fließen. Und wenn ich genug Blödsinn verzapft habe, schalte ich sofort um und beginne mit dem ersten Satz meines Romans, der in meinem Kopf fix und fertig darauf wartet, zur Welt gebracht zu werden.
Das könnte funktionieren. Ich spüre, wie ich aufgeregt zu Lächeln beginne. Worüber soll ich schreiben? Ich hab’s! Irgendeine sinnlose Aktion wie Nase putzen oder… plötzlich überkommt es mich. Einer genialen Eingebung folgend, beginne ich zu schreiben, wie ich an meinem Schreibtisch sitze und auf ein leeres Blatt Papier starre. Irgendwie will das, was in meinem Kopf wartet, nicht aus mir raus. In der Hoffnung, mich ablenken zu können, stehe ich auf und gehe zum Fenster. Auf der Fensterbank liegt eine kleine Holzbox mit Räucherstäbchen. Die sind zwar schon eine Ewigkeit alt, aber ich zünde dennoch ein Streichholz an, halte es an die Spitze des Stäbchens und warte eine Weile auf den süßlichen Geruch.
Und warte.
Und warte.