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Blinder Passagier
Nun sieh sich einer diese Menschen an! Jedes Wochenende kommen Touristen und Einheimische an die Ilsequelle, um Flaschen mit dem heilenden Wasser dieser alten Quelle zu füllen. Frau Waldmotte saß auf einem Zweig einer Tanne, die in der Nähe stand. Es war ihr liebster Beobachtungsposten und beobachtete das Treiben der Menschen an der Quelle. Sie lachte laut, aber unhörbar für die Menschen über deren Glauben an die Heilkraft des Wassers. Einige standen vor der Tafel mit der Geschichte der uralten Quelle, andere ruhten sich auf den Bänken im Schatten der großen Tanne aus.
Einige dreiste jedoch füllten mitgebrachte Plastik-Flaschen mit dem heiligen Wasser.
Einerseits amüsierte sie das was sie sah, andererseits machte es sie wütend, dass diese zweibeinigen Wesen die Quelle entweihten. Zu noch größerem Ärgernis wurden die geschlüpften Larven dieser zweibeinigen Wesen, wenn sie Papierschnipsel und Abfall leider zu oft in die Quelle schmissen oder versuchten den kleinen Bach, der hier entsprang, zu einem kleinen See mit Stöcken und Stücken von Stämmen zu stauen, die von den Holzfällern nicht weggeräumt worden waren. Frau Waldmotte war es leid diese Menschen nur zu beobachten. Sie war schon lange neugierig, wie diese zweibeinigen Wesen lebten. Aber heute würde sie eine Antwort bekommen, heute würde sie Einblick in das Leben einiger dieser Menschen gewinnen. Doch dafür müsste sie ihren geliebten Wald und ihre geliebte Quelle verlassen und einigen Menschen folgen.
Sie sah sich die Menschen genau an. Welche Gruppe sollte sie wählen? Die beiden etwas gebeugt gehenden Menschen, die beide nicht mehr lange leben würden? Nein, die beiden mit ihren Larven, die gerade ihre letzte Flasche gefüllt hatten. Nachdem sie den Gegenstand ihrer Neugierde bestimmt hatte, machte sie sich daran, den vier Menschenwesen hinterher zu- flattern. Wo wohnten diese Menschen? Wie lebten sie? Was aßen sie? Was war ihre Beute? Sie flog ihnen hinterher, bis sie ein glänzendes, großes Ding auf vier anderen runden Dingern erreichten. Sie war erstaunt. Was war das nun wieder? Obwohl sie erschöpft war und auf dem Verfolgungsflug hin und wieder überlegt hatte, ihren Plan aufzugeben, erhielt ihre Neugierde durch diesen glänzenden Kasten neue Nahrung. Die Menschenwesen hantierten an dem Kasten und klappten die hintere Seite auf, um die Flaschen hineinzulegen. Nacheinander öffneten sie die Seiten des Kastens und kletterten hinein. Frau Waldmotte musste sich beeilen um auch in den Kasten zu gelangen, dann würde sie wissen, was die Menschenwesen darin machten. Sie zwang ihre erschöpften Flugmuskeln schneller zu arbeiten und schaffte es aber nicht mehr rechtzeitig hinein in den Kasten, sondern konnte sich gerade noch auf der glänzenden Außenseite des Kastens mit ihren sechs Beinchen festklammern. Sie war enttäuscht nicht im Kasten zu sein und zu hören, was die Menschenwesen redeten, sondern nur auf der Außenseite gelandet zu sein. Doch nun ging ein Ruck durch den Kasten, er fing zuerst an zu vibrieren und dann sich nach vorn zu bewegen. Ihr ging auf, dass das Ding nun vorwärts rollte und immer schneller wurde, es blieb ihr nichts anderes übrig, als sich, so gut es ging mit ihren Beinchen festzuheften. Das Material unter ihr war durchsichtig und sie konnte die beiden Larven und die beiden anderen Menschenwesen im Kasten sitzen sehen. Der Kasten allerdings holperte und rollte währenddessen den Waldweg entlang, bis er auf einen Weg abbog, der mit einer ebenmäßigeren dunkelgrauen Masse bedeckt war. Nun rollte der Kasten ruhiger. Das Holpern war zwar weg, jedoch drohte der starke Wind, der um den Kasten wegen seiner hohen Geschwindigkeit blies, Frau Waldmotte wegzufegen. Sie klammerte sich verzweifelt mit all ihrer Kraft an den Kasten. Mal rollte der Kasten schneller, mal stoppte er an einer Art Baum, der kein Laub oder auch nur Zweige hatte, dafür aber ein rundes rotes Licht zeigte. Frau Waldmotte war jedes Mal froh über die Pause, in der sie ihre Kräfte sammeln konnte. Ihr war auch schlecht von den vielen Kurven, die der Kasten machte. Nun erst fiel ihr auf, dass sie nicht mehr in ihrem Wald war, so beschäftigt war sie damit gewesen, nicht vom Kasten zu rutschen, denn schließlich wollte sie erfahren, wie diese seltsamen zweibeinigen Wesen lebten. Um sie herum sah sie große Gebilde entlang dem Weg stehen, die den zweibeinigen Wesen wahrscheinlich als Behausungen dienten, denn sie sah einmal wie ein Wesen eine rechteckige Seite öffnete, hineintrat und sie hinter sich schloss. Auch Laubbäume sah sie, aber nur einzelne. Langsam wurden diese Behausungen seltener und zwischen ihnen breiteten sich größere Wiesen aus. Davor hatte sie viele von ihnen nebeneinander erblickt, manche davon riesengroß und voller bunter Lichter. Bald wurde der Kasten langsamer und hielt vor einer dieser Behausungen an, die eine dunkelrote Farbe hatte. Daneben stand eine dicke Tanne, die Frau Waldmotte schmerzlich an ihren geliebten Wald erinnerte. „Nun sind wir anscheinend am Ziel dieser zweibeinigen Wesen angelangt“, dachte sich Frau Waldmotte. Sie sah, wie sich die Larven und die beiden anderen Menschenwesen bewegten und im Inneren an die Seiten des Kastens griffen; sie hörte ein seltsames Geräusch und die Seite auf der sie saß fing an sich zu bewegen, sie kriegte einen Schreck, denn die Seite klappte nun auf und eine der Larven kletterte aus dem Kasten und schlug die Seite mit solcher Wucht zu, dass Frau Waldmotte von der Fläche gefegt wurde. Glücklicherweise hatte sie ja Flügel so flatterte sie einige Zeit in der Luft vor dem Kasten hin und her. Vorne kletterte nun ein Menschenwesen aus, dass wahrscheinlich die Mutter der beiden Larven ist, denn sie strich der ersten Larve die herausgeklettert ist, sanft mit der Hand über den Kopf und sagte zu der zweiten Larve, die nun aus dem Kasten kletterte, sie solle die Flaschen aus dem „Kofferraum“ holen. So hieß also der Bereich in den die Menschenwesen die Flaschen verstaut haben, dachte sich Frau Waldmotte. Sie sah auch, dass die Menschenwesen fürsorglicher zu ihren Nachkommen sind als die Waldbewohner. Das machte diese Wesen für sie sympathischer, weil sie nun sah, dass diese Wesen sich mehr um ihre Nachkommen kümmerten als ihre Art der Waldmotten. Sie kannte so etwas nicht. Nach dem Schlüpfen und selbst im Larvenstadium, sind die Waldmotten auf sich allein gestellt. Da gibt es keine Liebkosungen von der Waldmottenmutter. Jetzt brannte sie noch mehr als vorher darauf, über das Leben dieser seltsamen Wesen zu erfahren. Davor war sie oft wütend auf sie gewesen, jetzt fing sie an sie zu mögen. Nun waren sie alle aus dem Kasten herausgeklettert und bewegten sich auf die Stufen vor ihrer Behausung zu. „Jetzt werde ich alles über ihr Leben erfahren!“, dachte Frau Waldmotte und war ganz aus dem Häuschen, „Ich muss ihnen nur hinein folgen!“ sagte sie sich und setzte sich unbemerkt auf die Schulter des weiblichen Menschenwesens. Die Menschenwesen betraten ihre Behausung und bemerkten vom blinden Passagier auf der Schulter von einem von ihnen natürlich nichts. Denn, Frau Waldmotte gehörte zu einer kleinen Art der Waldmotten und darüber war sie froh. Nun bückte sich das weibliche Menschenwesen und nestelte an den komischen Dingern herum, die alle Menschen an ihren Füßen tragen. Die jüngste Larve rief: „Mama, Mama du hast was auf der Schulter sitzen!“
Das weibliche Menschenwesen fuhr schnell mit der Hand über die Schulter, aber so heftig, dass Frau Waldmotte in die Luft geschleudert wurde. „Igitt, ich hasse Insekten!“ rief sie. Das hörte Frau Waldmotte nun gar nicht gern. „Wo ist die Fliegenklatsche?“ fragte das weibliche Menschenwesen. Da lief eine der Larven weg und kam mit einem Stock zurück, an dessen Ende ein rechteckiges netzartiges Ding befestigt war und fing an damit nach Frau Waldmotte zu schlagen. Sie schaffte es dem Ding auszuweichen, doch beim dritten Mal traf sie das Ding mit voller Wucht. Das brachte nun die Neugierde Frau Waldmotte ein: den Tod!
Liebe Grüße
Litera