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Blind Date
Miese Nummer!
‚Ich muss doch völlig bescheuert sein!’ ging es mir durch den Kopf, während ich voller Stumpfsinn in die Auslage der Unibuchhandlung starrte. Eigentlich sollte ich den großen Unbekannten vor dem Eingang zum Hörsaalgebäude treffen, doch schien es mit besser, die Lage aus einiger Entfernung zu sondieren. Sicher ist sicher. Und außerdem war ich zu früh, fast eine viertel Stunde.
Ich selbst bin ja nicht so der typische Kleinanzeigenuser und würde nicht mal irgendwelche gebrauchten Möbel per Anzeige erstehen, geschweige denn, einen gebrauchten Typen. Sicher gab es Zeiten, da auch ich mal Anzeigen gelesen habe, aus Langeweile versteht sich, im Bus und so. Irgendwann fing ich dann an, die Anzeigen einem großen L, R oder S zu versehen. Ich bin sozusagen die Entwicklerin eines nahezu allgemeingültigen Rasters für die Klassifizierung männlicher Kontaktkleininserenten. Dabei ist das L der Losermarker für eben jene bedauernswerten Naturen, deren Text völlig verzweifelt klingt und die auf das Mitleid beziehungslechzender Damen hoffen. Nur frage ich mich nach wie vor, welche Frau sich so einen Jammerlappen an die Backe klebt, geschweige denn mit nach Hause nimmt. Das R steht für die Realisten, die in ihrer Anzeige gleich mal eine niedliche Warnungen wie „nicht ganz pflegeleicht“ vorwegschicken, was die geneigte Leserin wohl auf Psychosen aller Art und/oder herumliegende, stinkende Socken vorbereiten soll. Bleibt noch das S. Die Supermänner: Gut aussehend, erfolgreich, charmant, sportlich, humorvoll, wollen sie nicht nur Sex, sondern auch ein guter Freund sein, mit dem man reden kann. Oder so ähnlich. Na jedenfalls bin ich da mit den S-Typen einer ganz großen Sache auf der Spur, weil es schon außerhalb des menschlich Fassbaren scheint, dass diese tollen Hechte in den Tiefen der lokalen Kneipen und Clubs so völlig erfolglos auf Beutezug sind. Außerdem kommt es mir so vor, als hätte ich die eine oder andere Anzeige inklusive der zugehörigen Telefonnummer schon in der letzten Woche gelesen, was ja wohl soviel bedeutet, dass es sich im trüben Anzeigenpool auch nicht erfolgreicher fischt.
Nach diesem Prozess der Auslese bleiben jeweils nur ein paar Inserate übrig. Eben jene Typen, denen ich theoretisch antworten würde, wenn ich mich denn auf Anzeigen melden würde. Mach ich aber nicht, normalerweise. Bis auf dieses eine Mal. Und daran ist eigentlich nur Brit schuld. Meine Mitbewohnerin ist in den praktischen Fragen der Kontaktanzeigennutzung ziemlich bewandert, wenn auch im Ergebnis nicht besonders erfolgreich, was aber wohl weniger an den Anzeigen selbst liegt. Um es mal vorsichtig zu sagen: Brit ist kein Prototyp. Zumindest nicht der, einer Traumfrau. Viel zu sehr Kumpel und viel zu wenig Vamp.
Bei mir ist das eher umgekehrt, wenn auch mit gleichem Resultat. Meine optische Wirkung, für die ich ja nur bedingt etwas kann, beschert mir begehrende Blicke noch und nöcher. Bis auf einige Ausnahmen (in festen Händen, asexuell, schwul, blind) bekundet mir fast die komplette männliche Population der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät sexuelles Interesse. Teils nur mit Blicken, teils aber auch ganz praktisch mit Einladungen auf Parties, zum Essen oder, als Low-Budget-Variante, zum Kaffeetrinken.
Nicht, dass ich alle völlig doof fände oder sie durchweg hässlich wären – der eine oder andere würde schon als echte Sahneschnitte durchgehen - nur umgehauen hat mich von denen bisher keiner, weder im wahrsten, noch im sprichwörtlichen Sinne. Meine Dates, wenn ich mich denn mal auf eins einlasse, enden fast immer mit dem Satz: „Ich ruf dich an.“ Und was das bedeutet, weiß jeder, der schon mal ein Date hatte und nicht ganz blöd ist. Na jedenfalls war der eine bisher einfach nicht dabei. Zu klein, zu groß, zu dick, zu dünn, zu langweilig, zu stressig, zu irgendwas.
Und irgendwann war Brit dann der Ansicht, so könne es nicht weitergehen und verordnete, dass man mir einen Mann außerhalb meines angestammten Lebensraumes zwischen Hörsaal, Bibliothek und Kneipe beschaffen müsse. Die Antwort auf die Anzeige, nebenbei die einzige in dieser Ausgabe, die ohne einen Buchstaben davon kam, haben wir gemeinsam verfasst.
Und da stand ich dann, vor Kälte klappernd, weil ich meinen dicken Pullover im Schrank gelassen habe. Die Erkenntnis des Abends (vorerst): Einzig mein Körnerfresseroutfit wäre diesen arktischen Temperaturen gewachsen gewesen, doch fand ich das beim Anziehen in der warmen Wohnung noch zu politisch (zu grün, zu links außen).
Langsam wurde es Zeit und ich beäugte die Leute genauer. Weit und breit niemand in Sicht, der auch nur halbwegs mein Date hätte sein können. Alle waren unterwegs und schienen ein sehr konkretes Ziel zu haben. Angesichts des Wetters wenig verwunderlich. Es war verflucht kalt und hatte zu nieseln begonnen.
Dann plötzlich sah ich mich gezwungen, den Kragen meiner Jacke hochzuklappen. Den Typ auf dem Fahrrad kannte ich von Sehen aus der Uni. Er gehört zur Spezies der Lächler, die jedoch nie einen Spruch wagen. Ist auch besser so. So rein äußerlich Marke Muttersöhnchen, hat der blonde Schönling wahrscheinlich mehr Crémetöpfe im Bad stehen als ich, Dank derer ihm niemals irgendwelche Ecken und Kanten wachsen werden. Nicht auszudenken, die Peinlichkeit, wenn er mich erkennt und herauskäme...
Nun, den extrem spannenden Teil, von wegen, dann hab ich gründlich nachgedacht und laut Beschreibung hätte er mein Date sein können und so weiter, schenke ich mir jetzt einfach mal. Natürlich war er mein Date! Obwohl er noch zwei bis drei Ehrenrunden, so mit Verschwinden und wieder Auftauchen, drehte.
Jedenfalls sprang er dann mit lässig-gekonntem Schwung direkt vor mir von seinem Fahrrad und fragte schüchtern den Boden vor seinen Füßen: „Bernadette?“
Und ich dachte: ‚Scheiße! Ich komme nie wieder zu zeitig.’ An Rückzug, zumindest einen geordneten, war in diesem Moment nicht mehr zu denken, und so antwortete ich mit: „Ja...?“
„Kann es sein, dass wir verabredet sind?“
Blöde Frage, nächster Minuspunkt. Kaum anzunehmen, dass hier statt seines Dates eine andere Blondine namens Bernadette in der Kälte klappert.
Es folgte ein kurzer verbaler Schlagabtausch zum Wohin. Wir einigten uns aufs Marcello, was hieß, durch die halbe Stadt laufen zu müssen. Zwischendurch gezwungene Konversation. Es ging ums Wetter, wobei er sich einen schiefen Blick auf meine kurz berockten Beine nicht verkneifen konnte. Dann Schweigen und Laufen. Ich wusste, es würde ein Krampf werden. Besonders viel schien er auch nicht zu sagen zu haben und so fand ich mich damit ab, den Alleinunterhalter zu geben.
Endlich in der gut geheizten Kneipe, war ich wild entschlossen, der Sache ein jähes Ende zu bereiten. Ich verdrückte mich auf die Toilette und startete einen Emergency Call bei Brit. Inzwischen ein probates Mittel: Kurzer Anruf und zehn Minuten später, wenn ich wieder am Tisch sein würde, der Rückruf. Brit muss gar nichts sagen. Das würde ich übernehmen: „Was?!... Wirklich?!... Nein!“ mit schreckgeweiteten Augen, versteht sich, und dann, an die inzwischen verbrauchte Begleitung gewandt: „Du, tut mir furchtbar leid, aber ich muss dringend weg. Wir holen das aber auf jeden Fall nach.“ Schüchternes Lächeln gefolgt von zügigem Abgang. Soweit also zu meinem Plan. Einziges Problem: Brit ist not available. Mist!
Zurück zum Tisch. Ich nahm Rotwein und er ein Bier, wobei ich gewettet hätte, dass er allenfalls zur Fraktion der gepflegten Weißweintrinker gehört oder eher noch etwas Alkoholfreies ordert. Um überhaupt eine Unterhaltung zu haben, fragte ich ihn, was er so macht. Er erklärte umständlich, dass er Sinologie studiere. In China war er auch schon, als er achtzehn war, für ein halbes Jahr. Er wollte von dem Geld eigentlich seinen Führerschein machen, fand dann China aber interessanter. Soso.
Drei Stunden später stellte ich fest, dass ich so gut wie nichts gesagt hatte, was für meine Verhältnisse tatsächlich ungewöhnlich ist. Ein paar Mal musste ich laut lachen. Er kann wirklich witzig sein.
Während er sprach, lachten seine grünen Augen. Ich sah kleine Fältchen in seinen Augenwinkeln und wilde, graue Sprenkel in seinen Augen. Außerdem verspürte ich den unbändigen Drang, ihm durch sein Haar zu fahren, von dem sich ständig Strähnen lösten, die ihm wirr in die Stirn fielen, während er gestikulierte. Ich fragte mich, wie sich seine Lippen wohl anfühlen mochten, wenn man sie berührt, zuerst, ganz sanft, mit dem Zeigefinger und dann später mit der Zungenspitze.
Er schien meine Gedanken zu erraten. Sein Gesicht verzog sich zu einem schiefen Grinsen, um im nächsten Moment völlig ernst zu werden. Er hatte mich ertappt und gemerkt, dass ich wider Erwarten arg verletzlich sein kann. Er nahm Rücksicht auf mich, auf meine Gefühle und auf die Freiheit meiner durchaus schlüpfrigen Gedanken.
Inzwischen war die schnippische Bedienung damit beschäftigt, rund um uns die Stühle mit demonstrativem Poltern auf die Tische zu wuchten. Zeit zu gehen.
Dann, wieder auf der Straße, klapperte ich erneut vor Kälte. Er lächelte schüchtern, wobei in seinem Blick Erwartung zu liegen schien. Nach einer Weile offensichtlicher Unschlüssigkeit fragte er, ob er mich nach Hause bringen soll. Ich heftete meinen Blick auf seine Füße und sagte: „Danke, geht schon. Ich ruf dich an.“
Er gab mir einen Zettel mit seiner Nummer und nachdem die berühmte Dreitagesfrist verstrichen war, wollte ich ihn anrufen. Ich wollte, aber der Zettel war weg. Darauf hielt ich an der Uni Ausschau nach ihm. Ich besuchte Vorlesungen, die rein gar nichts mit Wirtschaftswissenschaften zu tun haben. Mit chinesischer Geschichte kenne ich mich dagegen inzwischen ganz gut aus, nur ihn habe ich nicht mehr getroffen. Bis ich dann gestern im Foyer des Hörsaalgebäudes fast über ihn gestolpert wäre. Meine Freude über dieses inzwischen nicht mehr erhoffte Wiedersehen konnte ich kaum verbergen. Ein Urlaubssemester war die schlichte Erklärung für sein plötzliches Verschwinden. Ich fühlte mich plötzliche federleicht und spann bereits romantisch-wilde Pläne, als hinter ihm eine Dunkelaarige auftauchte, die ich noch nie zuvor gesehen hatte und die ich auf Anhieb völlig doof fand. Sie zupfte ihn am Ärmel und fragte im Tonfall der rechtmäßigen Besitzerin: „Kommst du?“ Er wandt sich um, nickte ihr zu, zuckte entschuldigend in meine Richtung mit den Schultern und ging.
Kein Happyend! Es war nicht seine Schwester und auch keine entfernte Verwandte. Es war seine Freundin, die sich nach kurzer Recherche als äußerst dauerhaftes Urlaubssouvenir entpuppte.
Moral? In Zukunft werde ich den Typen meine Nummer geben. Man muss ja schließlich nicht ran gehen, wenn es dann wirklich klingelt. Und Kontaktanzeigen finde ich nach wie vor doof.