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Blicke

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19.10.2003
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Blicke

Blicke

Eben noch hatte sie sich aktiv in die Runde eingefügt. Sie hatte aus ihrem Leben erzählt, über die Anekdoten der Freunde gelacht und sich in der Gruppe sicher und gut aufgehoben gefühlt.
Doch plötzlich steigt ein Gefühl der Abneigung in ihr hoch. Tief durchatmend lehnt sie sich in ihrem Stuhl zurück. Gerade noch entschlossen dagegen anzukämpfen, überkommt sie die Gleichgültigkeit und sie beginnt sich innerlich zu isolieren.
Im Grunde weiß sie, was jetzt kommen wird.
Die Zweifel, zuerst am Sinn dieser Gespräche, dann jene am Wert der Freundschaft.
Weiter geht es mit der Unzufriedenheit, die an ihre eigene Person gerichtet sein wird. Die Frage nach dem Sinn von allem. Und am Schlimmsten: Sie weiß jetzt schon, dass sich nichts verändern wird. Sie spürt die Handlungsunfähigkeit, noch bevor sie sich bewusst geworden ist, was sie überhaupt verändern möchte!
Sie regt sich. Vielleicht ist es doch besser zu kämpfen. „Los steh auf! Rappel dich hoch! Ich will diese Gedanken nicht!“
Sie taucht in die Gegenwart zurück und sieht die Gesichter ihrer Freunde. Am fröhlichsten erscheint Thomas. Er lacht unaufhörlich. Aber seine Augen spiegeln eine Leere, die ihr Angst macht. Nichts hat Gültigkeit.
Susan lächelt verkrampft. Wissend, dass es angebracht ist an dieser Stelle zu lachen, ist sie in Gedanken doch mit etwas ganz anderem beschäftigt. Sie ist abwesend, in einer anderen Zeit, in der sie mit sich selbst hadert. Susan ist verängstigt und wird noch lange brauchen, ehe sie den entscheidenden Schlag durchführen kann, der ihre Situation verändern könnte.
Angst, sie ist immer und überall und verhindert, dass wir zu uns selbst finden. Sollte man nicht besser gleich aufgeben? Dieser ständige Kampf, er macht so müde! Er raubt soviel Kraft!
Das nächste Gesicht. Tom schaut ernst drein. Er hört den anderen zu, doch auch in ihm drängen sich andere Gedanken auf. Er will sich nicht damit auseinandersetzen; aber er wird nicht lange flüchten können, bald wird er eingeholt werden. Zu oft hat sie es an sich selbst erlebt, als dass sie es nicht voraussagen könnte.
Sie sieht die vielen Augen, die sich weigern oder unfähig sind zu sehen. Es quält sie. Plötzlich fühlt sie Blicke auf sich gerichtet. Verzweifelte, suchende Blicke, die sie um Hilfe bitten und doch die meiste Hoffnung bereits verloren haben. Von vorn, von hinten, rechts, links, unten , oben, - von allen Seiten wird sie durchbohrt. Und sie kann nicht flüchten, kann sich nicht entziehen! Diese Blicke sind da, stürzen auf sie ein. In ihren Kopf, ins Gehirn, alle Ecken und Winkel; selbst in die Verborgensten. Sie fressen sich hinein, tief nach innen, fressen sie leer bis nichts mehr da ist, bis sie die Kontrolle verliert über Geist und Körper, bis sie zusammensackt und mit dem Kopf auf den Tisch schlägt.
Was sie umhüllt ist zunächst Leere, aber nur für einen Sekundenbruchteil. Dann schleicht sich ein Bild in ihr Unterbewusstsein. Das Bild eines schlafenden Kindes. Sie kennt dieses Kind nicht, aber sie sieht sein entspanntes Gesicht. Sie hört die ruhige Atmung, nimmt den gleichmäßigen Herzschlag wahr, sieht die ab und an zuckenden Augenlider, sieht das Kind ringen...
- und siegen. Dannn schließlich lächelt es. – Kaum sichtbar, aber aufrichtig und irgendwie... –
Das Bild schwindet und als sie die Augen aufschlägt, kann sie sich nicht mehr erinnern. Doch der Eindruck ist nicht völlig verschwunden. Er blitzt in ihrem eigenen Blick auf und gibt ihm Fülle.
Sie ist noch nicht so weit, doch eines Tages wird sich sich an das schlafende Kind erinnern und erkennen, dass es etwas ausdrückt, was ihr Leben verändern kann.
Es wird ihr Sicherheit geben.
Es wird nicht verhindern, dass sie sich Gedanken macht und manchmal verzweifelt.
Doch ich glaube, es wird verhindern, dass sie aufgibt. Denn irgendwo in ihrem Hinterkopf wird sie wissen, dass es da noch etwas anderes gibt. Etwas, das den leeren Blicken immer wieder Fülle verleiht. Fülle, die etwas wiederspiegelt. Etwas, für das es sich lohnt, durchzuhalten.
Sie verzieht ihre Mundwinkel leicht. Ein Lächeln, das kaum jemand sieht, jedoch ehrlich und echt. Und wahnsinnig kraftvoll dabei.
Tief in ihrem Innern hat sie etwas gefunden, das sie reich macht.

 

Ein etwas abstrakter Text. Er lässt viele Interpretationsrichtungen offen. Es wäre interessant zu wissen, was uns die Autorin damit vermitteln wollte.

 

Hallo Trixi!

Herzlich willkommen auf kg.de! :)

Ich find Deine Geschichte wirklich gut gelungen! :thumbsup:

Das Gefühl, wie unsicher sich die Protagonistin fühlt, hast Du sehr gut dargestellt. Sie ist nicht sie selbst, lebt nur eine Hülle, bis sie draufkommt, wo sie ihr Inneres verloren, oder besser: vergraben hat. Hätte sie es verloren, könnte sie es ja nicht wieder finden...
Wie sie die Unterschiede in den Augen der anderen Menschen erkennt und die ersten Spuren der Selbstfindung gefallen mir ebenfalls sehr in Deiner Darstellung und lassen erahnen, daß die Protagonistin noch einen weiten Weg vor sich hat, aber schließlich doch ankommen wird. :)

"Etwas, dass den leeren Blicken immer wieder Fülle verleiht."
- hier gehört ein das ;)

Liebe Grüße,
Susi

 

Hallo Jingles,
es ist schon beabsichtigt, dass viele Interpretationsrichtungen offen bleiben. Was ich beschreibe, sind in erster Linie Gefühle und Gedanken der Protagonistin, die gerade eine Sinnkrise durchlebt. Sie ist unsicher, unzufrieden, zweifelt. Ich habe das nicht konkreter beschrieben, weil ich damit mehrere Menschen erreichen können will, die vermutlich alle auf ihre eigene Art und Weise zweifeln. Und letzten Endes will ich einen ebenso ungenauen aber hoffentlich in jedem vorhandenen Hoffnungsschimmer aufzeichnen, der Mut gibt.

Konnte ich deine Frage nach der Botschaft des Textes damit einigermaßen beantworten?
Gruß, Sonja

 

Hallo Susi!

Vielen Dank für die positive Bewertung!
Den Rechtschreibfehler habe ich ausgebessert.

Tschüß, Sonja

 

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