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Blaues Sofa
Da sitzt er, der bleiche apathisch wirkende Akademiker. Schon vierzig Jahre schleicht er durch die mit taubenblauer Auslegware dekorierten Unigänge und verkriecht sich wie eine Miesmuschel regelmäßig bei herannahender Gefahr in sein Allerheiligstes.
Nun füllt er selbstgefällig seinen braunen Bürostuhl für 19,99 von Aldi aus und sieht sich mein zuvor eingereichtes Themenblatt an. Einem Scanner gleich, lässt er seine Augen über das Papier gleiten. Ich höre förmlich das bestätigende Piepen in seinen Gehirnwindungen.
Ich habe inzwischen auf einer blau bezogenen Couch Platz genommen. Seit wann gibt es blaue Couchgarnituren in den Zimmern von Professoren? Was macht er sonst noch so auf seiner Couch. Meine Fantasie geht mit mir durch. Ich sehe die Beisitzerin mit ihren lila lackierten Fingern über seine graue Hose streichen, den Weg zum Hosenknopf suchend.
Die Couch hatte schon bessere Tage gesehen. Welche bedeutenden und unbedeutenden Hinterteile hatten auf ihr schon Platz genommen? Diesmal war ich an der Reihe. Ängstlich lasse ich mich in das blaue Wunder sinken und fühle die aufstehenden Federn deutlich nachgeben. Hätte ich die Füße hochgeschlagen, nebenbei die blasse Beisitzerin erschlagen, wäre mir wohler gewesen. Die Beisitzerin macht einen erschöpften Eindruck. Ihre dicken Finger spielen mit dem Kugelschreiber. Unter dem Tisch blitzen schwarze Netzstrumpfhosen hervor. Nun war ich sicher. Die beiden nutzten die Pausen zwischen den Prüflingen für gemeinsame erotische Abenteuer.
„Die Konzeption der Pädagogik ....“, beginnt der Prüfer. Er macht die gewohnte nachdenkliche Pause, die Akademiker aus einer vorgetäuschten Überlegenheit gerne machen und er lässt mein Themenblatt mit einem gekonnten Wurf in eines seiner grünen Ablagefächer gleiten. Die Konzeption der Konzeptionslosigkeit schießt mir durch den Kopf. Wach auf! , ruft eine Stimme in mir.
„Ja, erzählen sie mal ...“ Nachdenkpause.
Ich schalte meine Redebreimaschine an und würge die in den letzten Wochen abgespeicherten Konzeptionslosigkeiten hervor. Zwischen meinen dürftigen Antworten drängen sich immer wieder meine erotischen Fantasien auf der blauen Couch. Widerwillig nimmt der Prüfer den Brei entgegen, schielt ab und zu skeptisch unter seiner goldumrandeten Brille hervor, kritzelt ein paar sinnlose Gedanken aufs Papier und sieht öfters stöhnend zur Decke hinauf. Vielleicht kann Gott mir helfen, denke ich. Drei, vier Fragen schießen ohne Unterbrechung aus seinem Mund. Plötzlich schreit er:
"Wo haben sie nur diesen Schwachsinn her?" Zur Beisitzerin sagt er mit einem Hundeblick:
"Entschuldigen sie meine Ausdrucksweise, Frau ... " Sie nickt bewundernd und überkreuzt ihre benetzten Beine elegant. Dabei knistert die Strumpfhose auf eine verlangende Art und Weise. An den Mundwinkeln des Professors staut sich schon weißer Schaum.
"Völlig unvorbereitet kommen sie zu mir. Sie sind einer dieser Generalisten! Die brauchen wir nicht! Ihr Wissen muss in die Tiefe gehen!" Dabei sieht er lüstern zur Beisitzerin hinüber.
Jegliches pädagogisches Denken und Verhalten, welches dieser spezielle Prüfer in fruchtbaren Momenten zum Buche gemacht hatte, war Makulatur geworden. Eigentlich hat er in seinen Schriften nur unnötig jungfräuliches Papier vergewaltigt. An andere seine schöngeistigen Ansichten weitergeben, sie selbst aber im Moment der Wahrheit an den Nagel der Vergessenheit hängen. Menschlichkeit forderte er auf jeder Seite seiner pädagogischen Ergüsse. Aber als Autor dieser endlosen Litaneien der Menschlichkeit durfte er ruhigen Gewissens unmenschlich zu mir sein. Er war ein kleiner Gott im Reiche der Wissenschaft, nur sich selber und seinem blauen Sofa Rechenschaft schuldig. Die Bücherregale an jeder Seite bogen sich unter der Last der pädagogischen Lufschlösser. Die Schatten unter seinen Augen waren Zeugen der nächtlichen Gehirngymnastik. Dabei hätte er sich in dieser Zeit lieber ausgiebigen Leibesübungen mit seiner Frau oder Beisitzerin widmen sollen. Sein Credo in all seinen dicken Büchern lautete: Seid alle lieb und nett zueinander.
Was bleibt, ist die blasse Erinnerung an eine nette Bettlektüre, die man fünf Minuten liest, bevor man das Licht ausknipst. Anstatt bei meinen fantasievollen Antworten einfühlsam den Rettungsanker zu werfen und die ein oder andere richtige Antwort mit Begeisterung aus meinem Gehirn zu fischen, lässt er meine Redebreimaschine weiterlaufen. Ich renne ins offene Messer und er lacht heimlich über meine Dummheit und freut sich auf die nächste Beisitzerinnenpause.
Am Ende, als der dampfende Brei fertig auf dem akademischen Tisch steht, gefallen ihm die Zutaten nicht. Er fährt weiter auf seinem selbstgebauten Gedankenschiffchen in meinem Meer von unsinnigen Worten. Er winkt mir noch zu.
„Adieu! Durchgefallen! Bis zum nächsten Mal!“
Das blaue Sofa quietscht noch ein wenig als ich aufstehe und gehe. Endlich, denkt er. Einer weniger.