Blaues Herz auf weißem Grund
Blaues Herz auf weißem Grund
Angst zu haben ist etwas ganz normales. Es ist nicht schlimm. Man muss einfach nur weitergehen. Schritt für Schritt. Immer weiter.
Ich versuche es mit aller Kraft. Doch schon am Tor versagen meine Beine fast. Ich muss meine ganze Willensstärke aufbringen um überhaupt weitergehen zu können.
Dabei ist es beinahe ein schöner Ort. Alles ist friedlich, leise. Nur hier und da schimmert ein wenig Tannengrün durch die Schneedecke und sogar der Kies unter meinen Füßen weigert sich ob der Last des Neuschnees zu knirschen. Kein Geräusch stört die Idylle.
Ich gehe weiter. Ich kenne mein Ziel.
Blaues Herz auf weißem Grund.
Herz aus Stein. Wieder kriecht die Bittterkeit in meine Seele. Findet immer neue Wege, wie ein Wurm, der einen Apfel aushöhlt, zerfrisst.
Ich spüre wie die Mauern um meine Seele, die Mauern, die zu erbauen sie mich gezwungen hat, mit jedem Schritt bröckeln. Und der Wurm frisst weiter.
Blaues Herz auf weißem Grund. Ich bin beinahe da. Schon jetzt strömen die Gedanken auf mich ein, sind meine Schutzmauern beinahe überwunden. Die Liebe, der Hass, beides einst so heiß empfunden und doch schon seit so langer Zeit aus meinem Herzen verbannt, vergessen geglaubt, sie stürzen plötzlich wieder auf mich ein, wie Wasserfälle im Frühling.
Es ist hell, die Sonne scheint, grell, auf dem Schnee reflektierend. Dennoch ist es um mich dunkel. Nacht. Wie in meinem Zimmer. Damals. Wie in meinem Herzen. Jetzt und für allezeit? Ich weiß es nicht. Darum bin ich ja hier.
Blaues Herz auf weißem Grund. Ich kann es von weitem sehen. Angst schnürt mir die Kehle zu. So viel Zeit ist vergangen, so viele Jahre, und dennoch habe ich Angst. Vor ihr. Vor mir. Davor, nie überwinden zu können, was nicht vergessen werden kann.
Blaues Herz auf weißem Grund. Direkt vor mir. Kalt, tot, ungefährlich und gleichzeitig so verletzend. Und der Schrei, der nie meine Seele verlassen hat, der sich von jeder Umarmung, jedem Kuss, jeder Berührung genährt hat, der seit so langer Zeit in mir ausharrt, wartend, pochend, zerstörend, er formt sich, dehnt sich aus, zwingt mich in die Knie.
Auf dem einsamen kleinen Friedhof kniee ich vor dem blauen Herzen, vor dem Grab meiner Schwester und klage an.