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Blaue Augen
Blaue Augen
Ich lag in meinem Bett. Es war kalt. Eigentlich sollte ich schlafen, doch ich konnte nicht. Ich schaute noch einmal auf die Uhr. 03:27 Uhr. Da fasste ich den Entschluss aufzustehen und in den Salon zu gehen. Ich nahm meinen Morgenmantel und ging Barfuß über die Marmortreppen nach unten in die Halle. Die Lampen flackerten und wiesen mir den Weg zum Salon. Plötzlich stolperte ich und stieß eine Ritterrüstung an der Wand um. Warum muss in dem blöden Schloss denn auch überall was rum stehen? Ich rieb mir den Knöchel, weil ich ihn mir gestoßen hatte. Doch noch bevor ich aufstehen konnte kamen Alfred unser Butler und Susan die Hausdame. Ich wollte gerade ein Lächeln hervorbringen, als meine Mutter kam. Sie schaute mich an als hätte ich sie nicht mehr alle. Ich öffnete den Mund um etwas zu sagen, da meinte meine Mutter: „Bist du eigentlich von Sinnen hier Nachts im Schloss herumzulaufen? Gehe sofort wieder zu Bett. Und Susan, sie sorgen bitte dafür, dass sie auch dort ankommt.“ Sie drehte sich um und verließ den Raum mit schnellen Schritten. Alfred und Susan halfen mir auf und wir gingen in Richtung meines Schlafzimmers. „Wieso sind sie denn überhaupt aufgestanden, Miss Courtenay?“, fragte Alfred mich nach einiger Zeit. „Ich konnte nicht schlafen“, murmelte ich die Antwort. Als wir an meinem Zimmer angekommen waren fragte mich Susan ob ich einen Kakao haben wolle, den ich dankend annahm. Nachdem ich den Kakao getrunken hatte, legte ich mich hin und versuchte zu schlafen. Irgendwann vielen mir die Augen zu und ich verfiel in einen unruhigen Schlaf.
Am nächsten Morgen wurde ich von Susan geweckt. Meine Augen sahen müde aus und ich hatte tiefe Augenringe. Als ich mich fertig war, ging ich in den Speisesaal. Meine Mutter sprach nicht mit mir und mein Vater war wie jeden Morgen hinter seiner Zeitung verschwunden. Schweigend aß ich etwas Toast mit Marmelade und trank einen Orangensaft. Danach verabschiedete ich mich und ging zum Auto. Es war eiskalt draußen und ich fröstelte trotz Handschuhe und Mantel. Unser Chauffier Martin machte die Wagentür auf und ich stieg in den Wagen. Langsam verschwand Courtenay Castle im Nebel. Weil ich total abgeschottet von anderen Kindern aufgewachsen bin setzte ich mich dafür ein, dass ich auf eine öffentliche Schule durfte und an diesem Tag war mein erster Schultag. Ich war angespannt und müde. Irgendwann hielten wir an. Ich schaute aus dem Fenster und sah eine riesige Schule. Es war ein relativ altes Gebäude und viel kleiner als Courtenay Castle. Ich stieg aus und schaute ich weiter um. Ganz viele Kinder liefen auf die Schule zu. Ich blickte nochmal zum Wagen und Martin lächelte mir zu. Dann ging ich auf das Backsteingebäude zu und trat durch die Tür. Ich schritt durch die Gänge und suchte das Sekretariat. Als ich es gefunden hatte, erklärte mir die Sekretärin einiges und gab mir meine Bücher. Dann schickte sie mich zu einem Raum. Langsam ging ich zu dem Raum und dann stand ich auch schon vor der Tür. Ich holte tief Luft und klopfte. Ich hörte, dass es in dem Raum still wurde und eine Stimme rief mich herein. Ich öffnete langsam die Tür und trat in den Raum. Die Lehrerin lächelte und winkte mich zu sich. Ich strich mir eine Strähne aus dem Gesicht und ging auf sie zu. Dann sagte sie zu mir: „Hallo mein Name ist Miss Smith. Du bist also unsere neue Schülerin. Wir haben schon gerätselt wann du kommst. Möchtest du dich nicht vorstellen?“ Ich schluckte und mein Mund war trocken. Ich machte den Mund auf und sagte etwas heiser: „Hallo. Ich heiße Mary Courtenay und bin 14 Jahre alt.“ Mehr brachte ich nicht heraus. Da meldete sich ein blonder Junge und fragte: „Bist du die Tochter von James und Marylin Courtenay?“ Als Antwort brachte ich nur ein leises „Ja“ heraus. Die Klasse brach in Gelächter aus bis sie merkten, dass das kein Witz war. Sie schauten mich an und auf einmal meldete sich die Hälfte der Klasse und ich musste fast 20 Minuten Fragen beantworten wie „Lebst du wirklich in Courtenay Castle?“ oder „Hast du einen eigenen Butler?“. Ich war damit etwas überfordert. Miss Smith merkte das wohl, denn sie sagte: „Möchtest du dich nicht setzten?“ Ich schaute mich in dem Raum um und fand nur einen freien Platz neben einem Jungen mit schwarzem Haar und unfassbar hellblauen Augen. Er war mir vorher schon aufgefallen. Er hatte weder gelacht noch eine Frage gestellt. Ich setzte mich neben ihn und sagte: „Hi ich bin M…“ Doch er unterbrach mich unfreundlich ohne mich auch nur anzuschauen: „Ja. Das weiß ich ja schon. Die tolle Mary Courtenay, die mit ihren stinkreichen Eltern in Courtenay Castle wohnt. Ich hab es kapiert.“ Ich schaute ihn ein wenig ängstlich an. Ich überlegte noch etwas zu erwidern doch ich ließ es bleiben. Ich wollte nicht an meinem ersten Tag als Zicke gelten. Der Rest des Tages war echt anstrengend. In den ersten Stunden hatten wir Politik und Mathe. Dann noch zwei Stunden Geschichte und zwei Stunden Englisch. In den Pausen wurde ich immer umringt und mir wurden hunderte Fragen gestellt. Der Junge, neben dem ich saß, guckte immer still von der Seite zu und obwohl er nicht mit der Wimper zuckte wusste ich, dass er sich darüber freute, dass ich leide. Nach der letzten Stunde fragte ich einen Lehrer wie der Junge hieß, weil es mir nicht gesagt hatte und ich neugierig war. Sein Name war Jack. Ich fand der Name passte irgendwie. Als Martin mich abholte war ich echt fertig. Martin hielt sich zurück, doch irgendwann fragte er: „Miss Courtenay, wie war ihr erster Tag an der Schule? Waren auch alle nett zu ihnen?“ „Vielleicht etwas zu nett. Ich wurde von allen ausgefragt. Nur mein Sitznachbar Jack war ziemlich unfreundlich. Der Tag war so anstrengend. Ich will nur nach Hause und will was essen“, antwortete ich. „Miss, es tut mir leid ihnen das sagen zu müssen, aber ihre Eltern sind ausgegangen und der Koch hat sich freigenommen. Man hat mir Geld gegeben um ihnen etwas zu essen zu holen. Was hätten sie denn gerne? Ich fahre sie dort hin.“ Ich überlegte kurz und dann lächelte ich. „McDonalds!“, sagte ich. „Wie bitte?“ „Na McDonalds. Das Fastfood-Restaurant . Ich wollte da schon immer mal hin, aber meine Eltern haben immer gesagt das wäre Hundefutter.“ Ich schaute ihn flehend an. Er erwiderte: „Ist in Ordnung, aber kein Wort zu ihren Eltern.“ Also fuhren wir zu McDonalds. Das Essen schmeckte wirklich wie Hundefutter, aber es war ein Erlebnis. Als wir dann endlich zu Hause waren legte ich mich auf mein Bett und schlief ein. Am Abend wachte ich auf. Meine Eltern waren wieder zu Hause. Meine Mutter war immer noch sauer, wegen der vorherigen Nacht. Mein Vater war etwas lockerer drauf. Er sagte mir, dass er weiß wie ich mich fühle. Ich war immer noch müde, also ging ich wieder ins Bett um zu schlafen. Ich wollte einfach mal entspannen, doch ich konnte nicht. Mitten in der Nacht wachte ich auf. Ich hörte Geschrei vor dem Fenster. Ich stand auf und ging zum Fenster und öffnete es. Ich schaute auf den Hof und erblickte meine Eltern und noch einige Mitarbeiter die jemanden festhielten. Ich zog mir Schuhe an und lief runter. Als ich unten angekommen war, sah ich die Person noch genauer. Und plötzlich wusste ich nicht was ich sagen sollte. Es war Jack. Ja der Jack der total gemein war, der Jack der keine Freunde hatte und der Jack der in der Schule neben mir saß. „Jack?!“, rief ich. „Du kennst diesen Jungen?“, fragte meine Mutter. „Ja er ist in meiner neuen Klasse“, antwortete ich. Jack blickte mich an. Das war das erste Mal, dass ich sehen konnte was er denkt. Er hatte Angst.
Eine Stunde später saßen wir im Salon. Jack guckte immer noch ängstlich, nachdem meine Mutter ihm eine gehörige Standpauke verpasst hatte. Ich hielt es nicht mehr aus und sagte: „Mama, Papa lasst ihr uns bitte mal alleine.“ Meine Mutter schaute verdutzt, doch mein Vater zog sie aus dem Zimmer. Als wir alleine waren fragte ich: „Was zur Hölle machst du hier, Jack?“ „Ich … ich wollte nur.“ „Was wolltest du?“ Ich wurde ungeduldig und wütend. Jack machte irgendwann den Mund auf und sagte: „Ich wollte nur gucken ob du nicht gelogen hast. Ich dachte du wolltest an deinem ersten Schultag nur Aufmerksamkeit erregen. Ich wusste nicht wie ich es anstellen soll. Ich bin einfach her gekommen und wollte mit meinem Handy Fotos machen oder so. Keine Ahnung. Ich wollte es einfach nicht wahr haben. Ich dachte du würdest mich am meisten runter machen, so wie alle anderen. Es tut mir leid.“ Ich hatte ihn noch nie so viel an einem Stück sagen hören. Und jetzt war ich sprachlos. Ich schaute ihn an und wusste nicht ob er das ernst meinte. Plötzlich ein Geräusch. Ich schaute mich um und sah, dass Jack am Weinen war. Er war total aufgelöst. Er wollte nicht, doch er konnte nicht anders. Einfach um ihn zu trösten ging ich zu ihm hin und sagte ihm, dass alles gut ist. Da klopfte es an der Türe. Sie öffnete sich und ein großer stämmiger Mann mit schwarzen Haaren und blauen Augen kam rein. Er schaute uns an und sagte wütend: „Was hast du dir dabei gedacht? Bist du noch ganz dicht? Zu Hause gibt es erstmal eine gerechte Strafe.“ Jack sah erst zu mir und dann zu seinem Vater. Dieser ging raus und wir folgten ihm. In der Türe flüsterte Jack mir zu: „Er wird mich schlagen. Ich habe Angst.“ Er ging mit einem Gesicht raus, das ich noch niemals bei einem Menschen gesehen hatte. Er war so in Panik. Ich wusste nicht was ich tun sollte, also rief ich: „HALT! Er bleibt hier.“ Alle schauten mich an. Ich musste noch etwas sagen also improvisierte ich: „Ich möchte, dass er hier bleibt. Nicht, dass er noch mehr Unruhe stiftet.“ Ich sah wie er mit seinen Lippen still danke sagte. Und so blieb er, für eine ganze Nacht. Doch wie sollte es am nächsten Tag weiter gehen?
Der Morgen war komisch. Ich stand früh auf und ging zu dem Zimmer in dem wir Jack untergebracht hatten. Ich klopfte an. Keine Antwort. Ich klopfte wieder. Immer noch kein Geräusch. Ich öffnete die Tür und mit Entsetzten stellte ich fest, dass Jack nicht in seinem Bett lag. Er war anscheinend weggelaufen, als alle schliefen. Und ich hatte ihm vertraut. ich fühlte mich so dumm und ging noch mit Pyjama die Treppe zur Küche runter um Richard dem Koch zu sagen, dass ich wach bin. Ich hatte Hunger und setzte mich in den Speisesaal. Einige Minuten später brachte jemand mein Essen. Doch es war nicht wie sonst Alfred, der Butler, sondern Jack. Ich schaute ihn ungläubig an, doch er servierte das Essen perfekt und wollte wieder gehen, doch ich bat ihn sich zu setzten. „Wieso bist du schon wach?“, fragte Jack als ich anfing mein Frühstück zu essen. Ich erklärte ihm: „Ich wollte gucken, ob du schon wach bist. Ich war erst etwas verärgert als du nicht da warst. Ich dachte schon du wärst abgehauen. Wieso bist du eigentlich aufgestanden?“ „Ich wollte mich bedanken. Mein Vater hätte mich wieder geschlagen. Er ist schwer Alkoholabhängig. Und da dachte ich, du hättest es verdient, dass ich dich bediene. Meine Mutter hatte ein Lokal, da habe ich manchmal gekellnert.“ „Was ist eigentlich mit deiner Mutter. Wieso wohnst du nicht bei ihr?“ Ich wusste, dass ich das nicht hätte sagen sollen, denn Jack schaute traurig. Aber trotzdem gab er mir eine Antwort: „Sie ist gestorben. Vor zwei Jahren. Bei einem Autounfall. Mein Vater fuhr den Wagen. Er kam mit leichten Verletzungen davon. Meine Mutter starb noch am Unfallort. Mein Vater gab sich die Schuld für den Tod meiner Mutter und von dem Tag an fing er an zu trinken und ich leide darunter. Bis heute.“ Er schaute so traurig. Ich unterdrückte eine Träne und fuhr ihm mit der Hand über den Rücken. Da hatte ich eine Idee: „Wie wäre es wenn du hier bleibst. Natürlich nur wenn du willst. Genug Platz ist ja.“ Ab dem Tag an wurden wir beste Freunde. Er blieb bei uns und ich hatte endlich einen Menschen gefunden dem ich 100% vertrauen konnte. Ich hätte nie erwartet, dass Jack und ich jemals Freunde werden könnten. Ich war so glücklich. Doch irgendwann wurde es anders. Eines Tages saßen wir in meinem Zimmer und schauten einen Film auf meinem Fernseher. Plötzlich nahm er die Fernbedienung und machte Pause. Dann schaute er mir in die Augen, kam auf mich zu und versuchte mich zu küssen. Ich zog meinen Kopf weg und schaute ihn überrascht an. Ich wusste nicht was ich sagen sollte, doch Jack lief schon aus dem Zimmer. Ich wusste nicht warum er mich küssen wollte. Da verstand ich, dass er sich in mich verliebt hatte. Er tat mir so leid. Ich entschied ihm nachzulaufen, doch ich fand ihn nicht. Da kam Susan und fragte warum Jack ohne Jacke nach draußen gelaufen ist. Ich überlegte nicht und lief auch raus. Es war dunkel draußen, doch ich suchte ihn trotzdem. Tatsächlich fand ich ihn nach einer halben Stunde völlig unterkühlt hinter dem Schloss. Ich sah sofort, dass er geweint hatte. Da fiel mir etwas auf. Auf dem Boden sah ich etwas Rotes. Es war Blut. Ich sah zu ihm und erblickte auf seinem Arm mehrere tiefe Schnitte. Neben ihm lag eine Rasierklinge. Ich konnte nicht glauben, dass er sich geritzt hatte. Ich konnte nicht hinsehen. ich nahm die Rasierklinge und warf sie ins Gebüsch. An meinen Händen war etwas Blut. Ich nahm meinen Schal ab und wickelte ihn um Jacks Arm. Ich konnte nicht mehr und nahm ihn in den Arm. Wir saßen noch einige Zeit in der Kälte. Mein Schal saugte sich mit Blut voll. Wir gingen irgendwann rein und ich verarztete Jack den Arm. Da sah er sich mich mit seinen blauen Augen an und ich nahm sein Gesicht in meine Hände und küsste ihn.
Und jetzt? Jetzt sind wir schon zwei Monate zusammen. Jack hat sich seitdem nicht mehr geritzt und er wohnt bei uns. Sein Vater ist immer öfter nüchtern, nachdem er merkte, dass sein Sohn die einzige Person ist die er noch hat. In der Schule läuft es ganz gut und auch meine Mutter und ich kommen besser klar. Auch wenn das Leben manchmal schwer ist, es wird besser.