Blaubeerpfannkuchen
Jonas hasste die Ebene. Am Himmel hing die Sonne wie ein überreifer Apfel, scheinbar kurz davor, dem unvorsichtigen Reisenden in einem trügerischen Moment der Ruhe mitten auf den Kopf zu fallen. Und solche Momente der Ruhe waren in der Ebene häufig. Nicht wenige, die schon einmal das Vergnügen hatten, sie zu durchqueren, behaupteten sogar, die Stille gehöre zu ihr wie die drei Hörner zur Kuh. In welchem Medium sollte sich der Schall auch ausbreiten? Die Luft konnte es nicht sein, denn sie schien überhaupt nicht zu existieren. Jedenfalls konnte man sie nicht atmen, was dazu führte, dass Jonas eine Sauerstoffflasche auf dem Rücken trug und dass sich in seiner Atemmaske der Schweiß sammelte.
Die Radnabe, einige Dutzend Kilometer im Norden gelegen, hatte mehr zu bieten. Was es auf dem riesigen Markt nicht gab, war auch sonst nirgendwo zu haben. In den Eckkneipen wurde selbstgebrannter Schnaps ausgeschenkt, und die Frauen wurden mit jedem Glas hübscher. Man musste nur bezahlen können...
Das war auch der Grund, weshalb sich Jonas in der von ihm verabscheuten Ebene befand. Eine Schachtel Streichhölzer, Munition... Damit konnte man in der Radnabe Geld machen. Das Angebot war gering und die Nachfrage war hoch.
Jonas holte sein Fernglas aus dem Etui und sah hindurch. Bei dem schwarzen Punkt am Horizont, auf den er schon seit einigen Stunden zuhielt, handelte es sich um ein einstöckiges Gebäude mit einem Flachdach und großen Glasfenstern an einer Seite. Woran es lag, wusste niemand genau, aber solch ein Anblick war in der Ebene nichts ungewöhnliches. Wie hatten die früheren Bewohner hier überleben können? Ohne Wasser, ohne Luft zum Atmen? Oder hatte es hier einmal ganz anders ausgesehen? Jonas konnte sich nicht vorstellen, dass die Ebene zu irgend einem Zeitpunkt je aus etwas anderem als Staub und Hitze bestanden hatte.
Die Tür des Gebäudes war verschlossen. Auch durch die von einer dicken Staubschicht bedeckten Fenster konnte man nichts erkennen. Kurzerhand holte Jonas mit dem Ellenbogen aus und schlug damit eines der Fenster ein. Das helle Klirren des zersplitternden Glases machte ihm nach langen Stunden der Ruhe wieder bewusst, dass er überhaupt über Ohren verfügte.
Innen war es angenehm kühl und dunkel. Mit geübtem Blick musterte Jonas die Einrichtung des Hauses. Schon nach wenigen Sekunden war ihm bewusst, dass er Glück gehabt hatte. Ein kühler Schluck Wasser hätte nicht schöner sein können als das Gefühl, das ihn durchströmte. An den Wänden stapelten sich Regale voller Kartons, Schachteln und durcheinander liegender Gegenstände. Als erstes fiel Jonas ein silbern glänzender Revolver mit schwarzem Griff auf. Er nahm ihn sofort und steckte ihn in die Innentasche seines Staubmantels.
Unter der Pistole lag ein Buch. Jonas nahm es in die Hand und schlug willkürlich eine Seite auf. Ganz offensichtlich handelte es sich um ein Kochbuch. Beim Überfliegen einer Liste von Zutaten stutze Jonas. Dort stand:
Blaubeerpfannkuchen
100 g Mehl
75 ml Milch
1 Ei
eine handvoll Blaubeeren (40 g)
Was hatte das zu bedeuten? Bereits eine einzelne Blaubeere, die in den Wäldern nördlich der Radnabe wuchs, konnte doch ein halbes Kilo auf die Waage bringen. Und sie passte auch niemals in eine Hand... Jonas riss die Seite aus dem Buch und stopfte sie sich in die Tasche.