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Bitterkeit
"Ich komme wieder", sprach sie, warf ihm einen letzten Blick zu, bevor sie die Tür hinter sich schloss, die Treppen hinunterging und in den kalten Winterspätnachmittag verschwand. Er blieb zurück, schaute ihr nicht hinterher. Er trank den letzten Rest des erkalteten Tees, schmeckte jeden Tropfen der dunklen Flüssigkeit und presste dann die Lippen aufeinander. Für Momente verschwamm das Zimmer hinter einem Schleier feuchter Tränen, doch ließ er nicht zu, dass sie ausbrachen.
Er hatte lange darüber nachgedacht. Hatte er das Recht, nein zu sagen? Unzählige Nächte hatte er über diese Frage nicht schlafen können. Welche Konsequenzen wogen schwerer? Und dachte er nicht eher an die Konsequenzen für sich selbst als für sie? Genauso oft wie er sich als verständnisvoll angesehen hatte, war in ihm doch das Gefühl aufgekommen, egoistisch zu sein, würde er sie aufhalten. Und sie würde doch wiederkommen... Er klammerte sich an dieses Versprechen. Es war doch nur Neugier. Nichts änderte sich an ihren Gefühlen für ihn... Oft sagte er sich diese Worte.
Doch fühlte er, dass es heute anders sein würde. Als vor nicht einmal einer Stunde das Telefon geklingelt hatte, da hatte er es schon gespürt. Er hatte nur in ihr Gesicht sehen müssen, um es zu erkennen. Sehnsucht war darin geschrieben. Sehnsucht, die nicht ihm galt. Sehnsucht nach etwas, das er ihr nie würde geben können. Nach etwas, das vor einiger Zeit nur dann und wann in ihr gedrängt hatte. Das mittlerweile aber einen - wie er fand - Großteil ihrer Zeit ausmachte. Er hatte auch Liebe in ihrem Gesicht gesehen. Als sie in den Hörer sprach, Liebe zu der Frau am anderen Ende. Und als sie den Hörer auflegte und mit einer Hand seine Wange streichelte, Liebe auch zu ihm.
Er hatte die Hand kaum gespürt. Er wusste, diesmal würde es anders werden... Das Zimmer um ihn hatte sich in seinem Geist ins Schwarze gefärbt, sich um ihn verengt, und Angst, dies dunkle drückende Gefühl, von dem er wusste, heute war es nicht länger unbegründet, verkrampfte seine Hände. Gegen Gefühle, mit denen sie nie gerechnet hatte, konnte er nichts tun, konnte sie nichts tun. Sie zu unterdrücken, würde eine Lüge bedeuten. Sie hatten sich geschworen, nie zu lügen. Sich weder anzulügen, noch Lügen zu leben. Deshalb konnte er nur warten. Und er wartete. Den Abend. Die Nacht.
Sie kam nie wieder.