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Bitterer Kampf, süße Flucht
Erst ist es ein Gefühl, dann wird es ein Gedanke und ihr wird langsam bewusst, wie krank und abartig das alles ist. Sie ekelt sich fast vor sich selbst. Seit sie denken kann, hat sie das Gefühl, dankbar für alles positive in ihrem Leben sein zu müssen. Vielleicht hat sie damit Recht, aber sie fragt sich, ob ihr das nicht am Ende den ganzen Spaß verdirbt.
Auch wenn der Gedanke immer wieder aufkommt, schafft sie es noch, ihn zu verdrängen. Noch schaut sie nicht zurück um zu rechnen, wie lange das jetzt schon so geht. Sie könnte nicht mehr atmen, wenn sie sich klar machte, dass sie seit 3 Monaten ihr Leben sabotiert. Aber hat sie denn vorher überhaupt gelebt? Was ist das für ein Leben, wenn man sich nur fragt 'Was wäre wenn..?'.
Die Vorstellung kann so viel süßer sein, als die Realität und die bitter-süße Betäubung der letzten Tage, bevor es passierte, es real wurde, war so aufregend. Diese Angst und dieses flaue Gefühl im Magen, die 'Schmetterlinge im Bauch', die aber eigenltich nur Symptom des ausströmenden Blutes in andere Regionen als den Bauch ist. Und alles wegen des Adrenalins. Sie hat gelernt, dass Adrenalin und Nor-Adrenalin für den fight-or-flight-Instinkt zuständig sind, für Kampf oder Flucht. Und nichts könnte es besser ausdrücken. Sie hat sich auf den Kampf eingelassen. Den Kampf mit sich selbst, den Kampf mit den Schuldgefühlen. Der Sex war jedes mal auch ein Kampf, selbst das Flirten und die Gespräche. Er war so herausfordernd. Sie wusste, er kämpft. Aber nicht etwa um sie. Er kämpfte um seinen Stolz und seinen Erfolg. Er kämpfte um Wiedergutmachung vergangener Fehler, vertaner Chancen und vergebener Versuche. Er kämpfte mit sich und er kämpfte mit ihr. Und all das war so verdammt spannend.
Aber: Hatte sie nicht auch die Flucht ergriffen? War sie nicht eigentlich feige und hatte sich aus Konventionen, Verantwortungen und liebevollen Richtlinien entzogen? Ist sie nicht in dem Moment zur Flüchtigen geworden, als sie sich auf den Kampf einließ?
Und die Frage nach Flucht oder Kampf nimmt auch jetzt kein Ende. Ganz tief im Innern würde sie gerne flüchten, egal wohin. Aber sie weiß, sie wird diesen Kampf austragen, sie hat bisher jeden Kampf erbarmungslos ausgetragen, auch wenn sie geflüchtet ist.
Die erdrückende Frage ist unausgesprochen. Sie macht ihr nicht viel Angst, denn sie glaubt eine Antwort zu haben. Aber wenn sie so darüber nachdenkt und die Worte immer näher rücken, scheinen sie auf einmal beängstigend groß zu werden: War es ein Fehler?
War es ein Fehler, sich bitter-süß zu betäuben? Oder war es erst ein Fehler als es real wurde und viel weniger süß, viel bitterer war?
Und noch erzählt sie sich die Lüge, an die sie selbst nicht glaubt, dass sie es ihm nie verraten muss. Dass es eine Erfahrung war, die keine Auswirkungen hat.
Doch ihre feuchten Handflächen und das flaue Gefühl im Magen verraten: Sie betäubt sich bitter-süß.