bisher ohne Titel.
Genau deswegen sitze ich am Hafen. Ich warte und warte und warte. Kein einziges Schiff fährt an mir vorüber. Der Wind weht mir durch das stumpfe Haar und flüstert mir zu, dass ich es aufgeben sollte. Ich bin auch schon dabei aufzugeben. Allerdings weiß ich nicht was ich mit meinem Koffer machen soll, wenn ich aufgebe. Also sitze ich da, die Stimme des Windes wird ignoriert. Ich träume vor mich hin und starre in die Wellen. Ab und zu sehe ich ein Licht am Horizont, doch so schnell wie es kommt verschwindet es auch wieder. Es macht mich fast wahnsinnig beinahe untätig dort zu sitzen und zu warten. Manchmal trete ich gegen meiner Koffer und einige Male wurde ich an diesem Steg schon besucht von recht unwichtigen Personen.
Einmal sprach lange Zeit ein Kind mit mir. Es fragte mich warum ich so regungslos dort liegen würde. Ich ging ein Stück mit ihm. Es gab auch eine Zeit, da trug das Kind meinen Koffer und ich trug eine kleine Tasche, die es immer bei sich hatte. Als ich eines Tages dem Kind seine Tasche zurück geben wollte, nahm es die Tasche und schmiss sie weg. Etwas später vergrub es die Tasche tief im Küstensand. Nun waren wir beide nur noch mit meinem Koffer unterwegs. Als das Kind den Koffer einmal öffnete, schaute es mich verwundert an, da es nicht wusste was es mit meinem Gepäck anstellen sollte. Nachdem mein Gepäck unbrauchbar für das Kind war, versuchte es, den Koffer in die See zu werfen. Einen Moment lang wollte ich den Koffer mit ihm versenken. Doch das ging nicht. Ich entriss ihm den Koffer. Mein Koffer ist mein Ein und Alles. Ich bin der Koffer. Deswegen trennte ich mich schnell wieder von meinem so lieb gewonnenen Kind und ließ es alleine am Ufer zurück. Einige Male suchte ich das Kind. Meine Suche war bis auf wenige Sekunden, die ich es schemenhaft im Morgennebel sah, vergeblich. Sobald ich mich ihm näherte, fing es an zu spielen und rannte weg. Ich hatte nie wirklich den Elan oder auch die Kraft ihm nach zu hetzen. Es bewegte sich viel zu schnell und meine kurzen Beine trugen mich meist nicht so weit wie es rannte. Außerdem hatte ich noch meinen riesigen, kunterbunten, wunderschönen Koffer dabei, der nun schon etwas ramponiert aussah. Ihn wollte ich nicht liegen lassen. Nicht für dieses Kind. Es machte mich sehr traurig, das Kind verlassen zu müssen, wie es spielte und lachte inspirierte mich, deswegen legte ich mich schlafen, um sein freudiges Lachen, das sich in meine Gedanken eingebrannt hatte, nicht mehr ertragen zu müssen.
Die Zeit kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Ewigkeit? Ja, eine Ewigkeit werde ich auch noch dort verbringen, wenn ich mich nicht endlich dazu aufraffe aufzugeben. Aber was ist dann mit dem Koffer? Der Koffer ist ziemlich schwer und hat einen unschätzbaren Wert in sich. So sitze ich auf meinem Koffer und fühle mich etwas wie ein Agent. Der Koffer muss ausgeliefert werden an das richtige Schiff.
Langsam flüstert mir der Wind zu, dass ich doch mal über Alternativen nachdenken sollte. In meinem Pessimismus gefangen, dachte ich natürlich nicht über Alternativen für mich nach sondern nur über Alternativen für den Koffer und das Schiff. Das Schiff könnte schon längst in einem anderen Hafen an Land gegangen sein. Oder das Schiff könnte sich noch - was meiner Meinung nach äußerst realistisch ist - auf hoher See befinden und irgendwann in einem anderen Hafen ankommen. Ich bin mir fast sicher, dass es niemals in dem Hafen ankommen wird an dem ich sitze.
Wenn ich aufgebe, was mache ich dann mit diesem Koffer? Mit der Zeit wurde er zum Ballast. Allerdings hänge ich immer noch an ihm und möchte ihn nicht einfach stehen lassen. Ich habe sehr viel Angst, dass der Wind ihn forttragen könnte. Der Wind ist in diesen Tagen auch mein einziger Begleiter. Er spricht mit mir, ich ignoriere ihn. Er weiß, dass ich ihm nicht zuhören will, aber muss. Er prophezeit die Dinge, denen ich ein gedankliches Gefängnis gebaut habe. Er weiß auch, dass ich über alles was er sagt schon mal nachgedacht habe. Meine Gedanken machen mich verrückt.
Als einmal eine Welle ankam und über meine breiten Füße schwappte, wurde ich leicht euphorisch. Die dunklen Wolken, die den Himmel bedeckten, verzogen sich rasch und ich konnte endlich wieder die Sonne auf meiner Haut spüren. Als ich mich an die Sonne gewöhnt hatte, flog ein herrlich aussehender Vogel an den Hafen und setzte sich auf meine Schulter. Ich erzählt ihm von meinem Koffer und von meiner Mission, doch der Vogel hatte selbst ein paar Erledigungen zu tätigen. So blieb er nicht lange bei mir und die Zeit, die er mit mir verbrachte, sprach er über seinen Beutel, den er bei sich trug. Niemals durfte ich den Inhalt dessen sehen. Der Beutel war ziemlich dreckig und augenscheinlich trug der Vogel nicht sehr viel Gepäck mit sich. Dennoch sprach er so über den Beutel als wäre der Inhalt wichtiger als alles andere auf der Welt. Er sagte, dass er den Beutel für sich behalten möchte. Er möchte niemals jemanden hineinsehen lassen. Nicht mal eine kurze Berührungen des Beutels ließ der Vogel zu. Er hielt sich kaum einen Tag bei mir auf, dann flog er weiter. Mit einem kurzen Kopfnicken verabschiedete er sich. Als er gen Himmel flog, zogen sich die Wolken wieder zu. Der Wind flüsterte mir an diesem Tag zu, dass ich hätte nie mit dem Vogel vom Hafen fortgehen können, da er Flügel hat und ich nicht. An diesem Tag stimmte ich dem Wind wortlos zu. Ich legte mich schlafen, da mich das aufziehende Gewitter mit seinen fast melodisch klingenden Regentropfen auf eine seltsame Art und Weise beruhigte.
Die See wirkt ruhelos und ungewiss. Manchmal erkenne ich mich in ihr. Wenn ich in die Wellen starre, sehe ich mein Spiegelbild wie es umher wankt. Mein Geist wankt auch. Mein Geist wartet nicht mit mir.
Die Gedanken im obligatorischen Gefängnis meines Verstandes, fangen an einen Strick zu drehen. Dies ist eine Tätigkeit von hohem Interesse und wird mit einer Gründlichkeit erledigt, die ich von mir selbst nicht kenne. Mein Körper wäre nicht in der Lage so präzise vorzugehen. Langsam aber sicher nehmen meine eingesperrten Gedanken den Koffer in ihre Fänge. Sie werden mit dem Strick danach fischen. Durch die Gitterstäbe hindurch sieht man kleine Händchen, die versuchen schon jetzt an den Koffer zu kommen. Ich kenne ihren Plan. Nein, das wird nicht geschehen! Ich überlasse niemandem meinen Koffer und erst recht nicht den Gedanken, die ich vor langer Zeit in ein Verließ in meinem Kopf gesperrt habe. Also muss ich mit dem Koffer untergehen.
Ich stehe auf. Laufe träge Richtung See. Fest entschlossen sowohl den Koffer als auch meine Gedanken mit ihm in der See zu versenken. Noch ein letzter Blick in Richtung Horizont - kein Licht. Über mir tobt der Sturm und reißt mich fast mit. Der Wind spricht in diesen Momenten lauter mit mir als sonst. Ich ignoriere ihn. Er schreit, schreit mich an, doch ich laufe weiter und stehe am Ende des Stegs. Ich bin entschlossen dem Ganzen ein Ende zu bereiten und lasse mich mit einem Fuß in die Wellen fallen, halte dabei meinen Koffer vor meinem Körper fest umschlossen von meinen Armen. Der Wind greift nach mir und hält mich fest. Ich kann keinen Schritt weitergehen. Als ich wieder bei klarem Verstand bin, frage ich den Wind ob er mir zurück in den Hafen helfen könnte, doch er ignoriert mich.