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Bis letztes Jahr dann!

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25.03.2002
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Bis letztes Jahr dann!

Bis letztes Jahr dann!

Ich gehöre nicht zu denen, die verschämt in einer fremden Sprache reden. Ein neu hinzugelerntes Wort teste ich sofort auf seine Wirkung. Die Bedeutung ist nebensächlich. Auf den Klang kommt es an. Ein zärtlich ins Ohr gehauchter „Aschenbecher“ kann mich schneller in die Horizontale bringen als ein profanes „Liebling“. Zwangsläufig aber wird die Bedeutung zur Hauptsache, wenn man ins Ausland reist.

Als ich das erste Mal nach Kreta kam, konnte ich nur das Wort für „Kronkorken“. Ich sagte „Kronkorken“ am Flughafen, „Kronkorken“ bei der Taxifahrt an die Südküste und „Kronkorken“, als ich das heruntergekommene Landhaus sah, das ich zu einem Spottpreis in einem gottverlassenen Nest namens „Guter Wille“ erworben hatte. Mit der Leichtigkeit eines Kindes wollte ich Griechisch lernen, doch vorerst mußte ich mich auf das beschränken, was ich hatte: „Kronkorken!“ Ich wurde mit der kretischen Herzlichkeit aufgenommen und wandte mein mageres Vokabular überall an: Beim Bäcker, beim Popen und in der verkommenen Apotheke. „Ah, Kronkorken! Sie sprechen ausgezeichnet!“ sagten die Leute. Drei bärtigen Greisinnen, die mich unter Geschrei in ihre Behausung zerrten, um mich dort auf einen vergammelten Holzschemel zu stoßen, auf dem ich aus einer verdreckten Moccatasse Kaffee aus der Jahrhundertwende schlürfen sollte, spie ich ein haßerfülltes „Kronkorken!“ entgegen und wies dabei aufgeregt zur Tür. Das Ablenkungsmanöver reichte, die schlammige Brühe aus meiner Tasse in eine Ecke des Zimmers zu schleudern.

Mit der Zeit lernte ich eine Handvoll Verben und die wertvollen Wörtchen „nicht“ und „selten“. Schon hörte sich mein Griechisch gewandter an. „Riechen wir Kronkorken?“ fragte ich bei einer Taufe. Dem Schuster warf ich meine abgelatschten Sandalen mit der Weisheit entgegen, daß Kronkorken nicht fischen gehen.

Wäre mein Vokabular größer gewesen, hätte ich verstanden, was die Dorfbewohner hinter meinem Rücken über mich tuschelten. Zum Glück gab es schon einen Dorftrottel. Er sprach jedoch gar nicht, sondern schaukelte nackt auf einem ausrangierten Autoreifen, flocht Kreuze aus Olivenzweigen oder blies Volksweisen durch einen ausgehöhlten Besenstiel.

„Du lernst die Sprache am besten im Bett“, behauptete ein Ikonenmaler. Begeistert ließ ich ihn in mein Zimmer. Dort faselte er etwas von „Profillack“ und „Tiko“. Dann warf er sich auf mich und grunzte. Er grunzte eindeutig griechisch, doch ich konnte außer „du geiles Stück, du!“ und „ach, Muttergottes, meine!“ nichts verstehen.

„Profilaktikó“ bedeutet „Verhütung“ erklärte mir später der Dorftrottel, als er gerade den Versuch unternahm, seinen Kopf in einen Staubsaugerbeutel zu zwängen.

Eine Zeitlang zog ich mich zurück, um das Landhaus bewohnbar zu machen. Tagsüber kroch ich über Betonfußböden und abends erweiterte ich meinen griechischen Wortschatz, über dessen Nutzen man streiten mag:

Wolfsmagen
Serienmörder
Zwölffingerdarmgeschwür
Rettich
Reifrock
Spucknapf
Inkontinenz
Anus
Siebenstriemer
Einhorn

Manchmal kamen Nachbarn an’s Haus, um mit mir zu schwatzen. „Inkontinenz“, sagte ich zur Begrüßung und „Spucknapf“ zum Abschied. Die Zeit dazwischen überbrückte ich mit einem dämlichen Grinsen oder einer spontan dazugelernten „Meeresbestie“.

Es wollte sich kein anständiges Gespräch ergeben. So nahm ich mir eine Privatlehrerin. Einmal kam sie mit blutenden Fingerkuppen, weil sie die Bustür mit bloßen Händen aufgerissen hatte, um rechtzeitig zum Unterricht zu kommen. Das Haus war ohne Strom, so daß wir bei Kerzenschein lernten. Wenn’s brenzlig wurde, löschte ich die Flamme und verkroch mich in eine finstere Ecke. „Das Passiv kann doch nicht so schwer sein!“ rief meine Lehrerin dann und stocherte zornig mit ihrem Zeigestock in der Dunkelheit herum, bis sie mich aufspürte. Als sie eine Taschenlampe mitbrachte, mußte ich mich dem Passiv stellen. „Die Griechen verwenden es eigentlich nicht mehr“, erklärte sie mir später. „Zu schwer, weißt du?“ Ich warf sie hinaus und überschwemmte das Dorf trotzig mit der Leideform.

„Das Einhorn wird bezweifelt!“ rief ich einem schwitzenden Mann zu, der hoch oben auf einem Strommast hockte. „Kronkorken?“ schrie er zu mir herab.

Hartnäckig erweitere ich meinen Sprachschatz, bis ich in der Lage war, erste Bestellungen aufzugeben. Ich ließ mir für den Hausbau nützliche Gegenstände aus der Stadt mitbringen. Stolz, wie ich war, ließ ich nichts zurückgehen. Im Haus war genug Platz für den Krempel, den ich so nicht bestellt hatte:

Ein altes Schiffsruder aus Nußbaum
2 einäugige Plastikenten
4 Einwegspritzen
35 Käseräder
Ein Skalpell
3 Augenbrauen
2 Harpunen
Das Verdeck einer Kutsche
Eine mit Blattgold verzierte Regentonne
12 zusammengebundene Ziegenschwänze

„Wozu brauchst du einen Kalbskopf mit Henkeln?“ fragte mich meine Nachbarin, als ich sie um einen Kochtopf bat.

Sie verstehen mich absichtlich falsch, dachte ich. Zur Probe bestellte ich die Ohren einer Fledermaus. Ich bekam die Ohren einer Fledermaus, eingebettet in einer muschelbesetzten Kiste mit Sand. Es war die erste korrekte Lieferung. Das machte mich glücklich.

Bald ergaben sich flüssige Dialoge.

„Wann geht es deine Tochter?“
„Oh, die heiratet nächstes Jahr.“
„Ah, nicht glaublich das!“
„Sie ist verlobt. Ein guter Junge. Wohnt in 8 Höhlen und reitet auf einer Querflöte.“
„Uff, so weit?“
„Hm.“

Meine Einkäufe erledigte ich fortan selbst.

„Einmal Milch aus Sonnen. Die Zeit ist heiß.“
„Sie meinen Sonnenmilch? Welcher Schutzfaktor?“
„Viertel vor 5, bitte.“
„Sonst noch was?“
„Das ist Sprechen von einem Kuh?“
„Rinderzunge, ja.“
„Ich gebe auch sie.“
„Gut.“
„Kann ich Graubrot ficken auf Regal?“
„Hm.“

Als ich nach Deutschland zurückreiste, winkten mir die Dorfbewohner zum Abschied zu. „Kronkorken!“ riefen sie. „Anus!“ schmetterte ich zurück. Und gleich darauf: „Bis letztes Jahr dann!“

Zufrieden sank ich in mein Taxi und dachte an Rabelais, der da sagte: „Ohne Griechisch könne sich niemand einen Gelehrten nennen, wenn er nicht vor Scham erröten will.“ Was wird wohl sein erstes griechisches Wort gewesen sein?

 

Hi Majissa,
zum ersten Mal seit langer Zeit habe ich beim Lesen laut gelacht. Nicht geschmunzelt, nicht gedacht "witzig gemeint, aber...", sondern laut gelacht!
Konstruktive Kritik fällt mir zu Deiner Geschichte leider keine ein, destruktive schon gar nicht - einfach klasse! Sorry für die unproduktive Antwort.;)
Anus!
Matt

 

Juchu, endlich wieder ein Majissa-Text und die Welt ist schön. :bounce:

Ach, du kannst so herrlich erfrischend Geschichten schreiben. Hab zunächst geschmunzelt, dann gewiehert und dann gelacht und zwar schallend. Sogar mein sonst komplett an Kurzgeschichten uninteressierter Mann kam vorbei,um sich nach dem Grund zu erkundigen.
(Allerdings lesen wollt er's dann doch nicht dieser Ignorant. :D )

Wie auch immer, liebe Majissa, dein Nick bürgt für Qualität und ich freue mich außerordentlich, wenn du hier deine Geschichten postest.
Sie sind einfach ein Stück Lebensfreude.:kuss: Bist einfach große Klasse!

Ich finde deinen Schreibstil immer noch tadellos und mir geht es wie Matt, ich kann nichts Negatives finden. Will ich auch nicht!

Lieben Gruß

elvira

 

hallo Majissa, ein wirklich gelungener text von dir. so richtig was um in der früh wach zu werden. du bist also eindeutig schuld, wenn ich den heutigen arbeitstag schwungvoll und (hoffentlich) erfolgreich angehe! also vielen dank dafür. ich freue mich auf deine nächste, herzerfrischende story.
liebe grüße
ernst

 

hi majissa,

auch ich hab gelacht und nicht nur gegrinst. klasse text. super humor. einfach toll.

verzeih auch mir meine karge kritik.

gruß
toxi

 

@Matt
Majissa freut sich wie ein Kronkorken. Danke.

@Elvira
Bei soviel Lob *räusper* schmatz ich doch mal einfach zurück :kuss:

@Ernst
Da war ich also dein freundlicher Morgenwecker? Die Schuld nehm ich übrigens gerne auf mich. LG.

@Toxi
Was heißt hier verzeihen? Lieber karg als arg. Schön, daß ich dich zum Lachen brachte.

Liebe Grüße
Majissa

 

Hi Majissa, ich denke der hauptgrund Warum hier niemand längere Erleuternde Kritiken schreibt , ist weil es an dieser Geschichte nichts zu kritisieren gibt. Sie ist schlicht und einfach spitze.
Du hast ein unglaublich komisches Talent, ohne dabei bösartig oder gemein zu werden.

Vor allem die Stelle wo die protagonisten ihre einkäufe aufzählt ist einfach genial.

Danke für diese köstliche , humorvolle Geschichte

Gruß Marot

 

Hallo Majissa,
kann mich den vorherigen Kritiken nur anschließen und musste ebenfalls sehr lachen. Nach dem Lesen hab ich mir dann auch gleich noch etwas von dir angeschaut und bin bei "Der Mückenstich" gelandet, ebenfalls sehr gelungen und sehr lustig. Hang zu Giechenland, mmh..
Freue mich darauf noch mehr von dir zu lesen.

Gruß, drea.

 

Hi Marot,

du hast ganz recht. Es fällt mir schwer, bösartig oder gemein zu werden. Wäre vielleicht mal eine Herausforderung. Daß du mir humoriges Talent zuschreibst, freut mich sehr.

LG Majissa,

Hallo Drea,

auch dir ein herzliches Dankeschön für deinen Kommentar. Und ja, ich habe eine enorme Meise, was Kreta angeht.

LG
Majissa

 

Hey Majissa, ich bin ganz neu hier...und/aber für so etwas, wie von dir, komme ich wieder...und ich werde es suchen...einfach genial!
Naoussa..das ist MIR von Kreta geblieben... dein Beitrag bleibt noch länger!
Grüße wondering

 

hi wondering,

na, dann herzlich willkommen auf kg.de! ich freue mich, daß dir meine story gefallen hat und schwinge mich gleich mal zu deinen geschichten rüber. einen schönen sonntag wünscht...

majissa

 

Jack Torrance, eher bekannt dafür,des nachts verhalten
im Keller zu lachen, hat AUF DEM BODEN GELEGEN!
Geradezu von Kishon- Qualitätdas.
Habe sie 2x gelesen...und zwar auf Firmenkosten.
Hut ab!

Jack.

 

Jack Torrance, eher bekannt dafür,des nachts verhalten
im Keller zu lachen, hat AUF DEM BODEN GELEGEN!
Geradezu von Kishon- Qualität das.
Habe sie 2x gelesen...und zwar auf Firmenkosten.
Hut ab!

Jack.

 

Huch...noch ein Kommentar! Sorry, habe ich jetzt erst bemerkt. Jack, ich freue mich sehr über dein Lob. Und ich weiß, wie schwer es ist, verhaltene Lacher gezielt in die Horizontale zu befördern. Ich bin selbst so eine, die in den Keller geht. ;) Als Stoff für eine neue, humorige Geschichte wäre das übrigens gar nicht mal so schlecht.

Liebe Grüße
Majissa

 
Zuletzt bearbeitet:

Ein leises Haus, draußen Nebel, ein öder Tag, Musik ist gerade ausgegangen...Langeweile und dann kommt ein Kronkörkchen angeflogen und quitschendes Lachen verlässt kurz darauf mein Zimmer. Hoffentlich hat keiner an der Tür gestanden und gelauscht, würde mich sonst für verrückt halten, aber was ich eigentlich sagen wollte: Auch ich habe gelacht (meine strapazieren Bauchmuskeln haben es mir übelgenommen, Sport ist eben doch Mord +hmpf+)
Vielen dank, Du hast meinen Kurzgeschichten-Aufenthalt heute gerettet
liebe Grüße
Catharina alias MadameJack

Ps: auch ich befinde mich nicht in der Lage ein konstruktive Kritik zu verfassen +hüstel+
Mein Beitrag erinnert wohl eher an das gekrakel Deines Dorftrottels, aber ich denke die Kernaussage kommt rüber :D

 

Lieber Barde, liebe Madame Jack,

bitte entschuldigt, daß ich heute erst auf eure netten Kommentare antworte. Die Kernaussage, nämlich daß euch die Story gefallen hat, ist rübergekommen und hat mich sehr erfreut. Die Vorstellung eines fliegenden Kronkörkchens fand ich ganz reizend. Größtes Lob für mich ist neben deines unfreiwilligen Bauchmuskeltrainings, Madame Jack, daß euch zu meinem literarischen "Glücksfall" anscheinnd keine konstruktive Kritik einfällt. Welch schöneres Lob kann sich ein Schreibender wünschen? Es dankt und verabschiedet sich mit einem fetten :)

Majissa

 

Hi Majissa,

also ich bin immer wieder begeistert von deinen tollen Geschichten.
Die hier gefällt mir aber am besten!
Echt zum kugeln :rotfl:
Weiter so!

cya, *Dodn*

 

*kugelmichvorlachen*
geniale geschichte!

kmayse

ps: sorry, dass ich nicht mehr sagen kann, aber mir faellt einfach nix ein, das man verbessern koennte..weiter so!

 

@Dodn, danke für dein Lob. Es freut mich, zu sehen, daß einige meiner Geschichten "funktionieren". Wahrscheinlich ist diese auch die bisher gelungenste von mir. Ein Glücksgriff eben.

@kmayse, schön, daß dir nichts einfällt und ja, ich mache auf jeden Fall so weiter, damit du dich auch in Zukunft weiterkugeln kannst. Danke dir.

Liebe Grüße
Majissa

 

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