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Bis die Sonne erwacht und das Leben erlischt - Erinnerungen und das kleine Mädchen
BIS DIE SONNE ERWACHT UND DAS LEBEN ERLISCHT
II - Erinnerungen und das kleine Mädchen
Nacht, Schatten und Finsternis ist alles das ich kenne, seit Monaten, Jahren... seit unendlichen Tagen, die jedoch nicht mehr sind als Nächte der Suche und der Jagd, nachdem was man mir nahm, an jenem Tag. Erinnerungen sind mir geblieben, Fragmente eines gelebten Lebens, dass niemals dem gleichen würde, dass noch vor mir lag. Wenn ich die Augen schloss erwartete mich Finsternis und wie sehr dürstete es mich nach Sonnenlicht? Gab es dort draußen irgend jemanden, der wie ich verstand, was aus der Welt geworden war? Jemand der die Gefahr kannte, der versuchte sich ihr entgegen zu stellen?
Meine Augen jedoch erkannten nur den täglichen Wahnsinn. Geschäftiges Treiben auf den Straßen. Da war ein Unfall... Niemand sah, wie das kleine Kind dort stand und weinte. Der Mann zu meiner rechten würde morgen wahrscheinlich an einem Herzschlag sterben und dennoch mochte das niemanden dazu bringen, ihm ein nettes Wort zu sagen. Aber was fiel mir ein, über so etwas zu richten, hatte ich doch selbst all dies als Gefühlsduselei abgetan!
Die Geschäfte schlossen bald, es war schon kurz vor Mitternacht und dennoch, niemand schien mich zu bemerken. Ich war wie ein Schatten der an den Leuten vorbei huschte. Und dennoch, belanglos ohne Substanz und verloren.
Wie sehr sehnte ich mich nach einem Lächeln! Nach etwas Liebe, nach Hoffnung in einer Welt die sich gegen mich verschworen hatte. Welch Narr war ich gewesen! Damals hatte diese Gefühle gehasst, schien mich nur für mein Notizbuch und meine grausigen Funde zu interessieren! Ich war der Betrogene, der sich selbst genommen hatte, was es wert war zu leben! Ich hatte mich überschätzt, war in meine eigene Falle getappt!
Blut, überall Blut seit Tagen. Es war in meinen Gedanken, im Fernsehen, auf den Websites der großen Newsagenturen. Die Zeit lief ab, das war klar. Das Zeitalter des Menschen verrann wie Sand, der zwischen den Fingern fließt. Was sollte ich tun? Ich war nun einer von den Jägern und auch mich quälte dieser Durst, dieses Drängen nach Blut...
So wanderte ich also auch in jener Nacht die Straßen entlang, vorbei an dem kleinen Restaurant, an dem Bogenfenster, wo ich hinaus geblickt hatte. Der Kirchturm glomm im fahlen Licht des Mondes, die Straßen waren voller Gesichter, voller Menschen und dennoch niemand sah mich, nahm mich wahr. Ich war allein in einer Millionenstadt.
Schließlich, als ich eine Zigarette aus meiner schwarzen Jackettasche fischte, sie anzündete und den ersten Zug nahm, erinnerte ich mich an eine Zeile in meinem Notizbuch. Es war ein Gedicht gewesen, zumindest glaube ich das. Ein Fragment: We will never die, until we touch the burning sun, we can never say, how all begun. Time is short, Life is Death, when we reach for the burning sun…
Mir kam wieder der Gedanke. Ich wollte nicht mehr sein, ich wollte scheiden von dieser Welt, in der man nichts mehr sieht. Ich hatte genug, meine Jagt war zu Ende, ohne Erfolg und es gab nichts, was mich hier hielt. Vielleicht noch ein paar Jahre, dann war eh alles zu Ende. Was hielt mich hier?
Meine Augen verfingen sich an den Zeigern der goldene Uhr am Kirchturm. Damals war es nicht mal fünf Uhr, als mein Leben dem Ende nahe gewesen war, als ich eine Chance hatte und sie vertat. Warum hatte ich nicht das getan warum ich gekommen war? Angst? Ja, wohl war.
Mein Notizbuch ... Immer wieder dachte ich an die vielen Nächte in meinem kleinen Zimmer, das sanfte Ritzen des Füllfederhalters, als die Tinte über das Papier huschte, als Worte zu Sätzen sich verbanden und das Grauen auf Papier gebannt wurde.
Ich nahm einen neuen Zug an der Zigarette, auch wenn sie nach nichts schmeckte, dass irgendwelche Erinnerungen in sich trug. Zeit war bedeutungslos geworden und dennoch, immer wieder starrte ich hinauf zum Kirchturm. Dort in der Kirche lag das Geheimnis begraben. Es war das Zentrum meiner Jagd gewesen und dennoch, ich hatte einfach nicht den Mut gehabt! Dort drinnen mochte die göttliche Hölle des Wahnsinns sich an dem Vergessen der Menschen ergötzen. Bilder würde es dort geben! Bilder des Grauen, gezeichnet von blutigen Händen, begehrt von kreischenden Schreien. Macht die sich entfaltete und stärker wurde.
Aber nun, was hielt mich davon ab, dort hinein zu gehen? Ich war jetzt einer von Ihnen. Vom Jäger zum Gejagten, wie klassisch. Ich grunzte ein müdes Lachen und warf den Zigarettenstummel weg. Wie lang ich dort sinnend gestanden war, verloren in einer Welt, die nicht mehr lang existierte, weiß ich nicht, aber es war ruhig geworden. Hier und da noch jemand unterwegs. Egal, sie sahen mich nicht, sie sahen nur sich. Warum war es der Menschheit nicht erlaubt sich selbst zu sehen? War es ein dunkles Geheimnis, oder einfach nur Ignoranz von Tausenden, die sich selbst mehr verachteten, als das Verachtungswürdige?
Ich wollte gerade einfach zur Kirche, die Treppen hinauf, hinein in den Wahnsinn, als eine zaghafte Stimme mich überraschte: „Ich .... hab ... mich ver- laufen“ Zwischen den Worten das Schluchzen und ich wusste, wenn ich mich zu ihr umwandt, das kleine Mädchen wäre verloren! Es war nicht recht, ihr zu nehmen, was noch vor ihr lag! Es war nicht der Sinn von Kindern, so früh von der Welt zu gehen, in der sie noch nicht mal ein zehntel ihres Lebens verbracht hatten. Dennoch, ich drehte mich um.
Dort stand sie. Die Augen groß, den Finger im Mund und Tränen im Gesicht. Es war das Mädchen von vorhin, ihre Mutter entweder Tod oder auf dem Weg dorthin. Ich nickte einfach und sagte dann: „Lauf fort Kleines.“ Es war kein Befehl, es war mehr ein Flehen. Aber sie stand dort stockstill, nur die Tränen flossen.
Ich strich ihr durchs Haar, langsam und im gleichen Augenblick donnerte das Glockenspiel der Kirche. Es war der grausige Gesang der Mitternachtsmelodie. Das kleine Mädchen umkrampfte mein Bein und ich spürte ihr Schütteln.
„Ich will zu meiner Mutter!“, schrie sie, als das Glockenspiel verhallte und der Wind über den Asphalt strich, Blätter in die Luft wirbelte und Erinnerungen an jenen Tag herauf beschwor. Oktober, kalte Winde, heiße Suppe, Lächeln, eine Frau, die Kellnerin die versuchte nett zu sein und dann Blut! Das Blut an ihren Fingern. Im nächsten Augenblick krachte ihr Gesicht gegen das Fenster...
„Nein!“, schrie ich und die kleine sah auf zu mir.
„Nein?“
„Ich meine... Dort wo Deine Mutter ist, kannst Du nicht hin. Noch nicht...“, versuchte ich. Was wusste ich denn davon? Ich hatte ein paar Geschichten geschrieben, nichts besonderes und das alles war vor der Entdeckung gewesen, dass in dieser Welt Vampire die Herrschaft übernahmen!
Mehr Tränen, Trauer und Verlust, der dort in dem kleinen Kind sich austobte.
„Warum?“ Sie wollte es verstehen und was konnte ich ihr sagen? Ich wusste es doch selbst nicht. Ich hatte nie jemanden geliebt, war einsam gewesen und dann als ich von dieser Welt in die der Finsternis gerissen wurde, hatte ich erst Recht keine Chance mehr, nur irgendwie Liebe zu finden.
„Komm.“, meinte ich. Ihre kleine Hand verschwand in meiner geschwundenen, wo die Glassplitter Narben hinterlassen hatten.
Wir schritten die Stufen zur Kirche hinauf. Die Tore so mächtig und erhaben, deren Schatten sich über uns legte, waren verschlossen. Es gab dennoch keine andere Chance, ich wusste nicht, was ich wollte, ich wusste es nie und jetzt, da ich dieses kleine Mädchen an meiner Seite hatte, war mir klar, ein letzter Versuch gegen die dunkle Macht anzukämpfen, war alles das mir blieb.