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Bis der Bus kommt
Regen. Als sie die große Bahnhofshalle verließ spürte sie genau wie ihr die Tropfen ins Gesicht schlugen. Genervt zog sie ihre eh schon zu große Kapuze noch weiter in die Augen, senkte den Blick um den Pfützen, die sich mittlerweile auf dem schon ausgelaugten Asphalt gebildet hatten, auszuweichen und begann schnellen Schrittes ihren Weg zur Bushaltestelle. Auch ohne aufzublicken erkannte sie die Situation um sich herum: Menschen die teilweise mit Gepäck eilig von A nach B rannten um entweder ihren Zug zu erwischen oder ihr Ziel in der Stadt zu erreichen. Zu oft war sie diesen Weg schon gegangen. Jeden Morgen lief sie dieselbe Route, zur selben Zeit, mit demselben Ziel. Der einzige Unterschied war, dass der anhaltende Dauerregen, den sie schon während der Fahrt mit der Bahn bemerkt hatte, zusätzlich an ihren schon strapazierten Nerven zerrte. Die Gedanken, die sich in ihrem Kopf festgesetzt hatten und sie in jeder ruhigen Minute quälten, wurden durch die lautstark aus ihren Kopfhörern dröhnenden Musik nur minimal ruhiggestellt.
Als sie endlich die Haltestelle erreicht hatte und sich unterstellen konnte, hob sie ihre Kapuze etwas und nahm zum ersten Mal an diesem Morgen ihre Umgebung richtig wahr.
Auf der Anzeigetafel blinkte die Information, dass ihre Buslinie erst in 10 min zu erwarten war. „Scheiße!“, dachte sie sich als sie auf die Uhr gesehen hatte. Dank der Verspätung der Deutschen Bahn hatte sie doch tatsächlich ihren Bus verpasst und stand nun nutzlos an der Haltestelle. „Ja find ich auch.“, hörte sie eine dunkle Stimme leise durch ihre Kopfhörer sprechen. Sie nahm verwirrt, da sie normalerweise nie morgens angesprochen wurde, einen aus ihrem Ohr, drehte sich um und entgegnete weniger freundlich als das eigentlich ihre Art war: „Entschuldigung?“. „Ich finde es auch scheiße, dass der Bus erst in 10 min kommt.“, antwortete der junge Mann. Erst jetzt begriff sie, dass sie wohl wieder einmal ihren Gedanken laut ausgesprochen hatte. Sie musterte den Herrn, der ihr zuvor nicht aufgefallen war: Er war wohl Ende 20 und sah ihrer Meinung nach ziemlich gut aus.
Bevor sie die Worte, die in ihrem Kopf umherschwirrten, sortieren und aussprechen konnte, trat der junge Mann näher an sie heran und sagte: „Hey, ich kenne dich! Wir haben uns am Samstag getroffen. Weißt du noch?“ „Nein.“, antwortete sie ehrlich und ohne darüber nachzudenken wo sie überhaupt am Samstag gewesen ist. Das schien den Herrn jedoch nicht zu kümmern, denn er führte seine Erinnerung weiter aus: „Doch, doch! Beim Sport, du hattest ein hellblaues T-Shirt an und wir haben uns kurz unterhalten.“ Ohne sich darüber zu wundern warum er noch ihre T-Shirt Farbe wusste, kramte sie in ihrem Gedächtnis: Sie war tatsächlich am Samstag beim Sport gewesen, auch in einem hellblauen Oberteil aber das Gesicht des Herrn wollte ihr einfach nicht bekannt vorkommen. Sie musterte ihn erneut von oben bis unten und da blitze die Erkenntnis in ihrem Gehirn auf.
„Achja.“ antwortete sie mit langsam freundlich werdender Stimme, „Du warst der Typ in dem gelben T-Shirt der ziellos durch die Halle geirrt ist.“ „Genau!“ entgegnete er lachend und sie nahm zum ersten Mal richtig seine eisblauen Augen und sein strahlendes Lächeln richtig wahr. „Ich wollte dich am Ende eigentlich nochmal sehen aber du warst dann schon weg. Welch glücklicher Zufall, dass wir uns hier begegnen.“ „Ich war duschen und bin dann direkt nach Hause. Ich hatte Kopfschmerzen.“, antwortete sie wahrheitsgemäß, wobei Kopfschmerzen nicht im Ansatz die widerliche Migräne beschrieben, die ihr das Wochenende vermiest hatte.
„Was wolltest du denn noch?“, fragte sie ihn unverblümt und biss sich kurz auf die Lippe als sie erkannte, dass flirten wohl wirklich nicht zu ihren Stärken gehörte. Er schmunzelte. Sie wertete das als Anzeichen, dass sie ihn mit ihrer direkten Art nicht erschreckt hatte. „Ähm, eigentlich wollte ich mich bedanken, dass du mir geholfen hast und vielleicht können wir uns wieder sehen?“. Das Zittern in seiner vorher festen Stimme wollte so gar nicht zu seinem selbstsicheren Auftreten passen. Als sie aus Überraschung, die sich auch in ihren Gesichtszügen ablesen lies, nicht antwortete, hielt er ihr sein Handy vor die Nase.
In dem Moment als sie noch überlegte ob es wirklich eine gute Idee war ihre Handynummer einem nahezu Fremden zu überlassen, fuhr mit vor Nässe quietschenden Reifen der Bus vor. „Scheiße!“, dachte sie zum zweiten Mal an diesem Morgen. Im Bruchteil einer Sekunde überdachte sie Möglichkeiten, die sich ihr jetzt boten. Sie musste los und deshalb schnell eine Entscheidung treffen: Sie griff sein Handy, tippte ihre Nummer ein, warf ihm ein kurzes „Tschau!“ entgegen und stieg in den Bus. Dieser fuhr los, noch bevor sie sich setzen konnte. Als sie endlich einen Platz gefunden und ihre übergroße Tasche sicher auf ihren Oberschenkeln verstaut hatte, vibrierte ihr Handy. Sie fummelte es aus ihrer Manteltasche und schmunzelte als sie die Nachricht von einer ihr unbekannten Nummer las: Sie hatte in der Hektik doch tatsächlich vergessen ihren Namen einzugeben.