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Bis dass die Zeit den Tod besiegt
Mir gegenüber an der Straßenecke glomm diese Werbung von Vitatec, die einen immer und überall verfolgte, egal in welchem Viertel man sich gerade befand: "Die Seele durch die Sinne heilen - Vitatec", prangte es an der Wand eines dieser luftigen Häuser, die mit blassen Farben bemalt waren und in denen vorwiegend Reiche wohnten - oder solche, die sich dafür hielten. Alles hier war blassbunt, die Häuser, die Kleidung der Leute, die Cabs und Züge, sogar die Bäume und Straßen. In dieser Nachbarschaft nahm ich mich wohl etwas seltsam aus, mit dem dunklen Anzug und dem schwarzen Mantel. Aber ich wollte hier ja auch nicht wohnen. Ich wollte nur jemanden töten.
Ich presste das Halfter an meine Seite, wie um mich zu vergewissern, dass es noch da war. Ein eigenartiges Gefühl überkam mich. Ich war so aufgeregt, dass ich zitterte und gleichzeitig fühlte ich mich frei und beherrscht wie noch nie zuvor. Es sollte mein erster Mord werden, und ich wollte ihn genießen. "Die Seele durch die Sinne heilen..."
Es war die Stunde des Tages, in der die Schatten länger wurden und die Wände in ihrem künstlichen Licht anfingen zu leuchten. Die Nacht war zwar noch fern, der Tag hatte aber keine Kraft mehr. Die Stunde des Tages, wo jeder unterwegs war. Ich stieß mich von der Ecke ab und schlenderte einen Weg hinunter. Ich wusste nicht, wohin er führte und das spielte auch keine Rolle. Heute war ich frei.
Ich sann darüber nach, wo und wie mir mein Opfer wohl begegnen würde. Wer es wohl sein mochte? Wie der Tod für ihn oder sie sein würde? Was danach wohl geschehen wird? Es wird ein Abend voller Erlebnisse werden, dessen war ich mir gewiss. Ich begann die Menschen der Vergangenheit zu bedauern, die solche Erfahrungen nicht oder nur unter großen Gefahren machen konnten, bevor Vitatec den Neuraltransmitter einführte. Doch nun wurde jede Erfahrung für jeden jederzeit möglich. Die Seele mochte nun wahrhaftig heil werden.
Es war eine Ironie des Schicksals, dass die Menschen zu allen Zeiten den Weg zur Erlösung wussten, ihn jedoch nicht gehen konnten. Dass die Erlösung nur mit Blut erkauft werden konnte.
Blut. Mein Herz begann zu rasen bei dem Gedanken. Ich bekam einen seltsam herben Geschmack auf der Zunge. Ja, ich wollte mit Blut kaufen. Ich zog die Smartgun, ohne bestimmten Grund, nur um ihr Gewicht zu spüren und meine Freiheit zu fühlen. Zuerst schien es niemand zu bemerken. Dann ertönte hinter mir ein lanngezogener Schrei, allerdings mehr aus Überraschung als aus Angst.
Ich drehte mich langsam um und sah der Frau direkt in die Augen. Sie sah mich erschreckt an, rührte sich aber nicht. Sie war eigentlich hübsch, unter anderen Umständen würde ich eine andere Erfahrung mit ihr proben. Doch nun legte ich die Smartgun an und zielte ihr zwischen die Augen. Sie wirkte etwas desinteressiert. Vielleicht heilte sie gerade die Seele durch den Sturm eines Trips. Ja, sie war eigentlich hübsch. Ich drückte ab.
Sie hatte plötzlich ein hässliches Loch in der Stirn, starrte jedoch noch immer mit demselben Blick. Ich war etwas enttäuscht. War das alles? Dann fiel sie zurück, ohne anstalten zu machen, sich abzustützen. Und erst, als sie liegen blieb und sich nicht mehr rührte, als die Menge um mich herum in Aufruhr geriet, war ich sicher, dass sie tot war. Erst jetzt trat die Erfahrung ein und mir wurde bewusst, was ich getan hatte. So fühlte es sich also an, zu töten. Ich war zufrieden.
Ich genoss das Gefühl noch lange, während die Szenerie langsam verblasste, als ich die Transmitterverbindung herunterfuhr.