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Bis dass der Tod uns scheidet (2.Weltkrieg)

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14.09.2010
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Bis dass der Tod uns scheidet (2.Weltkrieg)

Bis dass der Tod uns scheidet

Sie schaute mich nicht an, ihr Blick war gegen Boden gerichtet. Den Kopf gesenkt und die Glieder schlaff am Körper hängend machte sie einen hilflosen Eindruck. An ihrer Wange klebte verkrustetes Blut, welches in einem kleinen Rinnsal oberhalb der Schläfe herunter gelaufen zu sein schien. Ihr weißer Hut war zu Boden geworfen worden und einige blonde Strähnen hatten sich aus dem strengen Dutt gelöst. Ihre bleichen, zitternden Finger nestelten unruhig an den Seitenrändern ihres blauen, langen Kleides. Um den Hals baumelte ein schweres Schild an einer Kette, die Druckstellen wie kleine, rote Kirschen auf ihren schneeweißen Nacken zeichnete. „Ich bin am Ort das Größte Schwein, ich lass mich nur mit Juden ein!“ stand in großen, schwarzen Letter darauf. Selbst in dieser gedemütigten Haltung konnte wohl keiner der Anwesenden ihre Schönheit verkennen.
Schweigend stand ich neben ihr. Hörte das Lachen und die spöttischen Zurufe. Der Marktplatz, auf dem sie uns zur Schau stellten, war von einem Menschenauflauf gefüllt, wie es sonst nur an Festtagen üblich war. Allein der Treppenabsatz des Rathausgebäudes, auf dem wir standen, trennte uns von der johlenden Masse. Nur die Männer in peniblen Uniformen, die zu unseren Seiten positioniert waren und mein zerschlagener Körper hinderten mich daran auf dem Absatz kehrt zu machen und in das schützende Gebäude zu entfliehen. Mein Brustkorb schmerzte, bestimmt waren einige Rippen gebrochen. Durch die zertrümmerte Nase konnte ich nicht mehr atmen und ich hatte starken Blutgeschmack im Mund. Ich hob meinen Kopf ein wenig und erblickte das Gesicht meines Nachbarn unten in der Menge. Täglich war er in meinen kleinen Laden gekommen um frisches Obst für seine Kinder zu kaufen. Geplaudert hatten wir immer, über dies und das. Seine Frau war früh gestorben und nun musste er ein Kindermädchen beschäftigen während er arbeite ging. Oft hatte ich ihm für die Kleinen Bonbons und Kekse umsonst mitgegeben.
Ein kräftiger Stoß in den Rücken riss mich aus meinen Gedanken, und lies mich zusammenzucken. „He, nicht so na zusammen“ sagte einer der Soldaten und zog mich grob am Arm zu Seite. Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen wie ihre Hand vom Stoff abließ und sich leicht hob als wolle sie mich zurückziehen. Im nächsten Moment fiel sie auch schon wieder schlaff an die Seite, der silberne Ring steckte sicher an ihrem Finger. Mein Blick wanderte ihren schönen Körper entlang nach oben, bis er bei den Lippen angelangt war. Dieser zusammengepresste, weiße Strich in ihrem Gesicht war einst blutrot mit Kirschsaft beschmiert. Ich erinnerte mich genau an jenen Sonntag, als ich sie dort in Gras sitzend entdeckte. Ich hatte sie und ihre Freundinnen freundlich im Vorübergehen gegrüßt. Hinterher gerufen hatte mir eine, und mich zum Kirschkernspucken herausgefordert. Dankend nahm ich das Angebot an und bleib noch eine Weile. Auf den ersten Blick hatte ich mich damals in sie verliebt, sie war die schönste unter allen und ihr Lächeln wusste mich zu verzaubern.
Kleine Schweißperlen waren nun auf ihrer Oberlippe, ihre Nase lief und keiner machte sich die Mühe ihr ein Taschentuch zu reichen. Ein Soldat packte sie nun am Oberarm und schüttelte sie. „Ich habe dich etwas gefragt, bist du taub Miststück?“ ‚Er soll seine Hände wegnehmen, sieht er denn nicht das er ihr wehtut’, dachte ich, als seine Finger sich weiter in ihr Fleisch gruben. Er drehte sie nun so dass sie dem Dreckskerl direkt gegenüber stand. Noch immer blieb sie stumm und starrte zu Boden. „Du sollst mich anschauen, wenn ich mit dir rede Hure!“. Gewaltsam wurde ihr Kopf nun von einem anderen Soldat nach oben gedrückt. In ihren Augen konnte ich hinter dem Tränenschleier die nackte Angst erkennen. Sie versuchte den Kopf aus dem eisernen Griff zu befreien und presste ihre Lippen noch fester zusammen. „Eine Schande für die Gesellschaft bist du!“ der Soldat hob seinen Stock und während ich noch auf ihn zustürzen wollte, wurde ich von hinten zurückgehalten. Mein Schrei wurde von dem Schlag übertönt, als der Stock auf ihrer Stirn aufschlug. Sie kniff die Augen zusammen vor Schmerz, als zwei weitere Hiebe sie auf der Brust und in den Magen trafen. Rotes Blut rann über ihre Brauen hinab über die Wangen und den Hals, bis es vom Kragen aufgesogen wurde. „Ich frage dich noch mal, antworte, hast du mit diesem Juden verkehrt?“
Ich schloss die Augen und betete zu Gott dass sie ‚nein’ sagen möge.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Marktplatzes war ein kleines Cafe in dem wir oft gesessen hatten. Sie erzählte mir von ihrer Familie und ich konnte ihr stundenlang zuhören. Schokoladeneis, das hatte sie gerne gemocht, mit viel Sahne und einer Kirsche darauf, die ihre Lippen so wunderbar rot färbte. Abends im Schatten der Eiche hatte ich ihren Mund dann geküsst und die Süße noch auf ihren Lippen geschmeckt. Geliebt hatten wir uns im Wald auf dem weichen Moosteppich. Fest an sich gedrückt hatte sie mich und ich musste ihr versprechen sie niemals zu verlassen, weil sie mich doch so mochte. Ein halbes Jahr später hatte ich diesen Schwur dann mit einem kleinen Verlobungsring besiegelt. Ihr Ja machte mich zu glücklichsten Mann der Welt. Mit der Hochzeit wollten wir warten bis ihr Vater von der Front zurückkehren würde.
Und nun stand ich da und hoffte, dass sie um Himmels Willen ‚nein’ sagen möge. Die Leute verstummten als der Soldat die Hand hob, nur ein leises Raunen ging durch die Menge. Ihre Hände zitterten, ansonsten regte sie sich kaum. Nur das schnelle Heben und Senken ihrer Brust verriet, dass sie sich vor dem was kommen möge fürchtete. „Ausziehen“, befahl der Soldat, der vor ihr stand und die anderen rissen ihr das Kleid vom Leib. „Ganz!“. Völlig entblößt stand sie da in ihrer Schönheit, die Haut schneeweiß. Jeder konnte ihren nackten Körper sehen. Voll Demütigung versuchte sie ihre Blöße mit den Händen zu verdecken. Scham und Entsetzen standen ihr ins Gesicht geschrieben und mir stachen bei diesem Anblick die Schuld und der Schmerz wie ein Messer ins Herz. Der Soldat beugte sich ganz weit vor, bis seine Nase fast die ihre berührte. „Bist du die Verlobte dieses Juden?“, brüllte er, und seine Worte hallten in der Stille von den Mauern wieder. Erst jetzt sah sie zu mir hinüber und blickte mir direkt in die Augen. Eine Träne rollte über ihre Backe und vermischte sich mit dem Blut. Wie gerne hätte ich ihr etwas zugeflüstert. Unsere Blicke verschmolzen und für einen kurzen Augenblick schien es mir als wären wir wieder alleine im Schatten der Eiche und es gäbe nur uns auf der Welt. Der Schleier vor ihren Augen verblasste und ihr Blick wurde wieder klar und fest. Sie richtete ihren Körper gerade und drehte sich zu dem Soldaten, der mit ihr gesprochen hatte. Mit erhobenem Haupt und sah sie ihn direkt an und antwortete mit schwacher Stimme „Ja“. Einige Leute aus der Menge johlten und lachten laut auf und Buhrufe ertönten. „Du Luder! Na los sag ihm, dass du ihn nicht liebst. Sag ihm, dass deutsche Mädchen keine schmutzigen Drecksjuden wollen!“, forderte der Soldat. Sie drehte ihr Gesicht zu mir und zu meinem Überraschen sah ich etwas Weiches in ihrem Ausdruck. Erst als sie die Mundwinkel zu einem leichten Lächeln verzog, erkannte ich, dass es die Liebe war, die sie selbst jetzt noch so stark machte. Ihre Stimme erklang leise aber deutlich, sodass sie jeder hören konnte, als sie sagte: „Ich liebe dich von ganzem Herzen, für immer.“
Dieses Geständnis trieb mir Tränen in die Augen.
„Knie nieder!“ befahl der Soldat vor ihr. Aus dem Geschrei der Menge konnte ich keine einzelnen Sätze mehr verstehen, es brauste in meinen Ohren, als der Stock abermals auf ihrem nackten Körper aufschlug. Nein, das durfte er nicht tun, ich musste sie festhalten, sie retten. Doch er Stock wollte und wollte nicht aufhören. Schwarze Streifen zeichneten sich schon auf ihrer Haut ab und Blut spritzte in die Menge, als die Knochen unter den Schläge brachen. Ihr Weinen und Flehen konnte ich nicht hören, ich sah nur wie sich ihre Lippen wie zum Gebet bewegten. Erst als mein Herz vor Schmerz und Mitleid zu platzen drohte, ließen sie von ihr ab. Die Soldaten zerrten mich neben sie und zwangen auch mich in die Knie. Unsere Arme berührten sich fast und ich war so froh ihre Nähe zu spüren. Sie drehte ihr schmerzverzerrtes Gesicht zu mir und öffnete die blutunterlaufenen Augen. Es lachten die Soldaten hinter uns, doch das war egal. Ich nahm ihre Hand vorsichtig in meine. Ich hörte das Klicken eines Gewehres, aber ich war ganz bei ihr und um uns lag trotz des Lärmes eine fast heilige Stille. Nach allem war sie immer noch wunderschön. Ich stellte mir vor, das Rot auf ihrer Haut sei nur süßer Kirschsaft und ich würde es gleich wegküssen. Sie öffnete den Mund und ihr Flüstern Drang an mein Ohr: „Willst du mich zu deiner Frau nehmen und mich lieben in guten wie in schlechten Zeiten?“. Mit Tränen in den Augen sagte ich: „Ja ich will, und du, meine Liebste, willst auch du mich zu deinem Manne nehmen?“. Ich spürte etwas Kaltes an meinem Hinterkopf. Aus den Augenwinkeln sah ich wie der Lauf eines Gewehres an ihren Kopf gehalten wurde. Sie lächelte und leise sagte sie: „Bis dass der Tod uns scheidet“

Ende

 

Hallo Lila & herzlich willkommen auf kg.de!,

es tut gut, dass Du Dich durch die lange Bruzzelzeit des Erstlings nicht beeindrucken lässt, ein zwotes Werk einzustellen - was für Selbstbewusstsein spricht.

Was Du erzählen willst handelt kurz gesagt von der Dreieinigkeit Liebe, Tod und Teufel in ihrer je historischen Form, wäre aber selbst als Schulaufsatz gescheitert: zu viele Adjektive, viele nicht nur entbehrlich, sondern überflüssig, was keineswegs zu Anfang ungewöhnlich, sondern eher normal ist.

Nehmen wir nur den ersten Absatz - alles weitere trau ich Dir selbst zu, zu finde.
In der Reihenfolge ihres Auftritts:
schlaff / hängend / hilflos / verkrustet / klein / oberhalb / weiß / einige / blonde / streng / bleich / zitternd / unruhig / blau / lang / schwer / klein / rot / schneeweiß / gedemütigt, incl. einiger substantivierter Adjektive wie etwa anwesend (Anwesenden) und schön (Schönheit).

Das lässt alles sich zusammenstreichen, ohne dass die Aussage des jeweiligen Satzes sich ändert. Ich will’s mit den schon genannten Wörtern versuchen darzustellen:
Kränkelt der erste Satz am fehlenden Artikel

Sie schaute mich nicht an, ihr Blick war gegen
+ DEN
Boden gerichtet
,
so können wir getrost mit dem zwoten in die Kürzungen beginnen:
Den Kopf gesenkt und die Glieder schlaff am Körper hängend machte sie einen hilflosen Eindruck.
Dass der Kopf gesenkt sein muss, können wir schon aus dem ersten Satz schließen, dass die Arme (welche Glieder könnten sonst sichtbar hängen?) weder vor der Brust Distanz anzeigend verschränkt wären oder gar herumruderten, wird niemand so recht glauben, der weiterliest, womit der Satz sich aufs Ende reduzieren und sich an den ersten Satz anhängen lässt: „… und sie machte einen hilflosen Eindruck.“

An ihrer Wange klebte verkrustetes Blut, …
Die Verkrustung stellt sich i. d. R. wie von selbst ein … es sei denn, die Gerinnung wäre gestört ...
…, welches in einem kleinen Rinnsal oberhalb der Schläfe herunter gelaufen zu sein schien.
Wer hätte in der geschilderten Situation Mutmaßungen über Ort und Herkunft der Blutung angestellt – der Icherzähler als beteiligte gequälte Kreatur mit Sicherheit nicht. Überlassen wir Spekulationen dem Publikum, das mit ein wenig physikalischem Wissen um die Fließrichtung von Flüssigkeiten weiß.
Der Satz reduziert sich auf „An ihrer Wange klebte Blut.“
Ihr weißer Hut war zu Boden geworfen worden …
Welche Rolle spielt die Farbe des Hutes? Ich vermag keine zu erkennen (ich bin aber auch kurzsichtig). Dass sie vordem einen Hut getragen hat – scheint auch eher nur am Rande erwähnenswert. Aber hier ließe sich eine Brücke zum vorhergehenden Satz bauen: der Hut war ihr vom Kopf geschlagen worden, wobei sich auch der strenge Dutt lockerte. Aufs blonde Haar
(arisch?, quatsch, Arier bezeichneten sich Volksstämme in Iran und Indien, die der gleichen Sprachfamilie angehören wie das Deutsche: der indoeuropäischen; Ähnliches könnte für den Begriff des Antisemitismus genannt werden, was ich aber unterlasse)
kann man auch verzichten.
Ihre bleichen, zitternden Finger nestelten unruhig an den Seitenrändern ihres blauen, langen Kleides.
Vielleicht wolltestu einen Roman schreiben, aber Farben spielen gar keine Rolle in der Geschichte wie die Länge des Kleides auch.
Um den Hals baumelte ein schweres Schild an einer Kette, die Druckstellen wie kleine, rote Kirschen auf ihren schneeweißen Nacken zeichnete.
Mit dem Hauptsatz wird der Leser in die angesprochene Zeit transportiert, während der Nebensatz sich in Beschreibung stürzt, die bestenfalls für die Wirkung der Kette bedeutsam ist.
„Ich bin am Ort das Größte Schwein, ich lass mich nur mit Juden ein!“ stand in großen, schwarzen Letter darauf.
Der erste Satz ohne überflüssiges Wort, dafür sollte hinters auslaufende Gänsefüßchen ein Komma gesetzt werden.
Selbst in dieser gedemütigten Haltung konnte wohl keiner der Anwesenden ihre Schönheit verkennen.
Hier könnte man nun ohne Schaden einige streichen wie die Anwesenden, denn wie sollte ein Abwesender die Schönheit erkennen?

Der Abschnitt ließe sich also gefahrlos auf etwas mehr als die Hälfte reduzieren:

„Sie schaute mich nicht an, ihr Blick war gegen den Boden gerichtet und sie machte einen hilflosen Eindruck (alternativ: … und sie wirkte hilflos). An ihren Wangen klebte Blut. Der Hut war ihr vom Kopf geschlagen worden, dass sich der strenge Dutt löste. Nervös nestelte sie an den Seitenrändern des Kleides. Um den Hals baumelte ein Schild an einer Kette[, die Druckstellen auf ihrem Nacken zeichnete]. „Ich bin am Ort das Größte Schwein, ich lass mich nur mit Juden ein!“, stand in großen, schwarzen Letter darauf. Selbst in der Demütigung war ihre Schönheit zu erkennen.“

Das ist natürlich aufs Ganze gesehn sehr aufwändig und mit Arbeit verbunden. Da strömt es nicht mehr nur aus einem raus. Aber wer behauptet denn, Schreiben wäre reines Vergnügen (besonders bei einem solchen Thema)? Ich gestehe ja nicht einmal meinen Lesern reine Unterhaltung zu! Und noch eine Bemerkung: das ist alles andere als ein Verriss ...

Gruß

Friedel

 

Hallo Lila

Eine wirklich sehr schöne Erzählung, trotz der dahinter stehenden Tragik und dass solches in der Realität vorkam. Anfangs hatte ich Mühe den Perspektivenwechsel zwischen Mann und Frau richtig einzuschätzen, doch dann war es mir klar. Es ist gut verständlich und flüssig geschrieben, wenngleich in der Sprachmelodie mir noch Disharmonien vorhanden zu sein scheinen, dabei kann ich nicht exakt bestimmen, woran ich mich stosse. Aber vielleicht liegt dies auch nur an mir. – Ich sehe eben, dass Friedel mit seinem Kennerblick die Dissonanzen ortete.

Der Titel über dem Text ist überflüssig, da er in der Titelspalte aufscheint, und auch das Ende am Schluss ist unnötig. Worüber ich im letzten Abschnitt stolperte, im folgenden Satz fehlt ein d: „Doch der Stock wollte und wollte nicht aufhören.“

Gern gelesen.

Gruss

Anakreon

 

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