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Biorobot

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19.06.2002
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Biorobot

Im schmutzig-blauen Licht der untergehenden Sonne schwebte ich die Straße entlang. Während des Dahingleitens nahm mein Universal-Strahlen-Adapter die Informationen aus der Umwelt auf. Ich war unterwegs zu den Menschen, die ehemals den dritten Planeten des Systems Omega besiedelt hatten. Schon lange waren sie eine Minderheit. Sie hatten den Computern alle Verantwortung übertragen und nicht bedacht, dass sie damit eine Maschinenevolution in Gang setzten. Die höchste Form waren wir Biorobots, eine Verbindung von Elektronik und gezüchtetem biologischem Nervengewebe in einer austauschbaren körperlichen Form. Allerdings hatte die zweckgesteuerte Evolution bewirkt, dass uns vieles von dem, was die Menschen Gefühle nennen, verloren ging. Einzig das Lösen von komplizierten mathematischen und logischen Problemen konnte uns noch Lust und Freude bereiten. Doch schon lange hatte mir der Zentralcomputer keine Aufgaben mehr gestellt, mir kein kompliziertes Problem zum Lösen übertragen. Vielleicht bekam ich durch die Menschen einen neuen Impuls. Sie hatten zwar nur einen kleinen Speicher mit niedrigen Transferraten, doch sie konnten unlogische Querverbindungen herstellen, eben jene Gefühle, die mir unbekannt waren. Das kann zu interessanten, nicht vorhersehbaren Ergebnissen führen.

In meine Überlegungen hinein registrierte mein Umweltadapter plötzlich die menschliche Empfindung Todesangst, deren Quelle ganz in der Nähe sein musste. Ich regelte ihn in den Bereich der Schallschwingungen und der sichtbaren elektromagnetischen Wellen und hohe Schreie dröhnten durch meine Neuronen. Gleichzeitig erreichte mich das Bild eines Menschen im roten Overall, also einer Menschenfrau. Vier andere Menschen hielten sie am Boden fest, während ein fünfter Vorbereitungen traf, um mit einem Trepanator ihren Schädel zu öffnen. Neben ihm lag griffbereit ein Neuronenexhaustor. Schmerzempfindungen durchrasten das Gehirn der Frau, die ihre Ursache in den verdrehten und an den Boden gepressten, Armen und Beinen der Frau hatten, die Todesangst aber fixierte sich auf den Kopf.

Ich erinnerte mich, dass bei den Menschen Geist und Körper eine Einheit bildeten und ein Verlust des Einen den Tod des Anderen nach sich zog. Die Menschenfrau wollte also nicht ihr Gehirn verlieren, weil sie dann sterben würde. Das nahmen die fünf anderen Menschen aber offensichtlich in Kauf. Mir fiel jetzt auch auf, dass sie nicht die Overalls in den vorgeschriebenen Farben trugen, sondern welche in einem undefinierbaren Graugrün mit hellen und dunklen Flecken durchsetzt. Ich klinkte mich in den Zentralspeicher ein und übermittelte die Situation. Nach einer ungewöhnlichen Wartezeit – im Allgemeinen kam die Antwort fast sofort – erhielt ich die Auskunft, dass es sich wahrscheinlich um Neuronenpiraten handelte, die auf der Jagd nach frischem Nervengewebe waren. Ich hatte mir bisher keine Gedanken gemacht, wo das frische Nervengewebe herkam, obwohl mir bekannt war, dass man das vorhandene nicht unbegrenzt immer wieder klonen konnte. Der Zentralspeicher warnte mich vor irgendwelchen Aktionen, da er die Situation nicht genau einschätzen könne, doch ich beschloss, der Menschenfrau zu helfen. Ich wusste selbst nicht, warum ich das tat. Irgendein Teil meines Speichers verhielt sich nicht normgemäß und stellte unlogische Verbindungen her.

Die Hauptgefahr ging offensichtlich von dem Menschen mit dem Trepanator und Neuronenexhaustor aus. Ich richtete die U-Strahlung auf das Gehirn des Angreifers. Zum Glück ist die Denkzentrale von Bio-Menschen nicht besonders geschützt und gut zugänglich. Ich suchte nach umpolbaren Emotionen, um die Aktionen des Angreifers lahm legen zu können. Endlich hatte ich eine Möglichkeit gefunden. Der Neuronenpirat tastete gerade nach dem Einschaltknopf des Fräsers am Trepanator als ihm plötzlich unwiderstehliche Lachlust überkam. Er ließ das Gerät aus der Hand fallen und bog sich vor Lachen. Mit dem Finger zeigte er auf seine vier Kumpane, die auf den gespreizten Gliedern der Frau hockten und ihn verständnislos anstarrten. Immer wieder von neuen Lachanfällen geschüttelt, wankte er davon und ließ seine Folterinstrumente zurück. Als ich heranschwebte, bemerkten mich die Anderen. Wie auf Kommando sprangen sie auf und flüchteten.

Die Frau rappelte sich auf und lockerte ihre verdrehten Gelenke. Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf das Sprach- und Hörzentrum in ihrem Gehirn, denn ich wusste, dass die Menschen am liebsten mittels Schallwellen kommunizierten. So simulierte ich diesen Effekt im Gehirn der Frau. Für die direkte Gedankenübertragung war das Gehirn der Menschen nicht eingerichtet und es überforderte sie schnell, wenn man es ihnen aufzwang.
„Danke für die Hilfe“, sagte die Frau. „Das war knapp! Ich heiße Veri 23-15 und wer bis du?
Sie keuchte noch und schnappte nach Luft. Ich übermittelte ihr, dass ich zu den Menschen unterwegs sei, um neue Denkanstöße zu bekommen und Probleme zu lösen, da das Denken nun einmal das Einzige ist, was mir Lust und Freude bereite.
„Na, da hast du gleich den richtigen Anstoß bekommen“, erwiderte sie.
„Kommen solche Überfälle öfters vor?“, fragte ich.
„Ab und zu, aber meistens nachts. Deswegen bleibe ich da auch immer in meinem Bungalow. Dass sich diese Strolche tags herauswagen, war bisher noch nicht da. Da muss eine gute Belohnung winken. Fast hätten sie mir das Gehirn herausgesaugt und das wärs dann gewesen.“
„Man muss etwas dagegen tun!“, versuchte ich sie aufzumuntern.
„Aber was? Es war schon immer so?“
Ich senkte mich auf den Boden und schwieg. Nach einer Weile übermittelte ich ihr das Ergebnis meiner Überlegungen:
„Ich bin zu einer Lösung gekommen. Die Bedrohung und das Chaos müssen aufhören. Ich werde mich dafür einsetzen, eine logische Ordnung einzuführen. Das frische Nervengewebe brauchen wir. Also wird ein Zufallsgenerator bei Bedarf jeweils einen Menschen als Spender auswählen und die anderen können ohne Angst leben. Ich mache mich gleich an die Verwirklichung meines Planes.“
„Warte doch ... Ich weiß nicht ... “, rief sie mir nach.

Doch ich wollte nicht mehr mit ihr diskutieren und schwebte davon. Mein Plan hatte Erfolg. Schon nach kurzer Zeit gab der Zentralcomputer den Namen des ersten Menschen bekannt, der sich als Spender von frischem Nervengewebe zur Verfügung zu stellen hatte: Veri 23-15. Seitdem bin ich hier im Asyl für Biorobots mit gestörter Signalverarbeitung.

Martin Eberhard Kamprad, Leipzig

 

Hallo Eberhard,

"Biorobot" ist so eine Geschichte die auf dem Rand zwischen Chaos und Ordnung balanciert. Sie ist erst mal in einem interessierenden Erzählstil gehalten. Er wirkt zwar manchmal etwas ungeschickt, aber das muss ja nicht immer schlecht sein. Ich kann nicht so recht beschreiben was falsch läuft, es muss auf jeden Fall ein Fehler sein, der mir die ganze Geschichte symphatisch macht. Eine vollkommende Geschichte mag viele Leser haben, mich aber bestimmt nicht.

Besonders interessant war, wie der Bioroboter über seine Gefühlslosigkeit trauert, obwohl er schon längst "fühlt". Sonst würde er erstens nicht trauern und zweitens würde ihm die Frau drei Meter am Allerwertesten vorbei gehn. Oder habe ich da etwas falsch verstanden?

Gern gelesen,
FLoH.

 

Hallo "floh"!
Danke für deinen Kommentar. Beim Thema „Gefühle“ hast du offensichtlich eine Schwachstelle des Textes aufgespürt, denn es ist nicht gut, wenn ein Autor seinen Text erklären muss. Der Biorobot SOLL nach den Willen seiner Erbauer (Ob nun Menschen oder Zentraleinheit sei dahingestellt.) keine Gefühle haben, aber der Ablauf der Geschichte zeigt, dass er doch welche hat und davon sogar verrückt wird. Dieses Spannungsverhältnis muss ich deutlicher darstellen.
Zu deinen Gefühlen beim Lesen: Die Geschichte löste sehr unterschiedliche Reaktionen aus, spricht wahrscheinlich bestimmte Menschen stärker an und stößt andere ab. Eine Leserin schrieb einmal: Das ist ja ekelhaft, wer schreibt denn so etwas.
Herzliche Grüße!
Martin Eberhard Kamprad, Leipzig

 

Hallo Eberhard!

Was mir an Deiner Geschichte gefällt, ist, dass es Dir meiner Meinung nach gut gelungen ist, die innere Spaltung des Bioroboters zu vermitteln: Der Erzählstil bleibt bis zuletzt sachlich und distanziert, und trotzdem reagiert der Protagonist an manchen Stellen menschlich.

Was ich aber nicht ganz verstehe, ist die "Lösung" des Problems durch zufällige Auswahl der "Spender":

Das System braucht das Nervengewebe, und scheint ohne die Gewebepiraten auch nicht auszukommen.(Offensichtlich wurde nie viel gegen die Piraten unternommen, ausserdem nehme ich an, dass sich der Zentralcomputer mit seiner Antwort nicht zufällig so lange Zeit lässt)
Durch die zufällige Auswahl der Spender ändert sich weder für das System, noch für die Menschen etwas: Die Menge an geliefertem Nervengewebe bleibt gleich, und die Menschen haben nach wie vor Angst. Warum also sollte auf die Zufallsgenerator-Methode umgestellt werden?

Handwerklich finde ich die Geschichte sehr solide, Fehler sind mir keine aufgefallen.

mfg

Bernhard

 

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