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Bingus

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17.09.2002
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Bingus

Er parkte sein Auto hinterm Haus, so wie er es immer tat, bis zu seinem Unfall. Er sollte das letzte Mal hier in die Kneipe zu einem Bier vorbei schauen.
Es war schrecklich, einfach weggerutscht und in die Tiefe gefallen, hat nicht lange gedauert bis er tot war. Bingus wurde er genannt, warum wußte eigentlich niemand, aber seinen richtigen Namen auch nicht. Hier wußte man aber auch nicht viel über ihn. Er hat einen Bauernhof etwas außerhalb des Dorfes, den hielt er noch allein so gut wie es nur geht. Verheiratet war er nie. War eigentlich schon immer ein Einzelgänger, richtige Freunde besaß er nicht, er hatte nur seine Kumpels aus dem Schachverein, doch die kannten ihn auch nur einmal im Monat, bei den regelmäßigen Turnieren.
Eine traurige Sache war das schon, doch so richtig erschüttert hat das hier keinen. "Es war bestimmt Selbstmord", hatten sie gesagt, "er war ja auch immer so alleine."
Er wollte eine Dachziegel austauschen, oben auf seiner Scheune. Er hatte davor schon etwas getrunken, dass tat er in letzter Zeit des öfteren. "Der Alkohol hilft mir den Tag zu überstehen", sagte er. Er ist dann weggerutscht, hat einfach das Gleichgewicht verloren. Ist das ganze Dach heruntergerutscht. Und genau mit seinem Kreuz auf einen Stein gelandet, zudem hat er noch zwei Dachziegeln mit heruntergezogen, sie sind ihm auf den Kopf gefallen. Er war dann sofort tot. Selbstmord kann es nicht gewesen sein, dass hätte er nicht gekonnt. Er war eigentlich ein feiner Kerl, nur immer so alleine. Als dann noch der Alkohol dazu kam wollte niemand mehr etwas mit ihm zutun haben. "Irgendwann säuft er sich noch tot und niemand wird ihn in seinem Haus finden", sagten sie. Recht hatten sie, er lag dort drei Tage und Nächte, dann kam ein Paketzusteller und fand ihn. Es war seine Mutter, die ihm ein Paket schickte. Darin waren Bücher, da er ja so alleine war, auch welche über die Folgen von erhöhten Alkoholkonsum.
Sein Vater war schon lange tot. Ist bei einem Zugunglück ums Leben gekommen, er war der einzige Tote bei dem Unglück. Das hatte Bingus nie richtig verkraftet. Seitdem wollte er nichts mehr mit anderen Menschen zu tun haben und ist auf den Bauernhof gezogen. Es war menschliches Versagen, ein Mitarbeiter hatte die Weichen falsch gestellt und die beiden Züge sind zusammengekracht. Bingus ist nun auch tot.
Unsere Mutter und ich, wir waren die einzigen auf der Beerdigung.

 

sehr gute Schreibform, würde ich sagen.
Aber der Geschichte fehlt der Kick.
Ein überraschendes Ende oder sonstewas. Man liest die ersten paar Sätze und dann folgen nur noch langweilige (wenn ich das mal so ausdrücken darf) Erklärungen.
Warum?
die Frage wird die ganze geschichte lang breitgetreten, aber sie hat mich gar nicht richtig interessiert.
Ich hoffe, du verstehst mich!
mfg
Fanny

 

Hallo Jugendbesen!

...sag mal... ich hab doch schon einmal was von Dir gelesen, wo ist denn das hingekommen?

na, zur Geschichte: :)

"Unsere Mutter und ich, wir waren die einzigen auf der Beerdigung" - der letzte Satz als Pointe. Hätte ich nicht vermutet, nach der eher allwissenden Erzählweise am Anfang, gut gemacht. Ohne diesen Satz wäre es tatsächlich "unfertig" gewesen, aber so... finde ich den Text recht gelungen.

Die Geschichte eines einsamen Mannes, den keiner kennt, den keiner kennen will und der sich selbst auch keine Mühe macht... traurig.

Der Stil insgesamt wirkt auf mich irgendwie ein bisschen... kahl und knapp, was nicht unbedingt schlecht sein muss. Hier hat er ganz gut gepasst, denke ich.

den Tag zu Überstehen - überstehen klein.

Er ist dann weggerutscht, einfach das Gleichgewicht verloren - ich würde hier hat einfügen.

Selbstmord kann es nicht gewesen sein, dass hätte er nicht gekonnt - das

niemand mehr etwas mit ihm zutun haben - zu tun

Es war seine Mutter, die ihm ein Paket schickte - würde hier geschickt hatte schreiben, Du schreibst ja insgesamt schon im Imperfekt.

schöne Grüße, Anne :)

 

Hi Jugendbesen!

Eine nette kleine Geschichte hast du da hervorgebracht, wenn man den Text eine Geschichte nennen kann.
Für meinen Geschmack viel zu kurz, aber dennoch schön zu lesen.
Eben die Beschreibung eines Einzelgängers, den nie wirklich jemand gekannt hat. Für den sich keiner Interessiert, jemand der ein Dasein zwischen gut und böse fristet.
Dein Stil ließ sich flüssig und angenehm lesen, und bis auf die Länge habe ch nichts zu kritisieren, obwohl ich sagen muss, dass deine Geschichte es bei mir auch nicht sonderlich schwer hatte:
Ich steh auf solche Charaktäre!

Alles Gute, Kev2!

 

Hallo Kevin2,Mr. Chance, Anne und Fanny,
ich bedanke mich jetzt einmal ganz höflich für die Kritiken. Vielen Dank.
Ich habe mich sehr gefreut so viele gute Kritiken zu lesen, aber auch über die Anmerkungen, was ich noch verbessern kann. Ich werde versuchen diese in meiner nächsten Geschichte zu berücksichtigen.

Gruß
Jugendbesen

 

Hallo Jugendbesen!

Um es gleich mal zu sagen: Deine Geschichte ist derzeit mein Favorit in der Rubrik Alltag (ausser den Meinen natürlich:D ). Und das, obwohl ich so ganz kurze Geschichten nicht mag, weil es sich dabei meist um kurze Abrisse von Handlungen oder Gefühlsbeschreibungen handelt, die ich eher als "Geschichtsfragmenete" bezeichnen würde. Aber das ist bei deiner Geschichte ja anders, sie erzählt ja etwas Abgeschlossenes.

Aber erst mal ein wenig Kritik: Die ersten beiden Sätze kapier ich nicht. Wer ist dieser "er", der da parkt. Anscheinend ja dieser Bingus. Durch die Zeit (Mitvergangenheit) bekommt man das Gefühl unmittelbar im Geschehen zu sein und man erwartet (als Leser), dass dieser "er" gleich was machen oder etwas mit "ihm" geschehen wird. Aber dann springst du plötzlich (ohne Vorwarnung sozusagen) in eine andere Zeitebene, indem alles rückschauend erzählt wird. Dieser Übergang ist sehr verwirrend.
Oder ist dieser "er" am Anfang der Bruder(Erzähler), der dann am Schluss zusammen mit der Mutter am Grab steht? Könnte sein, nur musst du das irgendwie klar machen, wie soll man sonst er=Bingus oder er=Bruder von Bingus unterscheiden. Aber solche Fehler passieren immer wieder, weil man als Schreiber natürlich mehr weiss über seine Geschichte als der Leser, und man als Autor bestimmte Tatsachen als bekannt vorraussetzt, die aber für den Leser keineswegs bekannt sind.

Und jetzt zum Positiven.
Du vermischst die Zeiten bei der Erzählung sehr wild (Gegenwart, Mitvergangenheit, Vergangenheit). Und es klingt gut. Gibt dem Ganzen einen lockeren, plauderhaften Ton, als ob man es von jemandem so nebenbei erzählt bekommt, und damit hast du (beabsichtigt/unbeabsichtigt?) schon eine große Wirkung erzielt, nämlich eine Metaebene in die Geschichte eingeführt. Du erzählst von einer persönlichen Tragödie, aber in einer lockeren, eigentlich gleichgültigen Sprache und illustriest auf diese Weise das altbekannte Problem der Gleichgültigkeit gegenüber seinen Mitmenschen. Diese Aussage wird dann noch erhärtet, durch die Schilderung seiner Mitmenschen, die zwar bedauernd erwähnen, dass er "ja so alleine gewesen ist" oder die Schackkumpane, die "ihn nur einmal im Monat kannten", denen es aber im Großen und Ganzen egal war, wie es dem guten Bingus ging. Diese ganzen Aussagen werden implizit, sozusagen zwischen den Zeilen getroffen - auf der Metaebene -, und das macht die Geschichte absolut gelungen. Metaebene ist das was Literatur von bloßem Geschreibsel abhebt.

Du machst ausserdem etwas, was - für mich - die oberste Regel einer guten Geschichte ist:
Du beschreibst nicht - du ZEIGST.
Soll heissen, du "verschwendest" nicht seitenweise Platz :) , um uns zu erklären/beschreiben wie böse die Welt gegen Bingus ist, sondern du zeigst es, wie oben erwähnt, durch die Sprache und ein paar knappe Sätze.

Abschließend noch zwei Stellen, die mir gefallen haben.
Erstens dieser gute Einfall, den toten, alkoholabhängigen Bingus vom Paketzusteller finden zu lassen, der ihm gerade Bücher bringt, und eins davon ist über die Folgen von erhöhtem Alkoholkonsum, wie du schreibst. Wenn man bedenkt, dass er vielleicht deswegen zu Tode gekommen ist, weil er betrunken war, dann ist das zynsich-schwazer Humor pur. Und sowas gefällt mir.:)

Zweitens diese Stelle:

Sein Vater war schon lange tot. Ist bei einem Zugunglück ums Leben gekommen, er war der einzige Tote bei dem Unglück. Das hatte Bingus nie richtig verkraftet. Seitdem wollte er nichts mehr mit anderen Menschen zu tun haben und ist auf den Bauernhof gezogen. Es war menschliches Versagen, ein Mitarbeiter hatte die Weichen falsch gestellt und die beiden Züge sind zusammengekracht. Bingus ist nun auch tot.

Zuerst die Schilderung über den Tod des Vaters und dann die Anmerkung, das dies der Grund für sein persönliches Schicksal war (Rückzug, Einsamkeit usw.).
Genial finde ich wie du dann die beiden "Sterbefälle" miteinander verbindest und damit aussagst, dass das Zugsunglück eigentlich zwei Tote gefordert hat (Bingus' Vater und Bingus selbst). Und zwar ganz einfach durch einen kurzen Satz - "Bingus ist nun auch tot." - hintangestellt, nüchtern und einfach. Ohne große Beschreibung des Warum und Wieso und ohne moralisierendem Unterton.

Zusammenfassend gesagt, du siehst mich begeistert.

mfg
Martin (der nicht immer so hymnische Kritiken schreibt)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Martin,
jetzt schmeichelst du mir aber, so eine genial gute Kritik habe ich noch nie bekommen, vielen Dank.
Ach ja, am Anfang meinte ich mit dem "er" Bingus.
Das vermischen der Zeiten ist von mir beabsichtigt und gewollt passiert. Dafür muss ich an dieser Stelle mal meiner Deutschlehrerin danken, denn sie hat mir gezeigt, wie man es macht.

Gruß
jugendbesen

 

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