Was ist neu

Bin ich schön?

Mitglied
Beitritt
11.11.2000
Beiträge
5

Bin ich schön?

Bin ich schön? Axel Frevert Aug 2002-09-04

Ich traf Sabrina einmal im Quartal bei einem angesehenen Wirtschaftsprüfer. Sie war mir zugeteilt worden, weil ich als minder schwerer Fall galt. Meistens saß sie mir an einem doppelbettgroßen Konferenztisch gegenüber, schichtete ansehnliche Aktenberge um sich auf und lächelte. Da die Zahlen für das zu gründende Start-Up Unternehmen sogar auf dem Papier, ohne Berührung mit den rauen Gesetzen der Marktwirtschaft, schwärmerisch unsicher wirkten und auch durch meine rhetorischen Ausflüge nicht an Glanz gewannen, achtete ich kaum auf ihr non-profit-Lächeln oder ihre anmutige Art Kaffee einzuschütten. Jahraus, jahrein zwängte sie sich in ein leitzgraues, kurzes Kostüm. Im Winter Flanell, im Sommer Viskose und kreuzte vermutlich - Ich habe es nicht überprüft - unter dem Konferenztisch ihre gefälligen Beine anmutig übereinander. Hinter ihrer randlosen Brille lauerten zwei argwöhnische, grüne Augen.
Kurz nach der erfolgreichen Gründung unseres Unternehmens, beobachtete ich eine Veränderung an meiner Finanzberaterin. Sabrina – ich redete Sie seinerzeit mit Frau Sauer an – hatte sich in ein grün changierendes, enganliegendes Kleid gewickelt. Dadurch mutete sie reptilienhaft an - aber das war es nicht:
–"Grün ist die Hoffnung und passt zu ihren Augen!“ schmeichelte ich Ihr.
- "Sie sind blau " bemerkte sie spitz.
Sie hatte ihre Brille mit blauen Kontaktlinsen vertauscht.
"Augen sind Schall und Rauch." Besserte ich nach.
„Wieso?“
Jetzt wo alles verloren schien, redete ich mich um Kopf und Kragen und brachte die blauen, arglosen Knöpfe in wuseligen Sätzen mit meinem wagemutigen Unternehmen zusammen. Aber Brille und Kleidung erklärten nicht alles… Ich schüttelte den Kopf.
„Sie sehen wunderbar aus. Äh, ich meine das Kleid. So verändert…“ rutschte es mir aus
„Und vorher war es schlimm?“ gab sie zurück
„Nein, nein keinesfalls, aber...“ Mein Blick irrte zu ihr hin und blieb in Brusthöhe hängen. 2 Sekunden zu viel.
Sabrina errötete. „Gut“ fuhr sie hüstelnd vor „erklären Sie mir bitte noch mal ihr Finanzierungskonzept für die Anlaufphase.“.
Entweder hatte sie ihre Brüste früher gut unter dem Flanell abgeschnürt oder sie stopfte jetzt ihren BH mit Sockenknäuel aus. Vielleicht hatte sie einen postpubertären Wachstumsschub durchgemacht. Aber Anfang Dreißig scheiden natürliche Ursachen aus. Ersatzweise gibt es Präparate auf Grundlage von holländischem Schweinefleisch. Ich mache mir nichts aus Brüsten. Als Julia Robert in Erin Bronkovich quälende 120 Minuten mit hochgestützten Fettgewebe durch die amerikanische Industriekloaken gezogen ist, bin ich eingeschlafen. Kein vernünftiger Mann lässt sich von Tomb Raider Kunstfiguren becircen. Entscheidend ist der Charme, die Ausstrahlung – kurzum man schaut permanent hin.

Das nächste Quartalstreffen hatte ich vorgezogen. Die ersten Kredite wurden ausbezahlt, Visitenkarten gedruckt und wir bezogen ein Tennisplatzgroßes Büro in einer Fabriketage in der Vorstadt. Die Lokalzeitung berichtete wohlwollend über uns und den Ruck der durch Deutschland gehen musste. Leider kam die outgesourcte Produktion nur schleppend in Gang und die Banken erheischten Auskünfte, die bilanztechnisch unterfüttert werden mussten. Sabrinas Zahlenakrobatik wurde gefordert. Überdies stand die Vermögensaufteilung mit meiner damaligen Lebensgefährtin auf der Tagesordnung. Ich wollte sie finanztechnisch aus der turbulenten Gründungsphase heraushalten. Reine Fürsorge. Aktienoptionen belasten jede Beziehung. Vor allem am Ende letzterer und am Anfang einer aussichtreichen Unternehmensentwicklung.
Sabrina öffnete mir die schwere Eichentür. „Ich gehe voraus“ sagte sie lächelnd und stolperte
auf italienischen hochhakigen Stiefelletten durch den Konferenzraum. Ich nutzte die Gelegenheit ihre Rocklänge abzuschätzen. Es fehlten seit dem letzten Besuch beindruckende 10 cm. „Darf ich Ihnen den Ordner abnehmen“ bettelte ich. Ich durfte. Vorsichtig trippelte sie zu ihrem Platz. Sie lächelte immer noch.
„Sie sehen von Quartal zu Quartal attraktiver aus“ erschauerte ich entzückt. „Und immer wieder verändert!“
„Zu meinem Vorteil?“
„Zu unser aller Vorteil“ versetzte ich.
Diesmal konnten es nicht die Brüste sein – ich hatte drei Tage autogenes Training absolviert, um ihr in die Augen, Kleines und nur dorthin schauen zu können. Aber dieser Mund? Hatte ich diese schmachtenden, geschwollenen, weinrot geschminkten Kissen bei meinem letzten Besuch übersehen?
Nach einer kurzen Unterredung lud ich sie zur blauen Stunde ein, um ein Glas auf unsere vielversprechende geschäftliche Zukunft zu trinken. Sie willigte ein.
Wir trafen uns in der Bar „Morena“ am Leopoldsplatz, wo sich zumeist Banker und andere Anzüge Drinks verabreichen ließen, um die Angst vor der Heimfahrt in die Siedlung zu bekämpfen.
„Nennen sie mich Sabrina" bat sie mich.
"Marcel. Sie sind wunderbar. Ich meine Ihre Intelligenz, ihre Bilanztricks, ihre …kurzum alles an Ihnen lässt sich auf die Habenseite verbuchen."
„Gut zu hören. Die meisten Männer interessieren sich nur für meinen Busen.“
„Verstehe ich nicht. Sie haben doch auch phantastische Beine.“
Sie seufzte. Artur kam vorbei von Brönner & Partner. „He, Du hier? Schön, schön ich will nicht stören.“
Ich hätte nach diesem kurzen Intermezzo schon nach Hause gehen können, denn mit Sabrina im Morena, würde mein Unternehmen noch ein paar Punkte im Beziehungsdax zulegen. Artur war diskret und würde unsere Begegnung nur beiläufig erwähnen. Mir blieben mir noch 24 Stunden vor der Aussprache mit meiner Lebensgefährtin.

- „Meinen Sie“, flüsterte Sabrina nach dem zweiten Caipinriha „Ihr Unternehmen hat eine solide Basis?“
-„Alles echt. Wasserdicht. Kann nichts passieren. So wie Sie."
- " Der Schein trägt die Wirklichkeit."
- "Aber es kann eine Zeitlang funktionieren. Können wir uns duzen?"
- "Klar doch, aber nicht im Büro. Wegen der Vorteilsnahme"
- "Wir können zu dir nach Hause. Das ist bequemer."
- "Ich meine das Duzen. Nicht im Büro duzen"
-"Tut mir leid ich dass ich etwas vorschnell..."
„Egal ich nehme noch ein Caipinrinha."
-"Und sonst. Was machst Du, um zu dieser phantastischen Figur zu kommen?“
-"Na ja, das übliche Stretching, Jogging….zur Entspannung. Der Bauch
muss weg…" Sie zeigte auf eine kaum wahrnehmbare Erhebung. Unbedeutendes Mittelgebirge sozusagen.
-"Meinst Du wirklich?" zweifelte ich
-"Und du, was machst Du?

Was erzählt man einem bekennenden Mitglied der Zeugen Adidas?
„Tennis. Gewiss doch. Aber schon lange raus aus dem Training …"
Mein Training bestand in mehreren Live-Übertragungen aus einer Zeit, als ich mit einem Oberschenkelhalsbruch 3 Wochen das Bett hüten musste. Agassi gegen Boris Becker.
-"Wir könnten eine Runde spielen?“
-"Ich weiß nicht "zweifelte ich. Schweißperlen traten mir auf die Stirn.
-" Mittwoch 10 Uhr?"
Wir liefen zusammen zum Taxistand. Es war spät. Redeten über dies und jenes, die Scheidungen, die Kinder… die Wechselfälle des Lebens und den Kurs der Technologieaktien.
Zum Abschied versetzte ich ihr ein neureiches Bussi auf der Wange. Sie erwiderte den Kuss mit schmerzhaft verzerrtem Gesicht.
"Es ist noch so frisch..."
"was? "fragte ich verwundert.
Sie fühlte mit dem Zeigefinger ihren Lippenbogen nach
"Einfach alles"
Dann entschwand sie verhangenen Blickes im Fonds des Taxis.

Drei Tage trainierte ich von morgens bis abends. Als Kind habe ich gelegentlich Federball gespielt. Auf diese Erfahrung konnte ich aufbauen. Meiner Lebensgefährtin erzählte ich etwas von Aufbauseminaren. Ich schluckte Aufbaupräparate. Der Anrufbeantworter quoll über. Wieder und wieder ermahnten mich meine Geschäftspartner sich unserem Unternehmen zu widmen. Ich schob eine schwere Grippe vor. Man muss im Leben Prioritäten setzen.

Mir grauste vor dem Gang zu ihrem Tennisclub. Aber der Anblick von Sabrina im kurzen Tennisröckchen würde mich für alle Mühe entschädigen. Ich vergaß über meine sportlichen Vorbereitungen die Präsentation in unserer Hausbank und erfuhr en passant, dass die Produktion der magischen Box frühestens in 4 Monaten anfahren würde. Unser Softwareentwickler hatte sich mit dem geleasten Kopierer und meinem Laptop verabschiedete, aber ein junges start-up Unternehmen wächst an seinen Herausforderungen. Zunächst galt es unauffällig einen anderen Ball über das Netz zu hieven.

Sie sah beeindruckend aus.
-"Na, alles klar?"
-"Versuchen wir es mal. Ich habe schon lange nicht mehr gespielt und meine Gelenkentzündung ist noch nicht ausgeheilt. Aber das wird schon. Du siehst übrigens wieder so verändert aus. Umwerfend."
-"Der Bauch ist weg!" strahlte sie, "Das ist alles."
Die Brüste schienen auch etwas gewachsen zu sein, aber vielleicht bildete ich es mir nur ein.
Das Spiel war ein Fiasko. Im Fernsehen sah das Spielfeld entschieden kleiner aus. Ich schützte einen verstauchten Fuß vor. Glücklicherweise schmerzte auch Sabrinas Bauchnarbe, so dass wir bald zu den kühlen Getränken wechseln konnten.
„Ich dachte du wärst sportlicher“ schmollte sie leicht vorwurfsvoll mit einem scheelen Seitenblick auf trefflich modellierte Waschbrettbäuche, die an uns vorbeibalancierten.
„vegetative Dysfunktion“
„Ist das ein Trainingsprogramm?“
„Nein eine Abbaufunktion. Ist nicht ansteckend.“
Sie sah mich zweifelnd an und wechselte das Thema. „Na gut. Weißt Du, mein Mann macht gerade seine Selbsterfahrungsperiode durch.“
-"Prima, dann haben wir ein paar Monate für uns. Meine Lebensgefährtin hat sich eine Umschulung zur Medienpädagogin verschreiben lassen und geniest ab Montag 4 Wochen Blockunterricht in Nieder-Bayern. Passt!"

Am Abend war mein Fuß verheilt, ihre Operationsnarben beruhigten sich und wir konnten ausgehen. Kurz vor 12 – ich war leicht berauscht und in Gedanken bei der Verschlusstechnik ihres Oberteiles - brach sie das Gespräch ab und bestellte sich ein Taxi.
-"Morgen habe ich einen wichtigen Arzttermin. Da muss ich fit sein.“
-"Fehlt dir etwas?"
-"Nein nichts. Morgen werden die Oberschenkel gemacht"
-"Bitte?"
-"Ja Fett absaugen. Es ist ein zauberhafter Arzt. Schau mal: das hat alles er gemacht!"
Sie führte meine Hand zu ihrem Bauch.
-"Auch abgesaugt!"
Gierig griff ich nach der Brust. "Das auch?"
-"Ja! Ist das nicht phantastisch."
-"Fühlt sich echt an."
Ich hatte die Vorstellung eine selbtaufblasbare Isomatte unter den Fingerkuppen zu erfühlen.
-"In 5 Tagen mehr. Solange brauche ich zum Auskurieren."
-"Und dein Job?“
-„Ich wechsle in eine Casting-Agentur zum 1.10. Schluss mit dem Grauen Mäuse-Dasein!"
-„Als Model?“
-„Zunächst mal in die Buchhaltung. Ich meine Controlling natürlich.“
-"Und unser junges Unternehmen?"
-"Unter uns: Ihr braucht keine Beratung sondern Kapital."

Die Zeit floh dahin. Unsere Future-Bond media Ag kam nicht aus dem GmbH in Gründung-Stadium heraus. Meine zwei Mitgesellschafter rieben sich in mühseligen Verhandlungen mit potentiellen Kunden auf. Ich sollte die Produktion unserer super-internet-spiele box voranbringen, aber ohne Erfolg, da alle Unternehmen auf Vorauskasse bestanden.

Sabrina schenkte mir eine CD mit Meeresrauschen.
-"Take it easy. Du musst dich entspannen."

Ich nutzte die Abwesenheit meiner Lebensgefährtin, um die Plattensammlungen aufzuteilen und den CD-rekorder in meine Wohnung zu retten. Um kein Misstrauen zu säen, ließ ich ein paar alte T-Shirts auf dem Bett liegen.
An einem Samstagabend kam es verabredungsgemäß zum Äußersten. Sabrina bestand auf totaler Verdunkelung wegen der Operationsnarben. Während der gemeinsamen gymnastischen Übungen drangsalierte mich die Vorstellung in wabernde Styroporkugel im Ikeo-Kinderpark zu schwimmen und - sollte ich aus Versehen das Licht anmachen - plötzlich eine Sabrina-große Kunststoffpuppe in den Armen zu halten. Die Vorstellung führte zu einer erstaunlich verzögerten Erregungskurve. Als wir nach getaner Liebesmüh, Arm in Arm auf ihrem Futon lagen flüsterte sie mir ins Ohr. -"Ich habe etwas für dich!"
"Da wäre doch nicht nötig" wehrte ich geschmeichelt ab.
-" Eine Spritze gegen Falten. Tut überhaupt nicht weh. Versuchs mal!"
Ich hasse Spritzen. Ich spende auch kein Blut, weil es weh tut. Aber ich wollte sie nicht beleidigen. Mit meinen Falten kann ich gut leben. Es soll von Charakter zeugen. Aber für Sabrina war ich bereit den Charakter zurückzustellen. Es ging auch ohne. Das Gesicht wurde zwar etwas starr, aber ich fühlte mich um Jahre jünger. Allerdings fror uns zunehmend das Lächeln ein. Für meine beruflichen Verhandlungen mit potentiellen Geldgebern und lästigen Schuldnern kein Nachteil. Alte Freunde hingegen wähnten mich bei den Mormonen. Für lächerliche 100€ schenkte mir eine Arjuveda-Gesichtsmassage meine alten Gesichtszüge zurück. Bis zur nächsten Spritze.

Ein paar Tage später – wir hatten ein Runde Jogging hinter uns und nippten an mineraltrüben Getränken sagte sie: „Du solltest auch etwas für dich tun. Ich habe in zwei Wochen eine Präsentation in unserer Agentur. Es wäre schön wenn du mitkommen würdest. Aber so kannst du nicht herumlaufen!“
Ich protestierte. Ich lachte sie aus und trottete mit ihr zum Chirurgen.

Der Mann – eine gelungene Mischung aus Michael Douglas und Richard Gere - zeigte mir geduldig an Hand eines Fernsehgroßen Bildschirmes, was sich alles aus mir machen ließ – wenn ich ihn ließe.
Meine Nase hatte mir nie wirklich gefallen und der Bauch entsprach keinem mir bekannten Schönheitsideal. Wir wurden schnell handelseinig. Wiewohl mich die bewundernden Blicke störten, die Sabrina ihrem Schöpfer schenkte. Ich wählte etwas Till Schweiger und ein Quäntchen Hugh Grant. Und Sabrina schenkte mir eine Haartransplantation – aber bitte in blond! - dazu.

Als nach 4 Wochen meine ex- Lebensgefährtin vor meiner Wohnungtür stand, starrte sie mich ungläubig an.
„Wo ist Marcel?“
„Äh, Marcel ist ausgezogen“ log ich. „Ich glaube er ist in Spanien wegen der Steuerbehörde.“
„Bist Du sein Bruder? Du hast original seine Stimme.“
„Der Jüngere. Genau.“
„Sag ihm: ich will ihn nicht wiedersehen. Er hat sich verdammt verändert.“
„Ich habe davon gehört.“
„Er zieht mit einer Bankierschlampe durch die Bars. Artur hat die beiden gesehen. Ich packe meinen Kram. Hier ist sein Schlüssel, den kannst du ihm geben. Aber ich nehme meine CDs mit!“
Zähneknirschend musste ich ansehen, wie sie alle CDs, die sie mir je geschenkt hatte in eine Plastiktüte stopfte.
„Und er soll sich nicht mehr blicken lassen.
-"Werde ich ausrichten!"

Das Gerücht ich sei nach Spanien emigriert, machte schnell die Runde und zwei Tage später waren auch meine zwei Mitgesellschafter in Spanien. Also musste ich den Gang zum Amtsgericht allein antreten. Sabrina riet mir eine Auffanggesellschaft zu gründen, aber ihre Agentur ließ ihr wenig Zeit, und ich haderte um meine physischen Trainingeinheiten, die Nachsorge beim Chirurgen und die Abwicklung des Unternehmens in Einklang zu bringen. Die Finanzen straucheln, stolperten und sackten schließlich in einem unendlichen Minusbereich ab. Die letzte Rate für den Ohrenbeschnitt konnte ich nicht mehr bezahlen. Ein Ohr blieb kürzer als das andere. Ich ähnelte eher Klaus Kinski als Till Schweiger. Aber ich lächelte immer noch, weil ich das Botox-Präparat nicht absetzten wollte.

Die Party-Bekanntschaften setzten sich als erste ab. Wenn ich im Morena vorkam lächelten die früheren Kollegen mitleidig. „Hättest Du…“ Ja hätte ich.
„Du bist nicht mehr der Alte“ sagten sie sorgenvoll, und ich ertappte mich dabei, wie ich verträumt zu meiner alten Büroetage herüberlinste. Wie entspannt ich doch seinerzeit mein Bäuchlein unter dem Kunststoffschreibtisch verstecken konnte! Das Abendteuer wurde für die Kantine aufgespart. Am 22. jeden Monats traf eine Überweisung ein. Es war kein schlechtes Leben gewesen.
Die Freunde entfernten sich. Sie erkannten mich nicht mehr. Oder schlimmer noch sie meinten mich zu erkennen: Wie siehst du aus? Hast Du ein Problem?
Ich hatte mehrere und mit dem Monatsersten flatterten neue ins Haus. Die größten per Einschreiben mit Rückschein.

„Sie haben sich sehr verändert“ sagte auch der Filialleiter der Bank und schüttelte den Kopf. Ich gab ihm Recht.
„Ihr Dispo ist gekündigt. Nehmen Sie es nicht persönlich.“
"Das ist gut zu wissen."
„Du bist ein Looser!“ sagte Sabrina als ich es ihr erzählte. Warum hast du nicht auf mich gehört? Ich kann Dir leider nicht helfen, weil ich meinen Kredit für die OP’s zurückbezahlen muss und die Agentur ...du weißt. Da kann ich keinen privaten Stress gebrauchen. Das schlägt bei mir sofort auf die Haut durch."
Wir stritten nicht. Mir war das Lächeln ohnehin eingefroren und jeder verbale Ausrutscher verursachte Schmerzen.
- „Macht nichts" ächzte ich tapfer "Ich komme klar".
„Du hast dein Unternehmen ruiniert, weil du dich privat verzettelt hast!“
"aber du hast doch..."
"Spreche nur von dir, mein lieber.“
„Hast du schon etwas von privatem Konkurs gehört?“ wechselte ich das Thema.
„Schau dich an. Ich muss jetzt gehen. Bis bald“

„Ich brauche einen Mann, der mich verändert“ hauchte Sabrina nach ein paar Wochen verlegen ins Telefon.
„Kannst Du mir 50 Euro leihen?“ frug ich zurück
„Nein. Ich muss an mich Denken. Hat mein Arzt gesagt. Und du ziehst mich runter. Außerdem hast Du noch meine CD mit dem Meeresrauschen. Ich habe morgen einen wichtigen Termin und muss mich vorher entspannen.“
„Ich schicke sie Dir zurück. Ich hör das Rauschen mittlerweile auch so.“
Mir stand das Wasser bis zum Hals.
Es war vorbei. Sie zog zu ihrem Chirurgen. Ich hätte ihren Rat für die Konkursverwaltung gut gebrauchen können, aber das Schicksal ist eine pestkranke Ratte, die sich unterm Pullover festgebissen hat und nicht locker lässt.

Leider hatte meine ehemalige Lebensgefährtin auch kein 50 Euro, weil sie für die Aussteuer sparte. Sie hatte über eine angesehene Wochenzeitung einen Beamten im höheren Schuldienst erhalten, den sie sie alsbald zu ehelichen gedachte, um die Lohnsteuerkarte zu wechseln, und weil er ihr Sicherheit gab.

Das war zugegebenermaßen ein Argument. Ein sehr gutes Argument.

Ich jobbte schwarz in einem Computerladen, räumte die Penthouse-Wohnung, um der Pfändung zuvorzukommen und zog zu meinem Bruder. Es ist schön einen Bruder zu haben.

Nach ein paar Monaten verließ ich die Stadt und emigrierte nach Spanien. Jetzt bediene ich in einem kleinen Strandcafé, das der Mutter eines Teilhabers gehört. Spät in der Nacht sitzen wir noch lange zusammen und planen eine neue Firma. Einen Paillaservice. Die Zukunft gehört den Dienstleistungen. Die new-economy ist tot. Von Sabrina habe ich gehört, sie sei nicht wieder zuerkennen, seit sie zu ihrem Chirurgen gezogen sei. Das ist gut zu wissen.

Spitzohr nennen mich die Einheimischen. So ist das mit der Individualität.

 

Hi Axel Frevert,
zugegeben: Der Titel ist bei Doris Dörrie geklaut. Deshalb habe ich die Geschichte gelesen. Satz für Satz (ohne Turboscroll). Viele wohltemperierte Sätze mit dezentem Wortwitz, dem Thema angemessen. Trotzdem ist das Niveau nicht auf den plattesten gemeinsamen Nenner gesunken: Frauen werden schön/Männer gründen Startups.

Der Titel passt gut, Frau Dörrie wird's zugeben und aushalten müssen.
"Bin ich schön?" ragt über die Kategorie harmloser Humor hinaus und würde bei "Satire" auch eine gute Figur machen.
Grüße von Emma

 

hallo Emma!

Danke für die Kritik. Natürlich läuft die ganze Geschichte auf ein angenehm, trauriges Ende zu: Männer kommen aus ihren start-up-Löchern nicht auf die Füße und Frauen bleiben nicht schön. Insgesamt ein trauriges Inventar, aber beim schreiben entwickelt man trotzdem Mitgefühl...

Gruß
axel

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom