- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 15
Billigflieger
Billigflieger, dachte Bea, als sie vor der Anzeigetafel stand und nach ihrem Flug AB6504 Zürich-Berlin suchte. Wie sie besorgt erkennen konnte, waren viele Flüge gestrichen worden: London CANCELLED, Helsinki CANCELLED, München CANCELLED …
Bea hatte einen Billigflug gebucht. Und hieß billig nicht auch, dachte sie, dass eine Gesellschaft knapp kalkulierte. Konnte es sich ein solches Unternehmen überhaupt leisten, einen Flug ausfallen zu lassen, wenn es denn nicht unbedingt sein musste? Schrecklich, dieses Wetter, dachte sie, Herbstböen, die vermochten doch manches zu ruinieren; ihr die Frisur und der Airline die Bilanz. Am liebsten wäre sie gleich wieder nach Hause gegangen. Anderseits wäre dann, wenn der Flug nicht ausfiel, ihr Ticket verfallen, was sie später gereut hätte. Eilends ließ sie den Blick über die Anzeigetafel schweifen: München CANCELLED, Rom CANCELLED, Wien CANCELLED …
Wie klein sie sich vorkam, wenn sie zu dieser Anzeigetafel hinauf schaute, die Namen darauf las und sich das weltläufige Leben ausmalte, für das sie standen – New York, Hongkong, Rio de Janeiro und Stuttgart – na ja, Stuttgart vielleicht nicht. Aber den Glanz und die Pracht der anderen Orte wollte sie noch erleben, das war ihr fester Wille. In gewissen Städten muss man mindestens einmal im Leben gewesen sein, ansonsten hat man nie richtig gelebt, dachte sie, und sie hatte noch wenig gesehen von der Welt, das wollte sie möglichst bald ändern.
Freilich wäre ihr dafür anderes Wetter lieber gewesen. Bea fühlte sich noch entschieden zu jung, um bei einem Flugzeugabsturz zu sterben. Der Gedanke, beim Absturz eines Billigfliegers zu sterben, entsetzte sie nicht nur, er entrüstete sie geradezu, denn ihrem Empfinden nach wäre das nicht nur ein Unglück, sondern vielmehr schiere Ungerechtigkeit. Oder konnte sie denn etwas dafür, dass sie noch jung war, am Anfang ihrer Karriere stand, noch nicht allzu viel verdiente und sich deswegen nichts Besseres leisten konnte? Nein, konnte sie nicht. Zudem wurde ihrer Ansicht nach von einer selbstbewussten und aufstrebenden, jungen Frau schlichtweg erwartet, dass sie möglichst bald welterfahren und lebenstüchtig wurde; also nicht zuhause auf dem Sofa sitzt, vor sich hin gammelt und Schokoeis isst.
Doch bei allem Eifer, nun schwand ihr der Mut. Draußen zog ein Sturm auf. Böen stülpten Schirme um, über den Flughafen spannte sich eine dichte, hochliegende Wolkenschicht und in der Abflughalle bestand die Spalte auf der Anzeigetafel, in der angezeigt wurde, ob ein Flug der widrigen Umstände wegen gestrichen worden war oder trotz dieser planmäßig abflog, fast ganz aus roten Lettern: Wien CANCELLED, Kairo CANCELLED, Athen CANCELLED, Brüssel CANCELLED …
Hätte sie vielleicht doch besser auf einen teuren Flug gespart? Alle großen, bewährten und kostspieligen Gesellschaften hatten ihre Flüge gestrichen. Aber die Billigfluggesellschaft, mit der sie fliegen wollte, flog womöglich aus Kostengründen solange wie nur irgendwie möglich, auch wenn dadurch größere Gefahren eingegangen werden mussten. Das beunruhigte Bea.
So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Neben ihr näselte ein Engländer und hinter ihr fistelten ein paar Japaner, und sie mittendrin fürchtete sich, obschon sie nur bis Berlin und nicht um die halbe Welt, bis nach Tokio fliegen wollte. Wieder schaute sie hinauf zu der Anzeigetafel: Athen CANCELLED, Brüssel CANCELLED, Stuttgart CANCELLED und Berlin AB6504 – Bea schluckte einmal leer – Billigflieger.