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Bildung oder Fehlbildung
Sitze über einem Manuskript und bade in Selbstmitleid. Warum bloß habe ich nicht studiert? So wie einst „Tilly“ ihre Hände ins Spülmittel tunkte, versinkt mein Trostkeks im Kaffee. Kürzlich war ich im neuen Coffeeshop „Mr. Black“ im Stadt-zentrum. Keine Ahnung wer sich den kreativen Namen ausgedacht hat und was um Himmels Willen er sich dabei gedacht hat. Ähnlich kreativ wie der Friseurladen daneben "Wir verschönhairen Sie". Dabei liegt direkt auf der anderen Straßenseite das Haarstudio "Barbirella". Es muss so viele Menschen mit überbordendem Haarwuchs geben. Noch etwas, was mich traurig stimmt.
Die Bedienung besteht jedenfalls nur aus lichtscheuen Studentenzombies die an den zischenden Maschinen stehen. Die ganze Szenerie erinnert mich stark an den genialen Film "Metropolis". Ich bestellte also einen kleinen koffeinfreien Filterkaffee, aus heller Costa-Rica-Zimt-Röstung mit fett-reduzierter, lactosefreier Milchhaube und etwas Agavendicksaft gesüßt. Als Mitnehmkaffee natürlich, im eigenen Trinkbecher. Alles bitte „Fair Trade“. Bekommen habe ich heißes Wasser.
Die Antwort auf meine eingangs gestellte rhetorische Frage ist so einfach wie traurig. Faulheit. Ein wenig auch Feigheit. Für mich als menschenscheues Wesen, dass unter einer roten Polit-diktatur heranwachsen musste, verbanden sich mit „erweiterte Oberschule“ und „Hochschulstudium“ immer auch andere Begriffe. Wehrdienst, Reservistenzeit und Parteizugehörigkeit. Nun sah ich als Jugendlicher aus wie eine holländische Treibhausgurke. Lang, dünn, blass und mit der sportlichen Kondition einer Pressspan-platte. Die Vorstellung, über Jahre hinweg immer wieder ins „Feld“ zu müssen und Gewaltmärsche in voller Ausrüstung zu absolvieren, bereitete mir den einen oder anderen Albtraum. Dazu kam noch die verlängerte Schulzeit. Englischunterricht in der „nullten“ Stunde. Wer kennt denn bitteschön heute noch dieses Relikt der sozialistischen Schulbildung? Unterrichtsbeginn vor 07:00 Uhr. Wie Zombies wankten wir im Dämmerlicht Richtung Bildungsstätte.
Heute wissen wir dank ausgiebiger Feldforschung, dass Jugendliche einen anderen Biorhythmus als Erwachsene haben. Vor 09:00 Uhr in der Früh sind sie nicht aufnahmebreit für Informationen, welche für die nächsten siebzig Jahre Lebenshilfe sein sollen. Das ist zwar wissenschaftlich bewiesen, wird aber ignoriert und ist leider so gut wie gar nicht im Schulalltag umgesetzt.
Jedenfalls hatte ich damals keine Lust noch vor dem ersten Hahnenschrei aufzustehen. Überhaupt halte ich es für wenig sinnvoll, dass Jugendliche mit 15 Jahren entscheiden sollen, welchen Beruf sie ausüben wollen. Der soll sie dann ernähren vom Austritt aus dem Schulleben bis zum Eintritt in die Rente. Also idealerweise. Obwohl, heute gilt man ja als unflexibel, wenn man nicht spätestens alle 3 Jahre die Herausforderung einer beruflichen Neuorientierung sucht. Es ist dafür dann auch völlig unerheblich was die Berufsausbildung beinhaltete. Problemlos ist es möglich in einer Legislaturperiode das Amt des Landwirtschaftsministers zu bekleiden und nach der nächsten Wahl zum Verteidigungs- oder Bildungs-ministerium zu wechseln. Da brauchen wir uns über schlechte PISA Ergebnisse nicht wundern.
Wer sich einfach nicht für etwas Brauchbares entscheiden kann oder in der Schule nicht den erwarteten Wissenstand erreicht, geht zur Bundeswehr oder in die Politik. Ja, ich weiß. Das war jetzt noch weniger als nett, gar platt. Diese Phrase hört man aber immer wieder. Ich entschuldige mich bei allen Patrioten, die nicht wegen der Karriereaussichten eine dieser Herausforderungen wählten.
Es ist heute oftmals nicht wirklich entscheidend, in welchem Studienfach man seinen akademischen Grad erwirbt. Ein Doktor der Vogelkunde in der Automobilindustrie ist genauso zur Normalität geworden wie ein Maschinenbauingenieur in der Lebensmittel-industrie.
Wenn ich allerdings studiert hätte, wäre es Ägyptologie gewesen. Einfach weil es so selten war und einen Hauch Indiana Jones gut zu mir gepasst hätte. Eigentlich bin ich aber ganz froh, dass es nicht dazu kam. Klimatisch und politisch betrachtet gehört Ägypten als Arbeitsort nicht mehr zur ersten Wahl.
In der Gegenwart ist es aber auch nicht gerade einfach, den richtigen Studiengang zu wählen bzw. sich für eine Fachrichtung zu entscheiden. Die Universitäten und Hochschulen buhlen um die Gunst der Nachwuchsakademiker mit immer skurriler anmutenden Methoden. So werden unterbesetze Fachrichtungen einfach begrifflich aufgemöbelt und für die hippe Jugend von heute „schicker“ gemacht. Aus „Volkskunde“ wurde so „Vergleichende Kulturwissenschaft“. Das schnöde „Management“ mutierte in viele Untergruppen wie „Cruise Management“ für Kreuzfahrttourismus, „Management im Gesundheitstourismus“ oder natürlich dem allseits einsetzbaren „Eventmanager“. Der kann dann die Baumarkteröffnung mit Tony Marshall in Wanneickel managen. Jura, BWL, Medizin oder „irgendwas mit Computern“ ist heute total out. Es wird immer spezialisierter ausgebildet und echte „Fachidioten“ heran-gezogen. Oder es werden Abschlüsse angeboten, für die eigentlich keine Jobs zur Verfügung stehen. So kann „Angewandte Sexualwissenschaften” vielleicht Spaß machen, aber die Suche auf dem Arbeitsmarkt wird sicher länger dauern. Das klischeebehaftete Studentenleben ist auch nicht mehr so lustig wie früher. Anstelle zu Kiffen (West) oder zu Saufen (Ost), diskutiert man heute gemeinschaftlich über die letzte Folge von „Game of Thrones“ und zur Körperertüchtig wird sich eine Poolnudel zwischen die Beine geklemmt und „Quidditch” gespielt.
Letzte Woche musste ich zwangsläufig ein tiefgründiges Gespräch mit dem sechsjähren Sohn eines guten Bekannten führen. Es war bei einem nachmittäglichen „Grillevent“ im winzigen Garten ihres Reihenhauses. Beide Eltern sind Anhänger von Montessori und Waldorf sowie "Schreiben nach Hören" oder so ähnlich. Ich will das nicht schlechtreden, aber gern stell ich mir ab und an vor, wie die Tochter in der achten Klasse einen Aufsatz über ihre Berufswünsche schreibt: „Die Jungs wollen Günekohloge oder Inschenör wärdn. Ich aber lieber Aschitektin". Gratuliert wird zum „Fatatak“ und gefahren mit der „Essban“.
Jedenfalls mussten Mama und Papa sich ums vegane Grillgut kümmern und ich sollte den Sohn beaufsichtigen. Es geht doch nichts über eine zu lange gegrillte Selleriestange. Ich weiß jetzt schon, dass ich mir die Reste zum Mitnehmen einpacke. Ich lasse die Gastgeber im Glauben mich auf den Schmaus am nächsten Tag zu freuen. In Wahrheit nutze ich die Reste gern als Filter fürs Aquarium oder Zeichenkohle.
Der kleine Finn Linus fragt mich also was ich arbeite. Ich kann ihm nicht verständlich vermitteln was ein „Supervisor der Postproduktion” so macht, deshalb erzähle ich einfach etwas über Glasbläser. Seinem Lachen nach zu urteilen, stellt er sich wohl etwas ganz anderes vor, als ich ihm zu erklären versuche. Auf meine Gegenfrage erhalte ich eine Antwort, die so einfach wie genial klingt. Ein Beruf der in der Zeit von Ökoproblemen und Welthunger enorme Chancen für die Zukunft bietet. „Ich werde Madenzüchter.“
So einfach ist es heute also, das Hobby zum Beruf zu machen. Alternativ bietet er dann noch „Todessternpilot“ an. Dafür kann auch ich mich erwärmen und freudig Begeisterung zeigen. Schon erscheinen die vierzig Jahre Altersunterschied nebensächlich. Ich weiß zwar nicht wie ein solches Riesending gelenkt wird aber es gibt garantiert nie Parkplatzprobleme. Man schießt sich einfach die Lücke frei. Außerdem wird wohl keine Politesse es wagen mir ein Ticket zu geben und es gibt sicher auch keine Polizeistreife im ganzen Universum, die mich für eine Alkoholkontrolle anhalten würde.
Im Nachgang betrachtet muss meine Eingangsfrage eigentlich anders lauten: „Warum bin ich nicht Imperator geworden?“
Nachtrag:
Nach Veröffentlichung dieser Geschichte erreichten mich etliche Einsendungen zum Thema. Jemand schrieb z.B. „Ich habe kürzlich im Fernsehen eine Reportage über ein Wohnviertel gesehen, welches als sozialer Brennpunkt bezeichnet wird. Kinder wurden dort nach ihren Berufswünschen gefragt und ein kleines Mädchen antwortete allen Ernstes: „Ich werde mal Hartz4.“ Da hört es bei mir auf mit lustig.
Alberta, eine Bekannte aus der schreibenden Zunft schrieb: „Dein Text hat mich an die Zeit erinnert, als ich noch von Erwachsenen gefragt wurde, was ich denn später mal werden wolle und ich sehr spontan geantwortet habe: "Mutter!" Ich dachte, das sei ein Ausbildungsberuf. Und war sehr enttäuscht zu hören, dass man das nirgendwo qua Diplomstudiengang lernen könne. Also habe ich mir das mit dem Mutterstudium nochmal überlegt und innerlich umgeschult. Und meine neue Antwort war: "Reich!"