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Bilder können täuschen
bilder können täuschen
Der Bus hält. "Oh, wir sind ja schon am Bahnhof" unterbrichst du unser Gespräch, "Ich muss dann mal los, wir sehen uns bald!". Und schon bist du draussen, winkst mir noch flüchtig zu und hast ein Lächeln auf dem Gesicht. Jetzt stehst du bei zwei Mädchen, die mit dir in den Bus eingestiegen sind "die sind aus meiner Klasse" hast du gesagt. Ihr redet, lacht und ich sehe dein Gesicht noch immer - hinter der Fensterscheibe. Das eine Mädchen mit den langen blonden Haaren verabschiedet sich, nimmt dich in den Arm, küsst dich auf die Wange und schon ist sie weg. Irgendwo zwischen den vielen Leuten hier am Bahnhof die mir alle fremd sind. So viele Gesichter, und doch gleichen sie alle einander. Anscheinend bist du nun auch schon weg, ich kann dich nicht mehr sehen. Nur dein Gesicht seh ich, in Gedanken - hinter der Fensterscheibe. Deine strahlenden blauen Augen und der kleine rote Mund der ständig am lächeln ist.
Ich male die Konturen von deinem Gesicht an das beschlagene Fenster. Meine Finger spüre ich schon gar nicht mehr, so kalt ist mir, aber vor allem ist das die Scheibe, die sich anfühlt wie Eis.
Der Bus fähr stadtauswärts, hält an jeder Ecke, Menschen steigen ein und aus.
Doch all das bekomme ich nicht wirklich mit, ich konzentriere mich viel zu sehr auf dein Gesicht und bemerke gar nicht, dass meine Finger schon fast blau sind.
Der Bus, die Menschen, das alles existiert gerade eben hinter einem dicken grauen Vorhang, der nur Geräusche durchlässt, die sich dann vermischen und wie das Rauschen eines Radios der keinen Empfang hat, zu mir gelangen. Davor bist nur du und ich - und die kalte Fensterscheibe.
Ich nehme meine Finger weg, schaue auf das "bild" und erkenne plötzlich nur ein verschwommenes, verwischtes Etwas. Dahinter sehe ich die kahlen Bäume, den Wind, der ein paar Blätter durch die Straßen weht und die grellen Lichter der Autos. Es wird schon bald dunkel. Dein Gesicht ist weg. Und ich starre noch immer auf das verschwommene Etwas, das doch du sein sollst.
"Endstation!" ertönt es aus dem Lautsprecher und ich schrecke auf.
Bevor ich aussteige verwische ich noch schnell den grauen verschwommenen Fleck der sich so sehr in meinem Kopf festgesetzt hat.
Die Nachtluft ist schneidend kalt und ich gehe an Häusern, vorbei, an Straßen und Bäumen - und frage mich, ob du glücklich bist.