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Bibisch

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13.06.2002
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Bibisch

Das Portrait in Schwarz: Bibisch

Drei Stunden später, gegen zwölf, am gleichen Platz. Taxiplatz. Ich bin zweiter; im Wagen vor mir spricht sie auf den Fahrer ein. Es ist zu dunkel, aber ich seh', ihr Gesicht ist schwarz. Sie trägt Kopfputz und gestikuliert. Das geht zwei, drei Minuten, dann steigt sie plötzlich aus und schlägt wütend die Autotüre zu.
Madonna mia, Jesus Christus, ein Weib, 'ne schwarze Tussi. Ich hatte sofort alles auf dem Schirm, die ganze schöne Palette: Königin, Kaiserin, Sklavin, Sex, Mädchen im Schilf, Sängerin, rue St. Denis, Tänzerin, Paris, NY, London, Dakar, Vernissage und Fototermin, Drugs und Schnee und schwarz und Rausch und Trance. Klein, groß, rosa, schwarz, sprechend, quäkend, quakend.... Tussi.
Sie kurvt um mein Auto herum, steigt ins nächste Taxi. Meine Augen sind sofort im Rückspiegel. Das gleiche Spiel, dann steht sie unschlüssig auf dem Pflaster.
Komm! Chéri komm, ich fahr', ich fahr' dich auch für Kleines. Komm, ich weiß, du bedeutest: Trouble. Sie kommt zu mir, macht die Beifahrertüre auf, lehnt ihren Oberkörper hinein und stützt sich mit der Hand auf dem Sitz ab. Stakkato aus lila Lippen. Der Turban ist bunt, das Wämpschen über den runden Kugeln grau. Die Augen sind klar und halten ihr Versprechen: Ärger. Die Wut verschluckt sich an ihren Worten, den französischen Bröckchen. Sie provoziert meinen ersten Fehler. Ich antworte ihr auf französisch: »Tu sais le numéro du taxi? Hast Du Dir die Nummer vom Auto gemerkt? «
»Mein Handy, ich brauch' mein Handy! Das ist wichtig. Nein, was glaubst Du denn, ich weiß die Nummer nischt. Mein Handy ist bei der Dicken, vielleicht unter dem Sitz.«
»Wie sieht die aus?«
Sie dreht ihre Hand so schnell, dass ich weiß, die Fahrerin hat Locken. »Merde, ich brauch' mein Handy. Was kannst du für mich tun?«
»Was soll ich tun?«
»Fahr links, geradeaus, vielleicht ist sie noch da. Du fahr mal! Ich hab' Geld.«
Nach fünfhundert Metern heult sie: »Die ist weg. Merde! Ich benötige mein Handy. Wenn die weiße Schlampe mir gestohlen hat, bring ich sie um.«
»Hast du die Zentrale angerufen?«
»Die wissen nichts, absolüt nischts, ich spreche schlecht Deutsch.«
Wir fahren zum Bahnhof und drehen um den Platz. Ich schau' in die Gesichter, alles Männer, bis auf eine Frau, und die ist es nicht. Madame ist ausgestiegen und läuft kopflos zwischen den Taxis. Dann rennt sie in alle vier Himmelsrichtungen; ich verliere sie aus den Augen. Beim Expressgut am Ende der Halle bohrt sie die Absätze in den Asphalt. Ich winke ihr. Sie steigt wieder ein.
»Kann ich mit deine Autohandy?« Ohne meine Antwort abzuwarten nimmt sie das Telefon, tippt eine Nummer ein, überlegt, hängt den Hörer aber wieder zurück, ohne dass eine Verbindung zustande gekommen ist. Wir fahren zurück. Die Hauptstraße auf und ab, dreimal links, noch eine Querstraße, dann halte ich an. »Ich frag' nochmal bei der Zentrale nach, so geht das nicht... - ... wie heißt du denn?«
»Bibisch, die nennen mich alle Bibisch.«
Die Dame von der Zentrale informiert mich, dass die 68 das Handy gefunden hat und es abgeholt werden kann. Ich sag' es ihr.
Powerturn: voll in die Bremsen, voll aufs Gas, 360° Stimmungsschwankung, dann geht das Karussell erst richtig los: »Ich bin glücklich, oh mein Gott, ich bin glücklich, mein Handy, ohne Papiere kann ich leben, ohne Handy, je ne peux rien faire, nichts, verstehst Du, Liebling? Nein, Du verstehst nichts!«
Die Frau, die die 68 fährt, arbeitet für den gleichen Unternehmer wie ich. Sie kriegt ein Merci und kein Trinkgeld. Ich beklage mich für sie. »Mais non, oui, oui, j'ai dit merci.« Und dann tut Bibisch das Logischste von der Welt. Sie benutzt ihr kleines Handy.
Zeter und Mordio mit ihrem Typ am anderen Ende. Anschuldigung und Entschuldigung, sie lässt in einem Satz kein Wort aus, das nicht die ganze Welt der Liebe schreit. Sie verabredet sich: »Oui Chéri, je t'aime. O.k., in einer halben Stunde chez MacDo.«
Die Dramatik der Ereignisse, der Verlust des Handys ist ihr nächstes Gespräch. »Une catastrophe, maman! Stell Dir vor, im Taxi hab' ich mein portable verloren. Ich bin im Taxi, non, oui, ich hab' ihn wieder, ich telefoniere Dich mit dem Ding. Schläft meine Kleine?«
Ich mach' sie darauf aufmerksam, dass ich der Held war, der ihr kleines Bijou zurückgebracht hat. Bibisch lädt mich ein. Sie hat Durst auf ein großes Bier. Wir fahren ins Café. Vorher wird abgerechnet,dreißig Mark.
Die hören alle auf zu sprechen, jeder dreht sich um. Die Männer wissen, die Frauen registrieren. Sie macht keine Show, sie ist die Show! Bibisch.
Donato, der Kellner, klassisch in schwarzweiß, der mich Americano nennt, bringt einen halben Liter und einen Espresso. Ich trinke, schlürfe süß, heiß und schwarz, beweg' den Kopf nach hinten, schau' an die Decke und die gemalten Putti lachen aus dem Himmel.
Wir quatschen, bisschen Small-Talk, kleine Pausen, Bibisch muss mal verschwinden. Ich trink noch einen Espresso. Bibisch kommt wieder. Ich sag' was, Bibisch lacht. Sie bestellt noch einen Espresso. Ein Typ, den ich kenne, schaut Bibisch an, schaut mich an, zieht die Augenbrauen nach oben, die Mundwinkel nach unten, nickt aufmunternd und geht an mir vorbei. Wie lange noch bis zu ihrem Rendezvous? Sie sucht die Uhr. Über den Regalen, über dem Bataillon der Flaschen zeigt sie wenige Minuten. Ich brauch ihre Telefonnummer. Aus dem Handtäschchen holt sie die Box, bietet mir eine an. Ich gebe Feuer, sie zieht knapp aber tief den Rauch in ihre Lunge. Wir schauen uns an. Ich frage nur im Kopf nach Telefonnummer und Rendezvous. Wir müssen los. Donato rechnet ab, die Zigarette fällt glimmend aus dem Aschenbecher. Ich führe sie über die Straße zum Auto. Die Telefonnummer! Wir sitzen drin, ich starte, wir fahren los. Die Telefonnummer. Ich mach' das Radio an, sie relaxt. Noch zwei Ampeln.
»Stopp chez MacDo. Ah, da ist er schon. Vielen Dank, Chéri, merci.«
Ich Idiot, jetzt ist sie weg! Ich fuhr wieder los, merkte nix, fühlte nix, kam nicht drauf, Blutleere im Hirn, bis es mir endlich kam und heiß in die Birne schoß. Ein Blick genügte: schwarz auf grün, ihre Handynummer auf dem Display des Autotelefons.

 

Hallo Krippl,

Deine Geschichte hat mir ganz gut gefallen. Am Anfang ist es etwas schwierig dem Geschehen zu folgen - die Form ist irgendwie hektischer als die Handlung es eigentlich ist. Die Assoziationsreihe ("Königin, Kaiserin, Sklavin, Sex, Mädchen im Schilf, Sängerin...") ist etwas zu lange, ich konnte das schwer einordnen. So ab der Hälfte zieht sich aber alles zusammen.

Gruss,

I3en

 

*reinschleich*

Hi dockrippl!
Normalerweise lese ich in dieser Rubrik ja nichts, aber der Titel Deiner Geschichte hat mich neugierig gemacht - erinnerte mich an die Abkürzung zu meinem Nick.. :rolleyes:

Ich fand Deine Geschichte angenehm erfrischend, da sie ohne unnötigen Kitsch auskommt und sehr schön die Spielereien des Schicksals beschreibt. Zu diesem Eindruck hat auch Dein eigenwilliger Sprachgebrauch und Erzählstil beigetragen. Schön lapidar, aber an keiner Stelle zu übertrieben flapsig - auch wenn Du manchmal nur haarscharf an der Grenze vorbei geschliddert bist.

Und im Gegensatz zu I3en hat mir die Zusammenstellung der einzelnen Eigenarten, bzw. Gedanken sehr gut gefallen. Ja, da gerät das Gehirn in Extase.

Allerdings empfand ich die äußere Form als etwas zu ungeordnet. Vorhandene Absätze gliedern nicht wirklich auf, so wirkt das Geschehen punktuell unnötig konfus.

Ugh

*wieder abhau*

[ 19.06.2002, 21:42: Beitrag editiert von: Bibliothekar ]

 

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