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Bibbi, der Stasi-Spitzel

Beitritt
23.09.2009
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Bibbi, der Stasi-Spitzel

Bibbi, der Stasi-Spitzel
Das zentrale Gebäude des Dorfes Frod ist die Kirche. Rings um sie sind Häuser gebaut, in denen Menschen verschiedenen Geschlechts und unterschiedlichen Alters wohnen. Die älteste Frau, die schon im Backfischalter selbst gestrickte Schlüpfer trug, erreichte am Freitag vergangener Woche das 101. Lebensjahr.
Die Gesinnung der Dorfbewohner ist vom christlichen Glauben geprägt, vorwiegend vom protestantischen, weil Martin Luther vor einigen hundert Jahren in hiesiger Gastwirtschaft logiert und eine Jungfer zur Mutter gemacht hatte.
Darüber waren die Einwohner so beglückt, dass sie einem Ochsen das Leben nahmen und seine Leiche dem Heiligen Vater im Himmel opferten. Als der im Kirchenraum Aufgebahrte nach drei Tagen zu stinken begann, verlangte der Pfarrer, den Gemeuchelten im Kirchgarten zu bestatten. Der Heilige Vater im Himmel nehme in dieser Woche keine Ochsen entgegen, wusste der Ortsgeistliche zu sagen und leerte einen Kelch Wein auf Gottes Wohl. Einen zweiten goss er auf das Wohl der Gemeinde hinter die Binde, den dritten auf ewigen Frieden für den Ochsen, und den letzten gönnte er seinem eigenen Wohl. Dass er dann volltrunken von der Kanzel fiel, empörte nur die beiden im Dorf verbliebenen Katholiken, die man daraufhin ebenfalls zum Teufel jagte. Die Protestanten duldeten keinen Protest wider ihren Glauben.
Nachdem der Ochse bestattet war, köpften die Gläubigen einen Gänserich, um Gottvater mit diesem zu danken. Damit er an diesem Geschmack finde, gaben sie ihm den Namen Martin.
Seit dieser Zeit speisen die Dorfchristen am jährlich wiederkehrenden Hinrichtungssonntag eine Martinsgans.
Das Urdörfliche des Dorfes Frod hat sich bis in die Gegenwart erhalten. Lediglich die Glaubensvermischung nach dem II. Weltkrieg, hervorgerufen durch Flüchtlinge, Umsiedler und anderes fahrendes Volk, führte zu einem Knick in der Tradition.
Weil heutigentags Katholiken und Protestanten bedenkenlos Ehen miteinander eingehen, aus denen dann Glaubensmischlinge oder gar Nichtgläubige erwachsen, stimmt das nicht nur die 101 jährige Paula Punzel unzufrieden.
Zu ihrem 100. Geburtstag vor einem Jahr hielt sie eine denkwürdige Ansprache, in der sie darauf hinwies, dass sich ihre evangelische Katze Maria noch nie von einem katholischen Kater hatte bekatern lassen. Die Geburtstagsgäste bekundeten nachsichtig Beifall.
Da Frod im Osten Deutschlands liegt, wurde es 1949 Bestandteil der damals gegründeten DDR. Die Einwohner waren aufgefordert, sich darüber zu freuen. Einige taten das, weil sie glaubten, Adolf Hitler kehre an die Spitze des neuen Staates zurück. Die Idioten wussten nicht, dass der längst ein Häufchen Asche war.
Da sich die DDR zum Ziel gesetzt hatte, alle Menschen glücklich zu machen, also auch die Einwohner Frods, erhielt der Bürgermeister den Auftrag, regelmäßig über den Glückszustand der Einwohner zu berichten. Es zeigte sich aber niemand glücklich, weil es der Herr Pfarrer verboten hatte. In seinen Predigten wies er darauf hin, dass nur der ins Jenseits komme, der sich im Diesseits dem Teufel versagt habe. Der Teufel war natürlich der Bürgermeister.
Dem missfielen die fortschrittshemmenden Reden des Pfaffen, weshalb er darüber nachsann, wie er ihn zum Schweigen bringen könnte. Wie sehr er grübelte, es wollte ihm nichts Rechtes einfallen.
Weil aber auch Satan seine Getreuen nicht im Stich lässt, half er dem Dorfschulzen mit einem simplen Trick. Er ließ eines schönen Tages einen weniger schönen Mann ins Dorf kommen, der sich sogleich als glühender Verfechter der neuen Ordnung ausgab. Wie sehr er glühte, sahen die Leute an seiner roten Säufernase.
Um die Eingeborenen für sich einzunehmen, sagte er, dass er in diesem wunderschönen Dorf Wohnung und Arbeit nehmen wolle.
Die Bürger guckten skeptisch. Entweder war der Fremde sehschwach oder bekloppt. Noch nie hatte jemand Frod als wunderschönes Dorf empfunden, weil es das nicht war.
Der Neuling bekam Wohnung beim Bürgermeister. Der hatte nämlich von übergeordneter Stelle die Mitteilung bekommen, dass ein fortschrittlicher Genosse nach Frod kommen werde, um diesen religiösen Saustall auszumisten.
Der Bürgermeister war begeistert. Die Wogen seiner Begeisterung schlugen so hoch, dass er mit dem Fremden, der sich als Bibbi Birkenbisch vorgestellt hatte, zur Begrüßung zwei Flaschen Schnaps aussoff.
Nachdem Beide wieder nüchtern waren, schmiedeten sie einen Plan, wie der christlichen Unterwanderung ein Ende bereitet werden könne.
Bibbi Birkenbisch, ein geschulter Stasi-Spitzel, prahlte, dass er dieses Übel mit Stumpf und Stiel ausrotten werde. Zuvor müsse er aber die typischen Angewohnheiten der Dorfbewohner erkunden. Das gelinge am besten nach Einbruch der Dunkelheit.
So geschah es, dass Bibbi in der nächsten Nacht in ein nicht verschlossenes Haus und in diesem in den Schlafraum eindrang. Aus Stasi-Lehrgängen wusste er, dass manche Menschen im Schlaf sprechen. Stellt man diesen Geschwätzigen Fragen, kann es passieren, dass sie mit der Wahrheit herausrücken..
Der schlafenden Witwe Kokser, die dafür bekannt war, auch im Traum ihr Liebesleben auszuplaudern, stellte Bibbi Birkenbisch zunächst einige unverfängliche Fragen zu ihrem Sexualverhalten. Weil die Stasi aber nicht an Sex, sondern an der politischen Gesinnung interessiert war, wurden Bibbis Fragen konkreter. Witwe Kokser war aber nicht so leicht aus dem Konzept zu bringen. Deshalb murmelte sie: „Komm ins Bett, dann …“
An dieser Stelle brach sie ab. Bibbi legte sich neben sie, um Näheres zu erfahren. Da die Kokser nun in den Tiefschlaf hinüber wechselte und ihr deshalb kein weiteres Wort zu entlocken war, versuchte es Bibbi mit einer gemeinen List. Kaum hatte er der Schlummernden beide Nasenlöcher zugedrückt, fuhr diese mit einem entsetzlichen Röcheln hoch und schlug wild um sich.
Dem Bürgermeister gestand Bibbi am nächsten Morgen, dass Frau Kokser sehr schlagkräftige Argumente bewiesen habe. Bürgermeister Hampel glaubte ihm dass aufs Wort, denn Bibbi hatte frappante Ähnlichkeit mit Jesus Christus, als der ans Kreuz geschlagen wurde.
Der Pfarrer, dem er zufällig begegnete, war des Staunens voll. Er bat Bibbi, in einer Bibelstunde der ‚Jungen Gemeinde’ aus der Heiligen Schrift vorzulesen.
Bibbi folgte dieser Bitte nur zu gern, denn nun konnte er in die Höhle des Löwen vordringen. Dass er vor der Vorlesung verkleidet werden sollte, störte ihn nicht im Geringsten.
Der Pfarrer zog ihm ein Nachthemd über, das er seit Jahren nicht mehr getragen hatte. Von Motten zerfressen und arg zerschlissen glich es dem Leidensgewand des Gottessohnes. Um den Effekt perfekt zu machen, spritzte er rote Tinte auf das Linnen.
Als Bibbi so kostümiert vor die Mädchen und Jungen der ‚Jungen Gemeinde’ hintrat, durchfuhr diese ein heiliger Schauer. Ein sommersprossiges Mädchen rief: „Der Heiland ist unter uns!“ Dann fiel es in Ohnmacht.
Den Herrn Pfarrer freute die Wirkung. Nun würden seine Gottesdienste auch von Gläubigen aus den umliegenden Gemeinden besucht werden. Auch Bibbi freute sich. Nun könnte er die verbohrtesten Christen ausfindig machen und sie der Stasi ans Messer liefern,
Die Gelegenheit wurde noch günstiger, als er vom Pfarrer gefragt wurde, ob er sich für einen Gottesdienst besonderer Art zur Verfügung stellen würde. Das Auftauchen des Gottessohnes hätte die Gläubigen aus Nah und Fern in Euphorie versetzt, die das Wunder mit eigenen Augen sehen wollten. Deshalb habe er zu einem Auferstehungs-Gottesdienst eingeladen. Der Erfolg der Massenpilgerei hänge einzig und allein von Bibbi ab.
Als der von Massen hörte, fiel er dem Gottesmann dankbar um den Hals. Ihm bot sich nun die einmalige Gelegenheit, Heerscharen von Christen in die Fänge der Stasi zu treiben.
Der Pfarrer dämpfte Bibbis Begeisterung mit dem Hinweis, dass der Heiland eine Dornenkrone tragen und ans Kreuz genagelt werden müsse.
„Aber doch nicht echt?“ fragte Bibbi ängstlich.
Der Pfarrer hatte natürlich längst erkannt, weshalb dieser heimtückische Atheist in die Rolle des Jesus Christus schlüpfen wollte.
Auf Bibbis Frage antwortete er deshalb: „Lieber Birkenbisch, nicht anders kann es sein, wenn wir die Schar der Gläubigen noch gläubiger stimmen wollen. Sie kommen zu uns, um zu sehen, welches Wunder geschehen ist. Und nicht nur sie sollen sich wundern, sondern auch Sie, lieber Birkenbisch. Gehe ich Recht in dieser Annahme?“
„Selbstverständlich, Merkwürden, aber ans Kreuz genagelt zu werden, tut doch fürchterlich weh.“
„Völlig schmerzfrei ist diese Prozedur natürlich nicht. Damit aus ihr aber keine Blutvergiftung erwächst, werden rostfreie Nägel verwendet.“
Bibbi bibberte: „Ich könnte aber trotzdem draufgehen.“
Der Pfarrer lächelte, faltete die Hände und schaute fromm gen Himmel: „Nehmen Sie sich ein Beispiel am wahren Heiland. Er ist auferstanden.“
„Wie hat er das nur gemacht? Das gibt’s doch gar nicht. Wahrscheinlich war er scheintot.“
Der Pfarrer schüttelte den Kopf, und Bibbi empfand das als Todesurteil. Urplötzlich verließ ihn aller Mut. Am liebsten hätte er Reißaus genommen. Dann besann er sich aber und dachte an den Ruhm, mit dem er sich bekleckern würde. Vielleicht ließe sich mit dem Pfarrer eine Vereinbarung treffen, nicht richtig sterben zu müssen.
Der Ortsheilige zeigte sich einsichtig und versprach dem Scheinheiligen, ihn am Leben zu lassen. Aber nur unter der Bedingung, dass er nie wieder den Gottesfürchtigen nachspionieren werde. Andernfalls müsste eine Kreuzigung mit allem Drum und Dran vollzogen werden.
Bibbi fiel ein Stein vom Herzen. Hoch und heilig versprach er, das zu befolgen. Dann verschwand er auf Nimmerwiedersehen.
Sei noch gesagt, wie sich der Pfarrer vor den massenhaft erschienen Gläubigen aus der Affäre zog. Er verkündete, dass der Heiland aus wichtigen Termingründen seine erneute Auferstehung auf einen späteren Zeitpunkt verschoben hätte. Damit die Pilger das auch glaubten, hielt der Pfarrer das zerschlissene und rot bekleckste Nachthemd nach oben.
Ein Aufschrei aus allen Kehlen und ein allgemeines Sinken auf die Knie waren die Folge.
Ergo: Doppelter Erfolg für den Ortsgeistlichen. Die Christen hatten ein Glaubenszeichen mehr und die Stasi einen Mitarbeiter weniger.

 

Danke Schreibmaus, dass du ihr etwas abgewonnen hast. Deine kritischen Bemerkungen treffen mich in Einsicht. Es ist in der Tat so, dass sie - die Geschichte - von Anfang bis Ende hinkt. Meinen Einstieg in dieses Forum hätte ich geschickter vornehmen müssen, denn: Der erste Eindruck ist immer der Beste. Leider ist mir ein solcher nicht gelungen. Ich bitte um Nachsicht.
LG Detlef

 

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