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Beziehungsstatus
Meine Güte, du bist vielleicht ein Vollpfosten! Warum spreche ich noch mit dir? Erde an Mond! Wir sind hier nicht unter drei.
Tränen rollen aus ihren Augen. Der Mascara verwischt.
Here comes the sun, möchte der Sänger uns weismachen, aber die Nacht ist noch jung, Blue Moon.
Einzigartige Nacht, denke ich und erinnere mich, im Radio gehört zu haben, dass die nächste erst im Jahr 2015 stattfinden wird. Alter, mahnt mich mein Alter Ego mit Stirnrunzeln, bei Tessa zu bleiben, ihr zuzuhören.
Tessa weint ungeniert. Mit glasigen Augen mustert sie mich, den Vollpfosten, wankt, als sie den Arm hebt, um mir eine zu schmieren. Meine rechte Wange brennt. Mehr Zorn ist nicht. Ihre Worte kleben dafür an der linken.
Altmodisch. Was für ein Wort. Das bin ich nicht. Ganz bestimmt nicht. Vielleicht ein bisschen anders. Ein Dreieck. Während andere rund sind. Tessa ist betrunken. Ich habe drei Hugos gezählt. Sie hat gequietscht, als ich versucht habe, sie zu küssen. Mädchen quietschen, wenn Clueso sie auf facebook added. Frauen, wenn sie heulen. Die Tränen passen nicht zu ihrem hübschen Gesicht. Nein. Keine Weinschönheit. Sollte ich es ihr sagen? Stirnrunzeln. Alter Ego: jetzt nicht. Vielleicht später eine Glosse dazu schreiben.
Schließlich volontierte Tessa zur Zeit bei der Revision.
Sie würde es irgendwann lesen und könnte mir dann keinen direkten Bezug mehr vorwerfen, fügt das Alter Ego überzeugend hinzu.
Die Stadt brüllt unter dem Blue Moon. Der Sänger einer kleinen Band, versucht sein Publikum zu erreichen, indem er das Papier eines Strohhalmes über das Mikrofon pustet und zu den Klängen eines Pianos etwas schnalzt. Ich sehe seine Zähne und die Art, wie er den Mund aufreißt, lässt mich erschließen, wie tiefgründig sein Lied sein muss.
Moll Dreiklang.
Tessas Mundwinkel hängen herab, sie schiebt die Unterlippe vor und verschränkt die Arme vor dem Busen. Ihre Freundin wirft mit Händen Worte um sich. Sie sind wie Geschosse. Keines davon trifft mich. Ich bin nur ein verfehltes Ziel, ahne ich, denn der Hugo zwickt die Coke zum Burger in meinem Bauch. Daher drehe ich den Zipfel meines Hemdes, das lose aus der Hose hängt, zu einer Rolle zusammen. Als die Rolle sich fest um meinen Finger gewickelt hat, fällt mir ein, ich trage das Hemd lieber in der Hose, doch Tessa mag es lieber, wenn ich es drüber trage. Mein anderes Ich schweigt. Sein Name ist Herrmann.
Was soll ich denn dazu sagen?, frage ich Herrmann. Ich habe ihr doch drei rote Rosen geschenkt. Unmittelbar nachdem sie sich via Facebook beschwert hat, dass ich nach unserem ersten Date meinen Beziehungsstatus nicht wie sie von Single in „In einer Beziehung" sondern in „es ist kompliziert“ geändert habe.
Mein andres Ich gibt auf und seine Umrisse verwischen sich wie Wasser auf einem Aquarellbild. Ein schmutziger Fleck bleibt trotzdem. Wie das verblassende Grafitti an der halbhohen Mauer, die den Biergarten umfasst. Die Bardame stöckelt von Tisch zu Tisch, bleibt trotz der prallen Brüste über der Korsage alt und runzelig und der Sänger der kleinen Band rubbelt über die Tasten seines Pianos in c-e-gis, als die LCD Anzeige meiner Armbanduhr von 22:02 auf 22:03 Uhr wechselt.Tessa bemerkt meinen Blick und schüttelt ihren Kopf. Ich traue mir zu, sie zu besänftigen und spitze die Lippen zu einem Luftkuss. Mehr Zärtlichkeit empfinde ich nicht.
Die U 3 rauscht über die Brücke. Ich spanne meine Bauchmuskeln an.
Drei Stufen auf einmal laufe ich die Treppen hoch, lasse mich in die orangene Sitzschale fallen, bemerke, meine Magenschmerzen verschwinden mit dem Zischen der Automatiktür. Drei Stationen weiter fiept mein Smartphone. Tessa ist Single!, Echt jetzt schon!, Knallsack !, steht da zu lesen und ich sehe zu, wie schnell drei meiner Finger Tessa, die schmollmundige Volontärin, aus meiner Freundschaftsliste löschen können.
Der Blue Moon fliegt hoch am Himmel vorbei. Dann und wann versteckt er sich hinter den Fassaden der Stadt und ich kann mein Gesicht als fahles Oval im Spiegelbild der Fensterscheibe sehen. Der Mond ist allein mit sich und wird es auch im Jahr 2015 sein, sagt Herrmann in die Stille hinein. Ich stopfe das Hemd in die Hose, atme tief durch, lege meine Stirn in Falten und lächele ihn an. Es sieht kompliziert aus, sagt Herrmann noch, bevor der Mond ihn verwischt.