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Beziehungs-Weise

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30.10.2013
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Beziehungs-Weise

- Ein Tag wie jeder -

Der Abspann des Sonntagabendfilms flimmert über den Bildschirm. Tom gähnt und streckt sich.
„Ich geh‘ jetzt Zähne putzen“, sagt er, „würd‘ mich freuen, wenn Du mich joinen würdest.“
Der Satz sickert durch meinen Kopf. Was hat er da gerade gesagt?
„Was hast Du grade gesagt?“
„Würd‘ mich freu‘n, wenn Du mich joinen würdest.“
In meinem Hirn rattert's. „Warum soll ich Dich Joy nenn‘n?“, frage ich ihn betont langsam und deutlich.
Nun schaut er mich mit fragendem Blick an. „Du willst mich Joy nenn‘n?“
„Du hast doch grad gesagt, du würdest Dich freu‘n, wenn ich Dich Joy nenn‘n würde!?“
Gelächter bricht aus. Viel eher bricht er in Gelächter aus, bis ich plötzlich auch verstehe und wir beide Tränen lachen.

Das macht er immer. Er liebt es, Worte neu zu erfinden. Er schafft es, sie bis zur Unkenntlichkeit so zu verändern, dass andere ihn für einen Wort-Legastheniker halten, der nicht einmal im Ansatz die deutsche Sprache zu beherrschen scheint.

Als ich endlich fertig bin im Bad, liegt Tom schon im Bett und döst. Ich brauche immer länger als er. Ein Pickelchen hier, ein Pickelchen dort, nochmal Pippi, Nägel schneiden, Cellulite betrachten und sich darüber ärgern.
Ich setze mich auf die Bettkante und ziehe mir die Socken aus. Oskar, unser Kater, beobachtet mich bei meiner alltäglichen Prozedur, als würde es, abgesehen von einem laufenden Wasserhahn, nichts Spannenderes auf der Welt geben.

Kaputt lasse ich mich rückwärts aufs Bett fallen und kuschle mich - und vor allem meine Füße - in die Decke ein. Sie hängen jeden Abend eisblockartig an meinen Beinen, als würden sie nicht mehr zu mir gehören. Ein Phänomen, das viele Frauen begleitet. Endlich, denke ich bei mir. Der Kater schmeißt sich mit der Eleganz eines Nilpferdes auf meinen Bauch und schnurrt wie ein Brummkreisel. Ich bin mir manchmal nicht sicher, ob er sich seiner Herkunft und Tierart bewusst ist. Ob er wohl weiß, dass er eine Katze ist?
Die Schlafzimmertür steht offen. Die Zeitschaltuhr des Flurlichtes legt alles in Dunkelheit.
Alles? Genervt fällt mein Blick auf die Tür des Heizungsraumes. Ihr Spalt wirft Licht auf den Laminatboden im Flur.
„Schatz!", quengel ich und hole durch die Nase Luft, "stört es Dich, wenn ich das Licht im Heizungsraum jetzt ausstelle?“ Die vorwurfsvolle Ironie in meiner Stimme ist unverkennbar. Oder?
„Ja. Machst Du bitte das Licht aus?“, nuschelt er, „ich hab‘s ja schließlich schon angemacht!“
Und damit dreht er seinen Kopf, gräbt ihn ins Kissen und schläft weiter.

Willkommen in meiner Welt.
Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Karla, Mittdreißigerin, kinderlos, ledig, berufstätig, aber stolze Besitzerin zweier Katzen und eines hochgewachsenen Franken.
Ich habe - abgesehen von etlichen Wollmäusen und dem ein oder anderen Silberfischchen - drei Mitbewohner: Hexe, Oskar und Tom.
Tom ist zuerst bei mir eingezogen. Ihm folgte Hexe, unsere erste gemeinsame Katze. Zu guter Letzt vervollständigte Oskar unsere WG, ein kleiner Kater.

***​

Ich habe Tom über eine der zahlreichen Singlebörsen im Internet kennen gelernt. Er mit dem Nicknamen „kino_freak“, ich mit „Diätunterbrecher“. Wir haben ein paar Tage lang Mails und SMS‘ hin und her geschrieben und stundenlange Telefonate geführt, bis wir uns schließlich spontan zu einem Treffen entschieden. Ein Sonntagabend, Mitte März. Ich schlug einen See in meiner Nähe vor. Auf dem Weg dorthin telefonierte ich mit meiner Freundin.

„Ja, echt. Wir treffen uns jetzt!“ Ich verspürte ein Kribbeln in meinem Bauch.
„Und wo?“
„Am Blauen See.“
„Was? Wo?“, Caro war entsetzt, „es is‘ arschdunkel und da gibt‘s keine Laternen, das kannste doch nich‘ machen. Was, wenn der dich verschleppt oder so? Sei bloß vorsichtig.“
Ich hielt es für eine romantische Idee – bis zu diesem Zeitpunkt. Ich kam ins Grübeln.
„Meinste? Hab mir da gar keine Gedanken drüber gemacht.“
„Nee. Echt ma'. Trefft euch doch lieber inner Stadt, wo vielleicht auch‘n paar Leute sind oder so. Wer weiß, was das für Einer is‘. Du kennst ihn doch gar nich‘.“
Ich musste schmunzeln. Da war sie wieder, meine übervorsichtige Freundin. Aber ich lenkte ein und wir überlegten uns einen neuen Treffpunkt. Dann gab ich Tom schnell per SMS Bescheid. Es stellte gar kein Problem für ihn dar, insgeheim war er sogar erleichtert – aber mehr dazu später.

Das machten Caro und ich immer so: Wenn ein Date mit einem dieser Typen aus dem Internet anstand, gab ich alle Infos, die ich über ihn hatte, an sie weiter, besprach mit ihr Ort und Zeit, und wir vereinbarten, dass sie alles in die Wege leiten und einen Suchtrupp losschicken würde, wenn ich nicht wiederkäme. Wir witzelten darüber in einer Albernheit, die es nur zwischen zwei Freundinnen geben kann. Dennoch fühlten wir uns so sicherer.

Wir trafen uns auf dem Parkplatz einer Kleinstadt. Tom stieg aus. Eine witzige Kombi, dachte ich: Jeans, Chucks, ein weißer sportlicher Kapuzenpullover und ein langer schwarzer, sogar richtig schicker Boss-Mantel. Dass er sich in diesem Outfit aus einem Porsche pellte, fiel mir überhaupt nicht auf. Ich war in erster Linie erleichtert, dass er keinen bayrischen Bierbauch vor sich her schob.
Das ist das Fatale mit Internet-Bekanntschaften, da glaubt man beim ersten Treffen nicht selten, der vom Profilbild sei eine andere Person. Das ist eine Erfahrung, auf die ich gut und gerne hätte verzichten können. Aber dieses Mal war es anders. Zwar glich Tom nicht exakt den Fotos, aber seine Grübchen waren – oder vielmehr sind – unverkennbar. Ich wurde magisch von seinem charmanten Lächeln angezogen. Sympathie vom ersten Augenblick an. Nicht mal seine Brille störte mich. Es war nämlich mein erstes Date mit einem Brillenträger.
Wir begrüßten uns mit einer flüchtigen Umarmung und marschierten ohne Ziel drauf los. Die Stadt schlief. Ein paar Reklameschilder und die ein oder andere Straßenlaterne legten die Innenstadt in gedämpftes Licht. Hier und da einzelne Passanten. In einer Bar saßen sogar noch zwei Gäste. Die Nebengassen waren gänzlich dunkel. Aber ich hatte keine Angst. Ich fühlte mich nicht unbehaglich – allein, mit diesem fast zwei Meter großen unbekannten Mann an meiner Seite.
Ihm ging es da ganz anders, wie sich hinterher herausstellte. Als ich ihm damals vorschlug, wir könnten uns an einem See treffen - abends, im Dunkeln, im März -, da wurde ihm ganz anders. Folgendes Szenario spielte sich in seinem Kopfkino ab: Wie er aussteigt, mich nur schemenhaft von weitem wahrnimmt, plötzlich Männer aus dem Dunkel auf ihn zu schießen, ihn überwältigen, ausrauben, windelweich prügeln und mit mir und seinem Auto davon brausen. Ade, Karla. Ade, Porsche. Ade, Brille. Da spielte sich ein ganzer Krimi in seinem Köpfchen ab.
Drei große Brüder hätte ich ja zu bieten, aber an der Kriminalitätsbereitschaft müssten sie noch arbeiten, um solchen Vorstellungen gerecht werden zu können. Seither betitelt er meine Familie als Mafia-Bande.

Wie dem auch sei - eine Woche später folgte der erste Kuss, zwei Wochen später der erste gemeinsame Urlaub, sechs Monate später eine gemeinsame Wohnung und nach sieben Monaten Hexe.

***​

Es ist Montagmorgen, halb sechs. Es vergeht kein Tag, an dem ich diesen verfickten Wecker nicht verfluche.
Oskar turnt über unsere Körper, versucht, meine Haare zu fressen und geht auf Fußjagd. Tom ist genervt. „Jetzt reicht’s, Kollege Stinkfurz!“, zischt er Oskar an und reißt seine Füße hoch, um den Kater aus dem Bett zu katapultieren.

Stinkfurz, Scheißer, Krümel, Purzel, Eimer, Pepples, Monster. Oskar hat viele Namen und es werden beinahe täglich mehr; da ist Tom genauso erfinderisch wie im Worte-neu-erschaffen. Er benutzt auch gerne Synonyme, am liebsten „Dings“, das Universal-Synonym. Dann müssen seine Zuhörer kreativ werden, um seine Sätze mit Sinn zu füllen. „Dings“ setzt Tom für alles und jeden ein, egal in welchem Zusammenhang.

Ich stelle den Wecker um fünf Minuten weiter. Ich brauche das morgens. Es ist toll, dem Weckton innerlich den Stinkefinger zu zeigen und weiter zu schlummern. Der große Franke neben mir stöhnt. Ich zwinkere und versuche, meine Augen mehr als nur einen Schlitz offen zu halten. Er drückt auf sämtliche Körperstellen. Offensichtlich tun sie ihm weh.
„Was machst Du da?“
„Ich habe überall blaue Flecken vom Spiel gestern.“
„Und warum drückst Du dann drauf rum?“
„Ich lokalisitiere.“
Typisch Mann, denke ich. Typisch Tom. Auf dem Basketball-Feld den Helden spielen und zu Hause den „wehleidigen Zubemitleidenden“. Ich muss schmunzeln.

Er ist einer der witzigsten und schlagfertigsten Menschen, die ich kenne. Ich bin mir nicht mal sicher, ob er sich dessen bewusst ist. Wenn wir uns streiten, schaffe ich es in der Regel nicht, ihm länger als zehn Minuten böse zu sein – selbst dann nicht, wenn ich es will. Sein Humor hat mich von Anfang an überzeugt und bestochen. Das rollende „R“, das seinem Dialekt erhalten blieb, tut ein Übriges. Manchmal klingt er dadurch wie ein Italiener, der seinen italienischen Dialekt zu unterdrücken versucht.

Tom steht auf, während ich noch eine Runde mit dem Kater schmuse.
Nach fünf Minuten kommt er zurück.
„Ich hab‘ jetzt mal sportswear für die Trikots genommen.“
Ah, er war wohl schon im Internet, denke ich mir.
„Nur neununddreißig Minuten bei 800 geschwuppelt am Ende.“
Ich werde stutzig. Wovon zum Teufel spricht er eigentlich? „Kannst du mal in ganzen Sätzen reden?“
„Na, die Waschmaschine.“
Es rattert förmlich in meinem Kopf. „Ah… du meinst geschleudert?“
„Nein. Geschwuppelt.“
„Das Wort gibt’s doch gar nich‘!“
„Doch, im Fachjargon heißt das so.“
„Is‘ klar.“
„Echt. Das wissen aber nur die Leute, die da arbeiten.“
„Und woher weißt du das dann?“
„Ich hab‘ meine Leute…“, betont er hochwichtig und macht sich auf den Weg ins Bad. Ich folge ihm und mir der Kater. Hexe ist inzwischen auch aufgewacht. Sie hat ihren Schlafplatz im Gästezimmer. Sie ist sozusagen aus dem Rest der Wohnung ausgezogen. Seit Oskar zu unserer kleinen Familie zählt, wird sie ihrem Namen in aller Form gerecht. Sie frisst und schläft in unserer Wohnung, geht aber ansonsten ihrer Wege und macht draußen die Nachbarschaft unsicher. Gelegentlich liegt sie auch bei unserm Nachbarn im Bett oder auf dem Sofa meiner Eltern, wenn diese ihre Haustür offen stehen lassen. Sie ist uns, insbesondere mir, gegenüber ziemlich mies gelaunt, was sich durch Fauchen, Knurren und manchmal sogar Schläge mit ausgefahrenen Krallen bemerkbar macht. Seither ist mir der Begriff „die Krallen ausfahren“ noch viel deutlicher geworden.

In meiner Nase kribbelt es. Sofort suche ich Licht. Irgendeins. Ich starre in die Lampe überm Badspiegel. Das Kribbeln wird stärker und dann – lautes Niesen beendet dieses Kitzelgefühl.
Bis vor kurzem habe ich gedacht, dass es ganz normal sei; dass ein Blick ins Licht jedem hilft, zu niesen, wenn die Nase kribbelt. Ich war sogar fest davon überzeugt – bis ich auf Leute stieß, die mich fragend und witzelnd dabei beobachteten und überhaupt nicht verstanden, was ich da tat. Meine kleine Welt geriet für einen kurzen Moment aus den Fugen. Wie konnte ich glauben, ich sei normal?
„Gesundheit!“, stammelt Tom mit der Zahnbürste im Mund.
„Danke!“ sage ich und verschwinde in der Dusche.
Oskar hängt währenddessen am Wasserhahn in der Badewanne und stillt seinen Durst. Hexe sitzt, vor sich hin knurrend und murmelnd, vor der Badezimmertür und wartet auf ihr Frühstück.
Als ich aus der Dusche komme, steht bereits ein Kaffee für mich auf der Heizung. Diesen Luxus genieße ich fast jeden Morgen. Gelegentlich stecken zwei Löffel in meiner Tasse, aber ich habe aufgegeben, solche Dinge zu hinterfragen. Ich denke, das ist einer der Gründe, warum wir so gut zusammenpassen –konfuse Chaoten.

„Kannst du nachher dings kaufen?“, fragt Tom.
Dings?“
„Du weißt schon…“
„Nein, mein Schatz, auch dieses Mal weiß ich nicht, was du mit dings meinst.“
„Na, Katzenstreu.“
Diese Art der Dialoge sind bei uns Alltag.
Tom dreht sich in Richtung Waschküche und ist im Begriff, zu gehen.
„Ähm, kannst du das bitte mit in den Müll nehmen?“ Ich drücke ihm eine leere Shampoo-Packung in die Hand.
„Aber der ist doch voll!“, entgegnet er mir frech – ganz nach dem Motto: das passt nicht mehr, wechsle mal erst den Beutel und mach‘s dann selber! Um Ausreden ist er nie verlegen.

***​

Neun Uhr dreißig. Meine Kollegin und ich setzen uns ins Auto, um einen Außentermin anzusteuern. Wir unterstützen Kindertagesstätten bei der Gesundheitsförderung der Kinder und deren Eltern. Die Fahrt wird etwa eine halbe Stunde dauern. Kurz vorm Ziel stehen wir vor einer roten Ampel. Eine alte Dame kommt auf uns zu gestürmt und fuchtelt wild mit den Armen. Meine Kollegin fährt die Fensterscheibe runter. Die alte Dame brüllt beinahe, sie ist völlig außer sich.
„Verfolgen Sie den Mann!“ Hysterisch deutet sie auf einen jungen Mann auf der gegenüberliegenden Straßenseite. „Der Mann hat eine Bank überfallen! Verfolgen Sie den Mann!“
Ratlos blicken wir uns an. Die Ampel schaltet auf grün. Wir müssen weiter fahren. Na toll. Der Mann biegt rechts in eine Straße. Er rennt nicht, er schlendert viel eher. Seine Hände sind in die Hosentaschen vergraben. Immer wieder abwechselnd fragen wir uns, was wir tun sollen. Wie ernst kann man diese Dame nehmen? Ist sie dement? Hat sie Wahnvorstellungen? Oder sollte sie etwa tatsächlich Recht haben?
Im Bruchteil einer Sekunde müssen wir uns entscheiden. Wir schauen uns um und biegen in die Straße ab, in der der vermeintliche Bankräuber seinen Fluchtweg fortsetzt.
Wo ist die Kamera? Das ist doch bestimmt „Verstehen Sie Spaß?“ oder so. Oder eine Reportage, in der Passanten getestet werden, wie es um ihre Zivilcourage steht. Aber wir können kein Kamera-Team entdecken. Wir sehen auch niemanden, der eine Verfolgung aufnimmt.
Ich sitze am Steuer und lenke das Auto an ihm vorbei.
„Schau ihn nicht an!“, sage ich beinahe barsch zu meiner Kollegin. Ich habe nun plötzlich weiche Knie. Es ist unerklärlich, aber: wir lachen die ganze Zeit. Verzweiflung. Ratlosigkeit. Schließlich biege ich in eine Einfahrt und stelle den Motor aus. Der junge Mann, höchstens Anfang zwanzig, passiert unser Auto und geht unauffällig weiter. Er dreht sich nicht um, schaut nicht rechts, nicht links.
„Scheiße! Was machen wir denn jetzt?“ Ich nehme einen merkwürdigen Schauer in mir wahr.
Ich steige aus und rufe die Polizei an. Ich stammele.
„Ähm, ja hallo, Karla Friebe mein Name. Mir ist da gerade eine ganz schräge Geschichte passiert und ich weiß nicht, wie ernst ich die nehmen soll.“
Ich brabbele einfach drauf los. Die Polizistin am anderen Ende versucht, meine Sätze zu sortieren und fragt mich, wo ich sei. Ich renne ein kleines Stück, um ein Straßenschild zu finden und gebe ihr den Namen durch. In meiner Nervosität rede ich unaufhörlich.
Die Polizistin sagt: „Stopp!“
Ich verstehe aber „Ort“ und sage: „Burgdorf.“
Wieder: „Stopp!“
„Burgdorf.“
„Stopp!“
„Burgdorf.“ So langsam frage ich mich, ob ich derart undeutlich spreche, dass sie ständig nachfragen muss.
Nun brüllt sie fast: „Sie müssen auch mal aufhören zu reden, wenn ich STOPP! sage und mir zuhören!“
Ich merke, wie mir die Röte ins Gesicht steigt. Zum Glück ist hier niemand, der mich beobachtet, denke ich.
Meine Kollegin ist mit Krücken unterwegs, seit sie sich vor sechs Wochen ein Bein brach, und wartet deshalb im Auto auf mich.
Ich weiß immer noch nicht, wie es weiter geht, ob ich wirklich die Verfolgung eines Bankräubers aufgenommen habe. Die Straße verläuft in einem leichten Knick, hinter dem der junge Mann verschwindet.
„Folgen Sie dem Mann“, dringt die Stimme durch mein Handy.
Insgeheim denke ich: „Geht’s noch? Wer weiß, ob das überhaupt ein Bankräuber is‘!? Und wenn… was, wenn der mich sieht?“
Dann aber die entscheidende Info: „Der Fall ist hier bereits gemeldet und wird bearbeitet.“
Ich glaub es nicht. Die Alte hat doch tatsächlich die Wahrheit gesagt. Ohne nachzudenken, renne ich los, bis zum Straßenknick. Aber hier ist niemand zu sehen. Er ist verschwunden. Ich renne weiter. Vorbei an ein paar Stichstraßen. Hier müsste er zeitlich abgebogen sein, geht es mir durch den Kopf. Die Polizistin begleitet mich die ganze Zeit am Handy. Ich biege ab und sehe ein paar Männer vor einem Haus stehen. Ich bin völlig außer Atem.
„Entschuldigung“, meine Worte überschlagen sich, „haben Sie einen jungen Mann hier lang gehen sehen? Blonde Haare, kinnlang, schwarze Kleidung, sehr dünn…“.
„Ja“, antwortet einer von ihnen, „er ist gerade hier rein gegangen.“ Er deutet auf eine Hofeinfahrt. Ein zweiter Mann geht einen Schritt auf mich zu: „Was ist passiert? Ich bin Polizist!“

***​

Siebzehn Uhr.
„Ein Tag wie jeder“, versuche ich mir einzureden. Nachdem der Polizist, der dort eine Brandschutzermittlung durchführte, das Telefonat mit der Notruf-Zentrale an meinem Handy übernahm, ging alles ganz schnell. Überall Polizei-Fahrzeuge, ein Hubschrauber, Hunde. Das volle Programm. Aber der Täter wurde nicht geschnappt. Ich kann immer noch nicht fassen, dass mir so was außerhalb einer Fernsehsendung passiert.
Zu allem Überfluss ist heute auch noch „Halloween“. Himmel, wird da heute ein Rummel drum gemacht! Das hat es in meiner Kindheit nicht gegeben. Tom hat aber gut vorgesorgt und ein paar Süßigkeiten eingekauft. Er liebt Kinder.
Es klingelt und ich öffne die Haustür. „Süßes oder Saures!!!“, brüllt’s mir entgegen.
Grusel-Gesichter blicken mich an. Schaurige Kostüme umhüllen die kleinen Monster, die sie als echte Monstergestalten erscheinen lassen. Sie bedanken sich höflich für die Süßigkeiten und verschwinden.
Wieder klingelt es. Ich öffne. „Süßes oder Saures!!!“, rufen die Kinder. Innerlich verfinstert sich meine Miene. Diese Kinder kenne ich. Es sind fünf Geschwister unterschiedlichen Alters, die stets im Rudel auftreten. Dagegen ist ja grundsätzlich nichts einzuwenden, aber diese Kinder, so denke ich, sind einer der Gründe, warum ich mir noch reichlich überlege, selbst welche in die Welt zu setzen. Sie pöbeln meine Nichte vor der Schule an, lungern in Supermärkten rum, streunen durch die Straßen. Faszinierend ist, dass ein Kind dem anderen gleicht. Sie sind Klone ihrer selbst, als würde sich diese Familie „Inzest“ auf die Fahne schreiben. Ich weiß ja, dass sie im Grunde nichts für ihren Lebensstil können, aber ich kann mich nicht gegen diese Abneigung wehren. Völlig ungeschminkt und kostümlos stehen sie da und schauen mich erwartungsvoll an.
„Verdammt, seid Ihr gut verkleidet, ich habe mich richtig erschrocken!“, liegt es mir auf der Zunge. Aber ich kann es mir gerade noch verkneifen. Sie hätten es eh nicht gecheckt. Also lächle ich allein, in mich hinein, und weise sie noch darauf hin, dass man an Halloween Kostüme tragen sollte. Sie grabschen in den Süßigkeiten-Korb und ziehen von dannen.

Tom kommt nach Hause. Er gibt mir einen Kuss, dreht mich zur Seite, schleudert meinen Oberkörper nach hinten, küsst mich erneut und trällert: „Hollywood-Kiss!“ Sein Grinsen reicht bis zum Mond. „Meine Heldin!“, fügt er noch hinzu.
Natürlich haben wir heute schon telefoniert. Ich musste ihm sofort von meinem Abenteuer berichten.

Wir stehen in unserer nagelneuen Küche. Sein Blick fällt auf die Wand neben dem Ofen.
„Schade, dass wir dort nicht auch Steckdosen eingebaut haben“, sagt er.
Ungläubig starre ich auf die Wand. Fragezeichen ziehen an mir vorbei. Nun fällt es mir auch auf. Im Fliesenspiegel sind keine Löcher neben dem Backofen.
„Aber…“, stammele ich, „dort waren ganz sicher Steckdosen eingezeichnet, bevor ihr den Fliesenspiegel gemacht habt.“
Wir schauen uns an. Eine Mischung aus Ärger und Schmunzeln überkommt mich. Ich schüttele den Kopf. Nicht aufregen, sage ich mir.
„Nicht schön, aber mit Liebe von deinem Papa und mir“, lautete die SMS, die er mir mit Bildanhang ins Büro schickte, als sie stolz das Anbringen des Fliesenspiegels beendeten. Das schwirrt mir im Kopf herum. Und es ist niemandem aufgefallen, dass die Löcher hinter den Fliesen verschwanden.
Tom klopft die Wand ab. Und tatsächlich, hier klingt es hohl.
„Wenn Männer ihres Amtes walten“, feixe ich.
Er ruft sofort meinen Vater an, der über uns wohnt, und die beiden machen sich umgehend daran, das Versäumte nachzuholen. Der Bohrer durchdringt die Fliesen kreischend, und nochmal, um dann festzustellen, dass sie zu weit rechts gebohrt haben. Ich kann es nicht fassen. Oder doch? Eigentlich erschüttert mich nichts mehr.
„Hm“, sagt Tom, „dann machen wir halt ‘ne Dreifachabdeckung drauf. Aus dem dritten machen wir ‘nen Danger-Button.“ Er ist und bleibt unverbesserlich.

***​

Einundzwanzig Uhr.
Endlich liegen wir auf dem Sofa. Ich erkundige mich nach dem Bootsregal, das er ohne mein Wissen bestellt hat. Er druckst rum.
„Ähm… ja, also, ich hab‘s gar nicht bestellt. Ich wollt nur mal wissen, wie deine Reaktion is‘, wenn ich‘s bestellen würde – also, ob du dich freu‘n würdest.“
So ein kleiner Gauner. Ich tue bewusst empört: „Du bist ein Lügner!“
„Nein. Ich bin kein Lügner!“
„Wie würdest du‘s denn sonst nennen? Natürlich bist du‘n Lügner! Du hast mich angelogen!“ Ich spiele fassungslos.
„Hm, ich würde es nicht Lüge nennen. Ich zaubere.“
„Du zauberst???“
„Ja. Ich erzeuge Illusionen in deinem Kopf.“

Es läuft eine seiner Lieblings-Sendungen im Fernseher. „Frauentausch“ und sämtliche Kochsendungen zählen dazu. Wir liegen ineinander verkeilt. Er zieht mein rechtes Bein nach links, das linke schiebt er zwischen seine Beine. Er zupft hier, zupft da, schiebt mich wie eine Gummipuppe in ständig andere Positionen.
„Was machst Du denn da?“ frage ich ihn, langsam der Ungeduld verfallend.
„Ich versuche, dich bequem zu machen“, bekomme ich zur Antwort.
Er verdient sich damit einen Klaps auf den Kopf. „Was hast du eigentlich für Samstag geplant?“
„Ich werd‘ den Porsche auf Hochglanz bringen.“ Seine Augen glänzen, als hätte er mit der Politur dort schon angefangen.
„Ach, schade. Ich dachte, wir könnten Shoppen gehen oder so!? Aber verstehe schon…“, werfe ich ihm mit einem liebevollen Augenzwinkern vor, „das Auto ist wohl wichtiger als ich…“.
„Naja“, sagt er, „das Auto habe ich quasi immer, Du(!) musst ja zwischendurch arbeiten und einkaufen gehen…“.
Was hatte ich anderes erwartet?

Wir wechseln vom Sofa ins Bad, vom Bad ins Bett. Heute habe ich mich beeilt, damit wir gemeinsam ins Bett gehen können, oder vielmehr gleichzeitig. Trotzdem:. binnen Sekunden schlummert er weg. Ich beneide ihn darum. Ich wünschte, ich könnte das auch. Er beginnt, leicht zu schnarchen, beziehungsweise zu schnorcheln.
„Ey, du schnarchst!“ Ich ruckele an seinem Arm.
„Ja.“ Tom erschrickt. „Aber anders kann ich nicht so schön einschlafen.“ Er liegt mir zugewandt, seine rechte Hand unter mein Kopfkissen geschoben, seine linke angewinkelt an seinem Körper.
„Du hast noch gar nicht Gute Nacht gesagt.“ Er weiß, dass mir das immer sehr wichtig ist. Ich kenne selber nicht den Grund dafür, aber es ist mir wichtig, sich sozusagen voneinander in die Nacht zu verabschieden.
„Ja“, sagt er, „weil… ich spontan eingeschlafen bin.“
Als würde er das nicht jeden Abend, sobald er in die Waagerechte kommt, denke ich. Er gibt mir einen Kuss und schläft weiter.
Ich liebe ihn, geht es mir durch den Kopf, beziehungsweise unsere Beziehungs-Weise.
Gute Nacht!

 

Hallo liebe „KG-Mitwirkende“!

Puh, ich ziehe echt meinen Hut vor Euch: Ihr kommentiert, gebt Ratschläge, korrigiert, beantwortet PM und beinahe beiläufig haut Ihr eine Geschichte nach der anderen raus. Wie macht Ihr das nur? Mal abgesehen vom Zeitaufwand, ist das – bei allem Spaß, den man dabei hat – auch ziemlich anstrengend.
ICH kann nur immer nur eins – entweder oder.

Hier nun also meine zweite Geschichte. Eine eher „leichte“ zwischen all den tiefsinnigen, die ich hier zuhauf gelesen habe. Wahnsinns-Geschichten, muss ich sagen. Ich bin tief beeindruckt.

Ich habe beschlossen, mir ein Diktiergerät zuzulegen, sollte ich weitere Geschichten schreiben. ;)
Ab morgen habe ich dann auch wieder Zeit, meinen lieben Antwortenden zurückzuantworten.

Viel Spaß beim Lesen. :)

Meraviglia

 

Meraviglia schrieb:
… und beinahe beiläufig haut Ihr eine Geschichte nach der anderen raus.

Machst du Witze, Meraviglia?

Ich habe meine späte Mittagspause genutzt und in deine Geschichte hineingeschnuppert. Also mich hat’s da sofort hineingezogen, fertiglesen allerdings kann ich sie frühestens heute Nacht.
Aber was ich bis jetzt gelesen habe, hat mir wirklich gut gefallen, und das will ich dir jetzt ganz einfach und ganz schnell noch sagen, bevor ich wieder im Bergwerk verschwinde.
Sehr amüsant, sehr stilsicher, sehr abwechslungsreich geschrieben. Witzige kleine Details und Beobachtungen, ironischer und gleichzeitig liebevoller Umgang mit den Figuren, und last but not least, perfekte Orthografie. Der erste Eindruck ist auf jeden Fall vielversprechend, auch wenn es jetzt nur konfliktfreie Unterhaltungslektüre sein sollte.
Ich freu mich echt aufs Weiterlesen.

offshore

PS
Ich finde es übrigens toll, wie sehr du dich als Neuling im Forum engagierst,

 

DANKE, Mr. offshore!!!

Auch wenn Du noch nicht die ganze Geschichte beurteilen kannst, so freue ich mich auch über dieses "kurze" Feedback wahnsinnig!!!
Erwähnte ich, wie nah ich am Wasser gebaut bin? :Pfeif:

PS
Ich finde es übrigens toll, wie sehr du dich als Neuling im Forum engagierst,

Auch dafür lieben Dank. Nur wie gesagt... ich kann nur "entweder oder": entweder ich übe mich im Schreiben eigener Geschichten oder ich kann kommentieren. Ich brauche so ewig lange, habe ich festgestellt. Ich sach' ja: Diktiergerät - die Lösung. :D

Machst du Witze, Meraviglia?

Ähm... nö. :hmm: (Ich liebe diese Smileys!!!)
So scheint es ja nur. Also... so kommt es mir vor... Weil: ich hätte schon zu so vielen Geschichten etwas zu sagen und so viele würde ich gern noch lesen, aber meine Augen werden bald eckig und ich kann gar nicht so viel schreiben, wie ich denke.

Egal. ;) Das rennt ja nicht weg, ich taste mich Stück für Stück heran.

 

Hallo liebe Meraviglia,

ich bin auch noch neu hier und habe noch nicht viele Geschichten zu Ende gelesen oder überhaupt kommentiert (war also noch nicht ganz so fleißig wie du), aber bei deiner Geschichte bin ich heute einfach hängen geblieben und konnte die einfach nicht unkommentiert lassen.
Ich denke, es liegt an deinem lockeren, lässigen, sarkastischen und sehr sympathischen Schreibstil, der mich so angesprochen hat, dass ich gar nicht mehr aufhören konnte. Ich weiß, sympathisch ist, naja, nicht gerade das, was man von jemandem hören möchte, aber fass es in diesem Fall bitte unbedingt als Kompliment auf. Hier ein paar Stellen, die mir besonders gut gefallen haben:

Als ich endlich fertig bin im Bad, liegt Tom schon im Bett und döst. Ich brauche immer länger als er. Ein Pickelchen hier, ein Pickelchen dort, nochmal Pippi, Nägel schneiden, Cellulite betrachten und sich darüber ärgern.

Hihi, kommt mir irgendwie bekannt vor. :D

Kaputt lasse ich mich rückwärts aufs Bett fallen und kuschle mich - und vor allem meine Füße - in die Decke ein. Sie hängen jeden Abend eisblockartig an meinen Beinen, als würden sie nicht mehr zu mir gehören.

Sag mal, ist das eine Autobiographie? Falls nicht, dann ist es zumindest eine von mir. ;)

Der Kater schmeißt sich mit der Eleganz eines Nilpferdes auf meinen Bauch und schnurrt wie ein Brummkreisel. Ich bin mir manchmal nicht sicher, ob er sich seiner Herkunft und Tierart bewusst ist. Ob er wohl weiß, dass er eine Katze ist?

Weißt du was? Ich hör jetzt lieber auf mit dem Zitieren von Stellen, die mir gefallen haben, denn ich bin ja noch nicht einmal über die ersten paar Zeilen hinaus und mir kommt es vor, es wäre einfacher und kürzer, die Stellen zu zitieren, die mir nicht gefallen haben.

Zur Geschichte selbst:
Es ist eine Alltagsgeschichte. Sie steht in der Rubrik Alltag und der zweite Titel lautet auch noch "Ein Tag wie jeder". Also Spannung hat diese Geschichte bei mir keine erzeugt, aber ich denke, das war auch deine Absicht. Ganz ehrlich gesagt hat die Geschichte für mich auch noch etwas stärker begonnen und hat dann an Witz und Sarkasmus etwas nachgelassen. Die Szene, wo sie Tom das erste Mal getroffen hat, hätte für meinen Geschmack noch etwas aufregender gestaltet werden können. Trotzdem habe ich sie aber sehr gerne zu Ende gelesen, weil für mich einfach dein Schreibstil alles wett gemacht hat.

Ich hoffe, bald wieder von dir zu lesen!

Weiter so!

Grüße,
rehla

 

Hallo Rehla!

Hab ganz lieben Dank für Dein tolles Feedback!!! Mann, das freut mich richtig arg doll, dass Du an meiner Geschichte „hängen geblieben“ bist. Und das Wort „sympathisch“ stört mich nicht die Bohne.

Es ist eine Alltagsgeschichte. Sie steht in der Rubrik Alltag und der zweite Titel lautet auch noch "Ein Tag wie jeder". Also Spannung hat diese Geschichte bei mir keine erzeugt, aber ich denke, das war auch deine Absicht.
Ja, so kann man es sagen. Also natürlich möchte ich nicht, dass die Leser direkt an der Überschrift vorbeifliegen, weil sie derart langweilig klingt, dass die Geschichte keine Chance hat. Das ist natürlich NICHT meine Absicht. Aber sie ist eine klassische Alltags-Geschichte – oder soll sie zumindest sein. Ich hoffe, dass sich die/ der ein oder andere darin wiederfindet.

Sag mal, ist das eine Autobiographie? Falls nicht, dann ist es zumindest eine von mir.

„Wer schreibt, liest sich selbst.“ (Max Frisch) ;) Vielleicht ein bisschen.

Ganz ehrlich gesagt hat die Geschichte für mich auch noch etwas stärker begonnen und hat dann an Witz und Sarkasmus etwas nachgelassen.

Hm, ja, das ist wahrscheinlich wirklich so, also nicht nur für Dein Empfinden. Vielleicht kann ich noch daran arbeiten und etwas ändern. Ich finde das nämlich schade. Ich möchte ja, dass die Leser einer Geschichte bis zum Schluss gerne lese (nicht nur wegen des Stils, sondern auch wegen der Handlung). ;)

Die Szene, wo sie Tom das erste Mal getroffen hat, hätte für meinen Geschmack noch etwas aufregender gestaltet werden können.

Ich setze mich nochmal dran. :)

Hab ganz lieben Dank, das haut mich echt um!!!

Gute Nacht sagt
Meraviglia

 

… Du kennst ihn doch gar nich‘.“
Kannet sein, datte Pe’le in Wi’klichkeit gesacht hat: Du kennsten doch ja’ nich’? oda auch: „Du kennzen doch ga’ nich’“ usw. (vom west- zum östlichen Ruhrlatein)

Ich musste schmunzeln,

liebe Mera,

aba wat mich sofo’t auffällt, is dat da

„Ähm… was hast Du gerade gesagt?
Warum Siezen die sich nicht gleich? Oder sollten Icherzählerin nebst Langem Lulatsch nicht miteinander vertraut sein? Besser kein (höfliches) Anredepronomen, selbst wenn der Prince of Wales mit seiner Parka, pardon, Parker weiß nicht wie vor der Glotze sitzt/liegt, wenn überhaupt. (Fürsten-)Höfe sind eigentlich im Wohnzimmer abgeschafft und durch relative Vertrautheit ganz gut ersetzt … und Freundlichkeit ist was ganz anderes als Höflichkeit.

Getz glaub ichet nich, der Lulatsch is ja wie mein Fadder!

Er benutzt auch gerne Synonyme, am liebsten „Dings“.
Da isset: Niederrhein, der Vetter aus Dingsda und Dingeskirchen – und dat jibet wi’klich. Glaubse nich?
Dinxperlo, linksrheinisch und holländlich, Dingden, rechtsrheinisch-münsterländlich, nördlich von Wesel, bevor der Rhein sich mit dem Rinnsal Issel nach Norden hin zum IJsselmeer (andere sagen ironisch Zuidersee/Südsee dazu) ausbreitet.
Die [keineswegs] vorwurfsvolle Ironie in meiner Stimme ist unverkennbar. Oder?

Ob er wohl weiß, dass er eine Katze ist?
Die Frage kenn ich eher umgekehrt, wenn Hunde sich fragen, ob ich nicht wisse, dass ich nur Zweibeiner sei. Aber hier würde ich den Konjunktiv I empfehlen, denn wir wissen ja, dass Katzen selten deut(sch)lich sprechen und denken.

In Bruchteilen von Sekunden … // In Bruchteilen von Sekunden müssen wir uns entscheiden
Warum der gedoppelte Plural?, wenn doch „im Bruchteil einer Sekunde“ genauer wäre – und wenn eine Sekunde in Bruchteile zerfällt, sind’s schon mindestens zwo. Denn auch eine vollständige Sekunde ist ein Bruchteil von zwo, drei, vier … Sekunden

Ich mach mal den einfachsten mathematischen Beweis, dass eine Sekunde ausreicht: ½ Sekunde + ¼ Sekunde + 1/8 … usw. bis ins minniwinzige ergibt exakt eine Sekunde, selbst wenn wir auf die erste und erst recht jede weitere verzichteten … Besser also „im Bruchteil einer Sekunde …“

Nee, ne - auch Dia- und Soziolekte, aber auch Slang haben ihre Regeln, besser „nee“ für Hochdeutsch „nein“.

Hier nun obsiegt einmal der Soziolekt über die ihn umgebende Standard-Hochsprache:

… und wir vereinbarten, dass sie alles in die Wege leiten und ein[en] Suchtrupp losschicken würde, …

Bissken Zeichensetzung und/oder Flüchtigkeit

„Gesundheit!“[,] stammelt Tom mit der Zahnbürste im Mund. / „Danke!“[,] sage ich und verschwinde in der Dusche. / „Was machst Du denn da?“[,] frage ich ihn, langsam der Ungeduld verfallend.
usw.

Die Polizistin sagt: „Stop!“.
Da kann der Punkt weg – aber eigentlich will ich fragen, spricht die Polizistin wirklich ein gedehntes [sto:p] und nicht doch [stop], in Schriftsprache: Stopp!?

Ich weiß ja, dass sie im Grunde nichts für ihren Lebensstil können, aber ich kann nicht gegen diese Abneigung wehren.
Hier fehlt ein Pronomen, vorzugsweise ein „mich“

… weise sie noch daraufhin …
Daraufhin ist etwas anderes, als darauf hinzuweisen …. Bei letzterem wird (auf) etwas gezeigt, bei ersterem folgt etwas zeitlich auf ein anderes.
Also besser
weise sie noch darauf […]hin …

Irgendwo ist auch ein "Mann!", das besser mit einem m geschrieben würde hab ich mir leider nicht notiert. Menü suchen, mann eingeben und schwuppdiwupp ist die Stelle wieder gefunden ...


Gern gelesen vom
Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Meraveglia,

ich finde du hast einen schönen Einstieg hingelegt, hier im Forum. Erstens hast du dieses geben-nehmen-Ding schnell begriffen, und zweitens finde ich deine Geschichte nicht schlecht, da gibt es grauseligere Einstiege, meiner war auch ziemlich Scheiße.
Ja, vom Schreibstil her gar nicht mal so übel, ich glaub du hast Bock aufs Schreiben, und ich glaub, bei dir ist noch Luft nach oben. Dein Stil in dieser Story wirkt oftmals - wenn man die Latte jetzt hoch ansetzt - bisschen umgangssprachlich, kann aber auch daran liegen, dass es tatsächlich nach einer Erzählung von einer Frau klingt, die halt aus ihrem Alltag erzählt. Versteh mich nicht falsch, ich finde für den Anfang deine Schreibe gar nicht übel, die liest sich schon flüssig und man kommt mit und versteht um was es geht, aber die guten Bilder und Metaphern und so, das fehlte hier noch; du benutzt eben für deine Erzählstimme in dieser Geschichte eine sehr alltägliche Sprache, ich habe dir hier mal beispielhaft was rausgesucht:

Das ist so die Sache mit dem Internet, da glaubt man beim ersten Treffen nicht selten, der vom Profilbild sei eine andere Person. Oh ja, diese Erfahrung habe ich machen müssen. Immer und immer wieder.
Die unterstrichenen Teile gehen halt so in die Richtung Floskeln oder eben einer Art von Sprache, wie man sie an Küchentischen und sowas hört - ich will das nicht schlecht reden, aber ich meine, dass wenn du in deiner Erzählart etwas hochschrauben würdest, da qualitativ sicherlich mehr gehen würde bei dir.


Tom antwortet wie aus der Pistole geschossen.
solche Flosekln, die man echt schon sehr oft gehört hat, würde ich in einem literarischen Text nicht verwenden. Als Autor ist es deine Aufgabe, neue, schöne Bilder zu erfinden, die der Leser noch nicht kenntAber wie gesagt, für den Einstieg nicht schlecht, lass dich bitte nicht entmutigen.
Was du schon gut begriffen hast, ist, dass du deinen Erzählfokus eigentlich nicht auf Nebensächliches legst - in einer Sache schweifst du bisschen auf vom roten Faden, das stört den Lesefluss, da erzählst du ziemlich viel über Katzen und wo sie gerade sitzen und wo die Katzen schlafen. Das ist doch nicht wichtig für den Verlauf der weiteren GEschichte, ich würde das wegstreichen oder zumindest dezimieren.

Du schreibst manchmal comichaft. Z.B.

„SCHATZ!!! Stört es Dich

„Ja!!! Wir treffen uns jetzt!“

usw.

Diese vielen Ausrufe- oder Fragezeichen nehmen deinem Text irgendwie die Seriösität, das lässt das Ganze irgendwie, ja, comicmäßig aussehen - das würde ich in Zukunft wegstreichen.

Es läuft eine seiner Lieblings-Sendungen im Fernseher. „Frauentausch“
ohje!

Seine Augen glänzen, als hätte er mit der Politur dort schon angefangen.
das ist ganz witzig

Ja, zu den Figuren: die hatte ich schon vor Augen. Schön, dass du versucht hast die beiden Prots durch Eigenheiten zu kennzeichnen. Und jetzt komme ich auch gleich zum Plot, weil das irgendwie zusammenhängt: Ich glaube, wäre der nicht so weich und ... naja, ich will nicht sagen unspektakulär, nein, das wäre zu weit gegriffen, aber es passiert ja nichts wirklich, was die Prots an ihre Grenzen treibt, was sie aus den Fugen wirft; und würde sowas in deiner Geschichte passieren, dann würde sie der Leser auch aus einer ganz nahen und dichten Art und Weise kennenlernen, und deine Figuren würden stark an Tiefe gewinnen. Ja, sie sind schon vor meinem inneren Auge gezeichnet, deine Figuren, aber ich würde mir da irgendwie mehr Action wünschen in deiner Geschichte, dann würde man deine Figuren bestimmt noch besser kennenlernen.

Jo, deine Geschichte hat sich schon gut runtergelesen, kam mir jetzt nicht so vor, als ob da bemerkbare Längen drin gewesen wären; aber es passiert halt auch nichts Ausergewöhnliches: Bis jetzt ist deine Geschichte ein guter erster Akt, ein guter Einstieg, aber jetzt müsste halt noch was passieren, was die beiden auf den Prüfstand stellt, die Katzen zerkratzen Toms Karre, oder so, weiß nicht; das würde deiner Story mehr Tiefe und Kanten geben, bis jetzt flutscht es halt so vor sich hin, ja, die beiden sind verliebt, kaufen sich Katzen, sie hat eine wirre Situation in der Stadt, ruft die Polizei an; mhm. Wie gesagt, ich hab's nicht ungern gelesen, echt nicht, nachdem du es jetzt durchgestanden hast, eine Story zuende zu schreiben, würde ich dir empfehlen, das wieder zu machen, weiterschreiben, den Konflikt in deinen Geschichten zu suchen und den Fokus darauf zu legen, denn das ist das, was die Leute interessiert, nachdem sie die Figuren kennengelernt haben: Konflikte, Spannungen, sowas.

Viel Spaß noch hier im Forum und ich hoffe du konntest was mit meinem Feedback anfangen!

zigga

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Friedel!

Warum Siezen die sich nicht gleich? Oder sollten Icherzählerin nebst Langem Lulatsch nicht miteinander vertraut sein? Besser kein (höfliches) Anredepronomen…

:D Naja, ein bisschen gehe ich da wohl von mir selbst aus. Und ICH hätte in diesem Moment gefragt: „Was _ hast _ Du _ gerade _ gesagt?“ Ist das eine soooo förmliche Anrede???

Da isset: Niederrhein, der Vetter aus Dingsda und Dingeskirchen – und dat jibet wi’klich. Glaubse nich?

Doch, Friedel, ich glaube DIR wahrscheinlich beinahe alles. Und da ich Deinen Beitrag nicht infrage stelle, habe ich auch nicht gegooglet, um es zu überprüfen. Jawohl. ;)

Ob er wohl weiß, dass er eine Katze ist?

Hm, diesen Satz im Konjunktiv I? Ob er wohl wisse, dass er eine Katze ist? ?

Warum der gedoppelte Plural?, wenn doch „im Bruchteil einer Sekunde“ genauer wäre –

Schon geändert.

Hier nun obsiegt einmal der Soziolekt über die ihn umgebende Standard-Hochsprache:

Oh ja! :D Der Suchtrupp. Danke, das habe ich echt völlig überlesen. Du findest aber auch IMMER etwas. ;)

Gern gelesen vom
Friedel

Darüber habe ich mich sehr, sehr, sehr gefreut. Danke fürs Kommentieren und Korrigieren, habe ich soeben alles erläddischt.

Die Mera

 

Hallo Zigga!


ich finde du hast einen schönen Einstieg hingelegt, hier im Forum.

Hab lieben Dank dafür. Ihr nehmt ja auch Neuankömmlinge sehr nett auf.

und zweitens finde ich deine Geschichte nicht schlecht, da gibt es grauseligere Einstiege, meiner war auch ziemlich Scheiße.

:D Ich fasse das mal als „angedeutetes Kompliment“ auf.
Leider wurde Deine erste Geschichte ja von Dir gelöscht. ;)

Dein Stil in dieser Story wirkt oftmals - wenn man die Latte jetzt hoch ansetzt - bisschen umgangssprachlich, kann aber auch daran liegen, dass es tatsächlich nach einer Erzählung von einer Frau klingt, die halt aus ihrem Alltag erzählt.

Ja, das war tatsächlich meine Absicht. Die Geschichte soll nachempfunden werden können. Und so würde ich das erzählen. ("Oh ja" usw.- habe es aber geändert).
Das ist ein ganz stinknormaler Tag, wie er jedem/ jeder passieren kann. Das Leben ist nicht ständiges Abenteuer. Die Kehrseite ist dabei natürlich, dass sich manche gelangweilt fühlen beim Lesen, weil nichts Spannendes passiert. Da kommt es aufs Publikum an – möchte es sich zurücklehnen und denken „Ja, genau, das kenne ich!“ oder möchte es eine Geschichte lesen, die es in eine andere Welt tauchen lässt.

aber es passiert ja nichts wirklich, was die Prots an ihre Grenzen treibt, was sie aus den Fugen wirft; und würde sowas in deiner Geschichte passieren, dann würde sie der Leser auch aus einer ganz nahen und dichten Art und Weise kennenlernen, und deine Figuren würden stark an Tiefe gewinnen
…aber jetzt müsste halt noch was passieren, was die beiden auf den Prüfstand stellt, die Katzen zerkratzen Toms Karre, oder so, weiß nicht; das würde deiner Story mehr Tiefe und Kanten geben

Dem stimme ich zu. Es ist nicht irre viel Handlung in dem Text. Eben WEIL ich eine Alltags-Geschichte wollte. Wären jetzt noch zerkratzte Autos, eingestürzte Dächer oder so mit eingebaut, wäre das in meinen Augen unglaubwürdig für einen Alltag gewesen. Das war das, was ich dabei im Hinterkopf hatte. Aber in meiner nächsten Geschichte werde ich „malerischer“ vorgehen. ;)

Schön, dass du versucht hast, die beiden Prots durch Eigenheiten zu kennzeichnen.

"Versuch macht kluch." ;) Ich gelobe Besserung.


Zitat:
Das ist so die Sache mit dem Internet, da glaubt man beim ersten Treffen nicht selten, der vom Profilbild sei eine andere Person. Oh ja, diese Erfahrung habe ich machen müssen. Immer und immer wieder.
Die unterstrichenen Teile gehen halt so in die Richtung Floskeln oder eben einer Art von Sprache, wie man sie an Küchentischen und sowas hört - ich will das nicht schlecht reden, aber ich meine, dass wenn du in deiner Erzählart etwas hochschrauben würdest, da qualitativ sicherlich mehr gehen würde bei dir.
für den Einstieg nicht schlecht, lass dich bitte nicht entmutigen.

Hab’s geändert. Und ich freue mich, dass Du mir „mehr“ zutraust.

Tom antwortet wie aus der Pistole geschossen.

Auch geändert.

Viel Spaß noch hier im Forum und ich hoffe du konntest was mit meinem Feedback anfangen!

Natürlich. Ich kann mit jedem Feedback etwas anfangen und bin dankbar über jeden Hinweis und/ oder Verbesserungsvorschlag. Danke auch für die Zeit, die Du Dir für meine Geschihcte genommen hast.

Und damit wünsche ich Dir ein schönes Wochenende...
Meraviglia :)

 

Hm, diesen Satz im Konjunktiv I? Ob er wohl wisse, dass er eine Katze ist? ?

Hi,

Die Mera,

so doch nich! Annersrum Obber woll weiß, datter ne Katze sei.

Gruß & schönes Wochenende vom

Friedel

 

:D SO rum hatte ich den Satz auch "geprobt", aber irgendwie geht mir das in dem Fall nicht von der Hand. Ich überdenke es aber gern nochmal.

Auch Dir ein schönes Wochenende, Friedel!

 

Überdenken ist gut, aber wie an anderer Stelle so oder ähnlich schon gesagt: es gibt keinen Zwang ...

Tschüss und bis bald!

Friedel

 

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