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Bewerbungsschreiben
BEWERBUNG UM DIE AUSGESCHRIEBENE STELLE ALS ENTSCHEIDUNGSMANAGER
Sehr geehrte Damen und Heeren,
bitte erlauben Sie uns folgende Einleitung. Die Zweckmäßigkeit wird Ihnen schnell ersichtlich.
Dass man anders sei als andere, denken wohl alle Kinder einmal. Jonathan jedoch verließ dieses Gefühl nie wieder. Der Grund dafür ist in seiner Fähigkeit zu sehen, die Absichten anderer Menschen zu erkennen. Wir drücken diesen Umstand an dieser Stelle bewusst verhalten aus, um nicht unglaubhaft zu wirken und so das Zuendelesen unserer Bewerbung zu gefährden. Am ehesten ließe sich seine Gabe dadurch verständlich machen, wenn wir sagten, Jonathan verfüge über die phantastische Gabe in die Seelen anderer Menschen zu schauen.
Doch ganz so ist es nicht. Denn Jonathan ist nicht in der Lage, Gedanken zu lesen. Jedoch vermag er vorherzusagen, wie sich eine Person in den nächsten Minuten benehmen wird. Ein Beispiel: Betritt ein Mann einen Saal, in dessen Mitte Stühle und Tische stehen, so weiß Jonathan nach wenigen Sekunden des Fixierens, an welchem Tisch der Manne Platz nehmen wird oder ob er überhaupt Platz nehmen wird.
Sie sehen, verehrte Damen und Herren, wie schwer es uns Berichterstatter fällt, Jonathans Befähigung näher zu charakterisieren, ohne dabei in Widersprüche zu geraten; denn das Letzte was wir wollen, ist zu übertreiben. Wir sagten bisher also, Jonathan sei in der Lage, das Verhalten anderer Menschen während der nächsten Minuten vorherzusagen. Wir dürfen nun ergänzen, dass es sich nicht nur um Minuten handeln darf, sondern auch um Stunden, gar Tage und wenn es der Sachverhalt erlaubt, sogar um Jahre. Selbstverständlich ist es ihm nicht möglich, alle Details durch einen fixierenden Blick einzufangen. Vielmehr bedarf es einer Eingrenzung der Möglichkeiten, auf die sich Jonathan zu konzentrieren hat. Sähe Jonathan ein junges Mädchen von sagen wir mal 17 Jahr und würden wir ihn fragen, ob dieses Mädchen, wenn es uns zu Kaffe und Kuchen besuchen käme, uns bestehlen würde, so bekämen wir eine eindeutige und – wir durften etliche Male bei einem solchen Ereignis zugegen sein – zutreffende Antwort. Bohrten wir nach Bejahung weiter und fragten, ob sie bei Gelegenheit eher Geld oder umherliegenden Schmuck an sich nehmen würde, fiele auch hier die Antwort eindeutig – und wie bisher immer – zutreffend aus. Natürlich erfahren wir auf diese Weise nichts darüber, welchen Kuchen sie bevorzugte: Doch würden wir auch das ermitteln wollen, so bräuchte Jonathan lediglich seine Konzentration beim Anblick des Mädchens auf die Alternativen zu fixieren und wir erhielten die Antwort.
An dieser Stelle verspricht der Autor, einen Knüller nachzureichen!
Sie mögen nun sagen, „ja ein schönes Talent, das dem Jonathan da zu eigen ist, doch so bedeutend, insbesondere wenn man die Nutz- und Verwertbarkeit dieser Gabe berücksichtige, sei es auch nicht“. Schön, nur hier irren Sie. Nicht weil man durch Wetten, die sich auf das Verhalten bestimmter Personen beziehen, manch schöne Summe gewinnen kann. Sondern deshalb, weil das Leben viel weniger Handlungsalternativen bietet als Sie denken mögen.
Wie Sie verfolgt haben werden, liegt die einzige Schwierigkeit darin, die Alternativen zu erforschen, die einer Person in ihrem Leben zur Verfügung stehen. Denn fragten wir Jonathan nach zwei nicht zutreffenden Möglichkeiten, so wird er beide verneinen und wir gelangten der gesuchten Antwort kaum näher. In jedem Falle aber erfahren wir, dass die richtige Frage noch nicht gestellt wurde und in dessen Folge wir weiterhin zu recherchieren haben.
Vielleicht wunderten Sie sich schon, weshalb wir von Jonathan in der Er-Form schreiben. Immerhin gilt Ihr Interesse vermutlich ihm und weniger uns. Die Sache ist schnell aufgeklärt: Als wir diese Qualifikation in uns entdeckten, entschied sich Sönke – das ist die Person, die aufgrund seiner Erstgeburt unsere Interessen nach außen hin vertritt – dafür eine weitere Persönlichkeit in unsere Familie aufzunehmen, die er insbesondere mit der Verwaltung dieser neu entdeckten Kraft beauftragte.
Nun zum Geschäftlichen: Uns schwebt vor, dass sie uns Handlungsalternativen Ihrer Konkurrenten vorlegen, von denen wir Ihnen dann sagen, für welche sich ihr Mitbewerber entscheiden wird. Wir denken, dass gerade in Ihrem Gewerbe, wo allein Informationsvorteile über Erfolg und Misserfolg entscheiden, Jonathans Qualifikation von besonderem Interesse sein wird. Als Eignungstest vor Vertragsunterzeichung schlagen wir ein gemeinsames Anschauen der Sendung „Wer wird Millionär vor“. Bevor der Quizkandidat seine Antwort verkündet, werden wir Ihnen sagen, wofür er sich entscheiden wird. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir vor Vertragsunterzeichnung nicht bereit sind, Ihnen finanzielle Gewinne zu ermöglichen.
Über Arbeitszeiten und Gehaltsvorstellungen machen wir keine Vorschläge und hoffen darauf, dass Sie sich großzügig erweisen werden. Gleichauf äußern wir die Bitte, uns nicht zu sehr zu beanspruchen, da das Abrufen Jonathans uns allen eine körperliche Anstrengung abverlangt, die auf ein Minimum zu begrenzen in unser größtem Interesse liegt. Abschließen möchten wir mit der Erklärung, warum wir nicht als selbstständige Unternehmer am Markt auftreten. Der Grund dafür ist, dass das Auftreten Sönkes nicht geeignet ist, die Kontakte zu anderen Entscheidungsträgern der Wirtschaft dergestalt aufzubauen, wie er nötig wäre, um Jonathans Talent optimal einzusetzen. Des Weiteren verstehen wir von Betriebswirtschaft nicht viel und wären somit nicht in der Lage, die Fragestellungen zu formulieren, deren Beantwortungen für den geschäftlichen Erfolg von Bedeutung wären. Von der Umsetzung ganz zu schweigen.
So verbleiben wir mit freundlichen Grüßen und im Auftrag von Sönke Scherenberg ...
... Ihre schriftlichen Ansprechpartner
Rudi und Lasse
PS: Bitte behandeln Sie diese Bewerbung streng vertraulich!