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Bewerbung bitte!

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12.12.2012
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Bewerbung bitte!

29.11.2012

Getrieben von einer nicht näher zu benennenden Kraft suche ich gezielt nach einer Stellenanzeige mit der unumstößlichen Gewissheit fündig zu werden. Sie strahlt mich regelrecht an. Alle Anforderungen und Konditionen scheinen maßgeschneidert. Meine Hand wandert mit der Maus ehrfurchtsvoll zum Druckersymbol und dann klopft es. Nein, wir haben keine Klingel. Unser Häuschen erscheint mit 65 m² absurd klein und übersichtlich für das Erschallen einer Klingel. Wahrscheinlich würden wir bereits unter Tinnitus leiden angesichts einer derartigen Beschallung. Ich überwinde die Treppe abwärts zur Tür und öffne sie todesmutig. Mir entgegen schaut ein Abkömmling meiner selbst. Nicht, dass es mehrere davon gäbe. Nein, dieser eine oder besser diese eine ist das einzige Exemplar. Ich lasse es herein und überwinde erneut die Treppe, diesmal aufwärts. Erneut sitze ich wie gebannt vor meiner bahnbrechenden Entdeckung. Die Anzeige wurde erst gestern geschaltet. Wieder zuckt meine Hand samt Maus zum Druckersymbol. Klick. Nichts passiert. Das Druckerkabel liegt harmlos neben seinem USB-Anschluss und tut so als könnte es kein Wässerchen trüben. Hämische kleine Schlange dieses Kabel. Das kommt davon, wenn man den Drucker samt Anschluss teilen muss. Ich stopfe sein Maul in den dafür vorgesehen Käfig und der Drucker beginnt auf seine eigentümliche Art zu rattern und zu schnarren. Heraus kommt, wie nicht anders zu erwarten, ein Ausdruck. Oder so. Verschwommene, halb verschwundene Zeilen künden von einer geheimnisvollen Botschaft. Gestern noch, ich schwöre es, war das anders. Ganz sicher. Der Drucker hat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Eigenleben. Ich muss es ihm austreiben. Vorsichtig berühre ich den Kopf der Kabelschlange und vergewissere mich, dass sie sicher in ihrem Käfig verweilt. Erneut klicke ich das Druckersymbol an. Diesmal ehrfurchtsvoll und voller Respekt. Mit Nachdruck aber unaufdringlich, damit der Drucker auch wirklich versteht, was ich von ihm will. Nämlich einen lesbaren Ausdruck. Der kommt, wie wäre es auch zu erwarten gewesen, nicht. Die geheimnisvolle Botschaft enthält ein paar leserliche Zeilen mehr und den Rest dechiffriere ich anhand der immer noch luminiszierenden Stellenanzeige auf meinem Bildschirm. Mein Abkömmling macht sich bemerkbar. Es will des Teufels Botschaft auf Kanal 6 audiovisualisieren und sich bis zur Besinnungslosigkeit davon berieseln lassen. Ich schicke es weg. Der Fernseher befindet sich im selben Zimmer und meine Botschaft aus den Tiefen des WorldWideWeb und ich brauchen jetzt vollste Aufmerksamkeit und Konzentration. Das Telefon klingelt. Selbstverständlich besitzen wir kein schnurloses Telefon. Mein geliebtes Kraultier, auch Ehemann genannt, würde es fertigbringen, ein stationär ungebundenes Kommunikationsmittel selbst in unserem so übersichtlich gehaltenen Haus auf Jahre zu verstecken. Sein Portemonnaie samt Ausweis und Kontokarte vermissten wir sehnlichst ein Jahr lang, bevor wir uns entschlossen, Ausweis und Kontokarte neu zu beschaffen. Kaum hatten wir dies erledigt, tauchte das vermisste Utensil so mir nichts dir nichts aus der Versenkung des Autofahrersitzes wieder auf. Einfach so. Und das obwohl wir mehrere Male völlig verzweifelt und manisch darin herumgewühlt hatten. Ach ja, das Telefon. Ich habe den Hörer bereits mißtrauisch an mein Ohr gedrückt und vernehme eine Kinderstimme. Ich rufe nach meinem Abkömmling und überlasse ihr meinen Bürostuhl. Von weitem linse ich ihr über die Schulter und labe mich sehnsuchtsvoll an der Luminiszenz der verheißungsvollen Worte auf dem Bildschirm. Sie warten auf Antwort. Das Kind hat zu Ende telefoniert und verlangt erneut nach Berieselung. Hatte ich nicht ausdrücklich auf die Wichtigkeit meines Tuns hingewiesen? Hängenden Kopfes und mit schlurfendem Schritt tritt der Abkömmling erneut den Rückzug in sein eigenes Reich an. Nicht ohne mir einen vorwurfsvollen Blick zuzuwerfen, der mir Tod und Teufel verheißt, sollte ich nicht sofort alle meine Liebe über mein Kind ergießen und freudig der Berieselung via TV zustimmen. Nichts da. Jetzt endlich. Der Moment ist gekommen. Die Worte fließen geradezu aus mir heraus in meine Finger über die Tastatur auf den Bildschirm. Mein Epos ensteht. Ein wortgewandter Ausflug in die Welt meines Könnens. Perfekt. Mein Finger zuckt auf der Maus, als ich sicherheitshalber zwischendurch meine Festplatte anweise, meinem Werk die Ewigkeit zu gewähren, die es verdient. Eines unserer rollenden Personentransportmittel erscheint in unserer Auffahrt, wie ich beim Blick aus dem Fenster feststellen kann. Mein Hirn fängt an zu pochen. Ernste Anzeichen für einen Overload. Ich krame in den mir eigenen Backup-Dateien meiner Gehirnwindungen nach brauchbaren Informationen für den plötzlichen Datenstau. Aha, eine fragmentierte Datei offenbart mir ihren spärlichen Inhalt. Mann, Auto, Feierabend, Essen. Kind nicht vergessen. Essen? Wieder einmal stürze ich, wie so oft am Tag, die abwärtsführende Version der Treppe hinunter, um in der Küche nach verwertbarer Nahrung Ausschau zu halten. Nudeln von gestern. Prima, die kann man anbraten mit Ei und Speck und anschließend mit Ketchup verziert verzehren. Noch während ich das Öl in der Pfanne erhitze, fällt mir mein ungesichertes wortgewordenes Werk ein, welches ich als allumfassende Antwort auf die in der luminiszierenden Botschaft versteckten Fragen durch die Niederungen des Netzes schicken wollte. Also schnell wieder die nunmehr aufwärtsführende Version der Treppe hoch und mit der Maus das Speichersymbol angeklickt. Ich wähle einen pragmatischen Namen für meine Datei und wähle die abwärtsführende Version der Treppe, um wieder zu meinen Nudeln zurückzukehren. Gesättigt verlassen wir den Esstisch. Mir schwant Böses als ich mutterseelenallein in der Küche zurückbleibe und deutlich Aufwärtsgetrappel auf der mir so vertraut und liebgewordenen Treppe vernehme. Vier Füße und vier Pfoten. Letztere gehören dem noch nicht näher erwähnten Hund, der sich die meiste Zeit schön still verhält. Braves Tier. Ich erklimme die aufwärtsführende Version der Treppe und das Ausmaß der Katastrophe offenbart sich sofort. Mein Reich wurde in jeder Hinsicht erobert. Das Kraultier hat sein Tablet-PC auf meinem Laptop positioniert und den Kopf der Kabelschlange in seinem eigenen Käfig versenkt. Der Abkömmling sitzt völlig weggetreten und fernab jeder geistigen Realität vor dem Fernseher und lässt sich berieseln. Mein Rendezvous mit meiner Vita muss bis morgen warten.

30.11.2012

Das Kraultier sitzt fast regungslos vor dem Tablet PC, der immer noch auf meinem Laptop thront und tippt selbstvergessen auf seiner oder meiner Tastatur herum. Der Abkömmling hat sich zwecks Weiterbildung auf den Weg zur Schule gemacht. Ich sehne ja eher selten meinen Ehemann von mir weg. Im Grunde verstehen wir uns gut, nur dumm, dass unser Haus mit seinen mehr als übersichtlichen 65m² nicht Platz für einen zweiten Arbeitsplatz bietet. Ich übe mich in Nachsicht und Geduld und gehe duschen. Das tue ich jeden Morgen, denn im Grunde werde ich ansonsten fast gar nicht richtig wach und verweile zwischen Traum und Wirklichkeit. Ein nicht unangenehmer aber für Vorhaben wenig förderlicher Zustand geistiger Halbwesenheit. Das Kraultier hat zwischenzeitlich am Waschbecken Position bezogen. Quasi ist das Bad jetzt überfüllt und mein Fluchtweg bis auf einen schmalen Pfad zwischen Mann und Wäschekorb starkt eingeschränkt. Ich bin nass und friere und wickle mich fest in meine Trockeneinheit. Ein pinkfarbenes Riesenbadehandtuch. Das Kraultier dreht sich zu mir herum und beugt sich vor, um mir einen Kuss zu geben. Das ist üblicherweise das Signal seines Aufbruchs. Gleich habe ich also mein Reich wieder für mich und sämtliche Kabelschlangen sind mir untertan. Getrocknet, geföhnt und frisch gewandet wende ich mich der textgewordenen Darstellung meines Könnens und Wirkens erneut zu und verpasse ihr den letzten Schliff. Genaugenommen verpasse ich ihr drei- bis viermal den letzten Schliff. Vielleicht auch noch öfter. Jedenfalls schaffe ich es eine kurze Botschaft vorweg und meine Bewerbung im Gepäck per Mail auf die Reise zu schicken. Um es kurz darauf zu vergessen. Denn meine Backup-Dateien melden sich. Ich muss Nahrung erbeuten. Also einkaufen. Keine Zeit für weitere Botschaften.

03.12.2012

In meinem e-Mail-Account macht sich eine Nachricht bemerkbar. Meine Botschaft ist eingetroffen und wird nun zwecks der Überprüfung auf ihre Tauglichkeit zu den anderen Botschaften gelegt. Na wunderbar.

06.12.2012

Auf weniger geheimnisvollem Wege erreicht mich postalisch die Nachricht, ich möchte meiner Bewerbung Gestalt verleihen, indem ich persönlich fürspreche. Wohlan. Ich steige die aufwärtsführende Version der Treppe hinauf und, oben angekommen, erklimme ich die zweite, fast identische und ebenfalls aufwärtsführende Version einer weiteren Treppe, um ins Schlafzimmer zu gelangen. Womit feststeht, dass es sich um ein winziges Haus mit drei Zimmern, einer Küche, einem Bad und zwei Stockwerken handelt. Die erste aller Fragen, die nach einer Einladung, egal aus welchem Anlass, zu klären ist, lautet: Was soll ich anziehen? Ich gewande und präsentiere mich ein Stockwerk tiefer in einem schlichten schwarzen Blazer mit schwarzer Bundfaltenhose und farbigem Top. Das Urteil meiner sich inzwischen eingefundenen Jury ist hart. Zu sehr Business. Drei Outfits weiter liegen meine neuronalen Netze blank und mein Kraultier beschließt alkoholartige Flüssigkeiten zu besorgen. Mein Abkömmling widmet sich der audiovisuellen Berieselung. Kreischende und kreischend bunte Figuren bevölkern den Bildschirm und finden sich dabei höchst amüsant. Zum Kreischen. Ich schleiche die aufwärtsführende Version der zweiten Treppe hinauf und stehe ratlos vor dem nicht einmal mannshohen Spiegel, der mich nur halsabwärts darzustellen in der Lage ist. Eine feine Staubschicht vernebelt mein Antlitz. Das Vierpfotentier legt sich zu meinen Füßen und schaut mich ehrfurchtsvoll an. Selbst der Hund scheint von meinem Aufzug eingeschüchtert. Ich wage einen letzten Versuch und werfe mich in eine schwarze enganliegende Jeans mit Stiefeln und dazu Blazer und ein farbiges Top. Das Kraultier hält mir inzwischen einen dosenbewehrten Prosecco unter die Nase und nickt zustimmend. Ich bin unsicher und lege ein feierabendgerechtes Gewand an. Schnell erobere ich mir den Platz am Laptop und suche die Antwort auf meine Kleidungsfrage im Netz. Keine Stiefel, steht da. Niemals und unter keinen Umständen Stiefel und Jeans sind ja wohl mehr als fragwürdig. Ahja. Panik. Übermorgen ist Samstag, also beraume ich nach langer Überlegung und weiteren Recherchen im Netz eine kleine Shoppingtour mit gekoppeltem Weihnachtsmarktbummel an, um die fehlende und absolut notwendige Staffage zu besorgen. Ich weiß was, ich weiß wo und ich weiß, was es mich kosten wird. Dem Netz in seiner unendlichen Weisheit sei Dank. Nun wird alles gut.

07.12.2012

In der Gewissheit meinem äußeren Antlitz den richtigen Rahmen verpassen zu können, mache ich mich daran meine wortgewandte Darstellung meines Könnens und Seins noch einmal unter die Lupe zu nehmen. Oha, da hat sich ein Leerzeichen zu viel eingeschlichen. Im Anschreiben. Katastrophenstimmung will sich breitmachen. Jedoch, ich bin ja bereits eingeladen. Dieser kleine Fauxpas hat dem keinen Abbruch getan. Ich stelle aus meinen virtuellen Unterlagen eine gute alte schriftliche Bewerbungsmappe zusammen und versehe das Deckblatt mit einem echten und professionellen Foto. Ich reiße das Foto wieder vom Deckblatt ab, denn meine Zeugniskopien, die ich vorrätig habe, strahlen mir in reinweiß unschuldig entgegen, während meine Ausdrucke vergilbt und beschämt erscheinen. Ein weiterer Punkt auf meiner Shoppingliste. Reinweißes Druckerpapier besorgen. Wenigstens arbeitet der Drucker hieroglyphenfrei und bringt sauber lesbare Ausdrucke zur Welt. Schön. Noch ein wenig Recherche über den potentiellen neuen Arbeitgeber. Da klopft es. Der Abkömmling begehrt Einlaß. Und das obwohl sie Schlüsselgewalt hat. Ich versuchte schon mehrere Male sie zwecks Nichtachtung zum Handeln zu bewegen, auf dass sie sich die Tür selber öffnet, jedoch wurde lediglich das Klopfen beharrlicher und lauter. Also wieder die abwärtsführende Version der Treppe, um die Tür zu öffnen. Die großen Rehaugen fragen nach Nahrung. Hah! Diese wartet bereits auf ihren Verzehr. Stolz auf meine Versorgerqualitäten betreten wir gemeinsam die heiligen Hallen der Nahrungszubereitung und -aufnahme und inspizieren die Töpfe. Der Inhalt findet allgemeine Zustimmung und schon bald Platz in unseren Mägen. Die weitere Recherche über meinen potentiellen Arbeitgeber vertage ich auf morgen oder übermorgen. Am 10.12.2012 muss alles bereit sein.

08.12.2012

Es hat geschneit. Noch kein Grund zur Dramatik. Ich muss lediglich für die Anfahrt zum Vorstellungsgespräch mehr Zeit einplanen. Wir befinden uns bereits auf der von mir geplanten Ausstaffierungstour um meinem Antlitz einen festlichen Glanz zu verleihen. Alles klappt reibungslos. Ein paar alkoholische Heißgetränke später hat nicht nur mein in Aussicht gestelltes Outfit einen festlichen Glanz. Alles wird gut. Später am Tag ergattere ich mich erneut den Platz am Laptop und versuche das reinweiße Papier in ein Dokument erster Güte zu verwandeln. Das Deckblatt ist gedruckt und mit meinem Foto beklebt. Leider scheint sich ein Faden Kleber auf dem Papier niedergelassen zu haben. Ich beschließe die Gestaltung des Deckblatts erneut um einen Tag zu verschieben. Ein Schluck Prosecco soll mich aufheitern. Ich recherchiere noch einmal ein paar Informationen über den potentiellen neuen Arbeitgeber und finde mich kichernd bei unseren Hochzeitsfotos wieder. Alles online. Nice virtual world. Für heute soll es das gewesen sein.

09.12.2012

Das Outfit ist komplett und wurde für gut befunden. Mein Blazer korrespondiert hervorragend mit dem bordeauxfarbenen Wasserfalltop, welches laut Hersteller die Farbbezeichnung „velvet red“ trägt. Dazu trage ich eine dunkelgraue, fein karierte Woll-Bundfaltenhose und flache Stiefeletten mit Budapester Muster. Meines Erachtens die perfekte Symbiose von Ehrfurcht vor dem Anlass und leichtem Understatement. Mein Kraultier bemerkt, ich würde mir eindeutig zu viele Gedanken machen. Und grinst. Das reinweiße Deckblatt ist mit einem sauber aufgeklebtem Foto verziert und strahlt nun mit den anderen Dokumenten um die Wette. Meine Recherche umfasst mittlerweile drei DIN A4-Seiten an Informationen und möglichen Fragen, die ich stellen könnte. Alles bestens. Draußen fällt Schnee in Massen. Panikgefühl durchflutet mich. Das sieht nicht gut aus.
Zwar ist mein höchsteigenes Personentransportmittel betankt und startbereit, dumm ist nur, dass wir im Wald wohnen. So richtig im Wald mit Waldweg und Bäumen. Nicht ganz tief drinnen in einer Holzhütte mit Lebkuchen an der Fassade, aber ohne geteerte Zufahrt. Nicht einmal die Müllabfuhr kommt zu uns, die hält weiter vorne, da wo die Straße aufhört und der Wald anfängt. Im Klartext heißt das, hier wird nicht gestreut oder geräumt und der huckelige Weg ist mit 15 Zentimeter Schnee bedeckt und bietet denkbar schlechte Bedingungen für eine komplikationslose Autofahrt. Außerdem beträgt der Fußweg bis zum Auto geschätzte drei Minuten, da unsere Auffahrt steil und schmal ist und mehr als ein Auto keinen Platz findet. Unter diesen Umständen streikt auch hin und wieder der Postbote und gibt die Post lieber bei unserem Hausarzt unten im Dorf ab. Meine Gehirnwindungen entwerfen alle möglichen und unmöglichen Szenarien zum richtigen Umgang mit der vorliegenden Situation. Angefangen von einer Umkleideaktion in der Beengtheit eines Autoinneren bis hin zur Rutschpartie mitsamt Auto in einer der am Steilhang anliegenden Grundstücke, welche bestenfalls gerade keine Schafe oder Pferde beherbergen, über Verkehrschaos auf Deutschlands Straßen im allgemeinen und speziellen. Mein Kraultier wittert die Gefahr und parkt das Vehikel auf dem geteerten Teil der Straße, nunmehr einen Fußweg von mindestens fünfzehn Minuten entfernt. Ich stelle fest, dass ich morgen versuchen muss, sauber und trocken beim Auto anzukommen, zumindest was die Haarfrisur anbelangt oder aber mich in einer beliebigen Toilettenanlage umzuziehen und neu zu richten. Meine Nervosität steigt. Zur Ablenkung befülle ich das Vogelhäuschen mit Futter und reiße mir den Daumennagel bis über den weißen Rand hin ein. Meine Unterlippe schiebt sich nach vorne. Mist. Ich kürze alle Fingernägel, damit der kaum noch vorhandene Nagel am Daumen nicht so auffällt. Ein prüfender Blick in den Spiegel offenbart mir rauhe schuppige Haut und einen rotleuchtenden Pickel auf der Nase. Sehnsüchtig denke ich an den Moment des luminiszierenden Wortschatzes zurück. Vielleicht enthielt die Botschaft einen versteckten Fluch? Es hört nicht auf zu schneien.

10.12.2012

Tag X. Ich recherchiere noch ein wenig weiter und mache mir Notizen zu meinem potentiellen Arbeitgeber. Frisch geduscht sitze ich in meinem bordeauxroten Wasserfalltop und einer dünnen Strumpfhose vor dem Laptop. Die Strumpfhose soll ein wenig von der Kälte und Nässe abfangen, die mich sogleich umfangen wird, wenn ich mit der in die Stiefel gesteckten Bundfaltenhose unter dem riesengroßen Regenschirm bis zum Auto laufe und hoffe, dass der Regenschirm ausreichen möge, um die wiederkehrenden Schneefälle abzuhalten. Es ist Zeit sich aufzuhübschen, also betrete ich das Bad und restauriere mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln mein Gesicht, auf das es ebenso strahlen möge wie mein extra für diesen Anlass erworbenes reinweißes Papier. Es gelingt mir den rotleuchtenden Pickel verschwinden zu lassen. Wunderbar. Ich werfe mich in die Bundfaltenhose und mein Magen knurrt. Ach ja, Essen. Das ewig wiederkehrende Thema der menschgewordenen Existenz. Ich verpflege meinen Körper mit den notwendigen Ballaststoffen und was er sonst noch so braucht und verspüre den unwiderstehlichen Drang die Toilette aufzusuchen. Ich befreie mich aus der Bundfaltenhose und ziehe vorsichtig die Strumpfhose herunter. Strumpfhosen können die Ausgeburt der Hölle in den Schatten stellen. Eine wuchtige Laufmasche bahnt sich ihren Weg hinab zum Knie. Einen Augenblick erwäge ich diese zu ignorieren. Allerdings ist die Vorstellung einer Laufmasche am Knie wenig förderlich für ein entspanntes Vorstellungsgespräch. Das Telefon klingelt. Das Kraultier ist im Schnee steckengeblieben und tritt den Rückzug in unser Habitat an, um mich sodann ritterlich zu meinem Termin zu fahren. Ich erwäge die Möglichkeit, dass er mir nicht zutraut, mein eigenes Vehikel sicher durch das Schneetreiben zu lenken und seine Sorge weniger mir als dem Saab gilt, für den er tiefe Gefühle hegt. Wie dem auch sei, jetzt habe ich noch genug Zeit, der Strumpfhose ihr letztes Geleit zu geben und mich mit einem neuen hauchdünnen Beinkleid unter der Hose zu bestücken. Alle Hindernisse scheinen erfolgreich überwunden.

Das Kraultier bringt mich sicher und souverän ans Ziel. Pünktlich betrete ich den Eingang und bestaune die im Treppenhaus bunt verzierten Wände. Zwei aufwärtsführende Treppenversionen weiter empfängt mich eine kleine nervöse Frau an einer halb geöffneten Tür und weist mir den Weg. Ich möge mich doch setzen oder vielleicht kann ich ja auch gleich einen Raum weiter. Ich setze mich und sie hüpft zu einer weiteren Tür. Gestikulierend ohne Worte verständigt sie sich mit den im Inneren verborgenen Anwesenden. Strahlenden Lächelns wendet sie sich mir erneut zu und meint, es sei bereits soweit. Ich verbiete meiner Augenbraue hochzuschnellen und verbanne den Gedanken an die Geburt Christis im Stall. Es ist ja auch kein Stern erschienen über der Tür. Aus dem Inneren erscheint eine Gestalt. Vor mir steht eine kleine zierliche Frau mit Strickjacke, Schal, Jeans und Stiefeln in den vorherrschenden Farben Grau, Schwarz und Anthrazit. Meine potentielle neue Vorgesetzte. Ich bin groß, schlank und viel zu chic und verdamme die virtuelle Welt des Wissens. Gemeinsam betreten wir ihren Herrscherbereich. An einem kleinen ovalen Tisch, der fast so niedrig wie ein Couchtisch erscheint, sitzen vier weitere Personen allesamt in Pullover und Jeans gewandet. Ganz leger und irgendwie alle ganz grau. Eine Frau mit ausgekugeltem Arm stellt sich als die potentielle neue Kollegin vor. Zwei eindeutig männliche Gattungen, beide mindestens einen Kopf kleiner als ich, enttarnen sich als die Stellvertreter der Chefin. Eine größere Frau mit mehr als ausladendem Körperbau und rotgeädertem Gesicht lächelt mich freundlich an und unterläßt es aus unerklärlichen Gründen sich vorzustellen. Sie ist die Einzige, die in gedecktem Weinrot gekleidet ist. Passend zur Gesichtsfarbe. Die Chefin hat schon mal Platz genommen, während ich noch Hände schüttele. Ich setze mich auf den mir zugewiesenen Stuhl. Zu meiner Linken sitzt nun meine potentielle neue Vorgesetzte und mir gegenüber die Dame in Weinrot, deren Funktion mir bisher verborgen blieb. Daneben die beiden Stellvertreter und rechts von mir die neue Kollegin mit dem ausgekugeltem unter dem Pullover verborgenen Arm. Mich überrollt eine Welle der Nervosität. Meine neuronalen Bahnen spielen kurzzeitig verrückt, als ich realisiere, dass ich mich tatsächlich in dem so lang ersehnten Vorstellungsgespräch befinde. Ich versuche mich wieder in Einklang zu bringen, während ich dem mehr als kurzem, fast schon knapp und reserviert wirkendem Einleitungssatz der Chefin lausche. Ich möge doch zunächst einmal von mir erzählen. Sie stottert meinen Nachnamen vor sich hin und betont wie kompliziert er auszusprechen ist. Ich bin gut vorbereitet und die Aufforderung von mir zu erzählen habe ich erwartet, also sprudeln die Worte nur so aus mir heraus. Welch ein Glück, den ich finde die Situation momentan mehr als absurd. Ich sitze nach links verrenkt, um meiner Gesprächspartnerin den Blickkontakt zu ermöglichen und versuche gleichzeitig alle anderen Gesprächsteilnehmer ebenfalls einzubeziehen, wozu ich mich aber nach rechts verrenken müsste. Ich lächle in die Runde und mein Blick fängt sich bei Momos grauen Herren, während mein Kopf eine wahrscheinlich als absurd zu bezeichnenden Rotationsbewegung ausführt. Fahle männliche Gesichter blicken mir mit leerem Blick entgegen. Sie sehen alle so aus, als hätten sie bereits einen länger andauernden Bewerbungsmarathon hinter sich. Ich führe meine Erzählung zu Ende und blicke erwartungsvoll in Richtung der Chefin. Ihr leerer Blick füllt sich mit Leben und sie findet erstaunlich schnell zurück in die Realität. Nur eine Sekunde lang ringt sie nach Worten während sie hektisch den vor ihr liegenden Papierstapel hin und her schiebt, bevor sie mich fragt, ob ich nicht überqualifiziert bin, ob ich nicht zu weit weg wohnen würde und ob mir die Aufgaben nicht zu profan sind. Mein Lebenslauf, das wahrgewordene Monument meines Schaffens und Seins, ist ja sehr beeindruckend, fügt sie noch hinzu. Das Gespräch nimmt eine merkwürdige Wendung an. Fast scheint es mir als müsse ich meine Anwesenheit verteidigen. Mit Erstaunen nimmt die Chefin, aufgrund meiner Ausführungen, zur Kenntnis, dass ich die für die Position geforderten Qualifikationen tatsächlich aufweise und das ich einen Abkömmling in die Welt gesetzt habe. Hat da irgendwer meine Unterlagen nicht gelesen? Aller Glanz verflüchtigt sich zu einem Augenblick der Stille in meinem Gehirn. Meine Euphorie senkt sich auf den Nullpunkt. Ich lächle automatisch in die Runde und formuliere Antworten. Gleichzeitig aber frage ich mich, welcher Teil meiner anscheinend sehr überzeugenden Bewerbung die Damen und Herren an diesem winzig scheinenden ovalen Tisch dazu bewogen hat, mich trotz aller offensichtlichen Gegenargumente doch einzuladen. Darauf gibt es nur zwei, höchstens drei Antworten, die sich mir hoffentlich bald erschließen. Einer der grauen Herren fragt nach, ob ich denn auch wirklich die erforderlichen Qualifikationen vorweise. Enthusiastisch vergewissere ich ihm, dass ich den Anforderungen auf jeden Fall genüge. Eben noch war ich überqualifiziert und im gleichen Atemzug wird meine Qualifikation in Frage gestellt. Abrupt und nach nicht mehr als fünfzehn Minuten und erstaunlich wenig Gesprächsstoff werde ich gebeten mit der potentiell neuen Kollegin den potentiellen neuen Arbeitsplatz zu besichtigen. Offensichtlich möchten sich die Damen und Herren mit den leeren Blicken beraten. Wenigstens wird die Kollegin lebendig und führt mich zu einem Raum mit zwei Schreibtischen, die sich gegenüber stehen. Ein heller Raum mit viel Fensterfront. Die Schreibtische wirken, ganz wie der ovale Tisch, erstaunlich klein. Einen kurzen Moment erwäge ich spontan daran Platz zu nehmen, um mir die richtige Perspektive zu verschaffen. Meine Begleitung steht sichtlich unentschlossen und überfordert in der Mitte des Raumes und erzählt von ihrem Kollegen, der krankheitsbedingt nicht mehr wiederkommt und von ihrem ausgekugeltem Arm, mit dem sie jetzt ja auch arbeitsuntauglich ist. Daher ist das Büro zur Zeit unbesetzt. Damit erklärt sich auch die Art des Vorstellungsgesprächs. Es muss wohl schnell gehen. Unvorhergesehenerweise brauchen sie, meinen Schlussfolgerungen nach, umgehend Ersatz für beide Mitarbeiter und führen scheinbar aufs Geratewohl und mit einem Minimum an Vorbereitung mal eben ein paar Vorstellungsgespräche. Ich gebe ein paar Ahs und Ohs von mir und bedaure den Zustand des ausgekugelten Arms. Mir wird versichert, wieviel Arbeit es hier zu tun gibt und dass jetzt eine Menge liegenbleibt. Mit ernstem Gesichtsausdruck und einem nachdrücklichen Nicken in Richtung ihres eigenen Arbeitsplatzes verleiht meine Begleitung ihren Worten den nötigen Ernst. Nicht ohne zu betonen, dass sie ja auch die Einzige ist, die „ihr“ Bankprogramm betreue. Ich habe noch nie von einem „Bankprogramm“ gehört, obwohl ich natürlich eine ziemlich genaue Vorstellung davon habe, was sie damit meint. Die persönliche Beziehung zwischen ihr und ihrem Bankprogramm will ich dann doch ungern genauer beschrieben wissen und stelle ihr der Einfachheit halber ein paar unverfängliche Fragen. Es läuft ganz gut, zumindest bis zu dem Moment, wo eine unerwartete Gesprächspause mich zu der Frage nach den in der Anzeige angepriesenen Vorteilen der flexiblen Arbeitszeit veranlasst. Die Dame mit dem ausgekugeltem Arm mutiert zu einem aufgeschrenkten Hühnchen. Nervös weicht sie von mir zurück und schaut zur Tür. Diese Frage, hechelt sie atemlos, soll mir doch besser die Chefin selbst beantworten. Beinahe bin ich dazu geneigt ihr beruhigend über den nicht lädierten Arm zu streicheln. Wir bewegen uns schnellen Schrittes wieder auf den Raum mit dem ovalen Miniaturtisch zu. Meine Begleitung steckt zunächst nur ihren Kopf in denselben, um zu eruieren, ob ein Wiedereintritt bereits erlaubt ist. Unversehens sitze ich wieder auf dem mir zugewiesenen Stuhl mit der ungünstigen Position zu meinen Gesprächspartnern. Nun darf ich Fragen stellen. An und für sich habe ich gar keine Fragen mehr, stelle sie aber trotzdem. Unter anderem auch die nach der angepriesenen flexibel zu gestaltenden Arbeitszeit. Dies hatte eindeutig und unmißverständlich formuliert so in der Anzeige gestanden, ich schwöre es. Natürlich formuliere ich meine Frage weitaus zurückhaltender. Mir werden feste Arbeitszeiten genannt mit dem Hinweis darauf, dass meine potentielle neue Kollegin, die mit dem eigenen „Bankprogramm“, in dieser Hinsicht schon wesentlich mehr Flexibilität signalisiert hat. Ich komme nicht umhin die Kollegin mit einem Blick zu streifen, welchen ich schnell noch mit einem netten Lächeln garniere. Die Chefin führt aus, wie verantwortungsvoll und arbeitsbeladen die angebotene Stelle ist. Aus ihrer Beschreibung entnehme ich, dass es sich um eine höchst unstruktierte Aufgabenteilung mit doppeltem Arbeitsanfall handelt. Fröhlich rufe ich ihr zu, dass ist doch gut. Je mehr zu tun sei, desto besser. Ich bin einem hysterischen Lachanfall nahe, den ich nur mit Mühe unterdrücken kann. Im Grunde genommen sollten sie mich einstellen, denke ich, dann habe ich den Laden, wie schon andere zuvor, umstrukturiert und organisiert und der Arbeitsanfall wäre mit Sicherheit halbiert. Vorausgesetzt natürlich, ich dürfte ebenfalls mit dem heiligen Bankprogramm kommunizieren. Erstaunen macht sich in den Gesichtern der Runde breit und niemand kann mehr umhin sich meinem erheiterten Ausbruch zu entziehen und ein kleines Lachen von sich zu geben. Ich schenke mir die Frage nach dem Verdienst. Im Grunde breche ich das Gespräch höflich ab. Das hält die Chefin jedoch nicht davon ab, gezielt bei mir nachzuhaken, wie ich die Unterbringung meiner Tochter sicherstellen will. Normalerweise werde ich bei Fragen solcher Art zickig, außer ich sitze in einem Vorstellungsgespräch, von dem ich mir zumindest noch erhoffe, ein bisschen Geld für ausgedehnte Shoppingtouren zu erwirtschaften. Letzten Endes frage ich ja auch nicht danach, ob meine Vorgesetzte Kinder hat und wie diese während ihrer Abwesenheit versorgt werden, damit ich auf ihre Anwesenheit vertrauen kann. Eventuell aber hat sie deshalb auch gleich zwei Stellvertreter, wer weiß. Ich gehe also auf die Frage ein und formuliere eine hoffentlich einigermaßen zufriedenstellende Antwort, die ich nicht vorbereitet habe. Die Augenbraue der Chefin zuckt hoch und sie schiebt ihre Papiere hin und her. Offensichtlich ist die Antwort nicht zufriedenstellend oder aber zumindest erstaunlich. Sie äußert sich nicht weiter dazu und betont stattdessen, dass sie heute drei und morgen noch drei Bewerbungsgespräche habe und sie sich dann morgen punkt zwölf bei mir meldet. Punkt zwölf wohlgemerkt. Auch ich müsste dann zu diesem Zeitpunkt wissen, also punkt zwölf, ob ich die Stelle antreten will oder nicht. Ob ihres eigenen forschen, aber immer noch höflichen, Auftretens erschreckt, fügt sie noch fragend hinzu, ob mir der Termin passt oder das zu kurzfristig ist. Aber nein, lasse ich verlauten, alles wunderbar. Was für eine Persiflage. Der graue Herr, mit dem ich bereits einen kurzen Gesprächsmoment teilen durfte, fragt mich nach dem Zustandekommen meines kompliziert wirkenden Doppelnamens, den hier keiner am Tisch so richtig auszusprechen vermag. An dieser Stelle möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass die Chefin selbst einen abendländischen Nachnamen trägt, der uns Europäern Rätsel bei der Aussprache aufgibt. Die Geschichte meines Nachnamens ist eine nette und ich erzähle sie gerne. Das sorgt für einen perfekten und angenehmen Abgang und eine nette Verabschiedung. Zuvor jedoch überreiche ich der grauen Chefin noch meine liebevoll gestaltete Bewerbungsmappe, die ich schließlich eigens für diesen Anlass mitgebracht habe. Mit einer gewissen Wehmut gedenke ich der Kosten für mein hervorragend gelungenes Bewerbungsbild, während ich mit einem strahlenden Lächeln gewappnet den Raum verlasse. Der abgebrochene Fingernagel, der Schnee, das Outfit, das schneeweiße Papier. All das verliert augenblicklich an Bedeutung, während ich das Treppenhaus in der Abwärtsversion betrete. Dies ist nicht der Augenblick von Glanz und Gloria. Meine sorgfältig erwägten Fragen verschwinden im bedeutungslosen Nirwana meiner Gehirnwindungen. Ernüchtert fahre ich mit meinem geliebten Kraultier wieder in unser kleines Habitat im Wald und lege mein feierliches Ornat zurück in den Schrank.

11.12.2012

12.45 Uhr. Wohlgemerkt nicht annähernd Punkt Zwölf. Eine mit Sorgfalt formulierte und persönlich von der kleinen Chefin durchgeführte telefonische Absage bereichert meinen Tag. Immerhin. Man möchte meine Unterlagen behalten, wer weiß, vielleicht findet man ja doch noch Verwendung für mich. Ja gerne doch, antworte ich, ich würde mich freuen von ihnen zu hören, sofern es ihr Arbeitsaufwand zulässt. Letzteres verlautbare ich nicht. So findet es erneut Einzug in einen Aktenschrank wie schon einige Male zuvor. Mein leuchtendes Monumentalwerk meines Könnens und Seins. Irgendwie scheint es stets mehr zu strahlen als ich selbst. In jeder Hinsicht. Nächstes Mal verwende ich vielleicht mal zur Abwechslung blaßgelbes Papier.

 
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Servus Ad Absurdia,

Getrieben von einer nicht näher zu benennenden Kraft suche ich gezielt nach einer Stellenanzeige mit der unumstößlichen Gewissheit fündig zu werden.

In deinem ersten Satz fehlt meinem Gefühl nach ein Beistrich, weil ich beim Lesen die unumstößliche Gewissheit auf die Stellenanzeige bezog, und den Satz gleich nochmal von vorne lesen musste. Sowas ist wirklich nicht gut, gleich zu Beginn einer Geschichte, finde ich. Also entweder ein Komma hinter Stellenanzeige oder, noch besser, die Satzteile umstellen, das Ganze ein bisschen entkomplizieren.

Im weiteren Absatz geht’s dann recht flüssig weiter. Die eigenwillige Formulierung:

angesichts einer derartigen Beschallung

habe ich, sozusagen hörenden Auges, noch überlesen, aber spätestens bei dieser Stelle:

Mir entgegen schaut ein Abkömmling meiner selbst. Nicht, dass es mehrere davon gäbe. Nein, dieser eine oder besser diese eine ist das einzige Exemplar.

wo du (resp.die Protagonistin) zwei Zeilen brauchst, um nichts anderes mitzuteilen als meine (einzige) Tochter,
keimte ein Verdacht in mir auf:
Da bemüht sich wer um eine witzige, pointierte Schreibe, was ja mal nichts Schlechtes sein muss. Also habe ich weitergelesen, und ja, ich habe bis zum Schluss durchgehalten. Aber, jetzt sag ich’s ganz gnadenlos: Ich fand die Geschichte langweilig.

In deiner Geschichte geschieht nichts, also nichts, was man nicht in ein paar wenigen Sätzen zusammenfassen könnte. Stellenbewerbung, leidiger Ärger mit dem Computer, Treppe rauf, Treppe runter, Wahl der passenden Garderobe, Fingernägel, Frisur, Vogelfüttern, Treppe rauf, Treppe runter …
Ja ich weiß, dein Text steht in der Rubrik Alltag. Und ein paar wenige Genies schaffen es bisweilen tatsächlich, diese alltäglichen Banalitäten so zu verdichten, bzw. satirisch dermaßen brillant zu überhöhen, dass man sowas auch gerne liest.
Aber meiner Meinung nach gelingt dir das mit diesem Text nicht. Du bemühst dich redlich darum, dafür gebührt dir auch mein Respekt, dass du ungemein sprachgewandt und sehr sicher schreibst, wirst du nicht zum ersten Mal hören, ich will es gerne noch einmal sagen. Aber dein Sprachwitz erscheint mir zu bemüht, mit deiner Lust am Fabulieren tust du deiner Geschichte nichts Gutes, finde ich, die wird dadurch länger und länger … viel zu lang, für das, was dann letztendlich an Essenz drinnen ist.
Solltest du diese Kritik als zu hart empfinden, tröstet dich vielleicht mein fett hervorgehobener Satz. Und den will ich um folgendes ergänzen: versuche nicht nur originell und versiert zu schreiben, sondern erzähle mir eine Geschichte, dann gewinnst du mich als Leser!
Und was dich vielleicht noch trösten mag: ich glaube, dass es für deinen Debüttext möglicherweise sowieso eine Zielgruppe gibt, zu der ich halt definitiv nicht gehöre …

Also, ich kann mir vorstellen, dass noch was Ordentliches kommt von dir.

offshore

 
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Lachenden Auges

Hallo Offshore und ersteinmal herzlichen Dank für deine Kritik, die ich so und nicht anders erwartet habe. Ich bin nicht böse drum. Du hast sicherlich Recht, wenn Du schreibst, Du bist nicht mein Publikum. Das sehe ich genauso. Ich kann auch verstehen, wenn dich mein Schreibstil nicht sonderlich überzeugt, aber mit der Bemühtheit um den Wortwitz liegst Du meilenweit daneben. Ich bemühe mich keineswegs darum, so bin ich einfach. Ich denke, ich schreibe und erzähle auch so und meinem bisherigen Publikum gefiel es. In meinem Debüt ging es mir nun darum herauszufinden, ob es noch mehr Individuen da draußen gibt, die es mögen, dem Alltag eine bunte Pappnase aufzusetzen. Klar ist an der Geschichte nichts Neues, sie ist ja auch alltäglich. Mein Leben als Pechvogel allerdings besteht nur aus solchen und ähnlichen Geschichten, dies ist eher eine harmlosere davon. Schön, dass Du mir zutraust noch etwas Brauchbares beizusteuern. Mal sehen, was ich im Archiv noch für Dich finde ;-)) Gruß, Ad Absurdia

 

Hallo Ad Absurdia

Und Herzlich Willkommen bei kurzgeschichten.de. Dein Profil hat mich neugierig auf diesen Text gemacht.

Ich fand dein Debüt eigentlich ganz witzig und habs gern gelesen. Natürlich ist das eine sehr seichte Geschichte ohne Tiefgang, bis auf die Erzählerin gibt es eigentlich keine Figuren, und auch sie bleibt - mit Ausnahme beim Bewerbungsgespräch vielleicht - eher eine Schablone, so richtig Individuelles sucht man da vergeblich.

Ich habs ähnlich wie offshore auch wegen der Sprache gelesen, manche der Formulierungen haben mir gut gefallen. Mit der Zeit fängt das allerdings auch an zu nerven, du solltest darauf achten, bestimmte Formulierungen nicht zu inflationär zu gebrauchen - Kraultier, Abkömmling, diese Versionen mit den Treppen - das ist einmal ganz nett, vielleicht auch zweimal, aber nach fünf- oder sechsmal nutzt es sich ab und wirkt uninspiriert.

Dass jetzt nicht so wahnsinnig viel passiert in der Geschichte kreide ich ihr nicht an - ein Bewerbungsgespräch reicht mir als Alltagsthema. Aber wie offshore finde auch ich, dass der Text dafür zu lang ist. Ich hab ihn schon interessiert gelesen, weil ich wissen wollte, wie das Gespräch endet, das hat mich dann aber irgendwie enttäuscht. Hauptsächlich, weil du vieles im Unklaren lässt. Da sind dann solche Formulierungen drin:

Ich gehe also auf die Frage ein und formuliere eine hoffentlich einigermaßen zufriedenstellende Antwort, die ich nicht vorbereitet habe.

Ja, warum hältst du diese Antwort dem Leser vor? Insbesondere, weil sie die Chefin augenscheinlich aus der Fassung bringt? Das finde ich schade, es gab noch zwei oder drei Beispiele beim Bewerbungsgespräch, wo ich mir mehr Details über das Gespräch gewünscht hätte.

Aber wie gesagt, unterm Strich fand ich es ganz nett, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Der eine oder andere Absatz würde dem Text mMn noch guttun, diese Blocksätze finde ich mit der Zeit sehr ermüdend, aber vielleicht war das ja auch Absicht.

Sonstige Kleinigkeiten:

Ich stopfe sein Maul in den dafür vorgesehen Käfig

vorgesehenen

Die Käfig-Anspielung hab ich übrigens nicht kapiert, das kommt zwei oder dreimal.

die nunmehr aufwärtsführende Version der Treppe hoch

Abgesehen davon, dass das viel zu oft im Text kommt, finde ich es auch nicht sehr gelungen. Es gibt ja nicht zwei Versionen einer Treppe. Eine der Stellen, wo mir deine ausgefallenen Formulierungen nicht gefallen haben, in der Mehrheit fand ich sie aber gut.

Letztere gehören dem noch nicht näher erwähnten Hund, der sich die meiste Zeit schön still verhält.

"nicht näher erwähnt" macht in meinen Augen keinen Sinn. Etwas ist erwähnt oder nicht, basta. "Nicht näher beschrieben" könntest du hier verwenden.

Kreischende und kreischend bunte Figuren bevölkern den Bildschirm und finden sich dabei höchst amüsant. Zum Kreischen.

Das fand ich bspw. gut.

Es ist Zeit sich aufzuhübschen, also betrete ich das Bad und restauriere mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln mein Gesicht, auf das es ebenso strahlen möge wie mein extra für diesen Anlass erworbenes reinweißes Papier.

auf dass

Das ewig wiederkehrende Thema der menschgewordenen Existenz.

Nicht nur der menschgewordenen ...

Soviel von meiner Seite. Wünsche dir noch viel Spass hier beim Lesen & Kommentieren.

Grüsse,
Schwups

 

12.45 Uhr. Wohlgemerkt nicht annähernd Punkt Zwölf. Eine mit Sorgfalt formulierte und persönlich von der kleinen Chefin durchgeführte telefonische Absage bereichert meinen Tag. Immerhin. Man möchte meine Unterlagen behalten, wer weiß, vielleicht findet man ja doch noch Verwendung für mich. Ja gerne doch, antworte ich, ich würde mich freuen von ihnen zu hören, sofern es ihr Arbeitsaufwand zulässt. Letzteres verlautbare ich nicht. So findet es erneut Einzug in einen Aktenschrank wie schon einige Male zuvor. Mein leuchtendes Monumentalwerk meines Könnens und Seins. Irgendwie scheint es stets mehr zu strahlen als ich selbst. In jeder Hinsicht. Nächstes Mal verwende ich vielleicht mal zur Abwechslung blaßgelbes Papier.

Hallo! Nur eine Passage als Beispiel: Achte auf weniger Wortwiederholungen. Es spricht zwar keine orthografische oder grammatische Regel gegen sie, aber sie fallen beim Lesen wie kleine Unsauberkeiten auf. Sie erinnern Dich daran, ein breiteres Vokabular zu nutzen, und könnten auch auf inhaltliche Schwächen deuten: Könnte man dieses und jenes nicht klarer formulieren? Braucht es diesen oder jenen Zusatz überhaupt? - Sei gegrüßt von F.

 

Hey, man hat dir die Absätze geklaut.

Ich find den Text in der Form sehr leserunfreundlich, könntest du da bitte Absätze machen.

 

Hallo Ad Absurdia und willkommen auf kg.de!

deine Sprache schafft es schon, das Banale anders zu beleuchten und das ist unterhaltsam. Ich finde nur, dass dein durchgehender Sprachwitz den Text etwas schwer verdaulich macht. Er käme vielmehr zur Geltung, wenn es zwischendurch Pausen gäbe, mehr Einfachheit quasi. Dann hätte der Leser auch die Zeit, sich über deine Wortschöpfungen, Bilder und Perspektiven zu freuen, ohne dass stetig neue kommen und die alten übermalen. Ich kann mir wirklich gute Geschichten von dir vorstellen, wenn sie sprachlich aufgelockerter sind und die Highlights nicht untergehen.

Gern gelesen

Kasimir

 

Hallo Ad Absurdia!

Ein starkes Pseudonym und eine starke Geschichte!

Mir entgegen schaut ein Abkömmling meiner selbst. Nicht, dass es mehrere davon gäbe. Nein, dieser eine oder besser diese eine ist das einzige Exemplar.
irgendwie gefällt mir das!

Hier wird eine eigenartige (und ja vielleicht auch eigenwillige) Distanz zu den alltäglichen und der Prot. auch sehr Nahen Geschehnissen geschaffen. Diese Distanz gefällt mir, da sie in direktem Kontrast zu dem Verhalten der Prot steht (sie steckt ja wahnsinnig viel Energie in diese Bewerbung). Ich mochte es und fand es auch alles andere als langeweilig. Sehr unterhaltsam.

Hat mir wirlich Spaß gemacht! Vor allem die Beschreibung der ungünstigen Sitzposition und die Mutation der Dame mt ausgekugeltem Arm zu einem aufgeschreckten Hühnchen! Einfach toll. :-)

Hier übrigens ein kleiner Fehler

Die Dame mit dem ausgekugeltem Arm mutiert zu einem aufgeschrenkten Hühnchen.
Das heißt doch sicher aufgeschreCkt?

liebe Grüße und weiter so,

eine wie Alaska

 

Ein Hey an alle! Vielen lieben Dank für eure Kommentare. Ich fand sie sehr konstruktiv, bisweilen amüsant, und lehrreich. Ich bin ja nun Autorin und keine Lektorin, daher nehme ich meine kleineren Schreibfehler nicht so wahnsinnig wichtig. Natürlich heißt es z.B. "aufgeschreckt". Trotzdem werde ich in Zukunft noch mehr darauf achten. Im Resümee versuche ich es in Zukunft mit ein bisschen weniger Wortwitz und weniger ausschweifend. Das die Geschichte so endet wie sie endet, liegt in der Natur der Sache, sie ist so passiert. Warum die kleine Chefin aufgrund meiner Antwort aus der Fassung geriet, ist mir selber unklar. Ich hätte allerdings die Antwort ausformulieren können, das stimmt. Also noch einmal vielen lieben Dank für euer Feedback. Bin gespannt was noch so kommt...

 

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