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Betrogen
Es begann alles am gestrigen Tag, als ich erfuhr, dass meine Frau mich betrog.
“Marc”, hatte sie gesagt, “es gibt da etwas, über das wir reden müssen.”
Im ersten Moment dachte ich, sie will sich von mir trennen und mein Herz sackte mir in die Hose, aber dann rückte sie mit der Wahrheit hinaus.
“Dieser Kellner, der in dem Italiener arbeitet, zu dem wir immer gehen… Du erinnerst dich?” Ich nickte und in meinem Kopf entstand ein Bild von ihm. Jung, vielleicht zwanzig, schwarze zurückgegelte Haare, volle Lippen und dunkle Augen.
“Wir haben ein Verhältnis.” Ich blickte auf, Susan starrte auf den Boden, nicht bereit mich anzusehen.
“Marc. Ich liebe ihn.”
Die Tränen liefen ihr die Wangen herunter, aber ich achtete nicht darauf. Kalte Wut hatte Besitz von mir ergriffen und die Kontrolle übernommen.
“Wie lange?” Meine Stimme muss so eisig gewesen sein, dass man mit ihr Wasser hätte gefrieren können.
“Es tut mir… Marc! Es tut mir leid.”, Susan heulte jetzt richtig, sie zitterte am ganzen Körper. Ich verlor die Beherrschung.
“Wie lange schon?”, brüllte ich und schlug mit einer Faust gegen die Wand, doch Susan antwortete nicht. Sie zog sich vor mir zurück, nur noch ein Nervenbündel.
Ich starrte sie hasserfüllt an, bevor ich mich abwandte und aus der Wohnung ging. Die Tür knallte krachend hinter mir zu, aber es war mir egal. Mir war alles egal, außer die Tatsache, dass Susan mich betrogen hatte. Ich stieg in mein Auto, einen Jaguar, den sie mir zum letzten Weihnachten geschenkt hatte, und ließ den Motor anspringen. Ich erinnerte mich daran, wie sie mir den Schlüssel gegeben hatte und wir zusammen einen Ausflug gemacht hatten. Wütend hieb ich auf das Lenkrad.
Wer dieses Gefühl nicht kennt, wird nicht verstehen, was in mir vorging. Meine Gefühle waren durcheinander, tobten wie ein Wirbelwind durch meinen Körper und ließen mich keinen klaren Gedanken fassen. Einerseits liebte ich Susan, das wusste ich, andererseits war ich sehr sehr wütend. Ich hob den Kopf und ließ den Jaguar rückwärts aus der Parklücke rollen. Ein taubes Gefühl schlich sich in meine Hände, mein Gehirn war wie in Watte gepackt. Der Jaguar schlingerte, als ich mich auf der mittleren Spur einordnete, doch ich trat aufs Gas, bis er sich wieder gefangen hatte. Wohin? Wo wollte ich hin? Wenn man mit dem Auto fährt muss man ein Ziel haben. Ich sah auf die Spritanzeige. Noch halbvoll, gut. Das würde reichen. Okay. Jetzt tief durchatmen, beruhigen. Einen klaren Kopf gewinnen. Wenn das nur so einfach wäre. Ein Hupen weckte mich auf. Scheiße. Ich trat voll in die Bremsen, riss das Lenkrad herum und schaffte es gerade noch so, dem roten Golf zu entkommen, bevor ich hier einen Unfall baute.
Ich weiß nicht, wie lange ich so durch die Gegend gefahren bin, mehrere Stunden bestimmt. An einer Ampelkreuzung kam mir endlich die rettende Idee. Ich würde zu meinem Freund Alex fahren, bei ihm konnte ich pennen. Er würde nicht viel fragen, es sei denn ich fing von selber an, zu erzählen. Er würde mir lediglich eine Dose Bier in die Hand drücken, die Kiste einschalten und mit mir Fußball glotzen, wie in alten Studentenzeiten. Ich blinkte und bog in die Straße ein, in der das große graue Hochhaus stand, in dem Alex wohnte. Auto in die Tiefgarage, Fahrstuhl: Sechster Stock. Wie oft war ich in meinem Leben schon hier gewesen? Ich wusste es nicht, es war mir egal. Dann stand ich vor seiner Tür und klingelte Sturm, bis er endlich öffnete.
“Marc! Was machst du… Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee ist, wenn du rein kommst. Der Zeitpunkt ist eventuell …” Alex blickte verlegen zu Seite, wand sich unter meinen Blicken “… ein wenig ungünstig”, vollendete er seinen Satz. Ich starrte ihn an, dann die knallrote Tür und fasste einen Entschluss.
“Es tut mir leid, aber ich muss heute Abend bei dir pennen. Nur für eine Nacht, bitte! Susan und ich … ich glaube, wir haben uns getrennt”
Alex wand sich immer noch, wich meinem Blick aus, unsicher, wie er mich am besten höflich abweisen sollte.
Ich schob ihn beiseite und trat ein. Er war zu überrascht, und als er endlich reagierte, war ich schon drinnen. Mein Weg führte mich ins Wohnzimmer.
Das Erste was ich sah, war der Kellner. Sein Name fiel mir wieder ein. Giovanni. Passte irgendwie zu ihm. Und dann sah ich noch jemanden: Susan. Sie lag neben ihm auf dem Sofa, dicht an ihn gekuschelt und weinte. Und er tröstete sie. Dieses Bild traf mich wie ein Schlag und für einen Moment stand ich da, unfähig, mich zu rühren. Dann trat ich ins Wohnzimmer. Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, über allem lag ein roter Schleier der Wut, durch den ich Alex reden hörte: "Wir haben Fußball geguckt und dann kam Susan und ..."
Giovanni hob den Kopf, erst jetzt hatte er mich bemerkt. Er war ruhig, als hätte er mich erwartet.
“Marc”, sagte er. Er kannte sogar meinen Vornamen! Ich ballte die Fäuste und spannte den Unterkiefer an.
“Ich glaube, es wäre besser, wenn Sie jetzt gehen. Susan möchte Sie im Augenblick nicht sehen. Sie braucht Ruhe. Eine Trennung ist auch für so wundervolle, starke Menschen wie sie nicht leicht.” Er lächelte sie liebevoll an. Ein weiterer Tropfen Benzin ins Feuer.
“Wenn ich das richtig verstehe, soll ICH aus der Wohnung meines besten Freundes weggehen, nur weil SIE keine Ahnung haben, wo sie die Frau trösten sollen, die jetzt weint, weil Sie sie mir ausgespannt haben?” In diesem Moment fand ich, war das eine gute Zusammenfassung der Situation.
“Nun, ich finde, das ist ein bisschen radikal ausgedrückt.”
“Achja?” Das war der Moment, in dem ich zuschlug. Giovanni war nicht vorbereitet, er taumelte zurück, eine Hand gegen die Wange gepresst, die Lippe aufgeplatzt und blutig.
“Ich soll gehen, ja?”, schrie ich und rammte ihm das Knie in den Magen, all meiner Wut freien Lauf lassend.
“Wenn hier irgendjemand geht…”
Ein Tritt in die Seite, Giovanni krümmte sich nach vorne.
“… dann bist du das, du Wichser!”
Ein Schlag mit dem Ellebogen gegen die Halsschlagader. Ein fester Schlag. Giovanni sank zu Boden, röchelte, zuckte, ich trat ihm noch einmal mit aller Kraft in den Magen, dann war alles still. Ein tödliches Schweigen. Ich beugte mich runter, starr vor Entsetzen, und legte die Finger an seinen Hals. Nichts. Ich wollte nicht wissen, was ich deutlich fühlte, wollte nicht wahrhaben, was ich sah. Hinter mir hörte ich ein ersticktes Schluchzen, ein Wimmern. Susan. Alex. Scheiße.
Ich stand auf und sah sie an, den Freund, der mich verraten hatte und meine Freundin, die mich betrogen hatte.
Und dann begann ich zu rennen.
Aber ich wusste, dass ich rennen konnte, wie ich wollte, es würde nichts nützen. Denn vor sich selbst kann man nicht fliehen.