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Betrüger und Betrogene
Ich fühle mich wie Straßendreck, der in den Gullys hängen bleibt. Meine Ehre und mein Stolz fließen hinab in die Kanalisation. Ich bin Judas und Brutus in einer Person. Ich schaue hinaus auf die nasse Straße. Den übergewichtigen, grauhaarigen nackten Mann, der sich von innen im Glas des Fensters spiegelt, ignoriere ich. Auf der anderen Seite des Zimmers dreht Sophie ihren Körper auf dem verschwitzen Laken und stößt einen Seufzer aus.
Ihr Mann Torsten ist seit unserer gemeinsamen Lehrzeit wie ein Bruder für mich. Wir wissen alles voneinander, verstehen uns ohne Worte und auch unsere Frauen kommen sehr gut miteinander aus. Sophie ist eine offene Frohnatur mit Hummeln im Hintern. Sie lacht viel und gerne und ihre Stimme hat einen warmherzigen Klang.
Als sie mir die Tür öffnete, bot sich mir ein ungewohnter Anblick. Die zerlaufene Schminke unter ihren Augen zeichnete sich auf ihrem blassen Gesicht wie schwarze Tränen ab. Sie umarmte mich und drückte mich fester als sonst.
»Schön dich zu sehen«, sagte sie und half mir aus der Jacke.
»Ich dachte, ich komme mal spontan auf eine Zigarette bei euch vorbei. Ist Torsten noch im Büro?«
»Ja, er hat heute noch ein Meeting, wird spät werden.«
Sie schaute mich an und zog die Augenbrauen hoch.
»Käffchen?«
»Gerne«, antwortete ich.
Sophie ging in die Küche.
Ich setzte mich auf die Couch im Wohnzimmer. Vor mir auf dem Glastisch stand neben dem Aschenbecher ein leeres Weinglas mit Lippenstiftabdruck auf dem Rand. Sophie betrat den Raum, in ihren Händen zwei Kaffeebecher. Sie stellte sie auf den Tisch und setzte sich neben mich. Ich hielt ihr meine Packung Zigaretten entgegen. Sie nickte lächelnd und nahm sich eine heraus. Ich gab ihr Feuer und steckte mir auch eine an. Ich nahm einen tiefen Zug, stieß den Rauch in die Luft und schaute sie an.
»Erzähl, was ist los?«
Sie rieb sich mit den Zeigefingern unter den Augen, presste die Lippen aufeinander und schaute mich traurig an.
»Ist nicht zu übersehen«, sagte ich und nippte an meinem Kaffee.
»Ist dir an Torsten in letzter Zeit etwas aufgefallen oder hat er mal etwas erzählt?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Nein. Warum?«
»Er ist mir gegenüber so still und distanziert. Das geht schon eine Weile so. Ich komme nicht mehr an ihn heran, bekomme nichts aus ihm heraus und er gibt nur einsilbige Antworten.«
Sie hielt die Zigarette zwischen ihren Fingern und strich sich mit dem Daumen leicht über die Stirn.
»Weißt du, was auch immer einem von uns in all den Jahren auf die Seele gedrückt hat, geredet haben wir immer miteinander.«
Ich lehnte mich zurück und legte die Hände auf meine Oberschenkel.
»Also als wir uns das letzte Mal auf ein Bier getroffen haben, war alles o.k mit ihm. Mir ist nichts aufgefallen und gesagt hat er auch nichts.«
»Wann war das noch genau?«, fragte Sophie.
Ich schaute zur Wohnzimmerdecke.
»Das war an dem Wochenende, bevor ich auf Lehrgang musste, also vor knapp vier Wochen. Seitdem haben wir ein paar Mal telefoniert, aber da war er auch wie immer. Ist denn irgendetwas vorgefallen? Auf der Arbeit oder so?«
»Stress hat er ja immer«, sagte Sophie. »Aber den nimmt er für gewöhnlich nicht mit nach Hause.«
Sie kratzte am roten Nagellack ihres Ringfingers.
»Vielleicht ist es nicht so dramatisch Sophie. Wir haben Spätherbst, vielleicht fehlt ihm die Sonne, erste Symptome von Winterblues, keine Ahnung.«
Ich klatschte mit den Händen auf meine Schenkel und lehnte mich wieder vor.
»Das glaube ich nicht«, sagte Sophie.
»Warum?«
Sie ließ den Becher zwischen ihren Händen kreisen und beobachtete, wie der Kaffee hin und her schwappte.
»Er schläft nicht mehr mit mir.«
»Oh«, sagte ich und schaute zu Boden.
»Ja, oh«, sagte sie.
Sie knallte den Becher auf den Tisch und sprang auf.
»Wir sind jetzt seit acht Jahren verheiratet und haben es trotzdem immer noch fast jeden Tag miteinander gemacht und wir brauchen das beide auch. Also ich auf jeden Fall.«
Sie deutete mit den Zeigefingern auf ihr Gesicht.
»Und jetzt? Vorbei!« Sie hob schwungvoll die Arme in die Luft.
Meine Augen huschten über ihre Haare, das Gesicht, über ihre Brustwarzen, die sich unter der weißen Satinbluse abzeichneten, bis hin zum Rock und den Beinen.
»Entschuldige bitte meine Offenheit, aber das musste jetzt einfach mal raus«, sagte sie und fuhr sich mit der Hand durch die Haare.
Ich hob ruckartig den Kopf und schaute sie an. Ihre Wangen waren gerötet.
»Ist schon in Ordnung«, sagte ich, aber das war gelogen.
Die Schilderungen über das Intimleben mit Torsten und ihrer starken Libido waren mir einerseits unangenehm, andererseits erregten sie mich irgendwie und ich schämte mich für die Bilder, die in meinem Kopf auftauchten.
Ich stand auf, umarmte sie und strich ihr sanft über den Rücken.
»Mach dir nicht so viele Gedanken. Wenn es wegen dir wäre, hätte er mir darüber bestimmt etwas gesagt und das hat er nicht, ehrlich nicht.«
Ihr Kopf lag angelehnt an meine Schulter.
»Ja, ist gut«, sagte sie leise.
Wir blieben noch einen Moment so stehen.
Dann umfasste sie meine Oberarme, schob mich ein Stück von sich und schaute mich mit einem verkrampften Lächeln an.
»Danke, das tat gut. Jetzt habe ich dich aber genug mit meinen Problemen belastet.«
Ich zog die Augenbrauen zusammen und schüttelte den Kopf.
»Doch Björn«, sagte sie und wischte sich die Tränen aus den Augen.
»Musst du gleich wieder los? Wartet Annika schon auf dich?«
»Nein«, sagte ich.
Sophie ging wortlos aus dem Raum.
»Sie ist unterwegs«, rief ich ihr hinterher. »Sie hat sich doch im Fitnessstudio angemeldet.«
Annika hadert immer mit sich selbst und ihrem Körper. Sie ist nicht dick, wenn überhaupt, ist sie etwas "griffig", was ich aber sehr an ihr mag. In den letzten Wochen war sie von dem Gedanken getrieben, etwas an sich verändern zu müssen. Erst kam die Anmeldung im Fitnessstudio und seit einigen Tagen trägt sie ihre langen Haare um einige Zentimeter kürzer und die ergrauten Stellen zwischen dem dunkelblond sind verschwunden.
»Ach, stimmt ja«, rief Sophie aus der Küche.
»Könnte dir und deinem Waschbärbauch aber auch nicht schaden oder?«
»Das ist kein Waschbärbauch, das ist ein "Coussin d‘amour".«
»Ein was?«, fragte sie, als sie den Raum wieder betrat.
»Ein Kissen der Liebe«, sagte ich und grinste sie an.
»Oh,là là«, sagte sie und verdrehte die Augen.
In der linken Hand hielt sie zwei Gläser und mit der Rechten wedelte sie mit einer Flasche Wodka.
»Willst du auch?«
»Ja, aber nur einen.«
Sophie setzte sich und schenkte uns ein. Die Gläser stießen klirrend aneinander.
»Auf die gute alte Zeit, in der ich noch Sex hatte«, sagte sie.
»Ach komm«, sagte ich und schüttelte den Kopf.
Sie zuckte mit den Schultern. Wir tranken unsere Gläser mit einem Zug halb leer.
Sophie steckte sich eine weitere Zigarette an und warf das Feuerzeug auf den Tisch. Sie trank den Rest von ihrem Wodka aus, schenkte sich nach und setzte das Glas erneut an ihre Lippen.
»Lange wird er deinem heißen Körper sicher nicht mehr widerstehen können«, sagte ich.
Ich atmete kräftig durch den Mund ein, als ob ich die Aussage damit wieder zurückholen und unausgesprochen machen könnte. Der Wodka wirkt schnell, dachte ich. Ich stellte das Glas auf dem Tisch ab und drehte es mit meinen Fingern.
»Oh, danke.« Sophie lächelte und blinzelte mir zu.
»Jetzt musst du aber noch mal mit mir anstoßen.«
Sie nahm die Flasche und drehte den Deckel auf.
»Ich muss noch fahren Sophie.«
»Ach, ist doch egal jetzt«, sagte sie und schenkte mir ein. »Ich zahl dir auch das Taxi, oder Torsten fährt dich nachher.«
»Sie machen mich echt fertig Madame.«
»Ja, macht nichts.«
Wir lachten beide und es zeigten sich endlich wieder ihre vertrauten Lachfalten um Augen und Mund. Nachdem die erste Flasche geleert war, stand schnell eine Zweite auf dem Tisch und meine Zigarettenschachtel lag zerknüllt neben dem übervollen Aschenbecher. Rauch drehte sich um die grelle Wohnzimmerlampe wie die Ringe um den Saturn. Meine anfangs noch höflichen Komplimente wurden mit jedem Glas eindeutiger, schlüpfriger und irgendwann lag meine Hand auf ihrem warmen Schenkel. Unsere gelockerten Zungen trafen aufeinander und umschlangen sich. Die Lust auf fremde Haut und der Reiz des Verbotenen siegten über unser berauschtes Gewissen.
Ich fühle mich halbwegs wieder klar, der Wodka schwitzt aus meinen Poren. Ich versuche Sophie zu wecken, aber sie wirkt mehr betäubt als schlafend, zeigt keine Reaktion. Ich steige in meine Jeans und stelle mich wieder ans Fenster.
Ich reibe mir mit den Händen übers Gesicht. Der Rausch wird von der zunehmenden Wahrnehmung der Realität und dem Erkennen des Geschehenen immer mehr verdrängt. Ich kralle die Hände in meine Haare und stoße einen innerlichen Schrei aus.
Ich schreibe Annika eine SMS. Bin noch bei Torsten.
Ich werde warten und danach erst den Gang nach Canossa antreten. Nach einer gefühlten Ewigkeit in der angespannten Stille höre ich, wie sich die Haustür öffnet. Mein Herz rast.
»Hallo«, ruft Torsten.
Ich höre das Rascheln seines Schlüsselbundes.
»Sophie? Björn?«
»Wir sind hier«, rufe ich mit brüchiger Stimme.
Seine Schritte auf dem Laminat werden lauter. Die Schlafzimmertür öffnet sich. Torsten bleibt abrupt stehen und schaut mich an.
Ich stehe da wie ein Soldat beim Appell. Beim Anblick von Sophie legt sich das Realisieren der Situation wie ein dunkler Schatten auf sein Gesicht. Unsere Augen kommunizieren, lange und eindringlich. Sie sagen etwas über Schuld und Scham, über Schmerz und Vertrauen und über das Ende einer Freundschaft. Torsten dreht sich um und macht einen Schritt Richtung Flur.
»Warte«, schreie ich ihn an.
Er bleibt stehen, dreht seinen Kopf und schaut auf seine linke Schulter.
»Du solltest jetzt besser gehen«, sagt er mit monotoner Stimme.
Er verharrt regungslos an der Tür, als würde er meine Antwort abwarten, aber ich schweige, bin wie paralysiert. Torsten senkt den Kopf und umfasst mit der linken Hand die Türklinke.
»Wir sind quitt Björn. Einfach quitt o.k?«
Er geht in den Flur hinaus und zieht die Schlafzimmertür hinter sich zu.
Annika hört mir schweigend zu. Die Wahrheiten, die sie mir im Gegenzug über späte Meetings und Fitnessstudios erzählt, durchdringen mich wie Pfeile und reißen klaffende Wunden in meine Seele. In dieser Nacht schlafen wir alle allein.
Das Einzige, was uns noch eint, ist der innere Kampf zwischen Betrügern und Betrogenen.