Betonimpressionen
Oft wurden sie und ihresgleichen als Moloch beschrieben, als ruheloses, ewig schlagendes Herz. Blechlawinen als stinkendes Blut. Hastige Fußgänger, der Blick fahrig, als Schwebeteilchen. Ab und zu eine Arterie verstopft, dann Hupen oder Sirenen.
Vielleicht gibt es Städte, die niemals schlafen. Doch man spürt, wenn sich die abendliche Dunkelheit über die himmelhohen Glasfronten der Stadt und ihrer Türme senkt, wie der Puls sich unmerklich verlangsamt.
Es mögen die Laternen anspringen und all das andere elektrische Licht versuchen, die Sonne auf Erden zu sein, es kann den Tag nicht ersetzten. Es wird dunkler, ruhiger. Weniger blecherne Blutkörperchen und schwitzende Schwebeteilchen.
Zwar mögen die Neonreklamen, für alles mögliche werbend, aufdringlicher fackeln. Zwar mögen zwei nackte Menschen, den Leuchtröhren ausgesetzt, von einer Plakatwand herablächeln, da sie noch ihre beworbenen Armbanduhren tragen dürfen, die Nacht verbirgt sie nicht, sondern erst jetzt liefert sie die Bühne für ihren täglichen, illuminierten Auftritt. Aber doch legt sich so etwas wie Schlaf, die Andeutung von Ruhe über die Stadt und ihren Körper aus Beton und Schmutz.
Die wenigen Fußgänger, denen du zu dieser Zeit begegnest, weil du dem Bann der allabendlichen Banalitäten in Wohnzimmer oder Kneipe nicht erlegen bist, sie wirken immer noch hektisch, und ihr Blick schweift dich nur ab, während sie an dir vorübergehen, vorbeihasten, schweigsam.
Die Nacht mag trotz all der Beleuchtung die Kahlheit der Stadt mit ihrem dämmerigen Vorhang verbergen wollen, die Masse aber verbirgt die Menschen nicht mehr vor dir. Ihr Keuchen, wenn sie sich nahe an dir vorbeidrängen, geht nur noch selten unter im Lärm der Straße. Oftmals entlarvt sie der kalte Schein der Laternen schonungsloser als die Sonne es je könnte.
Der Schwarm hält sie nicht mehr geschützt. Die Menschen, denen du begegnest, gehen allein, vielleicht in kleinen Grüppchen. Dein Blick fixiert und seziert sie.
Der im Anzug, dich nur für einen winzigen Moment aus hartem Gesicht musternd, seinen Koffer in der linken vom Körper weghaltend. Aus dem Büro, Überstunden. Wozu? Für ein Mikrowellenabendessen ( Singlepackung ), sobald er endlich zu Hause ist.
Eine Gruppe Jugendlicher, die Köpfe nahe aneinander, du musst ihnen ausweichen, sie täten es nicht. Wohin sie gehen? In eine Zukunft in der banalen Alltäglichkeit. Tropfen, die noch einmal im Licht der Neonröhren funkeln wollen, bevor sie vollends in den grautrüben Wassern des Alltags der Älteren versinken.
Später am Abend, selbst wenn du nicht die ausgewiesenen Vergnügungsviertel, wie man es nennt, durchstreifst, ein paar schlendernde Betrunkene. Sie haben ihre Hüllen fast gänzlich aufgegeben. In ihren Blicken zu lesen, ist zwar nicht langweilig, aber auch nicht schwierig, und wenn sie dich passiert haben, erreicht dich eine Andeutung von Qualm und Alkoholdunst.
Doch da gibt es noch etwas, das die nächtlichen Reisen durch Stadt und Bewohner so interessant macht: es gibt gewisse Menschen, man mag ihnen vielleicht nur für eine knappe Minute begegnen, bevor sie an dir vorbei, über deine Schulter hinweg verschwinden, die Probleme aufwerfen bei der Durchleuchtung und Klassifizierung. Sie stellen dich selbst in gewisser Weise bloß. Und du wirst, während du den Weg durch die Stadt fortsetzt, das Gefühl nicht los, dass sie genauso ziellos umherstreifen wie du.
<span class="ssilver">[Beitrag editiert von: Paranova am 28.03.2002 um 23:57]</span>
[ 21.05.2002, 21:01: Beitrag editiert von: Paranova ]