Besuch einer alten Dame
Meine Mutter steht im Türrahmen und nestelt gespielt verlegen an ihrer Handtasche, so als wäre ihr das schrecklich peinlich bei mir zu klingeln.
-Na, Junge hast wohl nicht mir gerechnet?, fragt sie dann und legt den Kopf schief.
Ich überspiele ihre Frage mit einem Griff in mein noch feuchtes Haar vom Duschen und binde den Bademantel fester zu.
-Weißt du, wir haben uns so lange nicht gesehen und just heute war ich gerade mit Frau Felser- Bilderstedt einkaufen und da sag`ich zu ihr Frau Felser- Bilderstedt, ne, Hannelore, habe ich gesagt, warum fahren wir nicht mal nach Hannover einkaufen? Is`ja auch viel größer als unser kleines Städtchen und dann sagt sie, da wohnt doch ihr Sohn, wie wäre es...
Ich unterbreche ihren Redefluß, in dem ich sie sanft an der Schulter fasse und sie in den Flur schiebe. Dort faßt sie sich auch gleich wieder und redet weiter, während sie ins Wohnzimmer durchgeht.
-Ist doch schon okay, Mutti! Ich bin nur gerade erst aufgestanden. Setz`dich!, sage ich und drücke sie auf das Sofa.
-Ich habe ja auch nicht viel Zeit! Wollte nur mal nach dir sehen! Von selbst kommst du ja nicht zu uns!, wendet sie ein und beginnt mit einem Taschentuch auf einem eingetrockneten Fleck auf dem Sofa herumzureiben.
-Das kriegste nicht mehr raus!, grinse ich kopfschüttelnd und stecke mir eine Zigarette in den Mund. Sie quittiert es mit einem mißbilligenden Blick. Dann wandern ihre Augen scheinbar ziellos durch das unaufgeräumte Zimmer.
-Ich verstehe nicht, wie du hier leben und arbeiten kannst!
-Ist halt meine Ordnung. Ich kritisiere deinen keimfreien Haushalt ja auch nicht!
-Da gibt es auch nichts zu kritisieren! Bei mir kannste vom Boden essen!
-Habt ihr den Eßtisch verkauft?, scherze ich, doch sie kann nicht darüber lachen.
-Jedenfalls habe ich dir Sauberkeit und Ordnung beigebracht!
Einen Moment herrscht eine unbehagliche Stille, aus der ich mich in die Küche flüchte, um einen Kaffee zu machen. Innerlich wünsche ich mir, daß sie gleich wieder fort muß und kann meine Wut gerade noch so weit unterdrücken, um nicht genauso Dampf abzulassen wie die Kaffeemaschine. Ich danke dem Herrn, daß sie ihre Busenfreundin nicht auch noch mitgebracht hat!
Im Bad werfe ich hastig meine Sachen über und will wieder in die Küche zurück, als meine Mutter vor mir auftaucht. Ihr Gesichtsausdruck ist eine Mischung aus Ekel und Vorwurf. In der erchten Hand hält sie ein blaues seidenes Damenunterhöschen, daß sie vor meiner Nase hin- und herbaumeln läßt. Ich räuspere mich kurz und will an ihr vorbei in die Küche, doch sie folgt mir mit dem Slip in der Hand.
-Was macht der unter dem Sofakissen?! Das ist ja ekelhaft!
Seufzend verdrehe ich die Augen.
-Laß`doch! Wieso legst du ihn nicht einfach irgendwo ab? Kann doch mal passieren!
-Und wenn ihn jetzt beispielsweise einer deiner Geschäftsfreunde gefunden hätte?Du schämst dich wohl kein bißchen?!
Ich stelle mir Erich Klaasens Gesicht vor, wenn er den Slip gefunden hätte. So wie ich ihn kenne, hätte er das Ding angesehen und irgendetwas gefaselt von, was ich doch für ein Schwein hätte mit den Weibern.
-Von denen ist keiner so verkrampft wie du!, entgegne ich, reiße ihr das Ding aus der Hand und feuere es auf den Küchenstuhl. Dann bahne ich mir den Weg zurück ins Wohnzimmer.
-Der Kaffee wird kalt!, rufe ich ihr zu.
Sie kommt mit beleidigter Miene ins Zimmer. Wortlos setzt sie sich auf das Sofa und nimmt ihre Tasche auf den Schoß. Wortlos trinken wir den Kaffee. Die Schlafzimmertür öffnet sich. Karola kommt leicht bekleidet ins Wohnzimmer. Sie geht an uns vorbei zum Fenster, streicht sich durch die verstrubbelten Haare und streckt sich. Die Augen meiner Mutter bekommen die Größe von Billardkugeln. Karola dreht sich um.
-Morgen!, gähnt sie verschlafen.
-Na, ausgeschlafen?, frage ich und sie nickt.
Meine Mutter sieht auf ihre Armbanduhr.
-Guten Tag ist passender!, meint sie streng.
Karola reicht ihr die Hand. Sie läßt sich neben meiner Mutter auf das Sofa fallen, die fast panisch etwas zur Seite hopst. Ich danke Gott noch einmal, als sie dann zaghaft Karolas Hand drückt und den Gruß erwidert.
-Oh, Kaffee!
Ich schenke Karola eine Tasse ein. Mir fällt auf, daß meine Mutter sie von Kopf bis Fuß mustert.
-Das ist meine Mutter!, erkläre ich und Karola lächelt sie an.
-Junge, du brauchst uns einander doch nicht vorzustellen! Wir kennen uns doch! Obwohl ich finde, daß Ihnen die Dauerwelle besser gestanden hat, Ramona!
-Entschuldigung, aber ich..., beginnt Karola und ich versuche die Situation zu retten, in dem ich mich in einen krampfartigen Hustenanfall flüchte.
-Karola Degenhardt!, stellt sie sich vor.
Es ist ihr offensichtlich nicht peinlich mit einer ihrer Vorgängerinnen verwechselt zu werden.
-Oh, das...das ist mir aber peinlich!, entschuldigt sich meine Mutter mit hochrotem Kopf und wirft mir einen Blick zu, der Bände spricht. Sie ist mehr als empört über mich und meinen Lebenswandel.
-Na, dann gehe ich mich mal anziehen!
Karola steht auf und geht ins Badezimmer. Dann steckt sie noch einmal den Kopf in die Tür.
-Hat jemand meinen Slip gesehen?
Meine Mutter verschluckt sich an ihrem Kaffee und ich deute auf die Küche.
-Auf`m Stuhl!
Als ich die Dusche im Badezimmer höre, zünde ich mir noch eine Zigarette an. Meine Mutter lehnt sich ein Stück vor, so als könne Karola im Bad unter der Dusche sonst jedes ihrer Worte verstehen.
-Das hättest du mir aber auch sagen können!, zischt sie mir zu.
-Mutti, ist doch nicht so schlimm!, winke ich ab.
-Das höre ich jetzt schon die ganze Zeit von dir! Vor meinen Augen tuen sich hier gerade menschliche Abgründe auf! Pfui, sage ich da nur! Wenn ich dich mal zu Gesicht kriege, hast du schon wieder ein neues Mädchen im Arm! Du wechselst sie wie Hemden! Und dann dieses Chaos hier! Man sollte doch meinen, daß ein Mann mit vierzig Jahren in der Lage ist ein solides Leben zu führen! Aber das hier ist wider jegliche Moral! Wenn dein Vater das wüßte!
-Misch` dich endlich nicht mehr in mein Leben ein!
-Dein Bruder ist seit zwanzig Jahren glücklich verheiratet und hat mich schon dreimal zur Oma gemacht!
-Ich bin nicht er!
-Du bist aus der Art geschlagen!
Vor dem Haus hupt ein Auto. Meine Mutter sieht abermals auf die Uhr, leert hastig ihre Tasse Kaffee und springt auf.
-Ich muß los! Aber du solltest einmal über meine Worte nachdenken!
-Ja, Mutti!, maule ich, öffne ihr die Tür und schiebe sie ins Treppenhaus.
-Mach`s gut und denke dran- ich weiß, wovon ich rede! Wahrscheinlich zerreißen sich die Nachbarn auch schon das Maul über dich!, sagt sie mit erhobenem Finger.
-Grüß`Papa!
Sie geht winkend, ohne zu lächeln. Als ich die Tür schließe, steckt Karola den Kopf aus der Badezimmertür.
-Isse weg?
Ich nicke, woraufhin Karola anfängt zu pfeifen und dann lege ich mich wieder ins Bett.