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Besuch aus Brandenburg
Besuch aus Brandenburg
Die zukünftigen Schwiegereltern sollte man immer schnellstmöglich kennenlernen und sich nach Möglichkeit auch darum bemühen, gut mit ihnen auszukommen. Warum? Nun ja, hätte Benno diesen Ratschlag befolgt, wer weiß, vielleicht wäre er heute immer noch glücklicher Single...
Er hatte diese Menschen, die vor einem guten halben Jahrhundert seine ihm angetraute Rubensdame produziert hatten erst ein gutes halbes Jahr nach dem Einzug in die gemeinsame Wohnung das erste Mal getroffen. Und dieses erste Treffen war ihm schon in schlechter Erinnerung geblieben.
Benno war für seine Schwiegereltern nämlich ein Versager, ein armes Würstchen. Sie hatten es ihm natürlich nicht direkt gesagt, aber die Art wie sie mit ihm redeten, irgendwie so von oben herab, das kränkte Benno und vermittelte ihm schon bei der ersten Begegnung den Eindruck so willkommen zu sein wie Hämorrhoiden.
Trotz seines beschränkten Intellekts ahnte Benno bereits damals, dass diese beiden Personen lieber einen reichen Arzt oder einen gutaussehenden Anwalt an der Seite ihrer nicht ganz so gutaussehenden Tochter gesehen hätten. Am besten noch aus der ehemaligen DDR. Aber auch diese Berufsgruppen haben noch ihren Stolz und somit blieb nur so etwas wie Benno übrig: Ein dümmlicher, versoffener Wessi, der sein Geld damit verdiente in einem verrauchten Krankenhauskeller zu sitzen, Kaffee zu trinken und dumme Sprüche zu kloppen.
Besonders sein Schwiegervater Karl-Heinz, ein ehemaliger hochdekorierter Wehrmachtsgeneral, konnte partout nicht begreifen was er seit 1945 an schlimmen Dingen getan haben sollte, die eine solche Zumutung als Schwiegersohn rechtfertigten.
An dem heutigen Nachmittag, an dem diese Geschichte des unausweichlichen Verwandtenbesuchs beginnt, war Benno daher auch sehr erleichtert Schwiegermutter Hiltrud die Tür zu öffnen, die ihre Abneigung für Benno wenigstens nicht in verletzenden Nebensätzen äußerte.
„Hallo Bennochen!“ flötete sie gekünstelt und reichte Benno die faltige Hand. „Karl-Heinz kommt auch gleich, er holt nur noch Blondie aus dem Wagen!“ Benno stutzte und hielt die ergriffene Hand seiner Schwiegermutter ruckartig fester. „Habt ihr den Hund mitgebracht?“ Hiltrud erkannte sofort die Angst in Bennos versteinerter Miene: „Ach Benno der Hund mag dich doch!“ Benno wurde blaß. „Der hat mich fast umgebracht!“ japste er.
Wobei er mit „fast umgebracht“ jetzt ein wenig übertrieben hatte. Beim ersten Besuch von Benno und Gundula auf dem Gutshof ihrer Eltern in Treptow hatte es einen kleinen Unfall gegeben. Hundefanatiker Benno hatte nämlich nicht gewusst, dass Gundulas Eltern einen imposanten deutschen Schäferhund aus direkter Zuchtlinie einer anderen berüchtigten Schäferhündin gleichen Namens besaßen, was Altnazi Karl-Heinz natürlich stets voller Stolz betonte.
Wie auch immer, Benno hatte den Hund, Blondie hieß er, das erste Mal gesehen, als dieser bei besagtem Besuch über den Hof geschossen kam und wütend kläffend auf ihn zusteuerte. Er hatte sich daraufhin reflexartig in die Hosen gestrullt und war losgesprintet, soweit es seine operierten Kniescheiben zuließen. Doch nur Sekundenbruchteile später hatte ihn „Blondie“ aus vollem Lauf zu Boden gerissen und sich in seiner Lederimitatjacke verbissen, woraufhin Benno anfing zu kreischen wie ein kleines Mädchen. Zum Glück ist damals bis auf besagte Jacke alles in einem Stück geblieben, aber die Furcht blieb bei Benno weiter bestehen.
„Ach Benno! Der wird dir schon nichts tun!“ beschwichtigte Hiltrud ihn. Wo ist denn deine süße Frau?
„Gundula?“ fragte Benno, obgleich er wusste, dass er damit mal wieder die dümmste aller möglichen Antworten gewählt hatte. „Wer denn sonst?“ raunzte Karl-Heinz, der inzwischen mit dem böse dreinschauenden Schäferhund auf seinen ängstlichen Schwiegersohn zusteuerte. Benno gefiel die Tatsache nicht, dass ein beinahe 90-jähriger Rentner einen in seinen Augen brutalen Kampfhund an der Leine hielt. „Öhh, sie ist hier! GUNDULA! DEINE ELTERN SIND DA!“
Gundula hatte schon Kaffee und Kuchen bereitgestellt und freute sich auf das Wochenende mit ihren Eltern. Doch der Kaffeeklatsch war erst wenige Minuten alt, schon gab es wieder Streit. Der gierige Nimmersatt Benno hatte bereits 2 Stück Obstkuchen verspeist und wollte gerade das dritte und letzte Stück auf seinen Teller schaufeln, als Gundula ihm diskret aber kräftig gegens fahlweiße Schienbein trat. „Aua!“ grunzte Benno und sah empört auf.
Gundula sah ihn vorwurfsvoll an: „Vielleicht möchten meine Eltern auch noch was haben! Hast du darüber mal nachgedacht?“ Ehe Benno sich rechtfertigen konnte, meldete sich sein Herr Schwiegerpapa zu Wort: „Genau Junge, sei nicht so egoistisch! Im Krieg hatten wir auch nicht so viel!“ Das traf Benno hart. Er wusste schließlich genau wie es früher war. So hatte er es zumindest seinen Kindern aus erster Ehe immer weisgemacht. Aber erzähl das mal einem ehemaligen Sturmführer. Er atmete tief ein: „Entschuldigung! Möchte vielleicht jemand das letzte Stück Kuchen?“
Das war die Steilvorlage, auf die Karl-Heinz gewartet hatte. „Ja ich!“ krächzte er und hatte das Stück schneller auf dem Teller als es für Bennos Auge überhaupt greifbar war. Benno sah traurig der dicken Cocktailkirsche hinterher, die für immer zwischen den Kukidentbeissern seines Schwiegervaters verschwand.
Während Benno sein schmerzendes Schienbein rieb, grinste ihn Karl-Heinz genüßlich schmatzend an. Benno konnte regelrecht spüren wie sehr sein allerliebster Verwandter diese Sekunden genoß.
Wie grausam konnte das Leben doch sein.
Der gedemütigte und um sein Tortenstück betrogene Benno zog jetzt seine HB-Schachtel aus dem Karohemd, doch gerade als er nach dem Feuerzeug auf dem Tisch greifen wollte, nahm es ihm Hiltrud weg. „Benno! Ich habe doch ganz schweres Asthma! Du kannst doch jetzt nicht rauchen!“ Diese spitz formulierte Kastration seiner Macht im eigenen Haus brachte Benno innerlich auf 180 und als er gerade dachte es könne nicht mehr besser kommen, ergriff seine Gundi, die ihn eben noch vorwurfsvoll angeschaut hatte, das Wort:
„Wie wäre es wenn wir heute mal alle gemeinsam zum Italiener essen gehen? Ich habe da vorsorglich letzte Woche einen Tisch bestellt!“ Bennos Miene verfinsterte sich, denn er wusste genau, wer wieder die Zeche zahlen dürfte und wer sich stundenlang anhören dürfte wieso die Kriegsjugend die einzig wahre gewesen sei. „Nicht wahr Benno? Ist doch eine tolle Idee!“ stieß Gundula ihn an. „Was? Ja öh klar, klar!“ gab Benno zurück. „Gut, kannst du schon mal mit dem Abräumen abfangen?“ Benno konnte nur mit Mühe seine Empörung zurückhalten, schließlich war er hier nicht die Dienstmagd, der man obendrein noch das Rauchen verbieten könnte.
„Mhh, gut, mach ich!“
Während des Abräumens ließ er „Blondie“ keine Sekunde aus den Augen. Zwar lag dieser angeleint neben seinem Arschloch von Herrchen auf dem Boden des Esszimmers, aber Benno traute niemandem und erst recht keinem Hund.
Ihm war jedenfalls wohler als er in der Küche stand, weit weg von dieser Bestie. Er begann den Abwasch mit den vollgesabberten Kuchentellern. Oh wie er das hasste! Aber er könnte ja auch ganz anders! Jaha! Er würde sich rächen! Einem Benno Schwuppe klaut keiner ungestraft das Stück Torte!
Es war bereits dunkel als sich die Familie Schwuppe-Wanst auf dem Weg zum Restaurant „La Stella“ machen wollte.
Stammhalter Wolfgang war gerade erst von einem Punkkonzert in Berlin nach Hause gekommen und verkündete, er habe keine Lust essen zu gehen, woraufhin Gundula einem Kollaps nahe, ihren schwächlichen Ehemann Benno dazu anhielt, ihren alkoholisierten Sohn zur Räson zu bringen.
„Wolfgang kommst du bitte mit?“ sagte Benno mit entschlossener Stimme, als er diesen in der Küche stehen sah. „Nö ey, kein Bock, ich geh noch inn Park, saufen!“ Bennos Mundwinkel zuckten. Einer solchen Antwort musste man entschlossen und kompromißlos entgegentreten: „Das war aber keine Bitte!“ Wolfgang sah ihn herausfordernd an: „Sondern was...PAPI?“ Benno bemühte sich cool zu bleiben. Er wusste, dass ihm sein 16-jähriger Stiefsohn, der ihm jetzt eine Armlänge gegenüberstand, körperlich deutlich überlegen war und dazu noch das Verprügeln gepanzerter Polizisten und Randale im angetrunkenen Zustand zu seinen Lieblingshobbys zählten. Die Chancen ihn einzuschüchtern oder gar körperlich zu irgendetwas zwingen zu können standen also schlecht. Noch ehe Benno sich eine neue Taktik zurechtlegen konnte, buffte ihn Wolfgang schmerzhaft auf die Schulter und raunte: „Ich geh dann jetzt...PAPI!“
Benno hatte wie so oft versagt und seine Stiefeltern alles mitbekommen, da sie die Szenerie mit großen Augen vom Flur aus verfolgt hatten. Sofort meldete sich Karl-Heinz zu Wort: „Also in meiner Jugend hätt ich ein paar auffe Fresse bekommen!“ Benno schämte sich, dass er so ein Feigling war und Karl-Heinz jetzt schon wieder einen Aufhänger geliefert hatte. „Benno lern mal deinen Jungen zu erziehen!“ krähte Karl-Heinz. „Ja Benno der tanzt euch ja auf der Nase rum!“ pflichtete ihm Hiltrud bei. Gundula fing an zu weinen. Benno wurde jetzt ungehalten: „Was heißt hier deinen Jungen? Der ist nicht mal von mir!“ Aber da hatte er schon die Schwächlingsplakette in den Augen seiner Angehörigen für sich gepachtet.
Dieser kurze Disput war jedoch immer noch das herrschende Gesprächsthema, als Benno bereits einen Parkplatz im unmittelbarer Nähe des Restaurants suchte. „Unglaublich sowas!“ raunzte Karl-Heinz. „Sowas würds bei mir nicht geben!“ Benno schwieg. Er war sauer und hätte den Greis am liebsten verprügelt. Doch jetzt galt es erstmal einen Parkplatz zu finden. „Nicht so weit weg bitte!“ sagte Gundula in diesem bohrenden Ton. „Du weißt, ich kann nicht so weit laufen!“ Benno schielte böse zu ihr herüber. „WEIL DU SO FETT BIST!“ schrie es in seinem Kopf. „Ja, ich tu was ich kann!“ flötete er.
Einige Minuten darauf manövrierte Benno seinen Golf in eine Parklücke drei Straßen vom Restaurant entfernt. Karl-Heinz schimpfte, er wolle hier keinen Todesmarsch machen, Hiltrud plapperte ihm wie immer alles nach und Gundula lamentierte, sie habe vorher schon drei freie Parkplätze gesehen. Es war einfach traumhaft.
Auch das Essen sollte nicht reibungslos verlaufen.
Weil Hiltrud und ihre Tochter sehr schnell in eine angeregte Diskussion über die Behandlung von wundgelegenen Stellen einstiegen, nutzte Karl-Heinz die Gunst der Stunde, Benno mal gepflegt eine verbale Abreibung zu verpassen:
„Ist ja ein piekfeines Restaurant hier!“ begann er sein Plädoyer, „sowas gibt’s bei uns in Treptow gar nicht!“ Benno sah kurz von der Speisekarte auf, die er gerade vor dem inneren Auge nach Preisen absteigend geordnet hatte, um etwas Interesse zu heucheln: „Nicht?“ Aber Karl-Heinz ließ sich durch Bennos gelangweilte Nachfrage nicht entmutigen: „Nein, so etwas gibt es bei uns nicht! Nur deutsche Küche! Und alles ein wenig rustikaler!“ fuhr Karl-Heinz fort. Seine faltigen Augen musterten die Marmorsäulen neben dem Tisch. „Ich hoffe das Essen ist hier nicht so teuer wie die Marmorsäulen!“ Er grinste. „Wir wollen ja nicht dein ganzes Monatsgehalt verköstigen!“ Benno, dessen dümmlicher Blick zunächst wieder auf den Kindermenüs auf der Sparseite der Speisekarte ruhte, merkte, wie dieser Satz eiskalt in seine Magengegend schlug. „Er hat mich attackiert! Der alte Mann hat mich attackiert!“ schoß es ihm durch den Kopf. „Er hat sich über meinen Verdienst lustig gemacht!“ Er sah in den Augenwinkeln, wie sich seine Schwiegermutter und seine Frau noch immer über ihre Schenkel unterhielten. Sie hatten es noch nicht einmal gehört, wie er hier niedergemacht wurde!
Noch ehe Benno irgendeine Art von Reaktion zeigen konnte, schob Karl-Heinz den nächsten Affront hinterher: „Wieviel verdienst du in deinem Beruf eigentlich so? Ich meine, als Hausmeister kanns ja nicht so viel sein oder?“
Das hatte gesessen! Benno war sauer. Richtig sauer. Er starrte seinen Schwiegervater an und wusste zunächst gar nicht, wie er diesem alten Sackgesicht beikommen sollte. Dieser starrte ihn ebenfalls noch immer wie ein wie ein neugieriger Fünfjähriger an, als erwarte er tatsächlich eine Antwort.
Benno wurde nun bewusst, dass man solchen unangenehmen Fragen nur mit einer gehörigen Portion Eier in der Hose begegnen könnte. Das Problem war: Eier hatte Benno noch nie gehabt. Erst recht nicht in der Hose.
Anstatt also seinen Schwiegervater offen auf den Mißstand hinzuweisen und ihm gegebenfalls diskret Gewalt anzudrohen, ignorierte Benno diesen und stieg als Zuhörer in die Diskussion um wundgelegene Schenkel ein. Dennoch kochte er innerlich, während sich Karl-Heinz zufrieden über den errungenen Sieg in Richtung Toilette begab.
Als der Aperitiv gereicht wurde, begann sich Bennos Laune langsam zu bessern. War zwar nur Federweisser und nicht Feldschlößchen, aber heute war es ja auch ein italienisches Restaurant und nicht die Eckkneipe. Also rein mit dem Alkohol.
Benno wollte die Kanüle schon ansetzten, da flüsterte Hiltrud ganz diskret in Richtung des Kellners: „Wir nehmen nur drei bitte! Mein Mann trinkt keinen Alkohol!“ und reichte das übriggebliebene Glas an diesen zurück.
Nanu? Benno war überrascht. Keinen Alkohol? Als sein dümmlicher, fragender Blick Gundulas Sehfeld kreuzte, tuschelte sie: „Mein Vater ist trockener Alkoholiker! Und er muss seine Herzmedikamente nehmen!“
Benno grinste innerlich. Soso! Trockener Alkoholiker mit Herzmedikamenten! Das kam ihm zupaß.
Der weitere Verlauf des Abends gestaltete sich im wesentlichen so, dass Benno, sparsam und genügsam, ein Kinderschnitzel mit Pommes für 4 Euro bestellte, was in seinen Augen schon mindestens drei Euro zu viel waren und insgesamt drei Sektschorlen konsumierte, womit er das Maximum an von Gundula zugestandenem Alkoholkonsum ausfüllte, die zwei halben Liter die Benno in seiner Jackettjacke hineingeschmuggelt und auf der Toilette gierig heruntergeext hatte, nicht mitgerechnet.
Seine Liebste bestellte sich allerdings ein venezianisches Dreigängemenü für „nur“ 36 Euro und Bennos heißgeliebte Schwiegereltern, denen die italienische Küche angeblich vollkommen fremd war, ließen es sich mit einem Trüffel-Hummerteller für zwei für schlappe 68 Euro auf Bennos Kosten mal so richtig gut gehen.
Weiterhin fragte Hiltrud Benno über die Tapeten seines Elternhauses aus und Karl-Heinz versuchte mit ein paar Anekdoten seiner Aufseherzeit aus Sobibor seine Familie zu belehren. Eigentlich war es ein völlig normales Abendessen einer glücklichen Familie. Doch Benno hatte nicht vergessen, dass sein Schwiegervater sich über ihn lustig gemacht hatte. Wenn es auch außer ihm und den Koi-Karpfen im Aquarium neben dem Tisch keiner mitbekommen hatte. Und nun sann er auf Rache.
Noch bevor an diesem Abend im Hause Schwuppe die Lichter erloschen und Benno die lieblichen Schnarchlaute der verhassten Ostverwandtschaft genießen durfte, hatte er im Gäste-WC das brennend scharfe Mentholmundwasser gegen ein gepanschtes Gemisch aus Wacholderschnaps und Eukalyptustropfen ausgetauscht und sich dann wie ein Schuljunge kichernd auf das gefreut, was seiner Schätzung nach in wenigen Stunden eintreten dürfte.
Und genauso kam es auch.
Um kurz vor drei stürmte Hiltrud völlig panisch ins Schlafzimmer ihrer Tochter. „Gundula! Benno! Schnell! Ruft einen Arzt!“ kreischte sie. Gundula war schlagartig hellwach, während Benno sich grinsend noch einmal herumwälzte. „Was ist denn los Mutti?“ fragte Gundula ängstlich, während sie ihren riesigen rosa Plüschbademantel überwarf, in dem sie im fahlen Mondlicht des Schlafzimmers auf einmal eine unglaubliche Ähnlichkeit mit Samson aus der Sesamstrasse hatte.
Benno grinste immer noch. Offenbar hatte sein gerissener Plan vollen Erfolg gehabt. Er quetschte seine Morgenlatte zurück in den himmelblauen Eierkneifer und drehte sich zu seiner Schwiegermutter: „Was ist denn los Mutter?“
„Karl-Heinz ist tot!“
Jetzt war Benno das dümmliche Grinsen vergangen. „Wie tot?“ stammelte Benno, ehe Gundula anfing loszukreischen. „Neeeiiiin! Oh Gottogott!“ Dann fingen beide an, wie die Schloßhunde loszuheulen und rumzukreischen, das Benno sein eigenes Gestammel nicht mehr verstand. „Was ist passiert? Wo ist er denn?“ beruhigte er die Situation. „Er liegt im Badezimmer! Ich glaube er ist tot!“ schluchzte Hiltrud. „Ruft schnell einen Arzt!“
Aber Benno dachte ja gar nicht daran. „Ihr bleibt hier! Ich sehe mal nach!“ raunzte er und hinkte ein wenig besorgt in Richtung Badezimmer. Sein Verdacht bestätigte sich. Der Alte war nicht tot, aber wohl auch nicht allzu weit davon entfernt. Darauf ließen zumindest die bis auf den letzten Tropfen geleerte Mundwasserflasche und der halbverdaute Trüffelteller schließen, welcher sich zusammen mit Bennos teuflischen Gebräu auf dem Morgenmantel des ausgeknockten Rentners befand.
Er sah sich um.
Dann schob er die Mundwasserflasche unter den Badezimmerschrank, zog die Wacholderschnapsflasche aus dem Wäschekorb unter dem Waschbecken und legte diese auffällig unuffällig neben seinen herzallerliebsten Schwiegervater. „Jetzt weißt du wieviel ich verdiene...tortenfressender Penner!“
Benno fühlte sich ein wenig wie George Clooney in „Emergency Room“ als er gleich darauf vor Gundula und Hiltrud trat: „Keine Sorge, er ist nicht tot! Ich habe alle Vitalfunktionen genauestens geprüft! Aber ich glaube es ist besser wenn ihr trotzdem einen Arzt ruft! Er hat offenbar Alkohol getrunken!“ Gundulas Gesichtszüge entgleisten: „Was?“ Hiltrud schüttelte den Kopf: „Nein, nein, er trinkt niemals!“ Benno setzte den überlegenen Medizinerblick auf, obgleich es verwunderlich ist, dass ein unterbelichteter Krankenhaustechniker wie er dazu überhaupt in der Lage ist und schwadronierte weiter: „Es sieht aber ganz danach aus als hätte er eine ganze Flasche vierzigprozentigen Wacholderschnaps geleert!“ Und dann zeigte er durch die halboffene Tür auf die Flasche die neben Karl-Heinz' ausgestreckten rechten Arm lag.
Die folgenden Szenen führten dazu, dass Benno aufgrund seiner eigenen Gerissenheit nach langer Zeit mal wieder eine Erektion bekam. Karl-Heinz hatte bei seiner Frau verschissen, bei seiner Tochter verschissen und vermutlich auch bei den genervt wirkenden Sanitätern, die um halb 4 schließlich an der Tür klingelten, wodurch der Hund die halbe Nachbarschaft weckte. Benno bekam ein großes Lob von seiner Schwiegermutter, sich so gut um Karl-Heinz gekümmert zu haben und Gundula versprach ihm, ihn nie wieder zu verprügeln. Ein Sieg auf ganzer Linie?
Nur scheinbar.
Am nächsten Morgen wollten Gundula und Hiltrud Karl-Heinz im Krankenhaus besuchen gehen. Benno hatte sich am Frühstückstisch durch Magenschmerzen entschuldigt, er wolle seinen Besuch aber „so schnell wie möglich nachholen“. Das ließen die beiden überaus dankbaren Frauen natürlich gelten. Selbst wenn Benno die Welt in diesem Moment zur Scheibe erklärt hätte, die beiden hätten noch zustimmend genickt.
„Ich räume auch das Geschirr weg! Geht nur!“ sagte Benno, als die beiden im Hausflur standen. „Wünscht ihm gute Besserung von mir!“ Hiltrud nickte und streichelte Schäferhund Blondie, welcher aufgeregt um ihre Beine lief. Als schiene er zu spüren, dass seinem Herrchen etwas schlimmes angetan wurde.
Benno verzog sich nach oben, wo er wartete, bis die beiden Frauen das Haus verließen. Dann machte er sich ein Bier auf und schlenderte zu dem nun verlassenen Frühstückstisch im Esszimmer. Langsam, ganz langsam, begann er dort die Teller aufeinanderzuschichten und die Tassen auf einem Tablett zu stapeln. Immer wieder nippte er zufrieden an seinem Bier und freute sich, wie schlau und toll er doch war und dass er sich selbst noch einmal bewiesen hatte, dass ihm so schnell keiner ans Bein pinkelt.
Als er das Geschirr dann vollständig zusammengeraffelt hatte und seine Birkenstock-Sandalen Richtung Küche in Bewegung gesetzt hatte, kam urplötzlich Blondie um die Ecke des Esszimmers getrabt. „Ach du Scheiße!“ keuchte Benno und merkte wie ihm beim Anblick des Hundes eiskalte Schauder über den Rücken jagten. „Wieso ist dieser verdammte Köter hier?“ schoß es ihm durch den Kopf. Als er ihn zuletzt gesehen hatte, war dieser um die Beine seines Frauchens gelaufen, als ginge es auf einen Spaziergang zum Krankenhaus. Und jetzt hatten diese ihn einfach hiergelassen!
Mit dieser Situation hatte der ach so kluge Benno nicht im geringsten gerechnet.
Blondie blieb gute 2 Meter vor ihm im Esszimmer stehen und musterte unseren Küchenhelfer neugierig. Benno hatte keine Ahnung von der Körpersprache eines Hundes. Wollte er mich sofort töten oder ist er doch ein nettes Hundchen?
„Na du?“ flötete Benno ängstlich und reckte den Kopf. „Alles klar?“ Blondie reagierte nicht auf diesen zugegeben etwas erbärmlichen Kommunikationsversuch und starrte ihn weiter an.
Benno hatte mal vor Jahren eine Dokumentation über Polizeihunde gesehen, in der gesagt wurde, man sollte diesen Mistviechern auf keinen Fall in die Augen schauen, sonst würden diese durchdrehen. Diese Erkenntnis förderte seine Angst umso mehr.
Das war schließlich leicht gesagt. Er stand hier mit zwei Dutzend Porzellanteilen im Arm, Auge in Auge mit einer blutrünstigen Bestie. Er konnte genau fühlen wie der Hund ihn beobachtete und aus jedem Blinzler seine schaurigen Schlüsse zog. Er bemerkte, wie er anfing zu zittern und ihm der kalte Schweiß in die Ritze lief.
Und dann fiel ihm leider auch noch ein, dass Hunde für diese Angstsymptome eine Art siebten Sinn haben und ausgesprochen aggressiv darauf reagierten.
Benno tippelte jetzt rückwärts Richtung Schrank. Vielleicht eine Spur zu schnell, denn zu seinem blanken Entsetzen folgte ihm der nun noch bedrohlicher starrende Hund sofort. „Bleib ja weg!“ fiepte Benno voller Angst. Doch der Hund hörte gar nicht auf Benno und begann stattdessen zu knurren.
Benno ließ das Geschirr mit lautem Klirren fallen und hechtete in die Ecke zu dem schon etwas angestaubten Wohnzimmerschrank aus Buchenimitat. Er riss die Tür auf, sprang hinein und merkte im selben Moment, wie ihm der Schäferhund eine schöne Risswunde in die Wade verpasste. „Jiauu!“ kreischte er, ehe er hastig die Tür hinter sich zuzog. „Verfluchte Töle!“ jaulte Benno weiter und realisierte, den Griff der Tür fest umklammert, was da gerade passiert war.
Benno versuchte sich in dem stockdunklen Schrank zu sammeln. Er konnte seinen Angstgegner hören. Er hörte das Metall des Halsbandes klimpern und die Pfoten über das Parkett schaben. Der Alptraum war Realität geworden! Tausende Gedanken schossen ihm nun durch den Kopf. Warum zur Hölle war der Hund hier? Wieso geht das Viech tatsächlich auf mich los? Was würde jetzt geschehen? Soviele Fragen auf einmal.
Ehe er sich versah, beantwortete sich die letztgenannte schon von selbst in Form eines dumpfen Schlages und lautem, wütenden Bellen. „Blondie“ sprang nun mit seinem stattlichen Gewicht von guten anderthalb Zentnern wieder und wieder gegen den Schrank, so dass dieser bedrohlich knarrte. Benno merkte wie seine Hose nass wurde – schon wieder.
„Aaaah lass mich in Ruhe!“ kreischte er voller Panik. Er hatte in diesem Moment eine schwache Ahnung wie es sich anfühlt in einem Erdbebengebiet zu leben. Doch der Hund hörte nicht auf. Im Gegenteil. Wie Mörsereinschläge krachte der Hundekörper wieder und wieder gegen die morsche Sperrholzkonstruktion. „OH GOTT! HILF MIR DOCH EINER!“ Benno hörte die Schrauben bei jedem Einschlag mehr knirschen und merkte, wie er seine Hose jetzt auch von der anderen Seite befüllte.
Dieser Vorgang war noch in vollem Gange, als plötzlich die Schwerkraft für einen Moment verschwand. Benno wusste gar nicht wie ihm geschah, da knallte es schon fürchterlich und er sah Sternchen. Der Hund hatte den Schrank umgeworfen und war jetzt auf die äußerst dünne Rückseite gestiegen, dass diese sich bedrohlich durchbog. Das wütende Bellen und Knurren wurde immer lauter und nur noch ein paar Millimeter Pressspan trennten Benno vom sicheren Tod.
Er hatte sich gerade komplett entleert, als die Rückwand mit einem Ächzen durchbrach und nun mitsamt 75 Kilogramm blutrünstigem Schäferhund direkt auf ihm auflag. Er schnappte nach Luft. Drei bis Vier Rippen brachen unter der Last ab wie Zahnstocher. Jetzt war alles verloren. In wenigen Sekunden wäre er Hackfleisch. Dann hob sich die Platte in Bennos Fußgegend und eine Schnauze packte seinen Halbschuh Größe 36. „AAAAAHHHHH!“
Ein lauter, nur zu vertrauter Schrei ertönte: „BLONDIE AUS!“
Sofort hörte das Gebelle auf und die Last verschwand. Benno keuchte. Ein Geruchsgemisch aus Angstschweiß, Hundesabber und menschlichen Exkrementen stieg ihm in die Nase. „Oh mein Gott!“ raunte er immer wieder. Doch abgesehen von diesen lauten war es von einer Sekunde auf die andere totenstill.
Sekundenbruchteile später wurde die zersplitterte Rückwand zur Seite gezogen und ein ihm wohlbekannter Ex-Wehrmachtler packte ihn an seinem durchtränkten Frack. „Kannst froh sein, dass ich deinen Mordanschlag überlebt habe!“ raunzte ein zwar blasser aber aufrechter Karl-Heinz. Er musterte Bennos vollgeschissene Hosen und raunzte: „Geh dich waschen!“
Benno wusste nicht was er tun oder sagen sollte, er merkte lediglich, wie die Fäkalmasse an seinem Bein langsam abkühlte und ihn der eiskalte Blick des wiedergenesenen Rentners mit dem Kampfhund an der Hand traf.
Dann wendete er sich ab, stakste in Richtung Tür, fing dabei leise aber hörbar an zu heulen und schloß sich im Badezimmer ein, welches er erst am Abend verließ, als seine Schwiegereltern bereits auf der Heimreise waren und Gundula ihm androhte für jede Minute die er die Tür nicht aufmacht weitere zehn Schläge auf den nackten Arsch zu verteilen.
Während die kräftige Frau also die nächste halbe Stunde den wie ein kleines Kind wimmernden Benno verdrosch, schwor sich dieser zwischen den Schmerzensschreien ein für allemal, nie wieder seine Verwandten aus der Ostzone in sein Haus zu lassen.