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Bestseller
Endlich ist der Tag gekommen, an dem ich all den Zweiflern, den Spöttern und Neidern zurufen kann:
Ich habe es geschafft! Ich, Erwin Palluschke, bin wichtig!
Nach jahrelanger Missachtung meines Genies, nach unzähligen Absagen ignoranter Verlage, bin ich es nun, der mit seinem gesellschaftskritischen Werk „Der soziale Aufstieg eines Berliner Ghetto-Kindes mit Migrations-hintergrund nach Missbrauch in einem katholischen Jungeninternat“ die Bestsellerlisten dieses Landes seit Wochen dominiert.
Gut, in meinem alten Viertel kann ich mich nicht mehr sehen lassen, weil ich die Plattenbaubewohner in einer gut recherchierten Statistik mit halb-intelligenten Kanalratten gleichgesetzt habe, aber was macht das schon.
Die Presse liebt mich! Und dann die Talkshows: Will, Plassberg, Kerner, Maischberger – bei ihnen allen saß ich schon, kontrovers diskutierte ich mit den Mächtigen und Berühmten und scheute mich auch nicht, unbequeme Aussagen zur durchschnittlichen Penislänge katholischer Priester zu tätigen.
Die Welt hat nur auf mich gewartet! Erst vorgestern bin ich umgezogen, auf Anraten meines Agenten – ja, wichtige Menschen wie ich brauchen ihre Agenten – in einen Szenestadtteil mit hohem Ausländeranteil, weil ich so multi-kulti-tolerant bin.
Und gleich heute kommt ein Fernsehteam, ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, von welcher Sendung mein guter Agent da gesprochen hat, ich war damit beschäftigt, dem jüdischen Kulturverein eine Ausgabe meines neuesten Werkes „We killed Jesus“ zu signieren.
Da klingelt es schon an der Tür und vier nette Menschen in T-Shirts mit dem Logo eines kleinen Privatsenders strahlen mich an. Huldvoll lächle ich zurück, nur herein, herein mit Kamera und Licht. Etwas Puder? Ja, ja, umwerbt mich.
Dann diese Frage, die alles ändert: „Was wollen Sie kochen?“
Minuten später liege ich auf dem Boden, die Schmerzen in der linken Schulter nehmen immer mehr zu und ich wünschte mir, endlich aus diesem Albtraum zu erwachen. Ich, der Literat, der erste Anwärter auf sämtliche Kulturpreise, als stümperhafter Amateur-Gastronom für vier D-Prominente? Zu viel, mein Herz, zu viel.
Gnädig umfängt mich die Dunkelheit, und während sich die Sanitäter noch mit mir abmühen höre ich die Stimme meines Agenten an meinem Ohr: „Titelseite, Erwin. Damit schaffen wir’s nochmal auf die Titelseite.“