Beste Freundin
Carla sprudelte mal wieder über und, - wie sie dann üblicherweise ganz eilig einen geduldigen Zuhörer sucht, - rief sie bei mir an.
Wie fast immer.
„Du glaubst es nicht, rate mal! – Nein warte, ich geb dir ein Stichwort. – Es heißt…, nein, das ist zu einfach. – Warte noch, es heißt…“
Ich hätte ihr liebend gern einen Vorschlag, wie ‚knackiger Traummann mit Geld an der Angel’, gemacht, aber sie ließ mir keine Sekunde.
„Es heißt, - ach Melanie, sei nicht so stumpf, mach doch mal mit, mein Stichwort heißt A S I E N. – Was sagst du? Du hast schon eine Idee? Das hab ich mir gedacht, das war leider viel zu einfach für dich mit meinem Stichwort.“
Ich hatte immer noch nichts, nicht mal ein einfaches ‚Hallo’ erwidern können, auch jetzt nicht.
„Also, wie kommst du darauf! Melanie, los sag schon was. –
Es handelt sich nicht um eine Reise, im Gegenteil, man kann damit sogar Geld verdienen.“
Sie zog das Wort verdienen, genüsslich wie die Amsel den unwilligen Wurm, in die Länge. Carla war nicht zu stoppen.
„Sag schon, was kann es sein? Und, - ich mache es dir noch einfacher, auch du wirst etwas davon haben.“
Unwillkürlich merkte ich, wie sich bei mir eine Stirnfalte bildete. Mir war noch ihr schwungvoller Einsatz beim Tapezieren in guter Erinnerung, als sie zusammen mit Marko und zwei Flaschen Edelsekt, also Fast-Champagner, die Bahnen der Kirschblütenseidentapete waagrecht an der Wand in der Essecke festklebte.
‚Das geht nicht anders, Liebes’, war ihre Erklärung, ‚guck doch mal die Zweige an, da fällt doch jeder Vogel runter. – Außerdem hatten wir richtig Spaß dabei’. Was ich ihr sofort geglaubt hatte. Ich kenne Marko, er ist immerhin mein Mann.
Also, was könnte das sein, was ich von Carla bekomme und mich vorbehaltlos drüber freue? Bevor ich eine Rückfrage formulieren konnte, war Carla weiter am Sprudeln: „Ich könnte euch auch besuchen und wir bereden alles vor Ort, dann machen wir gleich eine Liste und bringen die ersten Skizzen aufs Papier. Also passt es Euch am Samstag? – Ich hätte große Lust bei euch, meinen besten Freunden, mein erstes professionelles Projekt durchzuziehen. Und wenn ihr mögt und euch alles gefallen hat, erkläre ich euch zu meiner ersten fantastischen Vorzeige, meiner Referenz, und wenn dann Interessenten kommen und einen Durchgang durch euer Haus machen und es ihnen so sehr gefällt, das es zu einem Abschluss kommt, lade ich euch jedes Mal zum Essen ein. Klingt das gut? –
Nun sag schon Melanie. Du lässt dir aber alles aus der Nase ziehen, muss ich mal sagen, - wie gefällt dir mein Vorschlag?“ –
Jetzt konnte ich nicht länger meine Klappe halten: „Carlaaa“, schrie ich fast, „was soll das, ich weiß nicht wovon du redest, erklär dich doch bitte“.
„Also, wirklich, Melanie, ich habe dir gleich zu Anfang ein Stichwort gegeben und eben grad schon mein ganzes Geschäftsmodell vor dir ausgebreitet und du zickst da rum, willst dich einfach nicht in die Denke deiner allerbesten Freundin versetzen. Mann, Mann, Melanie, nu mach aber schon. – Pass auf, das Stichwort hieß A S I E N. –
Das war doch schon mal was. Und dann mein Arbeitsbesuch bei euch am Samstag! – Was, glaubst du, tu ich da in eurer Hütte?“
Mich fiel ein komisches Gefühl an, tragisch, irrwitzig, ich versuchte es mit „tapezieren?“
Doch, Carla kann auch Humor. Sie prustete in mein Ohr.
„Mein Schäfchen, mein liebes Hühnchen, hast du immer noch ein schlechtes Gewissen weil die Vögelchen vom Ast fallen könnten?
Du hast doch selbst gesagt, dass die Zweige jetzt, wie doch gleich, ‚naturalistisch gerichtet‘ seien. Übrigens, das war auch für mich der eigentliche Anlass dieses Wochenendseminar zu buchen und was glaubst du habe ich zum Abschluss bekommen? – Na, was glaubst du? Eine dicke Urkunde! Genauer gesagt sogar ein Diplom. – Puff, jetzt bist du aber platt, - oder?“
„Carlaaa“, schrie ich jetzt wieder, „ich weiß nicht für was. Das Thema für das Seminar hast du mir verschwiegen. Und wenn du nicht tapezierst, was willst du dann machen?“
Kein Wort mehr von mir, ich gab ihr jetzt die Zeit etwas Vernünftiges zu sagen. Sie war sonst nicht so verknotet, eigentlich konnten wir ganz gut. Jetzt dachte ich mir ist Carla dran, jetzt muss sie raus aus ihrer Ecke.
Und sie kam. Im Flötenton.
„Melanie, mein Mäuschen, auf was für einem dicken Schlauch stehst du eigentlich? – Ich muss dich mal was fragen. Wenn du durch euer renoviertes Eigenheim gehst, auf die angrenzenden Felder schaust, was denkst du dir eigentlich dabei, nu sag mal, was denkst du dir?“
Ich war verblüfft, was sollte das jetzt? – Was hat das mit Carla und ihrem Anruf zu tun? Schluss jetzt, - ich hatte es dicke mit Carla.
„Ich bin am Ende, beste Freundin, komm am Samstag, wann du willst und dann tust du, was du tun musst. – Na ja, vielleicht sagen wir um drei Uhr.“
Sie hatte schneller auf die rote Taste gedrückt als ich auflegen konnte.
Am Samstag, um halb Drei stand sie mit einem Sphinx Gesicht und, am Umfang gemessen, einer Art Tapetenmusterbuch unterm Arm vor der Tür.
Küsschen, Küsschen und natürlich drei für Marko, obwohl der gleich das Limit setzte: „Um Fünf guck ich Sportschau!“
Das Musterbuch glitt aus ihrem Arm, ihr Blick wurde starr, sie war nicht ansprechbar.
Sie schüttelte ihren Kopf. „Nein, nein, - mein armes Mäuschen, was musst du eigentlich erleiden und das auch noch jeden Tag!“
Marko, der diesen Satz noch mitgehört hatte, wandte schief und scheel seinen Kopf zu ihr zurück: „Du meinst nicht mich, oder?“
Carla konnte von der Haustür aus durch unser Esszimmer auf die Terrasse sehen. Auf das Riesenbuch waren vielleicht japanische Buchstaben in rot und gold geprägt, schwungvoll, aber ich musste Carla folgen. Von einem unsichtbaren Seil gezogen wie ein Schlafwandler auf dem Dachfirst schnürte Carla geradeaus durchs Esszimmer, trat auf die Terrasse. Sie ignorierte den herrlich blühenden Apfelbaum und erst jetzt wandten sich ihre Augen nach oben, nahmen die von Marko kürzlich mit Stolz installierten vier Balken, oder vielleicht besser Bälkchen, wahr und kommentierte abgrundtief erneut: „Mein armes Mäuschen!“
Marko, bereit sein Werk zu verteidigen, kam hinterher.
„Was ist los, und was ist mit Mäuschen. – Das ist ein Luftraum, in der modernen Architektur der Übergang von drinnen nach draußen. Hast du vielleicht schon mal gesehen!“
Carla holte tief Luft: “Ich komme heute zu euch mit der Riesenüberraschung, dass ich mein Diplom vorige Woche mit Fünf plus, das ist in China eine fette Eins, gemacht habe und der Herr des Hauses weiß es natürlich besser und legt derweil schon mal einen Luftraum an und noch dazu in DUNKELBRAUN!“
Ich musste einschreiten, meine Freundschaft zu Carla wollte ich auf keinen Fall aufs Spiel setzen. Sie hatte einen Feng Shui Kurs besucht und da sie ein willfähriges Opfer für den Ersteinsatz suchte, kam sie natürlich zu uns. Eigentlich war ich Marko dankbar für seine vier Bälkchen, denn ohne diese Steine, besser Hölzer des Anstoßes hätte Carla garantiert einen Hausdurchgang zelebriert. Um es auf den Punkt zu bringen, es blieb nach hitzigen Diskussionen an der Farbe der Balken hängen.
Carla formulierte: „DUNKELBRAUN, das ist Erde, das ist Grab, aber hängen tun sie nun mal im Himmel. Willst Du Tod oder Leben?“
Marko war irgendwann breit geklopft, aber inzwischen ging es auch auf die Sportschau zu. Er gestand mir später, dass ihm seine Balken auch ein bisschen düster vorgekommen wären. Aber Kranichgrau? Carla hatte darauf bestanden, ‚sie fliegen schließlich am Himmel!’ und dass sie auch die Farbe besorgen wollte. Um des lieben Friedens Willen.
Carla brachte das Farbtöpfchen, wie versprochen Kranichgrau, nur lesen konnte man das nicht, es ist echt chinesisch, sagte sie. Und es kostete 39 Euro. Als Marko am Abend die Sache begutachtete: „Die will mich vereiern, ein Schminkdöschen voll Farbe für meine Balken! - Ha!“
Aber Carla beharrte am Telefon, es sei keine Farbe, sondern Feng Shui und sie hatte die Bedarfsmenge auf ihrer Website rechnen lassen.
Ich musste zu dem Zeitpunkt Markos Mut noch bewundern. Am nächsten Abend hatte er seine vier Balken wieder herunter genommen und am Schubkarrenrand und dem Terrassenmäuerchen abgelegt.
Ich wagte den Streichvorgang nicht zu unterbrechen, hielt mich im Haus auf und als er hereinkam, quetschte er ein „aber grade so!“ hervor. Begeistert klingt anders.
Er ging früh schlafen, ich sah noch das Gewitter heraufziehen, aber was konnte ich schon tun?
Noch vor dem Gang ins Bad war Marko bei seinen Bälkchen. Deutlich in der Sonne zu sehen, wie jeder Regentropfen eine Spur hinterlassen hatte, ein Hammerschlageffekt, der zum Kringeln aussah. Auch in Kranichgrau. „Das reib ich ihr unter ihre Feng shui Nase, die ist ja immer noch nicht trocken!“ Ich denke damit verurteilte er die chinesische Farbe.
Im Lauf der Woche lieferte Carla, sich ganz als Geschäftsfrau gebend, ein weiteres Töpfchen Kranichgrau, für 39 Euro. Eine Auseinandersetzung wurde vermieden, weil die Beiden nicht aufeinandertrafen. Ich gab ihr das Geld.
Und Marko gab sich erneut alle Mühe, die Bälkchen lagen noch bereit, er schmirgelte, ‚mit 400er Körnung ganz gefühlvoll’, wie er kommentierte und schon war das ‚Schminktöpfchen’ wieder leer.
‚Grade so’, siehe oben.
Marko interessierte sich plötzlich für den Wetterbericht bevor er schlafen ging, - ‚garantiert kein Regen, alles Roger’.
Am nächsten Morgen kam Marko von der Terrasse zum Frühstück mit dem was wir Beide als einen ‚Dicken Hals‘ bezeichneten.
„Das musst du sehen!“
Ich sah es.
In der Nacht hatte sich unser Apfelbaum schon mal seiner weiß-rosa Pracht entledigt und Markos Feng Shui Bälkchen mit Blütenblättern bestreuselt. Und festgeklebt.
„Jetzt ist Schluss mit Feng Shui, liebste Carla“, knurrte er und packte das leere Farbdöschen in Zeitung gewickelt in seinen Bürorucksack.
Mir war schon klar, was kommen würde.
Am Abend war er in seinem Lieblingsbaumarkt gewesen und hatte sich die Farbe nach Vorlage des Kranichdöschens mischen lassen. Leider gibt es diesen Service nur für eine Mindestmenge von einem Dreiviertelliter, und der kostete auch immerhin 37 Euro.
Aber, nach Kranich sah es aus.
Und nun deckte er seine Strategie mir gegenüber auf. „Ich warte bis Samstag, dann streiche ich und bleibe daneben, bis es trocken ist.“
Samstag.
Marko schmirgelt mit 400er, entstaubt, trägt mit der Farbwalze gekonnt das Kranichplagiat auf.
Die Bälkchen liegen wie Speckschwarten in der Sonne, Marko wachsam, wie der Rottweiler vom Metzger und dann.
Ja und dann kam der Bauer und brachte seinen Mist auf dem angrenzenden Feld aus. Marko zog ein Gesicht, aber zunächst roch es nur nicht gut.
Ein bisschen verkniffen lächelnd kam rein, aber ich konnte schon erkennen, dass er sich als Sieger fühlte.
„Hä hä, das wird ein Sheng Pfui!“
Nach dem Essen ein Kontrollgang, ich höre ihn schreien.
„Ich bring euch alle um!“
Wen er meinte, war mir erst klar, als ich in den Garten rannte und die Bälkchen betüpfelt wie ein alter Fliegenfänger mit Scharen von Schmeißfliegen sah. Offensichtlich war die Baumarktfarbe noch verlockender als der Mist. Aber umbringen musste Marko niemand mehr, die Fliegen klebten bombenfest!
Am Sonntag kam Carla, lachte mit uns über die Fliegenbeine.
Unsere gute Freundschaft blieb, sie hatte eine weitere harte Probe bestanden.