Besoffene Weihnachtsmänner und Engel in Strapsen
Weihnachten stand vor der Tür und es schien dass Hanna dieses Jahr die Feiertage einsam verbringen müsste. Vor zwei Wochen hatte Erich sie verlassen. Grund: bisher unbekannt. Vermutung: Blonde Versuchung auf Storchenbeinen. Der Traum von Zweisamkeit unter nordischer Tanne war somit geplatzt. Jammern in Mamas und Papas Wohnzimmer? Daraus wurde heuer leider auch nichts, die sind nämlich schon vor zwei Wochen nach Kuba gereist um dort Weihnachten zu verbringen - weit weg von Trubel und Stress, weit weg von Hanna.
Am Morgen des 24. Dezember wachte Hanna schon früh auf. Sie ging in die Küche, fütterte ihre Katzen Mops und Lukas und begann Kaffee zu trinken und die Zeitung zu lesen. Die üblichen Inhalte waren zu finden: Krieg, Arbeitslosigkeit und irre Politiker. Eigentlich las Hanna jedes Jahr gerne die Weihnachtsgedichte und Wintergeschichten auf den letzten Seiten, doch heuer hatte sie keine Lust dazu. Stattdessen fiel ihr die Notrufnummer der Telefonseelsorge auf, die Nummer für jene die Heilig Abend allein waren und sich zwischen Strick und Fenstersturz nicht entscheiden konnten. Noch nie war ihr dieses Inserat an Weihnachten ins Auge gesprungen. War es schon so weit mit ihr gekommen? War sie eine einsame, verbitterte Mittdreißigerin die zwei Katzen als Ersatz für Kind und Mann hielt? Hanna schüttelte sich, so als wollte sie diese Gedanken abwerfen. Sie räumte ihre Nikolaus-Tasse in die Spüle und warf einen Blick in den Kühlschrank. Gähnende Leere herrschte dort drinnen, außer eines abgelaufenen Joghurts und zwei Bananen die ihr entgegen zuspringen drohten, war nichts da. Wenigstens war Hanna nun gezwungen das Haus zu verlassen und sich etwas hübsch zu machen – man wusste ja nie wer sich zwischen Tiefkühltheke und Schokoriegeln tummelte.
Hanna verließ das Haus gegen zehn und startete Richtung Einkaufszentrum. Ein Bisschen Schaufensterbummeln konnte nicht schaden. Resultat von Schaufensterbummeln: drei Paar Schuhe (allesamt in schwarz gehalten), 2 Kleider (schwarz) und passende Dessous (schwarze Spitze) – Gesamtwert 1.120 Euro und 78 Cent. Schließlich musste auch Weihnachtsgeld irgendwie unters Volk gebracht werden. Kurz vor Ladenschluss hetzte Hanna mit ihren großen Einkaufstüten in den Supermarkt. Schnell hatte sie sich mit Festtagsspeisen eingedeckt, Spagetti, Penne, Hörnchen, Tomatensauce, Thunfischsauce und sechs Flaschen Prosecco.
Zu Hause probierte Hanna sofort ihre neue Garderobe an, doch Freude bereitete ihr das nicht gerade. Es war ja keiner da der sagte: „Gut sieht das aus, tolle Figur“! Also entschied sie sich doch für ihren Jogginganzug, sollte reichen für ein Weihnachtsfest alleine. Kinderchor und Trompetenbläser konnten sie ja schließlich nicht durch den Fernseher beäugen.
Hanna war gerade dabei das Sheba-Festtagsmenü in den Alessi-Schüsselchen anzurichten, als es an der Tür läutete. Ines stand da, mit einer Flasche Rotwein in der einen und ihrem Pudel Eberhard in der anderen Hand. Hanna und Ines waren seit vielen Jahren gute Freundinnen, wenngleich sie unterschiedlicher nicht hätten sein können. Ines war eine Partylöwin, ein Tag ohne prickelnden Champus und Flirten war für sie ein verlorener Tag. „Hanna, es ist Weihnachten und stehst da mit deiner Jogginghose und einem zerzausten Pferdeschwanz. Es ist Partytime, meine Liebe“ sagte Hanna und betrat beschwingt Hannas Vorraum. „Was heißt Partytime“ antwortete Hanna, „es ist Heilig Abend, niemand macht heute Party“. Ines belehrte Hanna eines anderen und zog sie ins Schlafzimmer zum Kleiderschrank. „Los Hanna, zieh dich an und komm mit mit mir, nach Hause gehen und um Erich trauern kannst du immer noch“. Zwar nicht begeistert aber einsichtig tat sie Ines den Gefallen sie zu begleiten. Da Hanna nicht wirklich Lust auf das Vorhaben ihrer Freundin hatte, und schon gar nicht darauf, ihre dunklen Frustkäufe vom Nachmittag vorzuführen, entschied sie sich für die hellen Hüftjeans und das braune Jäckchen mit dem Kunstfellkragen. Zur Krönung drehte Ines Hannas Haare noch zu einem kunstvollen Gebilde das zwar aussah wie Eberhards Pudelmähne nach einem Stromschlag, aber laut Ines voll angesagt war.
Ines und Hanna tranken wie üblich ein paar Gläschen Prosecco zum „Aufwärmen“ und ließen sich anschließend per Taxi in die Stadt bringen. „Und wo gehen wir jetzt hin?“ fragte Hanna. „Na ins Night-Fly“ antwortete Ines, „da ist heute Weihnachtsparty mit allem was dazugehört angesagt“. Hanna war wenig begeistert von der Lokalwahl ihrer Freundin. Als sie das letzte Mal dort waren trug Hanna ihr weißes Top, keinen BH und hatte natürlich keine Ahnung dass im Night-Fly ausgerechnet an diesem Abend eine Schaumparty stattfand. Abgesehen von der Tatsache, dass Hanna sich für Schaumpartys ein Bisschen zu alt fühlte, war es ihr recht unangenehm, dass sie in ihrem nassen weißen Top ihren Busen zur Schau stellte, und die Männer sie mit Affenaugen und offenem Mund anglotzten.
Die beiden betraten das Lokal, blechten bei einem Türsteher, der aussah als hätte er aufgeblasene Schwimmflügel unter seinem engen Shirt versteckt 15 Euro Eintritt und mussten feststellen dass absolut nichts los war. Hanna verkniff sich ein vorwurfsvolles „Ich hab´s dir doch gesagt“ und bestellte stattdessen zwei Caipirinahs. Ines ging einstweilen zur Kellnerin mit der roten leuchtenden Weihnachtsmütze und gab ihr Pudel Eberhard. Alle kannten Ines bereits und für Eberhard war schon ein Plätzchen in einem Hinterzimmer reserviert, wo ein Hundebettchen, Wasser und jede Menge Leckerlis auf ihn warteten.
Zwischen Robbie-Williams, Madonna & Co. erklangen immer wieder aufgepeppte Weihnachtslieder zu denen Ines im Rhythmus hin und herzappelte. Hanna fand dies alles sehr unpassend, wer ging schon am Weihnachtsabend in eine Disco und lässt die Hüften zu Jingle-Bells kreisen? Aber vielleicht tat es ihr ja auch gut, wieder mal raus zu kommen und nicht über Erich und ihre gescheiterte Beziehung nachzugrübeln, also beschloss Hanna abzuwarten was der Abend noch bringt und sich ein wenig zu betrinken.
Das Lokal hatte sich inzwischen doch mit Menschen gefüllt, und die Kellnerin mit der leuchtenden Weihnachtsmütze brachte gerade Hannas und Ines´ vierten Cocktail an die Bar, als der DJ das Highlight des Abends anmoderierte. Glöckchenläuten ertönte aus den Boxen und die Scheinwerfer waren auf die Tür neben dem DJ gerichtet. Drei Weihnachtsmänner und sechs Tänzerinnen im Engelskostüm spazierten durch diese Tür. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste Hanna noch nicht, dass Engel in knappen Tangas und nur mit einem Paar Flügel bestückt auf die Erde fliegen. Die „Engelchen“ platzierten sich auf Bar und Tischen und die Weihnachtsmänner mischten sich unter die Gäste, brüllten „ho, ho, ho“ und begannen kleine Jägermeisterfläschchen die sie in ihren Juttesäckchen versteckt hatten zu verteilen. Jetzt legte der DJ eine Dancefloor-Nummer nach der anderen auf und die Go-Go-Girls tanzten mit ihren Flügelchen auf der nackten Haut was das Zeug hielt.
Ines schnappte sich einen Weihnachtsmann und brachte ihn an ihren Platz. „Hi, ich bin Ralph“ begrüßte er Hanna und ließ seine Alkfahne in ihre Nase strömen. Er bestellte eine Flasche Sekt mit drei Gläsern und begann ihnen zu erzählen, dass er bereits den ganzen Tag unterwegs war um Kinder zu überraschen und sich nach diesem anstrengenden Arbeitstag einen ansaufen müsse. Hanna hatte noch nie zuvor ein solch dummes Lachen gehörte wie von diesem Weihnachtsmann, ständig verrutschte der blöde Bart in seinem Gesicht was ihn noch unsympathischer machte und in seinem Rausch stieg er Hanna andauernd auf die weißen Raulederstiefel.
Hanna blickte sich um, sie sah betrunkene Weihnachtsmänner, tanzende Engel und Partymenschen die an diesem Abend dasselbe taten wie an jedem anderen im Jahr. Während die Männer sabbernd die Gogo´s von unten anstarrten, spülten sich die Frauen den Frust über ihre A-Körbchen und die fetten Oberschenkel mit Sekt runter. Ines hatte sichtlich Spaß mit mittlerweile drei Weihnachtsmännern und versuchte ihre Freundin mitzureißen und in die geistreichen Unterhaltungen mit einzubeziehen. Doch Hanna fühlte sich nicht wohl auf dieser „Weihnachtsparty“, sie verabschiedete sich von Ines und den doofen Weihnachtsmännern und fuhr mit dem Taxi nach Hause. Dort kochte sie Spaghetti mit Tomatensauce, kuschelte sich mit ihren Katzen aufs Sofa und sah sich Weihnachtsfilme im Fernsehen an. Auch wenn Hanna dieses Jahr einsam war, dass Weihnachtsfest war für sie etwas Besonderes und sie war sich sicher, dass sie jemanden finden würde, der im nächsten Jahr ihre Freude teilen wird. Und wenn nicht, dann blieb ihr immer noch die Nummer der Telefonseelsorge.