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Beseelt sein.

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11.10.2015
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Beseelt sein.

Wer, den Blick gesengt, die schweigenden Vögel fühlend, in purpurblauen Nächten, gleich dem Trunkenen taumelnd dem See entgegenschreitet, der im Dunkeln zum Tiefsten der verstreuten Gewässer wird, über dem sich Lianen und anderes Buschwerk in der Luft hängend ziehen und dessen Ufer von moosbehangenen schweren Steinen gesäumt ist,
- der kann nicht umhin den Atem zu verlangsamen, die Augen völlig zu schließen und in gotteserfassender Pose die Arme zu strecken, als seien sie Flügel, die Füße zu spreizen, als seien sie Wurzeln und den Mund zu öffnen, als wabere ein Brodem hervor, ein Äther, der sich in der süßen Luft verteilt und beseelt, was da zu beseelen ist, während die Sterne ihn belächeln und eine Wärme fühlen, die nichts mit Wärme gemein hat, ausser dem Gefühl.
Fast passiv schreitet er vorwärts, gezogen von etwas, das größer ist als jedes Streben, erschrickt nicht, als das kalte Wasser die Zehenspitzen umstreicht, zittert nicht, als die Knie und kurz darauf die Hüften bedeckt sind, hält die Arme ganz offen, die nunmehr den Lianen gleichen, zeitlos in der Luft hängend, schwerelos, und geht doch unter, wie der Stein, dessen Reich das Ufer ist. Der Atem aber steht noch eine Weile in der Luft, ehe er sich emporschwingt ins Blau, bis das Blau um ihn schwarz wird und das Schwarz weiß und er eins ist mit den Sternen.

 

Hallo und herzlich willkommen hierorts,

liebe/r/s Joshi,

als ich 17 war und öfter mit Studenten und anderen Lehrlingen (die man heute umständlich und bürokratisch Auszubildende nennt) die von der Lehre freie Zeit auf der Straße verbrachte, war Rimbaud mein ständiger Begleiter und Deine ersten Zeilen erinnern mich an le bateau ivre (das trunkene Schiff), das vielleicht Dein Vorbild gab (bereichert um einen mehr oder weniger gelungenen und/oder ungewollten Stabreim,

... gleich dem Trunkenen taumelnd dem See entgegenschreitet, ...
. Ob es nun eine Kurzgeschichte sei oder nicht, ist uninteressant, denn wenn Definitionen hervorgezaubert werden, gilt es immer zu fragen, wer da wen oder was definiere. Wer Definitionen braucht, hat's nötig. So werden sie zu Herrschaftsinstrumenten.

Es gibt keine allgemein anerkannte Definition der Kurzgeschichte, außer dass sie länger als ein Witz, eine Anekdote, und kürzer als Novelle und Roman sei. Und da gibt's hier keinen Zweifel. Dein Beitrag ist selbst kürzer als das trunkene Schiff.

Aber Du legst einen klassischen Fehlstart hin. Es ist tödlich für einen Text, ein Wort mit einem beliebigen anderen zu verwechseln, die klanglich nur identisch erscheinen:

Wer, den Blick gesengt, die schweigenden Vögel fühlend, in purpurblauen Nächten, gleich dem Trunkenen taumelnd dem See entgegenschreitet, der im Dunkeln zum Tiefsten der verstreuten Gewässer wird, über dem sich Lianen und anderes Buschwerk in der Luft hängend ziehen und dessen Ufer von moosbehangenen schweren Steinen gesäumt ist,
- der kann nicht ...
Schon selbst erkannt? Ich kürz ab
Wer, den Blick gesengt, die schweigenden Vögel fühlend, ...
Es wird das Verb sengen mit dem senken verwechselt, was im gesprochenen Wort gar nicht erst auffiele, was aber beim dastehenden "gesengt" wie Brandstiftung wirken muss.

Und dann, Poesie hin oder her, die Inflation der Adjektive. Die sind i.a. R. kein A...ktiva, sondern Eigenschaften und eher Passiva. Sie blasen jeden gutgemeinten Text auf mit lauwarmer Luft und erzeugen Schwulst, zu dem erschwerend der Missbrauch Konj. I, indirekter Rede, und dem Konj. irrealis

..., als seien sie Flügel, die Füße zu spreizen, als seien sie Wurzeln und den Mund zu öffnen, als wabere ein Brodem hervor,
wo "wären" angesagt wäre.

Gegen Ende erinnert mich der Text an Kafkas Wunsch, Indianer zu sein.

Alles kein Beinbruch. Experimente sind immer erlaubt, können aber - wie in jedem ordentlichen Labor - danebengehn. Nur durch Versuch und Irrtum kommt man voran, wenn auch langsamer, als wenn alles scheinbar von Anbeginn an gelingt.

Halt die Ohren steif, et wird schon!, wie man hier im Pott so sagt,

Friedel

.

 

Hey Friedel!

Danke für diese ausführliche und hilfreiche Kritik!

Grüße
Joshi

 

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