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Beschwerlicher Heimweg
Ich erwachte an einem Strand, noch angeschnallt in meiner Maschine. Mit leicht verschwommenem Blick fing ich langsam an, mir meiner Umgebung bewusster zu werden. Ich befand mich an einem abgelegenen Ort, weit und breit keine Ansiedlung, nur leise plätschernde Wellen, Sand und völlige Ruhe.
Ich musste lange bewusstlos gewesen sein, daran erinnerte ich mich noch gut vom letzten Mal – auch damals war ich wie betäubt gewesen und brauchte mehrere Minuten, bevor ich klar denken konnte. War das ein gutes Zeichen? Es war ein heißer Sommertag, an dem sich die Krebse mit ihren Scheren in den Sand eingruben, um sich vor der Weißglut der Sonne zu schützen.
Ich wusste also die Jahreszeit, aber welches Jahr? Ich musste es herauskriegen.
Mit noch etwas wackligen Beinen stieg ich vorsichtig aus der Maschine und schob sie den Strand hinauf bis zum Dünenrand, wo ein paar Büsche wuchsen, die Sichtschutz boten. Mein Rucksack, den ich zu meinen Füßen verstaut hatte, war noch da. Alles, was direkt in der Kabine lag, hatte die Reise mit mir gut überstanden. Sehr schön, und das erklärte auch, weshalb ich damals nur mit den Kleidern am Körper zu mir gekommen war und meine Bücher und Ausrüstung es nicht geschafft hatten.
Ich sah mich um. Wegen der spärlichen Vegetation und den relativ hohen Dünen hatte ich zuerst geglaubt, auf einen ruhigen Atlantik zu blicken. Es könnte aber auch das Mittelmeer sein, zweifelte ich, als ich mich auf den Weg ins Landesinnere machte, von dem ich hinter den Dünen in der Ferne nur Wälder und Heide sah, die sich weit über Hügel erstreckten. Ich machte mich auf die Suche nach Beweisen für meinen Aufenthaltsort.
All meine Freunde, Bekannten und Kritiker hatten meine Erfindung für Humbug gehalten, aber selbst, wenn diese Reise nicht wie erhofft in die Vergangenheit oder Zukunft gegangen war, hatte mich meine Maschine doch zumindest über mehrere hundert Kilometer aus dem kühlen Berlin bis an diese Küste transportiert.
Es war ein erster Schritt, ein kleiner Erfolg, sagte ich mir, um meine Nervosität in den Griff zu kriegen. Ich war so gespannt darauf, zu erfahren, wo ich mich befand, was ich antreffen würde, ob ich auf dem richtigen Weg war, mein eigentliches Ziel zu erreichen – ich wollte so gerne endlich wieder nach Hause.
Meine Kleidung war ein wenig zu warm gewählt, also zog ich meinen Pullover aus, den ich zu dem Proviant und der Kamera in meinem Rucksack verstaute. Der Weg war sandig, schwierig zu begehen, die dornigen Büsche rissen mir die Hosenbeine auf und mehr als einmal stürzte ich einen Abhang hinunter.
Dann stieß ich auf eine Straße aus groben Pflastersteinen, die aber offensichtlich sauber gehalten wurde. Primitive Arbeit, die mich auf spätes Mittelalter schließen ließ. Als ich mir grübelnd das Kinn kratzte, stutzte ich kurz. Ich war frisch geduscht und rasiert auf die Reise gegangen. Nun waren deutlich Bartstoppeln zu spüren. Wie lange war ich wohl bewusstlos gewesen? Die Reise selbst hatte ja nur Sekunden gedauert – wenn man das so nennen könnte.
Plötzlich hörte ich von weit her Pferdegetrappel und etwas, das klang wie Holzräder, die über die Steine ratterten. Schnell versteckte ich mich einige Meter vom Straßenrand entfernt hinter einem dichten Busch. Zur Sicherheit wollte ich lieber nicht schon jetzt jemandem begegnen, nicht solange ich nicht wusste, wo und vor allem wann ich war.
Ich würde beobachten und mich erst zu erkennen geben, wenn ich wüsste, in welcher Sprache ich die Einheimischen anreden könnte, und wenn sicher war, sie würden mich nicht als etwas Fremdartiges und Feindliches betrachten. In meiner jetzigen Situation waren die möglichen Gefahren kaum abzusehen.
Im heißen Sand liegend beobachtete ich gespannt, wie sich eine Kutsche näherte. Der Mann auf dem Kutschbock sah eindeutig nicht aus wie jemand zu der Zeit, aus der ich gerade gekommen war. Egal, wie wenig Geld man Anfang des 21. Jahrhunderts in Europa hatte, brauchte doch niemand mehr in solchen Lumpen einherzugehen. Er kam langsam näher und als er nur noch wenige Meter von meinem Versteck entfernt war, ließ er den Klappergaul vor dem kleinen Wagen anhalten. Nur wenige Meter vor mir blieb er stehen und ich konnte erkennen, dass es eine Art Zirkuswagen war, auf dem die mit abblätternder Farbe gemalte Werbung einen Puppenspieler anpries. Auf Französisch!
Ich hatte recht gehabt. Den Ort, an dem ich mich befand, kannte ich jetzt, die Sprache beherrschte ich – sogar Dialekte und Lautverschiebungen der letzten Jahrhunderte hatte ich akribisch studiert für die vier wichtigsten Sprachen der Welt. Zeit genug hatte ich ja gehabt, in diesen Jahren des Vorbereitens, der Planung, in denen ich niemals die Hoffnung aufgegeben hatte, es wieder zu schaffen.
Wenn ich doch nur ein Foto machen könnte, doch ich wagte nicht mal zu atmen, so aufgeregt war ich, dieses Aufeinandertreffen zweier Menschen aus verschiedenen Zeiten erleben zu dürfen.
Der bärtige Mann, dem braune Stofffetzen als Kleidung dienten, mit einem Schlapphut auf dem Kopf, dessen Geruch nach Moder bis zu mir drang, ließ sein Pferd am Wegesrand grasen, während er sich eine Zigarette rollte, aus einem Lederpäckchen mit Tabak, das er auf seine Knie legte. Ich beobachtete aufgeregt, aber weiter still in meinem Versteck jeden seiner Handgriffe.
Nachdem der Mann sich die Zigarette mit einem Streichholz angezündet hatte, hörte ich ihn etwas rufen, das das Pferd zum Weitergehen bewegen sollte. Er ließ die Peitsche kurz in der Luft schnalzen und der alte, braune Gaul setzte sich in Bewegung. Heftig atmend sah ich ihm nach, bis er durch eine Kurve meinem Blick entzogen wurde. Dann drehte ich mich auf den Rücken, pfiff leise vor mich hin und grinste.
Noch war ich nicht Zuhause, das wäre zu viel erwartet, das wäre zu schön gewesen. Ich hatte in Berlin einfach nicht die technischen Voraussetzungen, die Materialien gehabt, die dazu nötig waren, meine Maschine fehlerfrei so funktionieren zu lassen, wie ich wusste, dass es klappen müsste. Es war so frustrierend gewesen, diese letzten Monate, mich mit meiner Umgebung anzufreunden, diese für mich neue Welt kennenzulernen, meine Rückkehr vorzubereiten und immer wieder auf neue Probleme zu stoßen.
Wie zurückgeblieben die Menschen in der Technik doch waren. So viele Dinge waren noch unentdeckt, so viele Methoden noch nicht erforscht. Aber statt auf mich zu hören, schimpften sie mich einen Irren oder lachten über meine für sie utopischen Darstellungen. Keiner glaubte mir. Aber konnte ich ihnen das verübeln? Alles, was ich war, was ich erlebt hatte, sprengte ihre kleinen, kindischen Gemüter und Vorstellungen. Sie konnten es nicht verstehen.
Es schien, als hätte ich Erfolg gehabt, als wäre ich wirklich in die Vergangenheit gereist. Dies mit den spärlichen technischen Möglichkeiten, die mir mein vorheriger Aufenthaltsort bot, geschafft zu haben, darauf konnte ich stolz sein. Es hatte – vielleicht nicht in der richtigen Reihenfolge – aber immerhin in mehr als nur räumlicher Dimension tatsächlich funktioniert. Diesen Schluss nur aus dem gerade Gesehenen zu ziehen, war vielleicht etwas voreilig für mich als Wissenschaftler, aber für diesen Moment ließ ich die Hoffnung zu, und freute mich über das gelungene Experiment. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern, bis ich endlich nach Hause zurückkehren konnte.
Immer noch vor mich hin grinsend packte ich meinen Rucksack und schritt weiter durch die Dünenlandschaft. Dann fiel mir ein grell leuchtendes Ding einige hundert Meter vor mir an dem gepflasterten Weg auf, das ich mir nicht erklären konnte. Die einzigen anderen Farbflecke in meiner Umgebung waren violette Heidekräuter. Ich hatte kein Fernglas, nur meine Kamera, die ich herausholte, um es mir näher anzusehen. Mit dem Objektiv darauf gerichtet zoomte ich ein und hielt den Atem an.
Ein Schild, ein Verkehrsschild, das das Fahren mit motorisierten Rädern verbot, weiß, mit einem schwarzen Piktogramm und roten Streifen tauchte durch die Linse vor mir auf. Das konnte doch nicht wahr sein. In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken, die Enttäuschung, die Erklärungsversuche, ich war verwirrt.
Das war aus dem 21. Jahrhundert. Oder dem 20. vielleicht. Aber der Mann vorhin? Ich war doch sicher mehr als zwanzig oder dreißig Jahre gereist, nach seinem Aussehen zu schließen. Wo kam dieses Schild her? Der Typ hatte doch nicht mal ein Feuerzeug besessen.
Langsam schritt ich weiter und zermarterte mir den Kopf darüber, wie das Ganze zusammenhing. Solch ein Verkehrsschild, das darauf abgebildete Mofa, wie alt konnte das sein? Kurz vor dem Schild blieb ich stehen und nahm einen Schluck aus meiner Wasserflasche. Unmöglich. Höchstens 80ziger Jahre des 20. Jahrhunderts, und dabei nicht mal sehr neu aussehend, durch die Salzluft war die Farbe bereits angegriffen. Ich machte ein Foto, setzte mich und ärgerte mich, den Mann vorhin nicht heimlich fotografiert zu haben. Hatte ich etwas übersehen?
Dann klang aus der Ferne ein weiteres Geräusch zu mir. Ein Motor. Verdammt. Enttäuscht ließ ich den Kopf hängen. Es war also wahr – ich war nicht im Mittelalter. Meine Reise war wenn, dann nur geringfügig in die Zeit gegangen. Vielleicht nicht mal das. Wie ich allerdings hierher kam, müsste sich dennoch auf irgendeine Weise erklären lassen. Als ich wieder hoch sah, wusste ich auch schnell wie.
Der kleine, silberne Wagen da hinten war der VW meines Freundes Peter. Das Auto blieb zwanzig Meter vor mir stehen, Peter und Robert stiegen aus und kamen grinsend auf mich zu. Sie sollten bloß aufpassen, was sie zu mir sagten. Ich wusste im Moment nicht, wie ich auf einen dummen Scherz reagieren würde. Diese armseligen, ahnungslosen Primitivlinge.
Robert lachte und schlug sich demonstrativ mit dem stinkenden alten Schlapphut in seiner Hand auf die Schenkel. „Tut mir leid, Mann. Aber ich kann nicht, verdammt, ich kann´s einfach nicht unterdrücken. Du siehst aus, als ob du dir gleich in die Hosen machst“, kicherte er. Sein Gesicht zeigte noch Spuren von dem angeklebten Bart von vorhin.
„Du hast es tatsächlich geglaubt, was? Schade, dass wir das nicht weiter durchziehen können. Peter hat alles versaut. Er sollte alle Schilder und Mülleimer wegschaffen. Du hättest bis zum Dorf dahinten nicht einen Hinweis gefunden, wir haben ganze Arbeit geleistet“, grinste er.
Sie hatten mich reingelegt. Und waren stolz auf den gelungenen Witz! Diese Idioten. Wie hatten sie mich nur mit meiner Maschine hierher geschafft? Was für eine Mühe sie sich für diesen doofen Streich gemacht hatten. Und wozu das Ganze? Weil sie mich für amüsant, aber völlig verrückt hielten. Oder wollten sie mir einen weiteren Eklat ersparen, wenn ich wieder mit meinen Zeitreisegeschichten an die Öffentlichkeit ging? War es Mitleid?
Keiner von ihnen hatte jemals meine Geschichte geglaubt. Ich seufzte. Gut, ich würde es aufgeben müssen. Ohne Hilfe würde ich wohl nie in meine Zeit zurückkehren können. Sie hatten ja alle keine Ahnung von der Tragweite meiner Erlebnisse. Ich würde niemals jemanden finden, der mir tatsächlich glaubt.
Auf Nimmerwiedersehen, drittes Jahrtausend.