Was ist neu

Beschrankt

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13.09.2007
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Beschrankt

Es war einer jener Sommer meiner Jugend, in dem ich meine Berufsausbildung in der fernen Stadt absolvierte, somit meinem Elternhaus und Heimatdorf entronnen war, im Internat wohnte, neue Freundschaften schloss, schließlich sogar einer Clique angehörte, im Liebeswirrwarr doch noch meine erste Liebe fand und wieder verlor,
es war auch der Sommer, in dem wir unsere Cliquenhymne „My o my“ von Slade ständig, und das meist schief, schmetterten, da wir schon morgens dem Alkoholmissbrauch nachgaben, dennoch unvernünftigerweise auf Motorrädern von unseren Zeltlagern aus überallhin brausten, abends zu noblen Diskotheken und einmal vorgaben, von der Defa, dem Filmunternehmen der DDR, zu sein, um Einlass zu erschleichen,
jener Sommer, in dem die Hitze so beständig war, dass wir jedes freie Wochenende irgendwo im Zelt verbrachten und meine Clique auf den Trichter kam, in meinem elterlichen Garten die Zelte aufzuschlagen, woraufhin ich ein ganzes Lügengebäude errichten musste, denn meine Eltern hätten mir niemals ihre Erlaubnis erteilt, falls ich ihnen reinen Wein eingeschenkt hätte,
also wählte ich das Wochenende, an dem sie vorgaben, nicht da zu sein, es aber dann doch vorzogen, mir mit ihrer Anwesenheit in die Quere zu kommen, weshalb ich die dreizehnköpfige Clique (soweit ich mich erinnere) auf ihren Motorrädern fern von meinem Elternhaus umleiten musste, meine Eltern wiederum vom Garten fern hielt, indem ich regelmäßige Familienbesuche einschob, um Lügenberichte zu erstatteten, über die drei Pärchen, die wir nicht nur waren,
zufällig war es auch das Wochenende, an dem das jährliche Feuerwehrfest, benannt nach der Feuerwehrspritze, sprich Spritzenfest, stattfand, wir uns unter die Feiergemeinde mischten, um diese nach Kräften aufzumischen und um schließlich vom Dorfwirt ein Bierfass zu erstehen, was wir johlend heimwärts rollten,
von diesem besagten Wochenende bekamen meine Eltern nur die Spuren des Lagerfeuers zu Gesicht, das wir mitten im Garten entfacht hatten, und den Nachbartratsch zu Ohren, wonach Ausländer in ihrem Garten gehaust hätten, was wir wohl unserer am Berichtsbeginn erwähnten englischen Cliquenhymne zu verdanken hatten,
und es war jenes sagenhafte Wochenende, an dem Schranke seinen Namen bekam, als er am Bahnübergang das Warnsignal vernahm und uns den Zug weissagte, bevor ihm die Bahnschranke auf den Schädel sauste.

 

Liebe Maria,
danke für dein Interesse und deine konstruktive Kritik.
Jedoch sehe ich den Text aus ganz anderer Sicht. Ich finde nur einen einzigen Zeitsprung zum Schluss - das Ende ist der Pointe vorgezogen.
Schranke ist nicht tot, er hat nur seinen Spitznamen davongetragen.
Der Sog des einen Satzes ist ein bekanntes Stilmittel. Ich habe ein ganzes Buch (sehr gern) gelesen, was aus einem einzigen Satz besteht. Aber so (quälend) lang ist diese KG ja gar nicht.
Soll eigentlich nur amüsante Erinnerungen wecken, das ist mir bei dir leider nicht gelungen.
LG Damaris

 

Hallo Damaris,

das ist interessant, was maria meerhaba schreibt, denn anfangs (als ich die Story gestern zum ersten Mal gelesen habe) ging es mir sehr ähnlich wie ihr - und trotzdem ist mir die Geschichte nicht aus dem Kopf gegangen und ich habe sie nochmals gelesen und dann nochmal - und obwohl sie mich nach wie vor in gewisser Weise unbefriedigt zurücklässt, vielleicht, weil sie in der Tat kalt wirkt, hat sich mich inzwischen auch für sich eingenommen, weil ich in den Zwischenräume des Schachtelsatz durchaus Wärme und eine Geschichte herauslese.

Ich finde als Experiment die Geschichte sehr in Ordnung (auch wenn es nicht soooo neu ist, eine Geschichte in nur einem Satz zu erzählen ;)). Übrigens fiel es mir - trotz der Satzlänge - nicht schwer, dem Geschriebenen zu folgen.

Ich würde sehr gern als Gegenbeispiel die konventionelle (und ausführlichere) Fassung dieser Geschichte lesen. Die Gegenüberstellung stelle ich mir spannend vor. Und das wäre in meinen Augen auch das wirklich spannende Experiment. :)

Also, wenn auch nicht beim ersten Mal, gern gelesen.

LG svg

 

Hallo svg,
deine Kritik freut mich sehr, vielen Dank!
Die KG war eine komplizierte Hausaufgabe meiner Autorengruppe: Autobiografische Ein-Satz-Geschichte, mit Schwerpunkt Substantive, von deren Hälfte zusammengesetzte Substantive zu bilden und zu verwenden waren. Diese technischen Anforderungen machen wohl die besagte Kälte (die ich als "Schmunzler" empfinde, da mir die Erinnerungen präsent sind).
Das alles nochmal in anderer Form zu schreiben, ist eine gute Idee, auf die ich nicht gekommen wäre, da ich nicht mit Interesse für den eher banalen Stoff gerechnet hätte.
Huch, ich glaube, ich habe mich mit dem Langsatzvirus infiziert. :lol:
Lieben Gruß Damaris

 
Zuletzt bearbeitet:

in der fernen Stadt absolvierte, somit meinem Elternhaus und Heimatdorf entronnen war, da ich dort im Internat wohnte,
Das Adverb würde ich ersatzlos streichen, weil der Bezug missverständlich ist. Es scheint sich nämlich eher auf das letztgenannte „Heimatdorf“ zu beziehen als auf die „Stadt“.

13 köpfige [dreizehnköpfige] Clique
3 [drei] Pärchen

meine Eltern wiederum vom Garten fern hielt, in dem ich regelmäßige Familienbesuche einschob, bei denen ich Lügenberichte erstattete,
Sie schob Familienbesuche im Garten ein?
Ich vermute, die Präposition und das Relativpronomen, das sich auf den Garten bezieht, sind schlicht die falsche Schreibweise der Konjunktion indem (im Sinne von dadurch, dass … also einen Begleitumstand angebend).

und den Nachbartratsch zu Ohren, nach dem Ausländer in ihrem Garten gehaust hätten,
besser: wonach

was wir wohl unserer, am Berichtsbeginn erwähnten, englischen Cliquenhymne zu verdanken hatten
Die Kommas würde ich hier weglassen.

Also ich finde den Text nicht unwitzig, Damaris. Dieses atemlose, quasi assoziative Dahinfabulieren hat schon einen gewissen Reiz. Wobei ich mich natürlich schon frage, ob nicht doch der eine oder andere Punkt angebracht wäre.*) Weniger der Lesbarkeit wegen - die ist ohnehin gegeben - sondern vielmehr aus layouttechnischen, also quasi ästhetischen Gründen. Ich finde es einfach unschön, wenn ein neuer Absatz kleingeschrieben beginnt. Wenn du zumindest die Textteile, die vor einem Absatz enden, mit einem Punkt abschließt, würde das den Leseeindruck bzw. dein Textkonzept (atemloses Erzählen, will ich’s mal nennen) nicht wesentlich verändern.

Gleichzeitig frage ich mich aber schon auch, ob dieses Jugenderinnerungsanekdötchen echten Kurzgeschichtenwert besitzt.
Ist halt wieder einmal eine dieser für dich so typischen Schreibübungen, kommt mir vor. Aber eine nicht unwitzige, wie gesagt.

Nach wie vor warte ich auf den großen Wurf von dir, Damaris. Zutrauen tu ich ihn dir - nach allem, was ich mittlerweile von dir kenne - allemal.


offshore

*)nachträgliches Edit:
Hab jetzt erst in deiner Antwort an svg von der Aufgabenstellung gelesen. Insofern gehen meine Änderungsvorschläge wohl ins Leere. :D

 

Vielen Dank fürs aufmerksame Lesen und Auswerten,
lieber Offshore.
Nichts geht ins Leere! Ich muss es mir aber noch überlegen, ob ich dieses, mit viel Mühe zusammengeschraubte, Satzkonstrukt, so mir nichts aufgebe.
Herzlichen Gruß Damaris
PS: Schön, dass es dich amüsiert hat.

 

Hej Damaris,

ich hab ohnehin nix gegen lange Sätze und muss außerdem gestehen, dass ich überhaupt nicht darauf geachtet habe, wie viele Sätze Dein Text enthält.

Bis auf den für mich etwas holperigen Einstieg mochte ich die Dynamik, die sich da zwischen den Zeilen entwickelt. Ich hab den Eindruck, dass es Deiner Sprache irgendwie einen Freiraum verschafft, dieses Bandwurmschreiben, oder ich hab schon länger nichts mehr von Dir gelesen und da etwas verpasst, ich kannte das so noch nicht von Dir.

Sehr angenehm und locker erzählt, mir hat der kurze Text gefallen.

Gruß Ane

 

Liebe Ane,
vielen Dank für deine Kritik, sie freut mich sehr!
Ich finde es wichtig, einen Koffer voll vielfältiger Arbeitsmaterialien zur Hand zu haben. Deshalb probiere ich verschiedene Schreibstile aus, mit mehr oder minderen Erfolg. Der Bandwurm hat mir durchaus zugesagt. Ich hab meinen eigenen Stil noch nicht gefunden, schauen wir mal...
Lieben Gruß Damaris

 

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