Was ist neu

Berufskrankheit

Mitglied
Beitritt
23.12.2003
Beiträge
51
Zuletzt bearbeitet:

Berufskrankheit

Berufskrankheit

Ich fotografiere Menschen.
Menschen aller Art. Sie sind alt. Einige sind jung. Die meisten sind in der Mitte des Lebens.
Kinder. In letzter Zeit viele Kinder.
Ich achte nicht auf ihre Schönheit. Ich nehme sie wahr, aber sie ist nicht wichtig für mich.
Ich fotografiere Menschen auch, wenn mich ihr Äußeres nicht anspricht.
Sie haben helle Haut. Die Augen sind unterschiedlich. Grün. Blau. Braun. Eine Mischung. Manchmal.
Sie verraten nichts über den Charakter.
Ihre Haut ist interessant.
Ich fotografiere ihre Haut. Einzelne Körperteile. Ganze Filme. Nur Körperteile. Kopf. Linke Seite des Kopfes. Dann die Andere.
Hals. Manchmal ist der Hals sehr wichtig, aber nicht immer.
Dann die Brüste. Frauenbrüste. Aber auch die, der Männer.
Den Bauch.
Die Beine.
Manchmal fällt eine Haarsträhne in mein Gesicht. Schwarze Haare, bis weit über die Schulter. Nur eine Strähne. Im Laufe der Zeit hat sie sich aus dem Zopf gelöst. Ich trage immer einen Zopf, wenn ich fotografiere.
Nachts. Zu jeder Zeit. Das Klicken des Fotoapparates ist immer in meinem Kopf. Es hat sich eingebrannt. Auch die Gesichter. Die Gesichter, die einmal schön waren.
Ich denke an sie. Immer. Ich kann nicht schlafen. Meine Haut ist blass.
Ich bin besessen von meiner Arbeit. Ich denke an nichts anderes.
Nur an tote Menschen. Menschen deren Todesursache nicht geklärt ist. Unfallopfer. Kinder. Ermordete Kinder. Ertrunkene. Würgemale am Hals. Stichwunden. Stichwunden am Bauch sowie am Rücken.
Und immer bleibt die Frage, "werde ich auch einmal fotografiert werden?", während mein Assistent die Leichen für die Obduktion vorbereitet.

 

Also, der eigentliche Beruf des Photographen war für mich keine große Überraschung, aber die Verbergung seiner Eigenschaft dürfte wohl keine große Rolle gespielt haben.
Die Textstruktur hat mir gut gefallen. Kurze, prägnante Sätze beschreiben die zur Routine gewordene Tätigkeit, ohne irgendwelche Gefühle vermitteln zu wollen, doch die Unbill gut ausdrücken, die den Verstand voll eingenommen hat.

 

Hallo kleineNacht,

ich stimme Hendek zu, dass die Sprache eine gewisse Gefühllosigkeit erfolgreich vermittelt.

Allerdings scheint mir die Geschichte von der Anlage her so eine Art Quiz zu sein, d.h. die Pointe ist die Auflösung, und es ist einfach so, dass Du dem Leser eine Information vorenthältst, um sie ihm am Ende mit einem "siehste, hast Du's geahnt, naaa?" zu präsentieren. Der Text ist eine Momentaufnahme oder, böse ausgedrückt, eine Berufsbeschreibung, es gibt keine Handlung.

Ich finde es stilistisch gelungen und sinnvoll, die Arbeit und das Empfinden eines solchen Fotografen zu thematisieren. Nun mach eine Geschichte draus. Mit Handlung, Erzählung und Geschehen. Erzeuge eine Konfliktsituation, in der die (nicht vorhandenen) Gefühle auf die Probe gestellt werden. Das fände ich eine echt spannende Angelegenheit.

Fazit: sprachlich ganz prima, inhaltich guter Ansatz, aber nach meinem Empfinden keine richtige Geschichte.

Uwe
:cool:

 

Hallo ihr beiden,
erstmal vielen Dank für das Feedback.

@ Uwe: Das es keine richtige Geschichte ist, hat mich schließlich auch dazu veranlasst, die "Geschichte" in diese Rubrik zu posten. Eigentlich wollte ich eine immer mehr zunehmende Besessenheit aber auch Angst beschreiben, die sich in Todesängste steigert. Dies ist mir allerdings nicht wirklich gelungen, das sehe ich auch ein.
Nächstes mal wird alles besser. ;)
Liebe Grüße
kleine Nacht

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom