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Berlin Blues
Als Lasse erwachte und sich benommen die Augen rieb, stand Jenny auf dem Tisch und fluchte. Sie trug nichts bis auf ihre geringelten Kniestrümpfe. Als sie Lasses fragenden Blick bemerkte, sagte sie: "Schau dir diese Sauerei an, Mann!"
Gähnend rubbelte Lasse über seinen kurzgeschorenen Kopf. Dann sah er das Wasser, das etwa zwei Zentimeter hoch im Zimmer stand. Offenbar war das Heizungsrohr geplatzt.
"Kannst dich bei deiner Hausverwaltung bedanken", sagte Jenny. "Alles Wichser. Quetschen den Leuten die Miete raus, aber lassen die Häuser verrotten."
Lasse rollte sich zur Seite und angelte auf der Bananenkiste, die als Nachtisch diente, nach Blättchen und Tabak.
"Echt mal, dass du in diesem Dreckloch nicht wahnsinnig wirst, begreif ich nicht." Balancierend setzte Jenny hinüber zum klobigen Schreibtisch, von dort auf die alte russische Munitionskiste, in der Lasse seine Klamotten aufbewahrte und machte einen Sprung in den Korridor, wo die Dielen halbwegs trocken waren.
Lasse bröselte etwas Gras in den Tabak.
"So kann es echt nicht weitergehen, Mann", sagte Jenny. Sie hatte im Flur Kleidungsstücke wie Strandgut nach einem Schiffbruch auf einen Haufen geworfen.
"Du musst endlich mal anfangen, dich um dein Leben zu kümmern."
Lasse rollte das Blättchen, verklebte den Joint und steckte ihn an. Vom Bett aus betrachtete er Jenny. Im fensterlosen Korridor, nur vom Schein der herabhängenden Glühbirne beleuchtet, tanzten die schwarzgrünen Drachentattoos, die sich um Jennys Brüste ringelten, wie kleine lebendige Schlangenwesen.
"Geht sonst alles den Bach runter."
"Hm", brummte Lasse unbestimmt. Er stieß eine dicke Wolke Rauch aus. "Ich fahr heute zu Backfist."
Jenny hatte sich in ihre Jeans gezwängt und suchte im Wäscheberg nach einem BH, doch jetzt hielt sie inne und fragte: "Bracke Backfist?"
Lasse nickte. Jenny stemmte die Hände in die Seiten und betrachtete Lasse wie ein Kind, dem sie etwas zum hundertsten Mal erklären musste, obwohl es im Grunde aussichtslos war.
"Dieser Scheißtyp nutzt dich nur aus."
Lasse zuckte mit den Schultern. "Er hat einen Job für mich."
"Einen Job, na klar", sagte Jenny, verdrehte die Augen und setzte ihre Suche im Klamottenhaufen fort.
Lasse inhalierte gedankenversunken, dann sagte er plötzlich: "Sind deine Titten gewachsen?"
Jenny hatte einen roten Push-Up gefunden. Sie hakte gerade den Verschluss ein. "Das fällt dir jetzt auf, wo ich schon fast weg bin", sagte sie, schlüpfte in einen Pulli und ging ins Bad.
Lasse sann dieser Bemerkung nach. Durch die geöffnete Tür war Jenny zu hören, die erst im Badschrank hantierte und sich dann das Haar bürstete.
"Warum hast du mich eigentlich nicht geweckt?", rief Lasse durch die Wohnung. "Wolltest du dich verdrücken?"
Jenny antwortete etwas, das Lasse nicht verstehen konnte, denn es ging im Rauschen von Wasser unter, das ins Handwaschbecken floss.
Bracke öffnete die Tür einen Spaltbreit und musterte Lasse mit finsterer Miene. Dann schloss er die Tür wieder, und Lasse hörte ihn in der Wohnung leise mit jemandem sprechen. Bracke war bekannt für seine Vorsicht. Der Name Backfist ging auf einen verpfuschten Deal zurück: Ein paar Jahre zuvor war er nach verpatzten Preisverhandlungen im Krankenhaus erwacht, nachdem ein unzufriedener Kunde ihm mit einem Hammerfaustschlag das Nasenbein gebrochen hatte. Seit diesem Tag litt Bracke unter Paranoia.
Die Sicherungskette wurde ausgehakt. Bracke öffnete erneut die Tür. Lasse betrat die Wohnung, ging wie immer durch den dunklen Flur und warf sich im großen Zimmer aufs Sofa. Er hörte, wie Bracke in der Küche den Kühlschrank zuknallte. Im Badezimmer rauschte die Dusche.
Bracke kam ins Zimmer geschlurft. Er trug eine silbrige Trainingshose und Gummilatschen. Eine Dose Warsteiner segelte durch die Luft, und Lasse fing sie.
"Sind die Boots sauber?", fragte Bracke und wies mit einer Bewegung des Kinns auf Lasses DocMartens. "Man muss die Bude sauberhalten. Sonst ist schnell alles fürn Arsch."
Lasse ließ die Dose zischen, nahm einen Schluck und sagte: "Damit liegt Jenny mir auch ständig in den Ohren."
"Jenny? Fickst du immer noch die Alte vom Ratteck?" Bracke stand vor dem Sofa, so, als warte er auf irgendetwas. Er kratzte sich umständlich den Rücken. Nachdenklich betrachtete er Lasses Boots.
"Die sind ja gar nicht mehr richtig zusammen", sagte Lasse. "Der Ratteck fickt doch auch jedes Chick, das er kriegen kann."
"Klar", erwiderte Bracke, "der kann sich das auch leisten." Er machte ein paar Schritte zurück auf den Flur und hämmerte mit der Faust gegen die Badezimmertür. "Jetzt mach mal ein bisschen Dampf! Ich habe hier eine geschäftliche Besprechung. Hau ab oder verzieh dich wenigstens in die Küche."
"Der Typ ist mir doch ganz egal", sagte Lasse. Er hatte Zigarettenpapier, Tabak und Gras aus den Taschen seiner Armeejacke gefischt und begann, einen Stick zu drehen.
Bracke kam zurück ins Zimmer. Er ließ sich in den Clubsessel sinken, der dem Sofa gegenüber stand.
"Da wäre ich vorsichtig", sagte er. "Dem lecken doch die Nazikids aus Buch die Eier."
Lasse zuckte die Schultern. Sein Feuerzeug klappte auf.
"Du musst dir einfach mal klarmachen", fuhr Bracke fort, "dass wir jetzt in einem anderen System leben."
Lasse schenkte ihm einen spöttischen Blick, inhalierte ein paar mal und reichte den Stick rüber.
Bracke sagte: "Die kuschligen Zeiten sind vorbei, Mann. Jetzt herrscht das Gesetz des Dschungels, also das Recht des Stärkeren – Survival of the Fittest, verstehst du." Er rauchte und blies blaue Wolken in die Luft. "Also der Ratteck ist jetzt so etwas wie ein Alpharüde. Nicht gerade ein Silberrücken, aber immerhin der Chef seiner kleinen Bande aus Hools und Nazipunks... "
"Mann, der Penner hat in der zehnten kaum den Abschluss geschafft. Ich weiß noch, wie der sich vor dem FDJ-Rat nass gemacht hat."
"Mag ja sein", erwiderte Bracke. Er drückte den Rest des Sticks in einem Ascher aus, der neben dem Sessel auf dem Boden stand.
"Aber jetzt ist er ein Unternehmer."
"Unternehmer?", lachte Lasse. "Er dealt mit getürkten Fußballtickets, bricht nachts Tankdeckel auf und klaut Benzin."
"Ist doch egal. Er handelt im Geist des Systems. Er ist erfolgreich, hat Kohle, und deshalb legt er auch die Chicks flach."
Die Badezimmertür öffnete sich und heraus kam Babette, ein dunkelhaariges Mädchen mit Pferdeschwanz, das Lasse irgendwann im Tresor oder im Bunker kennengelernt hatte. Sie war unbekleidet, bis auf einen Slip und eine offene, schimmernde Trainingsjacke, die bis zu ihren Knien herunter hing und zu Brackes Hose passte.
"Redet ihr schon wieder über Schlampen?", fragte sie und ging in die Küche.
Auf der Straße fiel schwer der Schnee. "Fährst du ins Haus?", fragte Babette. Lasse zuckte die Schultern. "Hab mehrere Stationen."
Babette blieb hartnäckig. "Musst du nicht zum Roten? Also, wenn du zuerst in die Schönhauser fährst, kannste mich mitnehmen."
Lasse scharrte einen Augenblick lang unschlüssig im Schnee, dann sagte er: "Aber zieh die Kapuze über. Ich will nicht, dass uns die Bullen anhalten."
Einige Minuten später knatterten sie auf der alten Suzuki durch den Prenzlauer Berg. Babette hielt Lasses Taille fest umschlungen, und als sie in die Schönhauser Allee einbogen, wanderten ihre Hände abwärts, so dass Lasse Schwierigkeiten hatte, die Maschine auf der verschneiten Straße zu halten.
Im besetzten Haus öffnete jemand, nachdem Babette das Codezeichen gegen die verrammelte Tür gehämmert hatte. Die beiden schlüpften hinein, klopften den Schnee ab und kletterten über die Barrikade im Hausflur. Sie stiegen die Treppe zum ersten Stock hoch, wo bereits eine Wohnungstür offenstand.
"Komm doch noch in den vierten hoch, wenn du fertig bist", sagte Babette, lachte und drehte sich um.
"Na endlich", sagte der Rote. Er zog Lasse in die Wohnung. "Ich hatte dich schon vor drei Tagen erwartet."
Lasse stapfte durch den ungeheizten Korridor und öffnete die Tür zum Wohnzimmer. Der Rote hatte die Wohnungstür geschlossen und verriegelt und folgte ihm. Im Zimmer gab es außer einer zerfetzen Couch keine Möbel. Lasse ließ sich auf der Couch nieder und sah sich um.
"Mann, verheizt du deine Möbel oder warum wird die Bude immer leerer?"
Der Rote war ein Asket und ein Sozialist und ein kluger Kopf. Seinen Namen verdankte er aber nicht seiner Gesinnung, sondern dem Umstand, dass sein langes, stets verwuscheltes Haar leuchtend rot war - so rot, als stünde tatsächlich sein Kopf in Flammen. Er winkte ab. "Hab den ganzen Krempel rausgeschmissen, beim Nazialarm letzte Woche."
"Die Penner machen euch eine Menge Ärger in letzter Zeit", sagte Lasse. Er holte zwei Päckchen aus seiner Jackentasche. "Shit oder Gras?"
Der Rote deutete auf die durchsichtige Tüte mit dem Haschisch. Er machte ein paar Schritte durch den Raum und fingerte verschiedene Rauchutensilien aus einem kleinen Beutel, der an einem Haken an der kahlen Wand hing.
"Weißt du, was mich wirklich fertig macht?", sagte er. "Einige von den Typen, die ich jetzt regelmäßig mit Flaschen und Stuhlbeinen bewerfe, haben vor ein paar Jahren in meiner Klasse gesessen."
Lasse nickte. "Ja, das Thema hatte ich vorhin schon mit Backfist." Er machte ein wenig Hasch über der Flamme seines Feuerzeugs weich.
Der Rote breitete Blättchen, Filter und Tabak auf den Holzdielen vor der Couch aus und setze sich auf den Boden. Während Lasse einen Joint baute, begann der Rote, seine eigenen Prophezeiungen zu zitieren: "Ich habe euch damals gesagt, dass wir eine Strategie brauchen, um mit all den Kids, die sich gearschfickt fühlen, ins Gespräch zu kommen. Sonst wird es Krieg geben - das waren meine Worte." Lasse nickte.
"Ich habe euch gesagt, dass wir einen Dialog brauchen, dass in diesem Gefühl, verloren zu sein, kein Unterschied besteht zwischen denen und uns." Lasse reichte ihm den Joint, der Rote steckte ihn an und rauchte. Einige Momente andachtsvoller Stille folgten.
"Im Kern", sagte der Rote schließlich, "geht es denen, nicht anders als uns." Er gab Lasse den Joint zurück.
"Wir wollen Gerechtigkeit in diesem Scheißland", fuhr der Rote fort, "und die auch." Lasse inhalierte tief und sank zurück in die Polster der Couch.
"Allerdings wollen wir sie für alle." Der Rote verstummte. Vor den mit abnehmbaren Gittern gesicherten Fenstern wirbelten Schneeflocken in der Nachmittagssonne. Lasse versank in einem angenehmen Gefühl von Wärme und Schwere. Plötzlich riss ihn die Stimme des Roten aus seinem Dämmer.
"Was hast du gesagt?", fragte er und sah den Roten an.
"Ob er sie noch fickt."
"Wer?"
"Backfist."
"Wen fickt?" Lasse hatte ein wenig Mühe, sich zu sammeln.
"Babette."
"Wieso, bist du scharf auf sie?"
Der Rote nahm von Lasse den Joint entgegen und tat gleichgültig. "Die kann machen, was sie will. Ich frag nur aus Neugier."
"Seit wann rasierst du dir die Möse?" Vor Lasses Augen verschwammen die Bilder, aber dass zwischen Babettes Schenkeln etwas anders war, konnte man nicht übersehen.
"Wach mal auf, Mann. Wir leben nicht mehr im achtzehnten Jahrhundert."
"Klar, aber ganz kahl?"
"Wieso, gefällt es dir nicht?"
Lasse ließ es dabei bewenden und zog Babette an sich heran. Sie küssten sich, und seine Finger erkundeten die zarten, neu erschlossenen Gebiete. Als er spürte, dass sie feucht wurde, drückte er Babette vor sich auf den Teppich.
"Stopp mal", sagte Babette und drehte sich rasch auf die Seite. "Hast du nicht was vergessen?"
Lasse sah sie ratlos an. "Gummis sind im Badezimmer, im Schrank", half Babette ihm auf die Sprünge.
Während Lasse im Badschrank nach den Gummis suchte, dachte er darüber nach, wie sehr Jenny und Babette sich ähnelten. Beide taten beispielsweise gerade so, als müsste man ihm selbst das Ficken erklären. Oder war er der Auslöser dieses Verhaltens? Als er mit einer Handvoll Kondomen zurückkam – es waren verschiedene Sorten, und er wusste nicht, welche Babette bevorzugte – empfing sie ihn masturbierend auf dem Bett. Lasse warf die Gummis auf die Bettdecke, setzte sich mit gekreuzten Beinen auf den Boden und schaute ihr zu.
"Du bist ganz schön dünn geworden", sagte Babette, betrachtete Lasse und streichelte ihre Vulva.
Lasse nahm die Pose eines Meditierenden ein.
"Wie ein Heiliger mit Ständer", kommentierte Babette und spreizte ihre Schamlippen.
"Hat Backfist die Preise erhöht?", fragte Matti, während er stirnrunzelnd beobachtete, wie Lasse ein paar Gramm abwog und eintütete.
"Nee, ist besseres Gras", gab Lasse zurück. "Son genmanipuliertes Weed. Haut dir die Birne weg, wenn du nicht aufpasst."
Lasse warf das fertige Päckchen auf den Tisch, steckte die Federwaage ein und stand auf.
"Im Grunde kommst du sogar billiger." Er trat an die Fensterfront und schaute rüber zum Friedrichshainer Park.
"Ist eine Wahnsinnsaussicht", murmelte er.
"Ja, das sagst du jedes Mal", erwiderte Matti.
"Ich hätte auch Bulle werden sollen", sagte Lasse. "Dann müsste ich nicht in einer Bude wohnen, in der Schimmel an den Wänden wächst."
Matti grunzte zustimmend. "Hättest damals zu den Fallschirmjägern gehen sollen, als du die Chance hattest."
"Sicher. Um mich jetzt in den Irak schicken zu lassen."
"Deutsche Fallschirmjäger werden niemals in den Irak gehen", stellte Matti kategorisch fest. Er hatte das Päckchen geöffnet, ein bisschen Gras in den Kopf der bereitgestellten Wasserpfeife gekrümelt und zückte nun sein Feuerzeug. Während er inhalierte, sah sich Lasse in der Wohnung um. Das Eichenparkett glänzte seidig. An den Wänden hingen Schwarzweißfotografien vom Grand Canyon, und die schwarzlederne Sitzgruppe passte perfekt zu den wuchtigen dunklen Bücherregalen, in denen vor allem Klassiker standen. Lasses Finger strichen über die Buchrücken – Dante, Melville, Twain, Cervantes…
"Du liest viel", sagte Lasse nachdenklich.
"Lesen ist die beste Methode, um den Geist beweglich zu halten", erklärte Matti, eingehüllt in Schwaden aus blaugrauem Dunst. "Wenn ich einen Roman lese, besonders eine Detektivgeschichte, kann ich dir ziemlich schnell sagen, worauf das Ganze hinausläuft."
Lasse betrachtete die Bücher im unteren Teil des Regals - T. S. Eliot, Faulkner, Fitzgerald, Reed… Vom Tisch her war das Blubbern aus dem Bauch der Pfeife zu hören.
"Ein Kriminalist muss lernen, selbst die subtilsten Spuren und Schwingungen wahrzunehmen. Er muss verstehen, was ein Krimineller tut und warum er es tut, auch wenn der Kriminelle es selbst nicht genau versteht." Lasse kannte diesen Monolog.
"Die Literatur hilft dabei, die vielfältigsten Motive der Menschen kennenzulernen – natürlich nur, wenn es gute Literatur ist."
Während Lasse sich wieder dem Sofa zuwandte und schließlich mit einem Seufzer in die Polster warf, kam Matti auf den für ihn wichtigsten Punkt: "Ein Kriminalist – und sogar ein einfacher Polizist auf Streife – muss wissen, was einer tut, bevor er es selbst weiß."
Er schob die Bong über den Tisch. "Und deshalb muss ein Polizist still sein können und subtil und genau beobachten, was passiert."
Lasses Feuerzeug klickte, eine Flamme leuchtete auf. Nachdem Lasse tief inhaliert hatte und nun träge Rauchwolken über dem Sofa aufstiegen, sagte er: "Haut ihr deshalb den Hausbesetzern die Fresse ein und beschützt die Nazidemos? Weil es so subtil ist?"
Verärgert wedelte Matti mit einer Hand durch die Luft.
"Jedes Mal die selbe Diskussion, Lasse! Es nervt langsam."
Lasse spürte, wie ihn etwas schwer in die Polster drückte. In seinen Ohren rauschte das Blut, der Schlag seines Herzens hallte dumpf durch seinen ganzen Körper.
"Mann, die Pfeife fickt mich aber", sagte er leise.
"Ich habe dir schon x mal gesagt, dass sich kein normaler Beamter am ersten Mai oder bei so einer Besetzeraktion mit den Autonomen prügeln will." Matti stemmte sich mühsam aus dem Sessel. "Du siehst das Gesamtbild nicht, Mann. Es gibt hierarchische Strukturen, eine Chain of Command nennt man das."
Lasse spürte, wie er wegsackte. Irgendwo, weitentfernt, gestikulierte Matti und erging sich in Erläuterungen, denen Lasse nicht mehr folgen konnte.
Vor dem Tresor standen drei Typen in Bomberjacken, die Lasse kannte. Security. Im Inneren des Clubs hämmerten dumpfe Bässe, aber vermutlich tanzte niemand, denn es war noch nicht einmal Mitternacht. Lasse grüßte und fragte: "Wie läuft's denn heute?"
"Is ein Scheißabend", gab Watzak zurück, der wie immer schlecht gelaunt war und schon den nächsten Problemfall kommen sah.
"Da ist deine Konkurrenz", sagte er, schob Lasse zur Seite und fixierte mit finsterem Blick ein paar türkische Jungs in weiten Klamotten, die mit hochgezogenen Schultern und Händen in den Hosentaschen langsam näher kamen. Die beiden anderen Securities schnippten ihre Kippen in den Schnee.
Die Türken traten heran, nickten beiläufig, und einer von ihnen sagte an Watzak gerichtet: "Wie sieht's aus? Wollt ihr was?"
Watzak spuckte in den Schnee und sagte: "Klar, ein Döner wär nicht schlecht."
Die Prügelei ging sofort los. Lasse war ein paar Schritte zur Seite getreten und hämmerte mit der Faust an die Tür des Clubs. Als diese aufschwang und zwei weitere Securities heraussprangen, war die Schlägerei schon vorbei. Die türkischen Jungs schleppten den Typen, der sich mit Watzak eingelassen hatte, rüber zum Parkplatz.
Einer der Securities hatte sich wohl einen Knöchel gebrochen. Seine Hand sah schlimm aus. "Bring ihn zur Notaufnahme", sagte Watzak zu einem der Typen, die aus dem Club gekommen waren. "Und ruft mal bei den Aushilfsleuten an. Kann sein, dass die zurückkommen."
Etwas später standen Watzak, Lasse und ein paar andere zusammen und rauchten. Das Gras schien Watzak gesprächig zu machen, denn er erzählte von einer lustigen Party, die ein paar Tage zuvor von der Polizei geräumt worden war, nachdem jemand aus dem offenen Fenster geschossen hatte. Lasse beobachtete die Schneeflocken, die aus der Dunkelheit herabrieselten und im Lichtkreis der Straßenlaterne aufleuchteten.
"Naja, der Ratteck wird sich wohl jetzt ein bisschen zusammenreißen, wo seine Alte schwanger ist", sagte Watzak, inhalierte und gab den Joint weiter.
"Ratteck war auch auf der Party?", fragte Lasse benommen.
Watzak nickte, und einer der Securities meinte grinsend: "Was glaubste denn, wer dem besoffenen Idioten, der aus dem Fenster geschossen hat, die Knarre gegeben hat?" Alle lachten, bis auf Lasse.
"Moment mal, wer ist schwanger?", fragte er, und seine Stimme zitterte ein wenig.
"Rattecks Alte, die Schlampe mit den Tittentattoos", sagte Watzak. "Is noch nicht offziell, aber irgendjemand hat gequatscht."
Lasse schwankte und schaffte es gerade noch, sich zur Seite zu drehen. Er erbrach sich nahe der Stelle, wo noch das Blut des Türken im Schnee schimmerte.
"Mann, du solltest echt mal weniger kiffen", sagte Watzak mürrisch. "Das Zeug macht dich fertig."