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Berlin bei Nacht

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26.11.2017
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Berlin bei Nacht

Sie rannte so schnell sie konnte, rutschte beinahe aus und verpasste dennoch den Bus. Jede Freitag Nacht das selbe Dilemma. Obwohl Berlin eine Großstadt war, konnte sich Marie über die nächtlichen Verbindungen der öffentlichen Verkehrsmittel nur ärgern. Mit der U-Bahn an der Endstation angekommen, hatte sie noch genau zwei Minuten, um den Bus zu erwischen und meist schaffte sie es nicht. Es war Winter und tagsüber hatte es geschneit. Schlechte Bedingungen, um auf Stiefletten zum Bus zu rennen.
Da stand sie nun und überlegte, ob sie mit ihren acht cm hohen Schuhen durch den zehn cm tiefen Schnee laufen sollte, oder ob sie 30 Minuten auf den nächsten Bus warten wollte. Es war still. Sie sah ihren warmen Atem in der Luft. Der Schnee verwandelte die sonst so laute Straße in einen ruhigen Platz. Weit und breit sah sie niemanden, auch kein Auto. Die meisten Menschen liegen auch schon in ihren Betten oder lümmeln auf der Couch, in eine warme Decke gepackt, dachte sie leicht verärgert. Plötzlich spürte sie etwas. Irgendwas lag in der Luft und ihr war, als hörte sie ein leises Klingeln. Trotz ihres dicken Mantels, machte sich Gänsehaut auf ihren Armen breit.

„Ich schätze der Bus ist schon weg?“
Erschrocken drehte sie sich um und stand einem Mann gegenüber. Wo kam der denn her, fragte sie sich.
„Ehm, ja. Der ist gerade weg.“
„Wollen Sie beim warten auf den nächsten etwas Gesellschaft haben?“
Bitte? Ein fremder Mann, nachts, nirgends sonst eine Menschenseele zu sehen, fragte sie, ob sie seine Gesellschaft wollte? Normalerweise würden sofort ihre Alarmglocken schrillen und sie würde sich an den nächst besten Ort voll von Menschen begeben. Aber irgendetwas hielt sie zurück.
„Ehrlich gesagt, überlege ich gerade, ob ich nicht lieber laufe.“
„Auf diesen Absätzen? Das nenne ich mal sportlich.“, sagte er und grinste sie an.
Okay, stop. Dieser Kerl war süß. Wirklich süß. Sie begutachtete ihn von unten bis oben. Er war groß, schlank, gut angezogen. Zumindest trug er keine von diesen extrem eng sitzenden Jeans, die sie neuerdings an jedem zweiten Typen sah und fürchterlich fand. Am besten jedoch gefielen ihr seine Augen. Sie waren in einem hellen Braun und strahlten Wärme aus.

„Also, wenn ich es mir so recht überlege, tun mir meine Füße eh schon weh, deshalb… ich warte.“
„Das heißt dann ja?“
„Ja zu was?“, fragte sie verwirrt. Diese Augen. Sie brachten sie ganz durcheinander.
„Na zu meiner Gesellschaft.“, antwortet er und sein Grinsen wurde breiter.
„Achso, ja natürlich. Also nicht das es natürlich wäre, dass ich mich dauernd, mitten in der Nacht auf der Straße mit Fremden unterhalte. Aber Sie können gerne bei mir bleiben. Ähm, ich meine hier bleiben. Mit mir. An der Haltestelle!“ Okay Marie, reiß dich zusammen, sonst hält er dich noch für eine Intelligenzbestie.
„Wenn das so ist, würde ich mich gerne vorstellen. Ich bin Ben.“, er hielt ihr seine Hand zum Händedruck hin, welchen sie entgegennahm.
„Ich bin Marie. Freut mich.“ Sie beschlich das Gefühl, ihn irgendwo her zu kennen und fragte ihn, „haben wir uns schon mal irgendwo gesehen? Das klingt zwar ziemlich abgedroschen, aber du kommst mir irgendwie bekannt vor.“

Er ließ ihre Hand los und erst da registrierte sie, dass sie sich merkwürdig angefühlt hatte. Sie war weder warm, noch kalt gewesen und für eine Männerhand viel zu geschmeidig. Wieder breitete sich Gänsehaut auf ihrer Haut aus und sie versuchte ein Schütteln zu unterdrücken.
„Nicht das ich wüsste. Ich glaube ich würde mich an dich erinnern.“, antwortete er. „Jetzt war ich am Zug mit dem platten Spruch.“ Marie lachte und fragte ihn, wo er um diese Uhrzeit hinwollte.
„Ich war zu Besuch bei meiner Familie. Hab sie etwas länger nicht mehr gesehen. Wo möchtest du hin?“
„Nach Hause. Ich helfe Freitagabend immer in einer kleinen Bar einer Freundin aus. Lebt deine Familie nicht in Berlin oder wieso hast du sie länger nicht mehr gesehen?“, wollte sie wissen, aber als sie sah, dass sein Lächeln verschwand und sein Gesicht einen traurigen Ausdruck annahm, fügte sie noch hinzu: „Du musst darauf nicht antworten, wenn dir das zu privat ist!“
„Die Frage ist okay, keine Sorge. Sie wohnen in Berlin, aber ich kam in letzter Zeit einfach nicht dazu, sie zu besuchen. Das Leben kommt einem manchmal genau dann in die Quere, wenn man es am wenigsten erwartet.“

Marie wusste nicht so recht, was sie mit dieser Aussage anfangen sollte, aber beließ es dabei und nickte nur zustimmend. Das Gefühl ihn irgendwoher zu kennen, wollte nicht verschwinden und sie dachte ununterbrochen darüber nach. Es war, als würde er jemanden ähnlich sehen, den sie kannte, allerdings fiel ihr partout nicht ein wem. So standen sie* an der Haltestelle, warteten auf den Bus und unterhielten sich.
Überraschenderweise stellte er ihr aber nicht die Fragen, die man jemandem stellen würde, den man gerade erst kennenlernte. Er wollte nicht wissen, was sie beruflich macht, ob sie jemals studiert. Er hatte auch nicht gefragt, ob sie überhaupt Single war. Stattdessen interessierte ihn welche Jahreszeit ihre liebste war, welches Buch sie immer wieder und wieder las oder was sie tun würde, wenn sie einen Tag lang, der einzige Mensch auf Erden wäre. In kürzester Zeit gab er ihr das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Gleichzeitig kam sie sich albern vor, denn dieses ganze Szenario war so absurd. Sie merkte nicht, wie die Zeit verging und war überrascht, als der Bus um die Ecke gefahren kam.

„Bis wohin musst du fahren?“, fragte sie ihn, während sie ihre Fahrkarte aus der Handtasche kramte.
„Ich laufe. Es ist kein weiter Weg und ich mag die frische Luft und Stille in der Nacht.“, entgegnete er ihr.
Marie verstand. Er hatte sich nur an die Haltestelle gestellt, um ein Gespräch mit ihr anzufangen. Nicht weil er mit dem Bus fahren musste. Sie konnte nicht anders, als zu grinsen und sich darüber zu freuen. Der Bus hielt an und öffnete seine Türen. Während Marie einstieg, rief sie ihm zu: „Hab noch einen schönen Abend. Hoffentlich sieht man sich mal wieder!“.

Ehe er ihr antworten konnte, schlossen sich die Türen. Er schenkte ihr ein trauriges Lächeln und machte kehrt, um den Weg zurück zu gehen, den er gekommen war. Für den Bruchteil einer Sekunde sah es aus, als würde die Luft um ihn herum glitzern und Marie schüttelte den Kopf.*Ich gehöre ins Bett, dachte sie.

Den ganzen Weg nach Hause, grübelte sie über das Treffen nach. Irgendwas an Ben hatte von Beginn an nicht gestimmt, aber sie konnte nicht sagen was. Ein Perverser konnte er nicht sein, denn er hatte sie kein einziges Mal bedrängt oder etwas unangebrachtes gesagt. Sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass es einfach nur eine Masche war, denn er hatte nicht nach ihrer Nummer gefragt.
Nachdem sie ihre Wohnungstür aufgeschlossen und ihre Jacke samt Stiefeln ausgezogen hatte, lief sie schnurstracks zu ihrem Computer. Zwanzig Minuten lang öffnet sie jede einzelne Fotodatei, in der Hoffnung irgendwo sein Gesicht zu finden, oder zumindest das der Person, die ihm so ähnlich sah. Sie guckte alle Fotos durch, die sie jemals bei Feiern oder Schulfesten geschossen hatte. Kurz bevor sie aufgeben wollte, sah sie es. Ein Foto aus ihrer Zeit in der Oberschule. Es war der Abiball des Jahrgangs über ihr gewesen und sie war damals nur dort gewesen, weil der Bruder ihrer Freundin seinen Abschluss gefeiert hatte. Auf dem Foto ist Jasmin zu sehen, mit ihrem Bruder. Ben.

„Ich habe es doch gewusst!“, rief sie laut und klatschte in die Hände.
Sie würde morgen früh gleich ihre beste Freundin Nadine anrufen und ihr die ganze Geschichte erzählen. Zu Jasmin hatte sie den Kontakt kurz nach ihrem gemeinsamen Abi verloren. Jasmin ging für ein Jahr nach Australien und Marie fing ein Studium in Berlin an. Nachdem sie damals wiedergekommen war, wollten sich beide auf einen Kaffee treffen, aber es kam nie dazu.
Diese Nacht schlief Marie so gut, wie schon lange nicht mehr und wachte am nächsten Morgen mit einem Grinsen im Gesicht wieder auf. Es war zehn Uhr und Marie beschloss, dass es die perfekte Zeit war, um Nadine anzurufen.

„Hast du ein Glück, dass ich schon wach bin! Was gibt’s, was nicht hätte warten können?“, begrüßte ihre Freundin sie am Telefon.
„Du wirst nicht glauben, wen ich letzte Nacht getroffen habe!“, sprach Marie fröhlich in das Telefon.
„Channing Tatum?!“, fragte Nadine aufgeregt.
„Quatsch! Dann hätte ich dich schon heute Nacht angerufen. Ben! Den älteren Bruder von Jasmin! Du weißt schon, der auf dessen Abiball wir damals waren! Man Nadine, der ist so was von süß!“
Nadine antwortete nicht.
„Hallo? Bist du noch dran?“, wollte Marie wissen.
„Ist das ein Witz? Wenn ja, stell dich an die Wand und schäm dich Marie. Sowas ist nicht witzig.“
Marie war perplex und wusste nicht, was ihre Freundin ihr damit sagen wollte.
„Nein, ich mach keinen Witze! Ich check das gerade nicht, was ist denn das Problem?!“
„Wann hast du das letzte mal mit Jasmin gesprochen?“
„Das war damals, als sie aus Australien wieder gekommen ist. Wir wollten uns treffen, aber haben es nie gemacht. Wieso, was ist denn los?!“, Marie beschlich ein komisches Gefühl, das selbe wie gestern Abend, kurz bevor Ben aufgetaucht war.
„Ben ist kurz nachdem Jasmin wiedergekommen ist gestorben, Marie. Bei einem Autounfall.“
Gänsehaut machte sich an ihrem ganzen Körper breit und sie spürte, wie sich eine geschmeidige sachte auf ihren Rücken legte. Als sie sich umdrehte, war niemand zu sehen, nur etwas Glitzer in der Luft.

 
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Hallo PrettyCharmingMitch

Willkommen bei den Wortkriegern! Dein Text erinnert mich an Gespenster Geschichten, diese Comichefte, die ich als Kind verschlungen habe. Seltsam, aber so steht es geschrieben, stand da meistens am Ende der Geschichten. :)

Ich finde die Idee gut, denke aber, dass du in zweierlei Hinsicht noch mehr daraus machen könntest.

1. Während des Gesprächs betonst du immer wieder, dass es sich um ein seltsames Gespräch handelt. Am deutlichsten vielleicht an dieser Stelle:

Überraschenderweise stellte er ihr aber nicht die Fragen, die man jemandem stellen würde, den man gerade erst kennenlernte. Er wollte nicht wissen, was sie beruflich macht, ob sie jemals studiert. Er hatte auch nicht gefragt, ob sie überhaupt Single war. Stattdessen interessierte ihn welche Jahreszeit ihre liebste war, welches Buch sie immer wieder und wieder las oder was sie tun würde, wenn sie einen Tag lang, der einzige Mensch auf Erden wäre. In kürzester Zeit gab er ihr das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Gleichzeitig kam sie sich albern vor, denn dieses ganze Szenario war so absurd.

Das Problem ist, dass ich als Leser sofort weiss, dass das auf etwas hinausläuft, dass es sich hier um mehr oder etwas anders als um einen Flirt handelt. Das ist schade, denn am Ende bin ich durch die Auflösung nicht überrascht.

Besser wäre es meiner Meinung nach, das Seltsame zu zeigen, aber nicht zu benennen, so dass ich als Leser zu ahnen beginne, dass hier etwas nicht stimmt. Anders formuliert: "Seltsam" / "absurd" "überraschend" ist nicht etwas, das die Autorin schreiben, sondern etwas, das der Leser selbst denken sollte.

Ich fand es auch schade, dass du hier abkürzt. Du sagst einfach, er habe alle diese Dinge gefragt und vor allem sagst du einfach, dass er ihr das Gefühl gegeben hat, etwas Besonderes zu sein. Wie hat er das gemacht? Ist es die Art und Weise, wie er die Fragen stellt? Geh da rein und zeige uns, wie man jemandem das Gefühl gibt, etwas Besonderes zu sein. Dann hast du eine Figur erschaffen, die auch den Leser in den Bann zieht, nicht nur Marie.

2. Mir fehlt noch etwas, das die Begegnung, wie soll ich sagen, einbettet, ihr eine besondere Bedeutung verleiht. Weshalb wendet er sich gerade an sie? Was treibt ihn um, weshalb ist er noch hier? Du hast da bloss die Aussage, er habe seine Familie besucht. Was steckt dahinter? Nicht dass du das erklären sollst, aber vielleicht so eine Andeutung, auch in dem, was er sagt. So ist das halt eine Begegnung, an deren Ende der Leser sich sagt, ach so, das war ein Geist, mehr nicht. Versuche, den Leser da etwas stärker mit rein zu ziehen.
Zum Beispiel könnte die Begegnung auch so verlaufen, dass er etwas von Marie will und sie will ihm das nicht geben, (und der Leser denkt sich, nein, gib ihm das ja nicht!) und erst am Ende, als sie versteht, was mit ihm geschehen ist, versteht sie auch, weshalb er das unbedingt von ihr wollte, und dann gibt's nach der Auflösung noch ein Ende, wo Marie sich aufmacht, ihm das zu bringen. (Und der Leser kann das dann gut oder schlimm oder gefährlich finden). So als Anregung. Da gäbe es sicher viele Möglichkeiten.

Lieber Gruss
Peeperkorn

P.S. Die Leerzeilen zwischen den Dialogen sind unnötig und machen den Text unübersichtlich.

 

Hallo Peeperkorn und vielen Dank :)

Das Problem ist, dass ich als Leser sofort weiss, dass das auf etwas hinausläuft, dass es sich hier um mehr oder etwas anders als um einen Flirt handelt. Das ist schade, denn am Ende bin ich durch die Auflösung nicht überrascht.

Okay, verstehe. Das ist mir so tatsächlich gar nicht aufgefallen, aber ich muss dir zustimmen. Das nimmt direkt auch die Spannung. Den Tipp mit dem Zeigen, aber nicht benennen merke ich mir.

Geh da rein und zeige uns, wie man jemandem das Gefühl gibt, etwas Besonderes zu sein. Dann hast du eine Figur erschaffen, die auch den Leser in den Bann zieht, nicht nur Marie.

Danke, dass du das ansprichst. Ich war mir nämlich nicht sicher, ob ich diese Szene länger bzw. tiefer gestalten sollte, weil ich Angst hatte es wäre too much. So ist genau das Gegenteil passiert.

Mir fehlt noch etwas, das die Begegnung, wie soll ich sagen, einbettet, ihr eine besondere Bedeutung verleiht. Weshalb wendet er sich gerade an sie? Was treibt ihn um, weshalb ist er noch hier?

So weit habe ich tatsächlich gar nicht gedacht. Es leuchtet mir aber tatsächlich ein. Für mich war das Ende der Überraschungspunkt, aber warum Marie und was Bens ganzer Hintergrund ist fehlt total.

Das war super Kritik, damit kann ich was anfangen! Vielen Dank!! :D

Liebe Grüße

 

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