Bericht von der Heimatfront
Bericht von der Heimatfront
Eine Kreuzung in Westfalen. Knurren. Hinter einer wohl geformten Hecke, leicht gelangweilt: "Johnny, hör auf!". Doch Johnny, eine beigefarbene Promenadenmischung, fixiert seinen Gegner. Seine Nackenhaare sträuben sich und ein tiefes Grollen erklingt. Es gilt dem jungen Mädchen auf dem Fahrrad. Sie hält zielstrebig auf den Hund zu.
Hinter der Hecke erneut: "Johnny, hierin!" Die Intonation verrät, dass die Sprecherin keinen Erfolg erwartet.
Das Mädchen indessen rast auf den Hund zu, um kurz vorm Zusammenprall mit einem Schlenker an ihm vorbeizuziehen. Johnny wild kläffend hinter ihr her. Nach einigen Metern bricht er ab. Er hat sie in die Flucht geschlagen. Gemächlich stolziert er zurück. Die Kreuzung ist gesäubert.
Bei der Hecke legt er sich ab, den Kopf auf die Pfoten – in Lauerstellung.
Die Kreuzung befindet sich in einer Kleinstadt in Westfalen. Verkehrsberuhigtes Wohngebiet. Die eine Straße endet auf einem Acker, die andere führt zu einer Hauptstraße. Es gibt eine Holzbank, auf der ein Rentner mit Krückmann in der Hand ein Päuschen macht. Sein Krückmann hat eine Klingel. Gegenüber ein Zigarettenautomat. Darauf die Mutter aller Kritzeleien: "Ich war hier" plus Datum. Der Eintrag ist drei Jahre alt und von der Witterung leicht verblasst.
Die Stimmer hinter der Hecke bekommt ein Gesicht. Eine Frau um die vierzig, mit Gummihandschuhen und einer Harke kommt auf den Bürgersteig. Freundlich sagt sie zum Rentner: "Choudden Dach." Das ist der ortsübliche plattdeutsche Dialekt und bedeutet: "Guten Tag." Der Rentner versteht und nickt mit seiner Schiebermütze. "Choudden Dach", sagt er nicht.
Johnny erhebt sich, hört etwas, nimmt Witterung auf. Wer kommt da angeradelt?! Seine Schnauze legt sich in Falten. Um die Ecke jedoch biegt lediglich ein gelber Handkarren, dahinter der Postbote. Entwarnung. Johnny gibt die Straße frei. Er gähnt ostentativ, dehnt genüsslich seine Vorderläufe, dreht sich einmal um sich selbst und legt sich dann wieder ab.
Der Postbote gibt der Frau mit der Harke einen Brief. Der wird gleich geöffnet.
An Frau Helga Kötterheinrich steht da drauf und als Absender das Ordnungsamt.
"Ach Chott o Chott", entfährt es Frau Kötterheinrich . Es ist ein Bußgeldbescheid. Der Dritte in diesem Jahr. Erneut ein Verstoß gegen die Hundeverordnung. Weil Johnny kein Maulkorb trägt, ist Frau Kötterheinrich ihren Pflichten als Hundehalterin nicht nachgekommen. Ein Vergehen das mit DM 150,-geahndet wird. Wo kein Kläger da kein Richter, möchte man denken.
"Iss was Gutes?", möchte der Rentner von der Parkbank wissen.
"Nee", knurrt Frau Kötterheinrich "die von Nebenan hat mir mal wieder einen reingewürgt."
Wütend fuchtelt sie mit dem Amtspapier in der Luft. "Kannste dir das vorstellen ..." Ein aufgeregter Wortschwall mit langen umständlichen Erklärungen prasselt auf den Rentner ein. Er nimmt es gelassen. Wenn Frau Kötterheinrich hektisch Atem holt, stimmt er dröge mit "Iss richtich" zu.
Nachbarn haben sich über Johnnys Verhalten beschwert. Er habe Menschen auf der Straße bedroht."So ’n Quatsch." Am Anfang des Jahres kam dann der erste Brief. Johnny soll von nun an ein Maulkorb tragen. Zur Sicherheit der Nachbarn. Familie Kötterheinrich boykottiert jedoch die staatlichen Anordnungen. "Dafür haben wir uns doch kein Hund angeschafft. Wir wollen unseren Hund frei erziehen."
Prompt kommt die zweite Beschwerde und mit ihr das erste Bußgeld. "Alles Denunzianten." Der Konflikt um Johnny schlägt Wellen. Ringsum gibt es eine Anti- und eine Pro-Johnny-Fraktion.
Die, die Johnny nicht mögen, mag Johnny nicht. Oder war es andersrum? Die, die von Johnny angekläfft und die Straße runter gejagt werden, mögen Johnny nicht. "Alles Spießer, so ’n bisschen Bellen. Ist doch nun mal ’n Hund."
Watzlawick hätte seine wahre Freude. Geht der Mann nun andauernd in die Kneipe, weil seine Frau so viel nörgelt – oder nörgelt die Frau, weil der Mann so viel in die Kneipe rennt? Ein Teufelskreis.
Aber nicht alle haben Probleme mit Johnny. Die Frau Westermann von gegenüber gibt ihm Reste vom Tisch, obwohl er ihre Pudeldame unaufgefordert gedeckt hat. Johnnys Libido ist sehr stark ausgeprägt. "Ja, Johnny ist ’n richtiger Casanova."
Letztens klingelte der Förster. Seine reinrassige Jagdhündin geht mit Johnnys Samen schwanger. Dafür will er Entschädigung. "So ’n Tier will doch auch einmal sein Spaß haben. Da kann ich doch nicht den ganzen Tag hinter her."
Wegen der Sache mit der Verordnung nimmt sie Johnny nicht mehr in die Stadt mit. Spazieren geht sie nur noch außerhalb. Doch auch da gibt es keine Ruhe vor Verfolgung. Der Sachbearbeiter aus dem Ordnungsamt kommt ihr entgegen gejoggt. Kopfschüttelnd weist er sie zurecht: "Der Hund gehört angeleint!"
"Furztrocken diese Typen vom Amt, den kann man gar nichts recht machen."
"Iss richtich."
Frau Kötterheinrich hat sich beruhigt, einigermaßen. Den mittlerweile zerknüllten Brief schmeißt sie in die Mülltonne neben der Parkbank. "Kann man eh nichts machen!"
Auf der Straße kommt ein Mountainbike angeradelt. Johnny macht sich bereit.