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Berg und Kater

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23.01.2014
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Berg und Kater

Achthundert Höhenmeter, zwei Stunden für Geübte.
Ich bin nicht geübt, aber ich habe Zeit. Vor einem halben Jahr wog ich noch hundert Kilo und rauchte Kette. Bis Dr. Wegmann meinte, wenn ich so weiter machte, gäbe er mir weniger Jahre als die Anzahl meiner Kippen vor dem Frühstück.
Wunderschöne Ausblicke auf Inntal und Kaisermassiv, stand im Fährtenfinder. Nur mittelschwer aber Trittsicherheit nötig auf dem Grat zum Gipfel.
Es ist früh. Den Wanderparkplatz finde ich problemlos. Ich bin das erste Auto nach einer Stunde Fahrt von München. Meine Schuhe sind neu und hart und noch nicht eingelaufen. Aber sie fühlen sich sicher an. Sie werden mir Halt geben.
Der Aufstieg beginnt mit einem langen Marsch zum Berg, der sich weigert, näher zu kommen. Dass er erreicht ist, fühle ich in den Beinen, noch bevor ich es sehe. Die Schuhe sind schwer.
Der Weg wird jetzt steiler und führt in einen Wald. Meine Kondition ist lausig. Ich halte zum ersten Mal an. Wie lange habe ich keinen Bergwald mehr gerochen! Ich weiß gar nicht mehr, was das alles ist. Moos, Blätter, Erde. Ich sauge den Duft so tief in mich, wie ich kann.
Das Stehenbleiben tut gut, aber ich habe noch viel zu viel Strecke vor mir, um mir jetzt schon eine Pause zu gönnen.
Der Weg windet sich hoch, stetig, zäh und langsam, die Steigung mehr spürbar als sichtbar. Manchmal halte ich an, blicke nach unten und kann durch lichtes Blattwerk sehen, dass ich nicht weit gekommen bin. Ich sehe Stellen, an denen ich vor langer Zeit und vielen Atemzügen gestanden oder gegangen bin. Die Kehren sind lang und ich gewinne kaum Höhe.
Klein anfangen, sich nicht zu viel vornehmen, langsam aufbauen. Steht alles im Fährtenfinder. Aber ich will mich quälen. Will mich bestrafen für Fressen und Rauchen und Sitzen und Glotzen. Fürs mich Gehenlassen. Für die Verwahrlosung. Will mit einer einzigen Anstrengung alles wieder gut machen. Inge hätte mir abgeraten. Sie hätte mich ausgelacht. Typisch Mann. Vom Ehrgeiz getrieben aber keinen Plan. Selbstzerstörerisch und dumm. Aber Inge ist weg.
Vor der nächsten Kurve wartet eine Bank. Noch sehe ich sie aus gehörigem Abstand, aber ich erkläre meinen Beinen, dass es sich nicht mehr lohnt, zu streiken. Sie gehorchen mir und heben meine Füße über Wurzeln und Steine und über einen Bach, der den Weg kreuzt. Es ist eine Bank mit Aussicht, mit Bedacht an diesem Ort platziert. Ich denke an die Menschen, die sie aufgestellt haben. Und die Bretter hoch geschleppt und die Balken verlegt, die über den Bach führen, den ich schon mehrmals überquert habe, die Wegmarkierungen, die Treppenstufen an besonders steilen Stellen. Wer hat die wohl in den harten Boden gedroschen und eingefasst? Junge Männer, kraftvolle Männer, denen ihr Körper noch gehorcht.
Ich lasse mich auf die Bank fallen. Streife meinen Rucksack ab und hole meine Trinkflasche heraus. Ich sehe schroffe hohe Berge, deren Namen ich nicht kenne, nähere und fernere. Wahrscheinlich sehe ich weit nach Österreich hinein, so rein ist die Luft. Das Morgengewölk hat sich fast ganz verzogen, nur wenige Gipfel stecken noch im Dunst. Einer lugt durch einen Wolkenkreis, der ihn umgibt wie ein Heiligenschein. Der frische Wind kühlt meine Stirn, und die Weite erschlägt mich. Alles ist verloren in ihr, ich bin verloren, sogar mein kleiner Berg, den ich niederringen will. Lächerlich!
Meine Augen brennen, weil seit einer Stunde ununterbrochen Salzwasser in sie rinnt. Ich habe kein Taschentuch. Wische den Schweiß an mein Hemd.
Inge ist gegangen, weil sie sich nichts mehr von mir erhofft hat. Sie ist noch neugierig aufs Leben, hat sie gesagt. Will Veränderungen zulassen und erleben, will nicht mit mir im Alltag ersaufen. Sie soll sich ihre eigenen Aufregungen schaffen, habe ich geantwortet. Meistens. Manchmal habe ich auch gespürt, dass sie nicht Unrecht hatte. Ich bin neben ihr müde geworden.
Weiter! Ich bin nicht schnell gegangen, sitze schon eine Weile hier auf der Bank, aber noch hat mich kein Mensch überholt, weil ich mir im Fährtenfinder einen kaum begangenen Weg ausgesucht habe. Warum auch immer. Weil ich die Einsamkeit wollte. Weil ich meinen Kampf gegen mich nicht vor Zeugen führen wollte. Ertappt werden beim Schlappmachen. Außerdem habe ich schon viel zu viel von meinem Wasser aufgebraucht.
Auf dem Weg, der vor mir liegt, steht eine schwarze Katze mit weißen Pfoten.
Wo kommst du denn her, frage ich sie. Sie ist, glaube ich, ein Er. Dicker Kopf, kräftiger Körper. Ein gestandener Kater.
Er betrachtet mich so wie ich ihn.
Kommst du von der Hütte runter, um mich abzuholen?
Wenn ich die Steigung durch den Wald hinter mir habe, kommen Kuhweiden und es erwartet mich eine Hütte, auf der Wanderer Brot, Speck, Käse und Buttermilch erhalten können, steht im Fährtenfinder.
Ich habe bereits Hunger, aber ich habe nichts mitgenommen. Wollte wenig Gewicht tragen und auf der Hütte essen. Solange halte ich aus. Ich verfüge noch über ein stattliches Depot in meiner Mitte.
Als ich aufstehe und mich wieder auf den Weg mache, lässt der Kater mich an sich vorbei und trottet mir hinterher.
Du begleitest mich zur Hütte?
Nach so einer Pause sind die Beine besonders schwer, sagt man, und genauso ist es. Die Bergstiefel wiegen Tonnen und durch meine zugeteerten Lungen nehme ich wahrscheinlich nicht ausreichend Sauerstoff auf. Ich vermute darin den Grund für meine brennenden Muskeln. Und für das Zittern in meinen Knien. Und für den Atem, der mir nicht reicht, so viel ich auch nach ihm ringe.
Aber genau das wollte ich ja. Meine Grenzen spüren. Erste Voraussetzung dafür, sie erweitern zu können. Ich stehe zu dem Raubbau an meinem Körper in den vergangenen Jahren, ich stemme die Konsequenzen einen Berg hinauf, aber sie sind sehr viel schwerer als mein Rucksack, in dem das Wasser schon fast alle ist.
Der Kater hat mich überholt, trabt ein paar Schritte voraus, bleibt immer wieder stehen und blickt zurück, als wolle er sich vergewissern, dass ich noch in der Lage bin, zu folgen.
Ja, bin ich, du Angeber! Auch wenn’s mir schwerer fällt als dir.
Er läuft weiter.
Bist du auch allein? Kein Weibchen auf der Hütte, das auf dich wartet? Kein Katzenmädchen, das dir ein schönes Hinterteil entgegenreckt, wenn du sie in den Nacken beißt? Keine Jungen? Nur du, ein dicker Kater, der den ganzen Tag Zeit für sich hat?
Er hört mir zu. Hat ein paar Meter Vorsprung herausgelaufen und da sitzt er nun und schaut mich an.
Den ganzen Tag für dich haben von morgens bis abends. Er ist nicht immer dein Freund, weißt du. Zu viel Zeit, um in dir zu verschwinden. Manchmal mag der innere Dialog nicht mehr aufhören. Dieses Geschwätz, dieses schwachsinnige Gebrabbel mit einem Über-Ich, das genauso real ist wie der Gedanke, dass du mich verstehst.
Du verlierst dich, hat Inge manchmal gesagt. Wo bist du?
Ein Meilenstein in einer epischen Ehegeschichte, dieser Satz. Ich fliege davon, weil mich nichts hält. Und niemand. Auch Inge nicht. Oder hält sie mich nicht, weil ich schon außer Reichweite bin? Die Katze beißt sich in den Schwanz.
Ja, mein dicker Kater. Das kennst du alles nicht. Du brauchst ein anständiges Leben, das funktioniert und dich ernährt. Wie die meisten unserer Vorfahren. Wie Bergbauern aus einem längst vergangenen Jahrhundert, die im Winter genug Essen, warme Kleidung und Feuerholz brauchten, um reich zu sein. Ich beneide dich, Katerchen. Wo bist du?
Ich sehe ihn nicht mehr. Will mich schon damit abfinden, allein weiter gehen zu müssen, da kommt er vor meinen Augen aus dem Gebüsch gesprungen, eine Maus im Maul. Er setzt sich an den Rand des Weges, nimmt sie zwischen die Pfoten und beginnt selbstvergessen, an ihr herumzubeißen, sieht nur kurz auf, als ich an ihm vorbei gehe. Ich muss es jetzt mindestens bis zum Ende des Waldes schaffen. Möchte auf einer Bank vor der Hütte sitzen, den Ausblick genießen, essen. Mag nur weder Milch noch Buttermilch. Vielleicht gibt es ein alkoholfreies Weißbier.
Der Weg wird ein Steig. Schmaler, steiler, steiniger, voller gewundener Wurzeln, die sich um meine Füße schlingen wollen. Und die Steine sind glatt. Noch hat sie hier im dunklen Baumschatten keine Sonne trocknen können.
Er bleibt hinter mir, während ich mich weiter quäle. Ich spüre ein Stechen in meinen Eingeweiden. In allen. Ein ganzheitliches Seitenstechen. Meinen Herzschlag fühle ich in meiner trockenen Kehle. Mein rechter Fuß verhakt sich in einer Wurzel. Ich falle. Meine Hände haben Glück. Sie landen auf Erde. Meine Knie nicht. Sie schlagen hart auf. Ich liege auf dem Boden. Es fühlt sich an, als könnte ich nie mehr aufstehen. Ich bleibe unten. Diese Pause muss ich nicht rechtfertigen. Warum tu ich mir das an?
Plötzlich steht er wieder neben mir. Streicht mit seinem weichen Fell um die Beine. Tauschen wir, Kater? Leihst du mir für ein paar Höhenmeter dein Fliegengewicht? Deine weichen Pfoten?
Von weitem höre ich Inges Stimme. Du bist doch vollkommen verrückt. Schau, dass du einigermaßen heil zurück zum Auto kommst! Steh auf!
Sie hat Recht. Es ist eine Qual, aber ich stehe. Die Knie zittern, sie schmerzen kaum noch. Sind meine Nerven auch so erschöpft, dass sie nicht mehr leiten? Das ist gut. Ich will nicht zurück zum Auto, Inge! Ich schau nach vorn. Wenn ich mich nicht täusche, wird der Wald lichter. Bestimmt ist der Weg nur für die letzte Steigung zum Pfad geworden. Da droben eine Almwiese, eine Hütte. Sie entsteht vor meinem inneren Auge. Eine Sennerin, die mich begrüßt. Die mir sofort ein Glas Milch hinstellt. Ja, ich nehme jetzt auch die Milch. Sie betrachtet mich ein wenig mitleidig. Aber auch anerkennend, als wüsste sie, was mich der Weg zu ihr gekostet hat.
Nein, ich kehre nicht um, Inge!
Der Kater läuft wieder voraus, schaut sich um, blickt mich auffordernd an.
Komm Wanderer, sagt er. Da oben bin ich zu Hause. Es ist nur noch ein kleines Stück.
Ich gehe weiter. Ich schwebe. Fühle nichts mehr. Keinen Schmerz. Auch keine Müdigkeit. Hütte, Bank, Milch! Meine Beine machen das jetzt ganz allein. Nur Hunger und Durst spüre ich.
Der Wald öffnet sich. Ich kann Wiesen sehen. Höre das Geläut einer Kuhglocke. Und dann sehe ich sie. Die Kühe. Es sind drei. Die Wiesen. Die Hütte. Ein Gatter, das ich öffne und das sich hinter mir schließt. Ich stehe auf einer Weide. Der Blick ist atemberaubend, aber ich hebe ihn mir für später auf. Noch brauche ich meinen Atem. Die Kühe stehen auf dem Weg und machen keine Anstalten, ihn freizumachen. Ich brauche keinen Weg mehr. Überall Gras wie ein Teppich. Der Weg ist überall. Eine letzte kleine Steigung und dann stehe ich vor der Hütte. Es gibt einen groben Holztisch, eine Bank. Auch eine Tür, aber die ist zu. Es ist niemand da. Die Hütte ist geschlossen. Das stand nicht im Fährtenfinder. Ein Zettel hängt an der Tür mit einem Reißnagel befestigt. Wegen Krankheit derzeit nicht bewirtschaftet.
Ich werfe mich auf eine Holzbank. Sie ist noch feucht von der Nacht. Schließe die Augen. Strecke mich aus. Bleibe einfach liegen. Ich weiß nicht, wie lange.
Irgendwann setze ich mich wieder auf und entleere meinen Rucksack. Da ist nicht viel. Eine Regenjacke, die ich nicht brauchen werde. Ein Pullover. Ebenso wenig. Eine fast leere Wasserflasche. Ich trinke den letzten Schluck. Nichts zu essen. Ich habe mit dieser Hütte gerechnet. Ich habe diese Hütte gebraucht. Nicht nur zum Essen und zum Trinken.
Der Kater schaut mich an, als ob er wüsste, welchen Konflikt ich jetzt mit mir austrage. Welche Frage ich mit stelle.
Zurück oder weiter? Ich will auf den Gipfel. Ich denke jetzt nicht mehr nach. Jede Minute des Zweifelns würde mich Kraft kosten. Körperliche und Entschlusskraft. Ich breche auf. Mein Körper fühlt sich trotz der Pause nicht erholt an. Eher so, als wäre mir das ganze Blut in die Füße gesackt. Die Steigung beginnt gleich hinter der Hütte und die Beine beginnen schon nach wenigen Schritten zu zittern, mehr als zuvor.
Der schmale Pfad schlängelt sich in Serpentinen durch einen niedrigen Wald aus Latschenkiefern. Inzwischen ist die Sonne über mir und ich weiß jetzt, dass es klug gewesen wär, eine Kopfbedeckung einzupacken.
Der Weg ist steinig. Er windet sich nun kaum mehr, steigt einfach gerade an. Führt einfach bergauf. Bei jedem Schritt müssen meine Schenkel mein Gewicht stemmen. Sie streiken. Jahrelang hast du uns nicht behelligt, sagen sie. Nicht trainiert. Einfach nur draufgesessen. Und jetzt sollen wir deine Masse den Berg hochtragen!
Irgendwie habe ich es geschafft, den Latschenwald hinter mich zu bringen. Wo ist mein Kater?
Ich sehe den Gipfel vor mir. Ein Eisenkreuz mit Streben verankert. Eine letzte Steigung, gegen die alles nichts war, was ich hinter mir habe. Und dann der Grat.
Es geht tief nach unten, rechts und links.
Da ist er! Er huscht an mir vorbei. Ich darf nicht nach unten sehen. Der Weg ist schmal aber breit genug. Langsam gehen. Kontrolliert. Nicht straucheln. Schritt für Schritt meinen Leib weiter schieben. Das schafft ihr noch, ihr Schenkel!
Nein, sagen sie.
Mein Fuß gleitet an einem Stein ab. Ich falle zur Seite. Beginne, zu torkeln. Ich kann mich nicht halten und tu das einzige, was mich jetzt rettet. Ich gehe zu Boden. Meine Hände bluten, als mein Gewicht sie zwischen die spitzen Steine zwingt.
Ich blicke nach unten, was ich nicht darf. Weite! Endlos.
Inge hat Recht gehabt, zu gehen. Ich wollte dich nicht schlagen, Inge. Es ist einfach passiert. Die Vorwürfe, die Verachtung, die ich gespürt habe, die vielleicht gar nicht von dir kam, sondern von mir selbst. Aber diesen Gedanken konnte ich damals nicht denken.
Inge hat längst einen anderen. Sie reisen viel. Am liebsten in die Toskana. Inge lernt jetzt Italienisch. Sie gehen ins Theater. Haben ein Abo für die Kammerspiele. Inge ist glücklich. Inge hat alles richtig gemacht. Mein Sohn spricht nicht mehr mit mir und antwortet schon lange nicht mehr auf meine Anrufe und meine Mails. Ich habe seine Mutter geschlagen.
Ich lebe in einem leeren Raum. Weiß nicht, warum ich morgens aufstehe. Es gibt keinen Grund. So wie jetzt links und rechts von mir. Kein Grund. War das der Sinn? Dahin stürzen, wo ich längst bin? Ins Leere?
Ich muss weiter. Muss aufstehen. Neben mir sitzt der Kater. Legt seine Pfoten auf meine Beine. Dann geht er ein paar Schritte zurück.
Was willst du mir sagen, mein Freund? Dass ich umkehren soll? Dass ich nicht zum Gipfel fliegen soll und zum Abgrund auch nicht, sondern zurückgehen? Zurück zu meinem Ausgangspunkt? Dass mein neuer Weg dort unten beginnen muss und nicht hier oben? Ganz unten? An dem Punkt, an dem ich stehe?
Ich lege mich auf den Boden. Er ist hart, aber er trägt mich. Ich schließe die Augen. Warte einfach, bleibe lange und ruhig liegen, bis mit dem Atem ein paar Kräfte zurückkommen.
Die Vorstellung, dass Inge einen anderen hat, ist grauenhaft. Und gerade bin ich zu erschöpft, um zu verdrängen, um mir selbst vorzumachen, dass mir das nichts ausmacht. Beim letzten Treffen habe ich mich für sie gefreut. Ihr das neue Glück gegönnt. Ich habe gelächelt, bis ich nachts allein im Bett lag.
Ich war nicht immer so, Inge. Erinnere dich! Und du auch nicht. Wir haben geschlampt. Wir waren nicht aufmerksam. Irgendwann waren wir auf einer abschüssigen Bahn und wussten nicht, wo die Bremse ist. Weißt du, was jetzt am meisten weh tut? Dass bei mir Einsicht und Reue kommen und die Angst vor dem restlichen Leben. Und bei dir Erleichterung, Befreiung und Lust auf die Zukunft. Dieser Schmerz zerfetzt mir die Eingeweide, Inge. Meistens versuche ich, ihn nicht zuzulassen. Aber er überfällt mich immer wieder. Von Hinten. Heimtückisch. Und dann will ich dieses beschissene restliche Leben nicht mehr haben. Ich scheiß drauf. Oder ich scheiß in einen Abgrund und springe hinterher. Hier wäre einer. Was wartet auf mich? Einsamkeit, Alter, Verbitterung und das Gefühl, selbst schuld zu ein.
Ich bin nicht leer und ich will nicht ins Leere. Ich bin nur ganz unten und dahin muss ich jetzt. Auf allen Vieren zurück, bis ich vom Grat bin. Ich habe Zeit. Erst zwischen den Latschen richte ich mich auf. Hier kann ich fallen ohne zu stürzen. Und ich falle mehrmals. Schlage mir die Knie auf. Die Hände sind ohnehin blutig, aber ich fühle nichts. Ich habe Zeit. Irgendwann sehe ich wieder die Hütte. Menschen sind dort. Wanderer. Sie werden Wasser haben. Und ein paar Worte.
Ich habe Recht. Sie haben beides. Und etwas zu essen. Ich kann an der Hütte rasten, bis sie den Gipfel gemacht haben. Werde dann mit ihnen hinuntergehen.
Wo ist mein Kater?

 

Hallo wander,
ein passendes Sujet zum Namen. Eine Bergwanderung. Da gehe ich mit. Parallel zur Verlorenheit Deines Steigers klingt der Text verloren. Er verbietet sich längere Konstruktionen, geht oft gleichförmig dahin, kurz und wortkarg. Ich nehme an, dass das ein Stilmittel sein soll. In der Atemlosigkeit werden kurze Phrasen gedacht, nicht lange Sätze und Gedankenketten erfunden. Das finde ich als Idee gut. Ziemlich verführerisch ist es ja, eine Supertheatralik, wie sie die Alpen nun mal darstellen, in Worte zu packen und unvermeidlich ist es oft, daran kläglich zu scheitern, weil man sich aufplustern will, wie die Berggipfel. Den textlichen Weg also, der Monumentalität eine Kargheit gegenüberzustellen, finde ich schlüssig. Noch dazu ist die Lebenssituation entsprechend ernüchternd.
Klar: Zur Wanderung muss dann eine Art Offenbarung kommen, es muss eine Persönlichkeit hervortreten, die sich an der Natur abarbeitet, sich in ihr spiegelt oder im Kontrast dazu steht. Das tut sie in Deinem Fall. Darauf wartet man, sobald der unwillige Wanderer sich auf den Weg begibt, dass er was von sich preisgibt und sagt, was los ist. Inge ist es, die ihm Kummer macht und am Ende auf dem Grat wird die Sache sehr konkret und in der direkten Anrede greifbar. Ich kann nachvollziehen, warum Du das so geschrieben hast.
Inge. Erinnere dich! Und du auch nicht.
Mir ist es in der Entäußerung ein zu starkes Mittel. Ich empfinde es als zu sehr Haudrauf, vor allem, weil es dann wieder in den sachlichen, reduzierten Tonfall übergeht.
Wenn ich den Text dann im Detail nochmal anschaue, frage ich mich, was mich an der Kargheit, die, wie gesagt, ja passt, nicht stört, aber was mir fehlt. Ich versuche das, an ein paar Beispielen zu zeigen:
Wenn es sich staute, hätte es gravierende Folgen haben müssen.

Gefäßen staute sich das Blut.
„Wenn ich so weitermache“ als konkretere Variante.
weiter machen würde
Nicht relevante Information:
Den Ausdruck habe ich im Rucksack.
Seltsame Gleichsetzung:
Ich bin das erste Auto
Technischer Ausdruck:
Wegabschnitt
Im Kontext der sprachlichen Reduktion umständlich:
Dass er erreicht ist, fühle ich in den Beinen, noch bevor ich es mit den Augen wahrnehmen kann.
Schwer wurde vorher schon erwähnt. Hinweis auf die Beratung finde ich überflüssig.
wirklich schwer und ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich da gut beraten worden bin.
Sprachlich umständlich:
hätte es das nicht auch in Leicht gegeben?
Wiederholung „riechen“ finde ich ungünstig. Weiter unten kommt eine häufige Wiederholung mit „Weg“
rieche die Luft. Wie lange habe ich keinen Bergwald mehr gerochen!

Was ich meine: In dem gewählten Stil sind meinem Empfinden nach viele Haken sprachlicher und inhaltlicher Art, die dem Duktus, ganz gerade, direkt und schnörkellos zu erzählen entgegenstehen. Dadurch wird für mich die Wucht, die in dem schönen Kontrast Bergwelt und Innenleben eigentlich angelegt ist, immer wieder ausgebremst.
Herzliche Grüße
rieger

 

Hallo Rieger. Sobald ich Zeit finde, werde ich mich nochmal über den Text hermachen und gegen die Schnörkel in den Krieg ziehen.
Danke für deine Anregungen. Ich freu mich, dass du mit mir den Berg hinaufgegangen bist. :-)
Schönes Wochenende!

 

Der Kater läuft wieder voraus, schaut sich um, blickt mich auffordernd an.
Komm Wanderer, sagt er. Da oben bin ich zu Hause. Es ist nur noch ein kleines Stück.

Hallo wander,

was zwischen

Ich bin nicht geübt[,] aber ich habe Zeit.
und
Die Hände sind ohnehin blutig[,] aber ich fühle nichts
an Natur- und Beziehungsbeschreibung erfolgt, verschlägt mir die Sprache - zumindest im - vielleicht sogar unzulässigen - Vergleich zu der zuvor gelesenen Mär ..., sehn wir mal von ab, dass "aber" eine der Konjunktionen ist, die im Gegensatz zu "und" und "oder" usw. eben kein Komma ersetzt (da musstu auf jeden Fall noch mal durchschauen ...).

Rieger kann das natürliche um vieles besser ausdrücken als ein Flachlandtiroler, der zwar die See liebt, aber reichlich Schiss hatte zu helfen, seinerzeit auf einem Schrägdach Dachziegel zu ersetzen, die gerade von Kyrill weggeblasen wurden, und das halt "hinterm" Deich. Nun gut, ich hatte mehr als 20 % Untergewicht, quasi ein Federgewicht. Da ist der nächste Satz ein schöner Kontrast

Vor einem halben Jahr wog ich noch [h]undert Kilo und ...

Warum so umständlich?
... ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich da gut beraten worden bin.
Warum nicht einfach "gut beraten wurde"?

Fürs mich Gehen lassen.
besser "gehenlassen", vernachlässigen z. B. im Unterschied zum einen "gehen lassen", wegzugehen- für irgendwas muss ja die rechtscreibreformistische Zusammen- und Getrenntschreibung ja auch einen Sinn haben.

... aber sie sind sehr viel schwerer als mein Rucksack, in dem das Wasser schon fast alle ist.
Nicht falsch, aber ist "alle-alle" nicht, Kindersprache? Besser"aufge-/verbraucht/getrunken"

Zu[...]viel Zeit, um ...
"Zuviel" nur als Substantiv zusammen, kann es aber nicht sein, sonst stünde dort [das/ein] Zuviel "an" Zeit ...

Plötzlich steht er wieder neben mir. Streicht mit seinem weichen Fell um die Beine. Tauschen wir[,] Kater? Leihst du mir für ein paar Höhenmeter dein Fliegengewicht?

Gern gelesen vom

Friedel

 
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Hallo wander,

auch ich möchte Dir zu Deinem Sujet gratulieren, es hat mir Spaß gemacht in den Bergen zu verweilen. Da ich auch Dein Märchen gelesen habe, kann ich nur sagen, dass mir die Geschichte hier wesentlich besser gefallen hat. Ich bin ja selbst noch ein Neuling und wie dein Prot noch ungeübt, daher hoffe ich, dass das was ich zu sagen habe nicht unhöflich wirkt und Dir etwas hilft.

Mir fehlt die Kompetenz Deine Sprache zu beurteilen, doch ich denke, was die Konstruktion Deiner Geschichten angeht, kann ich vielleicht mit einigen kleinen Tipps helfen. Ich meine damit strikt stilistische Mittel, womit Du Deine Geschichten besser gestalten kannst.

Das was rieger so höflich am Ende des Kommentars formuliert hat, ist der Umstand, dass niemand sich die Probleme anderer Menschen freiwillig anhört. Es ist eine einfache Tatsache, die kannst Du leicht in Deinem Alltag überprüfen. Man hört sich die Probleme anderer Menschen nur gegen Bezahlung an, oder wenn man etwas anderes noch damit zu erreichen gedenkt. Wenn Du also die Dynamik der Geschichte anhand einer Beziehung aufbaust, dann schalte ich als Leser ziemlich bald ab. Es sei denn – und hier kommt mein Vorschlag – Du bietest mir von Anfang an ein Köder, etwas was ich unbedingt haben oder wissen muss. Ich nenne das einfach X.

Nehmen wir an – karikiert und vereinfacht um mein Standpunkt zu vertreten, hat nichts mit Deine Geschichte hier zu tun - nehmen wir an X ist „Die ewige Jugend“. Du hast X am Anfang verlauten lassen und jeder würde sich spätestens beim zweiten Nachdenken sich bewusst werden, dass er genau diese Sache haben will. Niemand will sterben, richtig?

Wenn ich also als Leser von X Wind bekommen habe, dann folge ich Dir überall hin. Ich bin auch bereit Selbstgespräche hinzunehmen, Dir geduldig zuzuhören, ohne dass ich es selbst weiß, dass ich eigentlich nur X im Sinne habe. Doch X hilft Dir auch dabei die Geschichte straffer zu halten, darauf zu achten, wann ist etwas zuviel. Das einzige Problem besteht darin, ein plausibles X zu finden, ein X das auf Deine jeweilige Geschichte passt. Wenn Du mir dabei noch so eine schöne Aussicht bietest, mich an besondere Orte mitnimmst, dann danke ich Dir dafür.

Eine weitere grundsätzliche Sache wäre der Perspektivenwechsel. Ich habe aus diesen beiden Geschichten ziemlich leicht entnehmen können, dass Du, wandern, ein Mann bist. Es würde Dir als Autor unheimlich viel bringen, wenn du den Mann ablegen und in der Haut einer Frau schlüpfen würdest. Du hättest plötzlich ganz andere Dinge zu erzählen, andere Sichtweisen würden sich Dir bieten. Diese Übung ist unheimlich gut und schärft Deine Beobachtungsfähigkeit, zudem – um nicht bloßgestellt zu werden – zwingt sie Dich zur Sparsamkeit in der Gestaltung. Die GEfahr hier, wie eigentlich auch mit X, besteht darin, der Versuchung zu erliegen mit Klischees zu arbeiten. Frauen haben nur Klamotten in Kopf, etc.

Zuallerletzt noch eine Sache, es betrifft Dein Märchen. Auch hier, sei mir bitte nicht böse, es ist nur ein Gedanke, den ich Dir auf diesen Weg mitteile. Es soll Dir helfen zu wachsen, ein besserer Autor zu werden.
Du weißt, dass Frauen uns Männer als Triebgesteuert bezeichnen, dass wir nur den Geschlechtsakt im Sinne haben. Und es ist auch wahr, wir haben darunter mehr als genug zu leiden. Wir beide aber wissen, dass das nicht ganz richtig ist. Was uns Männer wirklich antreibt ist etwas anderes. Für uns wird immer nur die Idee wichtig sein, das Eine, ehrliche und reine, wofür wir jederzeit unsere Kraft aufopfern würden. Wenn wir das haben, dann lassen wir auch zwanzig Huren liegen, mögen die auch noch so schön und nett sein. Es ist also das Fehlen dieser Idee in unserem Leben, was Männer für gewöhnlich zum Geschlechtsakt treiben. Wenn Du also über eine Hure schreibst, dann sagst Du mir indirekt, dass das Eine bei Dir nicht da ist. Es ist auch keine Schande das nicht zu haben, so ist nun mal die Zeit in der wir leben. Man versucht uns Fußball, Politik und Beruf als das Eine aufzuzwingen, als das wofür man(n) brennen sollte, nichts davon ist aber ‚ehrlich und rein‘, nicht wahr? Du schreibst über die Hure, aber Du erzählst von Dir. Es wird der armen Frau auch nicht gerecht, denn damit wird sie im doppelten Sinne verkauft. Warum also die Angelegenheit nicht vereinfachen, gleich vom Einen zu sprechen und sich den Umweg über die Prostitution ersparen? Ich wette mit Dir, es würde sich auch für Dich lohnen, denn Dich damit zu beschäftigen, was das Eine sein könnte, ist bereichernd und edel.

Ich hoffe, das ist ein konstruktiver Input für Dich und Du kannst etwas damit anfangen. Es würde mich freuen in Zukunft mehr von Dir zu lesen und nochmal, bitte entschuldige, wenn ich Dir dabei zu nahe trat. Ich meine es nur gut und ehrlich.

Liebe Grüße und gutes Schaffen
Tanghai

 

Vielen Dank Rieger und Friedel, ihr geduldigen Leser und Mitwanderer. Ich bin den Berg nochmal hoch, habe Schnörkel ausgemerzt, "Abers" mit Kommata versehen, hier und dort gestrafft.

Danke Tanghai. Über deine Gedanken werde ich meditieren. Was schon mal hängen geblieben ist: Man sollte dem Leser am besten schon am Anfang einen Grund bieten, weiterzulesen und die vielen Worte auszuhalten. Dein X? Das kann die Auflösung eines Geheimnisses sein. Aber vielleicht reicht es auch, ihm das Gefühl zu geben, dass es lohnt. Ich werde weiter drüber nachdenken.

 
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Hallo wander,

Meine Schuhe sind neu und hart und noch nicht eingelaufen. Aber sie fühlen sich sicher an. Sie werden mir Halt geben.
Der Aufstieg beginnt mit einem langen Marsch zum Berg, der sich weigert, näher zu kommen. Dass er erreicht ist, fühle ich in den Beinen, noch bevor ich es sehe. Die Schuhe sind schwer.

Oje!

Es ist ein langer Text, aber das braucht es auch, weil man beim Lesen in dieses Gefühl kommen muss von Anstrengung, Aufstehen, Fallen, sich quälen. Und das gelingt dir gut. Ich habe mir zwischendurch Sorgen gemacht, dass er da oben einen Herzinfarkt kriegt. Ich mag es, dass meine Erwartung nicht erfüllt wurde, dass es kein großes äußeres Drama gab, sondern dass sich „nur“ das innere Drama zeigte. Der Mensch, der in der Natur mit sich selbst konfrontiert wird. Dein Held ist verzweifelt, aber nicht bodenlos verzweifelt. Die Natur wirkt anstrengend, aber nicht feindselig, sogar eher freundlich, besonders durch den Kater. (den ich wunderbar finde) Es ist seine eigene Verfassung, seine Selbstüberschätzung, seine schlechte Vorbereitung, die ihn quält. Und er ist sich dessen bewusst. Das macht ihn zu einem sympathischen Loser, dem man wünscht, dass er es schafft. Er redet unentwegt, mit sich, mit Inge, mit dem Kater. Ich habe den Eindruck, dass er auf dieser Wanderung alles nochmal zusammenfasst, was ihm seit der Trennung bewusst geworden ist. Und am Ende ist er bereit, sich seinem Leben wieder zu stellen, von vorne anzufangen.

Aber ich will mich quälen. Will mich bestrafen für Fressen und Rauchen und Sitzen und Glotzen. Fürs mich Gehenlassen. Für die Verwahrlosung. Will mit einer einzigen Anstrengung alles wieder gut machen. Inge hätte mir abgeraten. Sie hätte mich ausgelacht. Typisch Mann. Vom Ehrgeiz getrieben aber keinen Plan. Selbstzerstörerisch und dumm.

Inge hat recht. Und am Ende ist es doch gut, dass er raufgelaufen ist. Das gefällt mir auch.

Will mich schon damit abfinden, allein weiter gehen zu müssen, da kommt er vor meinen Augen aus dem Gebüsch gesprungen, eine Maus im Maul. Er setzt sich an den Rand des Weges, nimmt sie zwischen die Pfoten und beginnt selbstvergessen, an ihr herumzubeißen, sieht nur kurz auf, als ich an ihm vorbei gehe.

Schön.

Ich habe mit dieser Hütte gerechnet. Ich habe diese Hütte gebraucht. Nicht nur zum Essen und zum Trinken. Ich fühle, wie sehr ich diese Hütte gebraucht hätte. Geöffnet. Zum Sprechen. Zum Ankommen.

Klasse mit der Hütte. Die Sätze nach dem „ … Trinken“ würde ich weglassen. Du hast öfter so Wiederholungen im Text, vielleicht guckst du da nochmal.

Inge ist gegangen, weil sie sich nichts mehr von mir erhofft hat. Sie ist noch neugierig aufs Leben, hat sie gesagt. Will Veränderungen zulassen und erleben, will nicht mit mir im Alltag ersaufen. Sie hat es nicht ganz so gesagt, aber immer wieder angefangen, mir ihre Unzufriedenheit unter das Kinn zu knallen. Sie soll sich ihre eigenen Aufregungen schaffen, habe ich geantwortet. Meistens. Manchmal habe ich auch gespürt, dass sie nicht Unrecht hatte. Ich bin neben ihr müde geworden.

Das finde ich überflüssig, dass sie es „nicht ganz so gesagt“ hat und irritierend. „Sie soll sich ihre eigenen Aufregungen schaffen“ finde ich super. Das gibt ein gutes Bild, wie er sie auflaufen läßt.

Inge hat Recht gehabt, zu gehen. Ich war so voller Wut nach der Kündigung. Sie war so aus dem Nichts gekommen. Nach so vielen Jahren. Standort geschlossen. Und meine Zahlen waren schon lange nicht mehr gut. So voller Wut auf alles und jeden. Ungerecht. Verletzend. Wie ein wildes Tier, das tollwütig um sich beißt.

Das könnte mehr show statt tell gebrauchen.

Möglicherweise könnte es Punkte geben, wo ich als Leserin spüre, dass eine Sprachlosigkeit beginnt, wo der Schmerz, die Scham zu groß wird. Ein Beispiel:

Ich wollte dich nicht schlagen, Inge. Es ist einfach passiert. Die Vorwürfe, die Verachtung, die ich gespürt habe, die vielleicht gar nicht von dir kam, sondern von mir selbst. Aber diesen Gedanken konnte ich damals nicht denken.

Du hast das Schlagen noch ein drittes Mal, mit dem Sohn. Durch dieses dreimalige wirkt es so, als würde er sich dieses Wort immer wieder vorhalten, das hat eine selbstanklagende Wirkung. Schwächt sich aber möglicherweise gleichzeitig ab. Das zweite Schlagen z.B. könnte man ersetzen z.B. durch „sie kann nachts wieder schlafen.“

Inge hat längst einen anderen. Er schlägt sie nicht, er ist gut zu ihr. Er hat einen sicheren Job. Sie reisen. Sie gehen ins Theater. Inge ist glücklich. Inge hat alles richtig gemacht.

Auch danach vielleicht nicht so allgemein bleiben. „Er ist Buchhalter“ oder „sie fahren jedes Jahr in den Harz“oder „sie haben ein Abo am Stadttheater“ Das erzählt mehr, schafft stärkere Bilder, läßt den Leser selber zu dem Schluss kommen, dass sie glücklich ist.

Ich habe gelächelt, bis ich nachts allein im Bett lag.

Möglicherweise danach einen Absatz.

Ich habe immer damit gerechnet, dass mit den uneingelaufenen Schuhen noch was kommt. Du hast den Satz „Die Schuhe schmerzen“, was natürlich unlogisch ist, es müssten seine Füße sein, die schmerzen, da müßten sich Blasen entwickeln. Ich habe als Jugendliche mal eine mehrtägige Wanderung mit nicht eingelaufenen Schuhen gemacht, meine Zehen waren hinterher blutig. Also das Wort „humpeln“ käme da auch irgendwo noch ganz gut. Oder habe ich es überlesen?

Schön, das Ende. Hoffnungsvoll und trotzdem nicht kitschig. Ich bin auch gerne mit auf den Berg gewandert.

Liebe Grüße von Chutney

P.S. Hast du die Geschichte von josefelipe "Der dunkle Wein des Madiran" gelesen? Auch so eine Thematik

 

Vielen Dank Chutney, du hast ja schon nach dem ersten Absatz gespürt, dass der Weg hart wird.
„Die Schuhe schmerzen..“ Au Weia! Dass da meine Tastatur nicht aufgejault hat.
Deine Korrekturen sind Gold wert. Ich kürze gern und kann mich auch von Textstellen trennen. Aber es ist toll, wenn jemand die „Überflüssigkeiten“ entdeckt, die immer noch drin stecken.
Die Geschichte mit der Arbeitslosigkeit hab ich ganz raus. Sie erklärt nachträglich und hängt in der Luft.
Der Gedanke, Inges Leben mit dem Nachfolger ein konkreteres Gesicht zu geben, ist sehr gut. Da hing ich zu sehr im Allgemeinen. Nur in den Harz reisen wir Südländer selten.
Ich freu mich sehr, dass du die Geschichte magst.
Danke nochmal und ich bin schon sehr gespannt auf deine nächste.

wander

 
Zuletzt bearbeitet:

Hola Chutney (Was für ein Nick! Erotisch und exotisch-raffiniert:).)
Dir verdanke ich, dass ich wanders Geschichte gelesen habe.
Es ist nun mal so: Ein Titel lockt mich an, oder er geht an mir hintenrum vorbei. Bei ‚Berg und Kater’ letzteres:shy:. Dabei finde ich selbst nie den optimalen Titel für meine Texte:D.

Hola wander(er),
es ist sicherlich in Deinem Sinne, dass ich zuerst der Dame danke. Und sie hat so recht, wie ich beim ersten Überfliegen Deines Textes feststelle – unsere Themen ähneln sich sehr.

Ich lese los, und wie Lehrer Lämpel werde ich alles anmerken, was meinen Vorstellungen widerspricht:

Ich bin das erste Auto ...
Ganz und gar unmöglich – wenn meine Oma Räder hätte ...
... nach einer Stunde Fahrt von München.
Gab’s noch andere Autos, die von woanders herkamen? Von Ulm vielleicht:sconf:?
Klein anfangen, sich nicht zu viel vornehmen, langsam aufbauen. Steht alles im Fährtenfinder. Aber ich will mich quälen. Will mich bestrafen für Fressen und Rauchen und Sitzen und Glotzen. Fürs mich Gehenlassen. Für die Verwahrlosung. Will mit einer einzigen Anstrengung alles wieder gut machen.
Muss unwillkürlich an all die schönen Vorsätze zu Sylvester denken. Könnte alles so einfach ein – einmal etwas Disziplin un ferttich.

Lieber wander, ich wandere mit! Wir sollten einander unser Leid klagen. Und selbstverständlich habe auch ich Laktoseintoleranz.

Der Blick ist atemberaubend, aber ich hebe ihn mir für später auf. Noch brauche ich meinen Atem.
Oh, wander’s-Mann, gar originell sind Deine Konstruktionen!
Eine Regenjacke, die ich nicht brauchen werde. Ein Pullover. Ebenso wenig.
Dieses allein stehende ’Ebenso wenig.’ schnackelt nicht so richtig mMn. Es wirkt ‚unrund’.
Meine Hände bluten, als mein Gewicht sie zwischen die spitzen Steine zwingt.
Inge lernt jetzt Italienisch.
Diese Gedanken in einer Szene sind schwer vorstellbar. Trotzdem kaufe ich Dir das ab. Was oft in unseren Köppen passiert, besonders in stressigen Situationen, ist so wirr, das nichts unmöglich ist.
... die Verachtung, die ich gespürt habe, die vielleicht gar nicht von dir kam, sondern von mir selbst.
Jetzt ist er im Epi-Zentrum, da lohnt der steilste Aufstieg!
NUUUR:
Ich muss weiter. Muss aufstehen. Neben mir sitzt der Kater. Legt seine Pfoten auf meine Beine.
Hier mag ich nicht mehr. Weit vor der Hütte machen sie Bekanntschaft miteinander – und dann folgt ihm der Kater höher und höher, bis zum Grat? Katzen sind für ihren Egoismus und Eigensinn bekannt, ist der Kater ganz anders?
Für mich nicht ganz glaubwürdig. Aber dieses Verhalten auf einen (herrenlosen oder lieblos gehaltenen) Hund übertragen, machte mir die Sache einleuchtender.
Könnte mir gut vorstellen, dass diese Wanderung zu sich selbst besser ohne Kater denkbar wäre, zumal Du auch dessen stete Anwesenheit beim Schreiben ‚am Hals’ hast (der Dir natürlich andrerseits das Unterbringen all dessen erleichtert, was Du erzählen willst.)
Letzter Gedanke: Ohne die (mMn. überflüssige) Ablenkung durch den Kater könnte der Läuterungsprozess Deines Prots klarer und eindringlicher geschildert werden – eventuell ein Beispiel für gelungene Verschlankung eines Textes, dessen Aussage dann den Leser direkt erreicht.
Wo ist mein Kater?
Glaube mir – Du brauchst ihn nicht (meine Privatmeinung).

So, jetzt hab ich aber den Mund vollgenommen. Bin ganz erstaunt, wie sehr sich der Inhalt unserer beiden KGs gleicht. Deine Art zu schreiben finde ich überzeugend, das ist selbstsicher und sympathisch.

Bin gespannt, ob Du die älteren Texte ansprechend präsentieren kannst:

... ich möchte mit Texten aus meiner Schublade kommen.
Das hatte ich auch vor, musste allerdings bald einsehen, dass Leseverhalten und Leseerwartung sich deutlich verändert haben, und auch, dass neu geschriebene Texte mit Frische und Emotion den Leser besser erreichen als Reifes, Abgelagertes – aber vielleicht sieht das bei Dir ganz anders aus. Außerdem ist es bei mir so, dass ich schon allein des Schreibens wegen lieber neu schreibe.
Putzig auch, dass Du das ältere Mitglied bist, ich Dich aber erst jetzt wahrnehme. Ich denke, wir werden uns nicht aus den Augen verlieren.

Beste Wünsche!
José

 

Hola Josè,
danke dafür, dass du auch die Strapazen des Aufstiegs auf dich genommen hast.
"Ich bin das erste Auto ... " Ach Mensch! Keiner scheint diesen Satz zu mögen außer mir. Ich finde ihn viel schöner als ein "Ich bin der erste, der an diesem Morgen sein Auto auf dem Wanderparkplatz abstellt."
Zum Durcheinander der Gedanken. Sein Körper erlebt die Qualen der Überanstrengung und sein Geist die des "Verlassen worden Seins." / (Wie schreibt man denn das richtig?" :-)
Schön, dass du mir das Durcheinander abkaufst.
Aber bitte, José! Nimm mir meinen Kater nicht! Er ist das Autobiographischste an der ganzen Geschichte. Letzten Sommer hat mich bei einer Bergtour eine Katze begleitet. Rauf und einen großen Teil der Strecke wieder runter. Und sie wollte nicht mal ein Stück meiner Wurst haben. Ok, vielleicht war sie zu scharf gewürzt. Stattdessen hat sie eine Maus gefangen und verzehrt.
Und ich wollte den Kerl auch nicht nur mit sich selbst und der nicht anwesenden Verflossenen quatschen lassen. Der Kater ist auch so etwas wie ein Link zum Leben und zur Realität. Schluss mit dem Gewühle in den Eingeweiden und dem Selbstmitleid. Das Leben will gelebt werden!
Danke nochmal und...Nein! Wir verlieren uns bestimmt nicht aus den Augen. :-)

 

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