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Berg und Kater
Achthundert Höhenmeter, zwei Stunden für Geübte.
Ich bin nicht geübt, aber ich habe Zeit. Vor einem halben Jahr wog ich noch hundert Kilo und rauchte Kette. Bis Dr. Wegmann meinte, wenn ich so weiter machte, gäbe er mir weniger Jahre als die Anzahl meiner Kippen vor dem Frühstück.
Wunderschöne Ausblicke auf Inntal und Kaisermassiv, stand im Fährtenfinder. Nur mittelschwer aber Trittsicherheit nötig auf dem Grat zum Gipfel.
Es ist früh. Den Wanderparkplatz finde ich problemlos. Ich bin das erste Auto nach einer Stunde Fahrt von München. Meine Schuhe sind neu und hart und noch nicht eingelaufen. Aber sie fühlen sich sicher an. Sie werden mir Halt geben.
Der Aufstieg beginnt mit einem langen Marsch zum Berg, der sich weigert, näher zu kommen. Dass er erreicht ist, fühle ich in den Beinen, noch bevor ich es sehe. Die Schuhe sind schwer.
Der Weg wird jetzt steiler und führt in einen Wald. Meine Kondition ist lausig. Ich halte zum ersten Mal an. Wie lange habe ich keinen Bergwald mehr gerochen! Ich weiß gar nicht mehr, was das alles ist. Moos, Blätter, Erde. Ich sauge den Duft so tief in mich, wie ich kann.
Das Stehenbleiben tut gut, aber ich habe noch viel zu viel Strecke vor mir, um mir jetzt schon eine Pause zu gönnen.
Der Weg windet sich hoch, stetig, zäh und langsam, die Steigung mehr spürbar als sichtbar. Manchmal halte ich an, blicke nach unten und kann durch lichtes Blattwerk sehen, dass ich nicht weit gekommen bin. Ich sehe Stellen, an denen ich vor langer Zeit und vielen Atemzügen gestanden oder gegangen bin. Die Kehren sind lang und ich gewinne kaum Höhe.
Klein anfangen, sich nicht zu viel vornehmen, langsam aufbauen. Steht alles im Fährtenfinder. Aber ich will mich quälen. Will mich bestrafen für Fressen und Rauchen und Sitzen und Glotzen. Fürs mich Gehenlassen. Für die Verwahrlosung. Will mit einer einzigen Anstrengung alles wieder gut machen. Inge hätte mir abgeraten. Sie hätte mich ausgelacht. Typisch Mann. Vom Ehrgeiz getrieben aber keinen Plan. Selbstzerstörerisch und dumm. Aber Inge ist weg.
Vor der nächsten Kurve wartet eine Bank. Noch sehe ich sie aus gehörigem Abstand, aber ich erkläre meinen Beinen, dass es sich nicht mehr lohnt, zu streiken. Sie gehorchen mir und heben meine Füße über Wurzeln und Steine und über einen Bach, der den Weg kreuzt. Es ist eine Bank mit Aussicht, mit Bedacht an diesem Ort platziert. Ich denke an die Menschen, die sie aufgestellt haben. Und die Bretter hoch geschleppt und die Balken verlegt, die über den Bach führen, den ich schon mehrmals überquert habe, die Wegmarkierungen, die Treppenstufen an besonders steilen Stellen. Wer hat die wohl in den harten Boden gedroschen und eingefasst? Junge Männer, kraftvolle Männer, denen ihr Körper noch gehorcht.
Ich lasse mich auf die Bank fallen. Streife meinen Rucksack ab und hole meine Trinkflasche heraus. Ich sehe schroffe hohe Berge, deren Namen ich nicht kenne, nähere und fernere. Wahrscheinlich sehe ich weit nach Österreich hinein, so rein ist die Luft. Das Morgengewölk hat sich fast ganz verzogen, nur wenige Gipfel stecken noch im Dunst. Einer lugt durch einen Wolkenkreis, der ihn umgibt wie ein Heiligenschein. Der frische Wind kühlt meine Stirn, und die Weite erschlägt mich. Alles ist verloren in ihr, ich bin verloren, sogar mein kleiner Berg, den ich niederringen will. Lächerlich!
Meine Augen brennen, weil seit einer Stunde ununterbrochen Salzwasser in sie rinnt. Ich habe kein Taschentuch. Wische den Schweiß an mein Hemd.
Inge ist gegangen, weil sie sich nichts mehr von mir erhofft hat. Sie ist noch neugierig aufs Leben, hat sie gesagt. Will Veränderungen zulassen und erleben, will nicht mit mir im Alltag ersaufen. Sie soll sich ihre eigenen Aufregungen schaffen, habe ich geantwortet. Meistens. Manchmal habe ich auch gespürt, dass sie nicht Unrecht hatte. Ich bin neben ihr müde geworden.
Weiter! Ich bin nicht schnell gegangen, sitze schon eine Weile hier auf der Bank, aber noch hat mich kein Mensch überholt, weil ich mir im Fährtenfinder einen kaum begangenen Weg ausgesucht habe. Warum auch immer. Weil ich die Einsamkeit wollte. Weil ich meinen Kampf gegen mich nicht vor Zeugen führen wollte. Ertappt werden beim Schlappmachen. Außerdem habe ich schon viel zu viel von meinem Wasser aufgebraucht.
Auf dem Weg, der vor mir liegt, steht eine schwarze Katze mit weißen Pfoten.
Wo kommst du denn her, frage ich sie. Sie ist, glaube ich, ein Er. Dicker Kopf, kräftiger Körper. Ein gestandener Kater.
Er betrachtet mich so wie ich ihn.
Kommst du von der Hütte runter, um mich abzuholen?
Wenn ich die Steigung durch den Wald hinter mir habe, kommen Kuhweiden und es erwartet mich eine Hütte, auf der Wanderer Brot, Speck, Käse und Buttermilch erhalten können, steht im Fährtenfinder.
Ich habe bereits Hunger, aber ich habe nichts mitgenommen. Wollte wenig Gewicht tragen und auf der Hütte essen. Solange halte ich aus. Ich verfüge noch über ein stattliches Depot in meiner Mitte.
Als ich aufstehe und mich wieder auf den Weg mache, lässt der Kater mich an sich vorbei und trottet mir hinterher.
Du begleitest mich zur Hütte?
Nach so einer Pause sind die Beine besonders schwer, sagt man, und genauso ist es. Die Bergstiefel wiegen Tonnen und durch meine zugeteerten Lungen nehme ich wahrscheinlich nicht ausreichend Sauerstoff auf. Ich vermute darin den Grund für meine brennenden Muskeln. Und für das Zittern in meinen Knien. Und für den Atem, der mir nicht reicht, so viel ich auch nach ihm ringe.
Aber genau das wollte ich ja. Meine Grenzen spüren. Erste Voraussetzung dafür, sie erweitern zu können. Ich stehe zu dem Raubbau an meinem Körper in den vergangenen Jahren, ich stemme die Konsequenzen einen Berg hinauf, aber sie sind sehr viel schwerer als mein Rucksack, in dem das Wasser schon fast alle ist.
Der Kater hat mich überholt, trabt ein paar Schritte voraus, bleibt immer wieder stehen und blickt zurück, als wolle er sich vergewissern, dass ich noch in der Lage bin, zu folgen.
Ja, bin ich, du Angeber! Auch wenn’s mir schwerer fällt als dir.
Er läuft weiter.
Bist du auch allein? Kein Weibchen auf der Hütte, das auf dich wartet? Kein Katzenmädchen, das dir ein schönes Hinterteil entgegenreckt, wenn du sie in den Nacken beißt? Keine Jungen? Nur du, ein dicker Kater, der den ganzen Tag Zeit für sich hat?
Er hört mir zu. Hat ein paar Meter Vorsprung herausgelaufen und da sitzt er nun und schaut mich an.
Den ganzen Tag für dich haben von morgens bis abends. Er ist nicht immer dein Freund, weißt du. Zu viel Zeit, um in dir zu verschwinden. Manchmal mag der innere Dialog nicht mehr aufhören. Dieses Geschwätz, dieses schwachsinnige Gebrabbel mit einem Über-Ich, das genauso real ist wie der Gedanke, dass du mich verstehst.
Du verlierst dich, hat Inge manchmal gesagt. Wo bist du?
Ein Meilenstein in einer epischen Ehegeschichte, dieser Satz. Ich fliege davon, weil mich nichts hält. Und niemand. Auch Inge nicht. Oder hält sie mich nicht, weil ich schon außer Reichweite bin? Die Katze beißt sich in den Schwanz.
Ja, mein dicker Kater. Das kennst du alles nicht. Du brauchst ein anständiges Leben, das funktioniert und dich ernährt. Wie die meisten unserer Vorfahren. Wie Bergbauern aus einem längst vergangenen Jahrhundert, die im Winter genug Essen, warme Kleidung und Feuerholz brauchten, um reich zu sein. Ich beneide dich, Katerchen. Wo bist du?
Ich sehe ihn nicht mehr. Will mich schon damit abfinden, allein weiter gehen zu müssen, da kommt er vor meinen Augen aus dem Gebüsch gesprungen, eine Maus im Maul. Er setzt sich an den Rand des Weges, nimmt sie zwischen die Pfoten und beginnt selbstvergessen, an ihr herumzubeißen, sieht nur kurz auf, als ich an ihm vorbei gehe. Ich muss es jetzt mindestens bis zum Ende des Waldes schaffen. Möchte auf einer Bank vor der Hütte sitzen, den Ausblick genießen, essen. Mag nur weder Milch noch Buttermilch. Vielleicht gibt es ein alkoholfreies Weißbier.
Der Weg wird ein Steig. Schmaler, steiler, steiniger, voller gewundener Wurzeln, die sich um meine Füße schlingen wollen. Und die Steine sind glatt. Noch hat sie hier im dunklen Baumschatten keine Sonne trocknen können.
Er bleibt hinter mir, während ich mich weiter quäle. Ich spüre ein Stechen in meinen Eingeweiden. In allen. Ein ganzheitliches Seitenstechen. Meinen Herzschlag fühle ich in meiner trockenen Kehle. Mein rechter Fuß verhakt sich in einer Wurzel. Ich falle. Meine Hände haben Glück. Sie landen auf Erde. Meine Knie nicht. Sie schlagen hart auf. Ich liege auf dem Boden. Es fühlt sich an, als könnte ich nie mehr aufstehen. Ich bleibe unten. Diese Pause muss ich nicht rechtfertigen. Warum tu ich mir das an?
Plötzlich steht er wieder neben mir. Streicht mit seinem weichen Fell um die Beine. Tauschen wir, Kater? Leihst du mir für ein paar Höhenmeter dein Fliegengewicht? Deine weichen Pfoten?
Von weitem höre ich Inges Stimme. Du bist doch vollkommen verrückt. Schau, dass du einigermaßen heil zurück zum Auto kommst! Steh auf!
Sie hat Recht. Es ist eine Qual, aber ich stehe. Die Knie zittern, sie schmerzen kaum noch. Sind meine Nerven auch so erschöpft, dass sie nicht mehr leiten? Das ist gut. Ich will nicht zurück zum Auto, Inge! Ich schau nach vorn. Wenn ich mich nicht täusche, wird der Wald lichter. Bestimmt ist der Weg nur für die letzte Steigung zum Pfad geworden. Da droben eine Almwiese, eine Hütte. Sie entsteht vor meinem inneren Auge. Eine Sennerin, die mich begrüßt. Die mir sofort ein Glas Milch hinstellt. Ja, ich nehme jetzt auch die Milch. Sie betrachtet mich ein wenig mitleidig. Aber auch anerkennend, als wüsste sie, was mich der Weg zu ihr gekostet hat.
Nein, ich kehre nicht um, Inge!
Der Kater läuft wieder voraus, schaut sich um, blickt mich auffordernd an.
Komm Wanderer, sagt er. Da oben bin ich zu Hause. Es ist nur noch ein kleines Stück.
Ich gehe weiter. Ich schwebe. Fühle nichts mehr. Keinen Schmerz. Auch keine Müdigkeit. Hütte, Bank, Milch! Meine Beine machen das jetzt ganz allein. Nur Hunger und Durst spüre ich.
Der Wald öffnet sich. Ich kann Wiesen sehen. Höre das Geläut einer Kuhglocke. Und dann sehe ich sie. Die Kühe. Es sind drei. Die Wiesen. Die Hütte. Ein Gatter, das ich öffne und das sich hinter mir schließt. Ich stehe auf einer Weide. Der Blick ist atemberaubend, aber ich hebe ihn mir für später auf. Noch brauche ich meinen Atem. Die Kühe stehen auf dem Weg und machen keine Anstalten, ihn freizumachen. Ich brauche keinen Weg mehr. Überall Gras wie ein Teppich. Der Weg ist überall. Eine letzte kleine Steigung und dann stehe ich vor der Hütte. Es gibt einen groben Holztisch, eine Bank. Auch eine Tür, aber die ist zu. Es ist niemand da. Die Hütte ist geschlossen. Das stand nicht im Fährtenfinder. Ein Zettel hängt an der Tür mit einem Reißnagel befestigt. Wegen Krankheit derzeit nicht bewirtschaftet.
Ich werfe mich auf eine Holzbank. Sie ist noch feucht von der Nacht. Schließe die Augen. Strecke mich aus. Bleibe einfach liegen. Ich weiß nicht, wie lange.
Irgendwann setze ich mich wieder auf und entleere meinen Rucksack. Da ist nicht viel. Eine Regenjacke, die ich nicht brauchen werde. Ein Pullover. Ebenso wenig. Eine fast leere Wasserflasche. Ich trinke den letzten Schluck. Nichts zu essen. Ich habe mit dieser Hütte gerechnet. Ich habe diese Hütte gebraucht. Nicht nur zum Essen und zum Trinken.
Der Kater schaut mich an, als ob er wüsste, welchen Konflikt ich jetzt mit mir austrage. Welche Frage ich mit stelle.
Zurück oder weiter? Ich will auf den Gipfel. Ich denke jetzt nicht mehr nach. Jede Minute des Zweifelns würde mich Kraft kosten. Körperliche und Entschlusskraft. Ich breche auf. Mein Körper fühlt sich trotz der Pause nicht erholt an. Eher so, als wäre mir das ganze Blut in die Füße gesackt. Die Steigung beginnt gleich hinter der Hütte und die Beine beginnen schon nach wenigen Schritten zu zittern, mehr als zuvor.
Der schmale Pfad schlängelt sich in Serpentinen durch einen niedrigen Wald aus Latschenkiefern. Inzwischen ist die Sonne über mir und ich weiß jetzt, dass es klug gewesen wär, eine Kopfbedeckung einzupacken.
Der Weg ist steinig. Er windet sich nun kaum mehr, steigt einfach gerade an. Führt einfach bergauf. Bei jedem Schritt müssen meine Schenkel mein Gewicht stemmen. Sie streiken. Jahrelang hast du uns nicht behelligt, sagen sie. Nicht trainiert. Einfach nur draufgesessen. Und jetzt sollen wir deine Masse den Berg hochtragen!
Irgendwie habe ich es geschafft, den Latschenwald hinter mich zu bringen. Wo ist mein Kater?
Ich sehe den Gipfel vor mir. Ein Eisenkreuz mit Streben verankert. Eine letzte Steigung, gegen die alles nichts war, was ich hinter mir habe. Und dann der Grat.
Es geht tief nach unten, rechts und links.
Da ist er! Er huscht an mir vorbei. Ich darf nicht nach unten sehen. Der Weg ist schmal aber breit genug. Langsam gehen. Kontrolliert. Nicht straucheln. Schritt für Schritt meinen Leib weiter schieben. Das schafft ihr noch, ihr Schenkel!
Nein, sagen sie.
Mein Fuß gleitet an einem Stein ab. Ich falle zur Seite. Beginne, zu torkeln. Ich kann mich nicht halten und tu das einzige, was mich jetzt rettet. Ich gehe zu Boden. Meine Hände bluten, als mein Gewicht sie zwischen die spitzen Steine zwingt.
Ich blicke nach unten, was ich nicht darf. Weite! Endlos.
Inge hat Recht gehabt, zu gehen. Ich wollte dich nicht schlagen, Inge. Es ist einfach passiert. Die Vorwürfe, die Verachtung, die ich gespürt habe, die vielleicht gar nicht von dir kam, sondern von mir selbst. Aber diesen Gedanken konnte ich damals nicht denken.
Inge hat längst einen anderen. Sie reisen viel. Am liebsten in die Toskana. Inge lernt jetzt Italienisch. Sie gehen ins Theater. Haben ein Abo für die Kammerspiele. Inge ist glücklich. Inge hat alles richtig gemacht. Mein Sohn spricht nicht mehr mit mir und antwortet schon lange nicht mehr auf meine Anrufe und meine Mails. Ich habe seine Mutter geschlagen.
Ich lebe in einem leeren Raum. Weiß nicht, warum ich morgens aufstehe. Es gibt keinen Grund. So wie jetzt links und rechts von mir. Kein Grund. War das der Sinn? Dahin stürzen, wo ich längst bin? Ins Leere?
Ich muss weiter. Muss aufstehen. Neben mir sitzt der Kater. Legt seine Pfoten auf meine Beine. Dann geht er ein paar Schritte zurück.
Was willst du mir sagen, mein Freund? Dass ich umkehren soll? Dass ich nicht zum Gipfel fliegen soll und zum Abgrund auch nicht, sondern zurückgehen? Zurück zu meinem Ausgangspunkt? Dass mein neuer Weg dort unten beginnen muss und nicht hier oben? Ganz unten? An dem Punkt, an dem ich stehe?
Ich lege mich auf den Boden. Er ist hart, aber er trägt mich. Ich schließe die Augen. Warte einfach, bleibe lange und ruhig liegen, bis mit dem Atem ein paar Kräfte zurückkommen.
Die Vorstellung, dass Inge einen anderen hat, ist grauenhaft. Und gerade bin ich zu erschöpft, um zu verdrängen, um mir selbst vorzumachen, dass mir das nichts ausmacht. Beim letzten Treffen habe ich mich für sie gefreut. Ihr das neue Glück gegönnt. Ich habe gelächelt, bis ich nachts allein im Bett lag.
Ich war nicht immer so, Inge. Erinnere dich! Und du auch nicht. Wir haben geschlampt. Wir waren nicht aufmerksam. Irgendwann waren wir auf einer abschüssigen Bahn und wussten nicht, wo die Bremse ist. Weißt du, was jetzt am meisten weh tut? Dass bei mir Einsicht und Reue kommen und die Angst vor dem restlichen Leben. Und bei dir Erleichterung, Befreiung und Lust auf die Zukunft. Dieser Schmerz zerfetzt mir die Eingeweide, Inge. Meistens versuche ich, ihn nicht zuzulassen. Aber er überfällt mich immer wieder. Von Hinten. Heimtückisch. Und dann will ich dieses beschissene restliche Leben nicht mehr haben. Ich scheiß drauf. Oder ich scheiß in einen Abgrund und springe hinterher. Hier wäre einer. Was wartet auf mich? Einsamkeit, Alter, Verbitterung und das Gefühl, selbst schuld zu ein.
Ich bin nicht leer und ich will nicht ins Leere. Ich bin nur ganz unten und dahin muss ich jetzt. Auf allen Vieren zurück, bis ich vom Grat bin. Ich habe Zeit. Erst zwischen den Latschen richte ich mich auf. Hier kann ich fallen ohne zu stürzen. Und ich falle mehrmals. Schlage mir die Knie auf. Die Hände sind ohnehin blutig, aber ich fühle nichts. Ich habe Zeit. Irgendwann sehe ich wieder die Hütte. Menschen sind dort. Wanderer. Sie werden Wasser haben. Und ein paar Worte.
Ich habe Recht. Sie haben beides. Und etwas zu essen. Ich kann an der Hütte rasten, bis sie den Gipfel gemacht haben. Werde dann mit ihnen hinuntergehen.
Wo ist mein Kater?