- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 3
Bereuen
Bereuen
Es war kalt, ich zog den Reißverschluss meiner Jacke höher. Der Platz war nicht gefüllt, wie zu den Sommermonaten, wenn Paare auf den Bänken Küsse tauschten und Alte den Jungen Geschichten erzählten.
Ich suchte den Platz ab und lief langsamer. Noch sieben Minuten bis halb, noch sieben Minuten.
Er war sicher schon da.
Sein Gesicht hatte ich vergessen, auch alles andere. Aber er hatte einen roten Pullover getragen und das Pferd seiner Schwester hieß Kassandra.
Gratulation, an das Pferd konnte ich mich noch erinnern!
Ein hochgewachsener, junger Mann im grauen Mantel stand mit dem Rücken zu mir.
Scheiße.
Ich hatte keine Ahnung, ob er es war, ob seine Schwester ein Pferd mit dem Namen Kassandra hatte.
Noch etwa zwei Meter lagen zwischen uns, als er sich umdrehte. Mit etwa einem Meter achtzig war er größer, als ich. Seine buschigen Augenbrauen hoben sich, als er mich sah.
Ich musste lächeln.
Wir küssten uns auf die Wangen und tauschten freundlichen Floskeln aus.
Jetzt war er da.
Ich ging neben ihm her dir Straße hinab und meine Schulter streifte seinen Arm.
Wir sprachen Englisch und tranken Tee. Entspannt lachten wir uns ins Gesicht.
„Warum bist du hier?“
Seine Frage riss durch dir lockere Unterhaltung. Die unschuldigen Augen blickten direkt in meine.
„Ich weiß es nicht.“
Er war verwirrt.
„Du gehst im Juli, nicht wahr?“
Ich nickte. Das Gespräch schweifte ab, zurück in die Welt, die aus Schule, Hobbys und Lieblingsfarben gebaut ist.
Meine Freundin mag ihn nicht. Er ist ihr unsympathisch und nicht gut aussehend, ein Langweiler.
„Der Abschied wird dich verletzten, lass ihn. Du wirst gehen, er wird bleiben. Du wirst ihn verletzten.“
Mein Herz schlug.
„Und wenn ich morgen sterbe oder in einer Woche oder in einem Monat.“
Sie wurde wütend.
„Du kannst nicht wissen, wann du stirbst und wenn du es wüsstest, würdest du sowieso nach Hause gehen, zu deiner Familie.“
Mein Herz schlug. Ich sagte nichts mehr, aber insgeheim fragte ich mich, was wäre, wenn ich die Augen für immer schließen würde und meinen Körper verließe und dann bereuen würde, es nicht getan zu haben. Es nicht gewagt zu haben, zu feige gewesen zu sein zu lieben.
Es wurde nun zusätzlich zur Kälte dunkel, durch die einsamen Gassen streiften wir zum Bahnhof.
Er reiste per Bahn, ich per Bus, nach Hause für ihn, zu meiner Gastfamilie für mich.
Es regnete, als wir zusammen an der Bushaltestelle standen. Zehn Minuten, in denen niemand etwas zu sagen wusste.
Wir mögen uns. Aber wir sagten es nicht.
Der Bus kam und die Begrüßung wurde wiederholt, diesmal zum Abschied.
Die Regentropfen liefen an der Scheibe hinab. Bis Juli sind es noch fünf Monate.
Zwei Menschen, eine Frage.
„Werde wir es bereuen?“