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Bereuen

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10.01.2013
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Bereuen

Bereuen

Es war kalt, ich zog den Reißverschluss meiner Jacke höher. Der Platz war nicht gefüllt, wie zu den Sommermonaten, wenn Paare auf den Bänken Küsse tauschten und Alte den Jungen Geschichten erzählten.
Ich suchte den Platz ab und lief langsamer. Noch sieben Minuten bis halb, noch sieben Minuten.
Er war sicher schon da.
Sein Gesicht hatte ich vergessen, auch alles andere. Aber er hatte einen roten Pullover getragen und das Pferd seiner Schwester hieß Kassandra.
Gratulation, an das Pferd konnte ich mich noch erinnern!
Ein hochgewachsener, junger Mann im grauen Mantel stand mit dem Rücken zu mir.
Scheiße.
Ich hatte keine Ahnung, ob er es war, ob seine Schwester ein Pferd mit dem Namen Kassandra hatte.
Noch etwa zwei Meter lagen zwischen uns, als er sich umdrehte. Mit etwa einem Meter achtzig war er größer, als ich. Seine buschigen Augenbrauen hoben sich, als er mich sah.
Ich musste lächeln.
Wir küssten uns auf die Wangen und tauschten freundlichen Floskeln aus.
Jetzt war er da.
Ich ging neben ihm her dir Straße hinab und meine Schulter streifte seinen Arm.
Wir sprachen Englisch und tranken Tee. Entspannt lachten wir uns ins Gesicht.
„Warum bist du hier?“
Seine Frage riss durch dir lockere Unterhaltung. Die unschuldigen Augen blickten direkt in meine.
„Ich weiß es nicht.“
Er war verwirrt.
„Du gehst im Juli, nicht wahr?“
Ich nickte. Das Gespräch schweifte ab, zurück in die Welt, die aus Schule, Hobbys und Lieblingsfarben gebaut ist.

Meine Freundin mag ihn nicht. Er ist ihr unsympathisch und nicht gut aussehend, ein Langweiler.
„Der Abschied wird dich verletzten, lass ihn. Du wirst gehen, er wird bleiben. Du wirst ihn verletzten.“
Mein Herz schlug.
„Und wenn ich morgen sterbe oder in einer Woche oder in einem Monat.“
Sie wurde wütend.
„Du kannst nicht wissen, wann du stirbst und wenn du es wüsstest, würdest du sowieso nach Hause gehen, zu deiner Familie.“
Mein Herz schlug. Ich sagte nichts mehr, aber insgeheim fragte ich mich, was wäre, wenn ich die Augen für immer schließen würde und meinen Körper verließe und dann bereuen würde, es nicht getan zu haben. Es nicht gewagt zu haben, zu feige gewesen zu sein zu lieben.

Es wurde nun zusätzlich zur Kälte dunkel, durch die einsamen Gassen streiften wir zum Bahnhof.
Er reiste per Bahn, ich per Bus, nach Hause für ihn, zu meiner Gastfamilie für mich.
Es regnete, als wir zusammen an der Bushaltestelle standen. Zehn Minuten, in denen niemand etwas zu sagen wusste.
Wir mögen uns. Aber wir sagten es nicht.
Der Bus kam und die Begrüßung wurde wiederholt, diesmal zum Abschied.

Die Regentropfen liefen an der Scheibe hinab. Bis Juli sind es noch fünf Monate.

Zwei Menschen, eine Frage.
„Werde wir es bereuen?“

 

Hallo niki

Auch wenn du nicht sehr gesprächig bist, das Thema deiner Letzten war ja natürlich die Stille :), hier nun ein Kommentar zu deiner zweiten Geschichte.

Auch dieser Text ist wiederum behutsam verfasst, was mir einerseits gefällt, mich anderseits jedoch nicht mitreisst, da es die Ebene flauer jugendlich-romantischer Gefühle einzig anreizt. Es muss ja nicht gleich tiefgehender Herzschmerz sein, den die Protagonistin da versprüht, aber hier vermisse ich doch etwas mehr Tiefe und Dichte. Die Szenen böten sich doch an ihre Gefühle auszuloten, nicht einfach an der Oberfläche einen Satz einzuschieben, warum ihre Freundin ihn nicht mag. Ihre Entgegnung liest sich da eher kindlich-trotzig, als rebellierend, ihrer Verliebtheit Ausdruck gebend.

Im Detail habe ich an diesen Stellen aufgemerkt:

Es war kalt, ich zog den Reisverschluss meiner Jacke höher. Der Platz war nicht gefüllt,

Beim Lesen dachte ich erst, der Raum in der Jacke sei nicht gefüllt. Eine dumme Assoziation von mir, wie ich merkte, als ich nach einem Zögern weiterlas. Aber als Autorin sollte man sich bewusst sein, dass solche Satzfolgen im ersten Moment die Leser verwirren könnten. Es sei denn, sie seien Stilmittel, was ich hier jedoch nicht denke.

Sein Gesicht hatte ich vergessen, auch alles andere. Aber er hatte einen roten Pullover getragen und das Pferd seiner Schwester hieß Kassandra.

Dies erscheint mir unrealistisch, dass sie sich auf ein Date einlässt, sich aber einzig an den Pullover und den Namen des Pferdes erinnert. Es muss doch etwas an ihm gewesen sein, das ihr verlockend erschien, ihn wieder zu treffen. Hier hatte ich den unumstösslichen Eindruck, dass sie ein Mauerblümchen sein muss, glücklich darüber, dass sich jemand mit ihr überhaupt treffen will. Ich denke aber nicht, dass eine solche Zeichnung in deiner Absicht lag. Also gib ihr etwas Profil.

Wir sprachen Englisch und tranken Tee. Entspannt lachten wir uns ins Gesicht.

Dies klingt mir etwas sprunghaft skizziert. Hatten sie denn eine Thermoskanne mit Bechern dabei? Oder waren sie in einem Teehaus eingekehrt? Die Entspannung nehme ich als Leser an, wenn sie sich anlachen, auch wenn es sonst nicht so recht durchscheint.

„Warum bist du hier?“
Seine Blicke lagen nicht auf seinem Mobiltelefon auf dem Tisch oder dem Geschehen hinter mir auf der Straße, sondern er sah direkt in meine Augen.

Ich denke es ist der junge Mann, der dies fragt. Es würde mir eher zu denken geben, wenn er sie dabei nicht anschaut. Deshalb wirkt die nachfolgende Erklärung etwas weit hergeholt und floskelhaft. Es wäre nochmals anders, wenn es ein enthusiastisches Gefühl von ihr ausdrücken würde, doch müsste dies so auch klar durchkommen. Ihre Antwort auf seine Frage ist dann auch wieder so verloren, jungmädchenhaft. Dafür müssten ihr doch tausend schamhafte Gedanken durch den Kopf gehen. Nur sie bleiben mir verborgen.

Er ist ihr unsympathisch und nicht gut aussehend ist er, ein Langweiler.

Warum diese Dopplung mit: ist er? Der Satz ist ohne diese doch schon klar.

„Und wenn ich morgen sterbe oder in einer Woche oder in einem Monat.“

Denkt ein junges Mädchen so? Müsste sie da nicht eher in Verteidigungsposition gehen, seinen Charme oder seine Wesensart hervorheben. Irgendetwas muss ja an ihm sein, dass sie sich von ihm angezogen fühlt. Bis jetzt schimmerte jedoch in keiner Weise durch, was dies sein könnte.

Ich sagte nichts mehr, aber insgeheim fragte ich mich, was wäre, wenn ich die Augen schließen würde und meinen Körper verläse und dann bereuen würde, es nicht getan zu haben.

Hier meinst du wohl eher den Körper verlassen, obwohl ich dies nicht sehr glücklich formuliert finde. Zudem was ist das nicht getan haben, ihn treffen oder Sex mit ihm haben? Auch wenn sie schamhaft ist, soweit müsste sie ihre eigenen Gedanken schon klar formulieren.

Zwei Menschen, eine Frage.
„Werde ich es bereuen?“

Das ist mir zu vage, da du es nie aussprichst, was zu bereuen sein könnte.

Ich finde es schön, wie du dich dem Thema annäherst, doch die Distanz, welche sich darin zeigt, sind für mich als Leser einfach zu grosse Lücken. Natürlich habe ich ausreichend Fantasie diese auszufüllen, doch ziehe ich es vor mich in Geschichten verführen zu lassen, fremdes Erleben und Sichtweisen zu entdecken.

Vielleicht regt dies dich ja an, die Inhalte aus meiner Sichtweise als Leser mal zu betrachten und möglicherweise zu vertiefen.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Zweierlei Dinge, nein, eher drei, unterschiedlichster Bedeutsamkeit wie sie nur sein können, haben mich hier hineingeführt,

liebe niki,

wiewohl mein Beitrag zu Deinem Erstling - wo auch die Begrüßungsformel steht, schau mal nach - noch offen steht, könnt ich’s mir nahezu einfach machen, indem ich Anakreon beipflichte und mich aufs Handwerkliche, insbesondere die Grammatik beschränke – und da gibt’s gerade mal zwei Rechtschreibschnitzer:

Reisverschluss
Nee, der kommt nicht vom Reisen oder als Darmverschluss nach exzessivem Reisgenuss, sondern vom Verb reißen: also
Reißverschluss
!

& hier

… wenn ich die Augen schließen würde und meinen Körper verläse …
Du meinst nicht lesen, sondern verlassen.
Da Du aber den Konjunktiv wählst, gar den Konj. II, wäre der aus dem Präteritum zum Verb verlassen, nämlich verließen zu bilden. Der Satz hieße dort nun korrekter
… wenn ich die Augen schließen würde und meinen Körper verl[ieße] …

Da haben wir den ersten Grund, warum ich hier doch den Beitrag einstelle: Du hast es wenigstens versucht, dem Problem des Konjunktivs nicht mit der denglischen würde-Konstruktion zu begegnen. Selbstverständlich könnte man den gesamten Satz entdenglisiert formulieren, ohne dass er durchs würde seine Würde verlöre:
…, aber insgeheim fragte ich mich, was wäre, wenn ich die Augen schl[össe] und meinen Körper verl[ieße],

Ein schlimmer Gedanke für eine junge Icherzählerin – so jung, wie Du selbst …!, wahrscheinlich.

In Deiner Geschichte steckt verdammt viel Verschwiegenes, und da ich selbst ein Kühlschrank bin und Distanz halte zu allem, gefällt mir Dein Stil durchaus, der zwote Grund, mich zu melden: Du versuchst Dich in der Schreibkunst und für mich ist das Wesentliche der Kunst in der Andeutung, der Leser soll mehr sein als bloßer Konsument, er soll nicht – so hat’s Brecht mal gesagt – glotzen, sondern denken. Unterhaltung ist nicht alles!, ist eigentlich bestenfalls ein Nebenprodukt. Wenn ein Maler wie alle andern Bilder herstellte, wäre er bestenfalls noch Handwerker. Aber auch das muss er beherrschen (bei uns wäre das vor allem die Grammatik, s. o.). Aber zur Geschichte, wie ich sie sehe!

Die Geschichte birgt ein Geheimnis, der dritte Grund, hier zu kommentieren, und das Geheimnis liegt schon im zwoten Absatz:

Sein Gesicht hatte ich vergessen, auch alles andere. Aber er hatte einen roten Pullover getragen und das Pferd seiner Schwester hieß Kassandra.

Drei Dinge, wie sie bedeutsamer oder bedeutungsloser nicht sein können:

Das vergessene Gesicht des Jungen, bedeutsamer als einfach nur einen Namen mal nicht parat zu haben,

aber der nicht vergessene bedeutungslose Pullover, der nicht mehr erwähnt wird.

Dann das erinnerte Pferd, das auch noch einen verdammt bedeutungsschweren Namen trägt (so hieß die Tochter des Königs von Troja, die vor griechischen Geschenken gewarnt hatte, der aber nicht geglaubt wurde, die dann als Kriegsbeute [!] nach Griechenland verschleppt wurde). Es muss bedeutsam sein, sonst würde es nicht nochmals genannt werden. Hier behaupte ich mal (ich weiß, unzulässig), dass Mädchen halt vom Reitunterricht träumen und gern ein Pferd hätte. Keine Ahnung, warum. Denn Hunde sind viel treuer als das Fluchttier.

Aber Spaß beiseite!

Weil das Wort Gesicht zwei Mehrzahlvarianten kennt – die Gesichter und die Gesichte (als gespenstische Erscheinungen oder – wie bei der mythischen Kassandra – die Fähigkeiten, künftige Entwicklungen vorauszusehen, Stephen King, der eigentlich wie alle Vielschreiber ein eher mittelmäßiger Schreiberling ist, nennt so was “shining“) – und zudem mit dem Gesichtssinn (= Sehen) bedeutungsgemäß zusammenfällt, will ich synonym dazu Antlitz sagen.

Antlitz aber bedeutet „das Entgegenblickende“, wobei nach dem Grund zu fragen wäre: von der individuellen Schüchternheit übers nicht Sehenwollen bis zur biologischen Sehstörung, aber auch des möglichen Desinteresses oder der Vergesslichkeit sind schon einige genannt, die mir auf Anhieb einfallen. Dem aber widerspricht der folgende Satz:

Seine Blicke lagen nicht auf seinem Mobiltelefon auf dem Tisch oder dem Geschehen hinter mir auf der Straße, sondern er sah direkt in meine Augen.
Kurz: Beide schauen sich an!, was der Eingangspassage widerspräche. Und in der Tat, jetzt wird’s eindeutig:

Wir mögen uns. Aber wir sagten es nicht.
Es bleibt beim Gefühl. Das Zurückhaltende (ein Teil der Schüchternheit) obsiegt immer noch. Und durch die Umwelt (siehe Freundin) wird das Problem nicht gelöst, sondern beide werden verunsichert, was in der Abschlussfrage aufleuchtet.

„Werde ich es bereuen?“
Ein Satz, der auch – da er von beiden kommt – im Plural stehen kann:
Werden wir es bereuen?

Reue, um es vllt. in der Sprache des Rechts auszudrücken, die da sehr eindeutig ist, Reue bezeichnet den Schmerz über ein Tun (oder dessen „Unterlassung“, das im rechtl. Sinne auch ein Tun ist). Es ist Kummer, und wer bereut – wie der Titel und der abschließende Satz ja offen lässt – ist bekümmert, den schmerzt die Tat (oder deren Unterlassung). Womit der oben besprochene Satz im Konjunktiv seine schlimme Wirkung eher noch verstärkt …

Sie und er incl. Familie und Freundin müssen aufpassen, finde ich.

Gern gelesen vom

Friedel

 
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Hallo Anakreon,

danke, dass du meine Geschichte gelesen hast und dir Gedanken darüber gemacht hast. Ich habe mich nocheinmal hingesetzt und etwas daran gearbeitet.
Ich finde es sehr interesant, dass du viele Dinge ganz anders auslegst und betrachtest, als ich.
Ich habe leider das Gefühl, dass diese Geschichte einfach so wie sie ist (distanziert) bleiben muss.
Aber bei der nächsten werde ich versuchen deine Ratschläge und Anregungen umzusetzten. :)

Liebe Grüße Niki
PS: Muss mich an das Schreiben in einem Forum erst mal gewöhnen, aber ich versuch gesprächiger zu werden. ;)


Hallo Friedel,

vielen Dank, dass du meine Geschichte gelesen hast.
Du hast dir unglaublich viel Mühe gegeben. Ich war ganz geplättet!
Den Konjunktiv habe ich verbessert und auch den Reißverschluss.
Der Name Kassandra war glücklicher Zufall.
Ich persönlich mag den Konjunktiv sehr gerne, habe über Jahre Latein gelernt und auch viel über den Konjunktiv und weiter grammatikalische Feinheiten .

Danke für deine Mühe.

Liebe Grüße
niki

 

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