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Berührungen

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08.08.2002
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Berührungen

Ein Mann erwacht früh morgens durch das surrende Geräusch des Weckers. Zärtlich beugt er sich zu seiner Frau, gibt ihr, vorsichtig um sie nicht zu wecken, einen Kuss und berührt dabei sanft ihre Schulter mit seiner Hand. Er geht hinüber ins Bad, aber die Berührung lässt er da. Sie erzählt noch still und warm von seinem Dasein während er selbst schon längst aufgestanden ist.

Als die Tür ein wenig später ins Schloss fällt, streckt seine Frau, die noch müden Glieder durch und lässt die Nacht von sich abgleiten. Sie erledigt die morgendliche Routine ohne große Begeisterung und ruft danach ihr Kind zum Frühstück. Das Mädchen kommt in die Küche und reibt sich die letzten verirrten Traumbilder aus den Augen. Es kuschelt sich noch ein wenig verschlafen in die Arme ihrer Mutter und holt sich die liebende Berührung, welche ihr Vater zurückgelassen hat, auf ihre zarte Kinderhaut.

Wie jeden Tag, nachdem sie ihr Butterbrot schweigsam, aber mit den wundersamsten Grimassen kauend, verzehrt hat, eilt sie an der Hand der bereits in Zeitnot befindlichen Mutter in den Kindergarten. Ein Toben und Spielen, ein Laufen und übermütiges Durcheinander empfängt sie. Sie begrüßt, wie meist, wenn sie morgens hereinkommt, ihre Tante die am Basteltisch sitzt, mit einer kurzen, aber herzlichen Umarmung.

Die Berührung nimmt also ihren Lauf. Fürs erste über die ausgefransten Haare der Tante gleitend. Danach verweilt sie kurz im Nacken der Frau nicht ahnend wohin ihr Weg führen wird. Ein Junge hat sich beim Gerangel mit einem Freund den Kopf angeschlagen. Er kommt nun zornig und tränenverschmiert, trostsuchend in die Arme der Tante. Liebevoll nimmt sie ihn zur Seite und lässt die Berührung mitfühlend über seinen vom Weinen geschüttelten Rücken entlanggleiten. Es beruhigt ihn dieses Streicheln der Hand und er nimmt die Berührung bald darauf mit, zu seiner kleinen Freundin mit den großen Augen und den lustigen Sommersprossen, in welche er ein bisschen verliebt ist.

Er reicht ihr die Berührung in Form eines freundschaftlichen Stoßes, weil ihm das als angepasst erscheint. Das begehrte Mädchen will diese Berührung nicht haben und sie wirft sie ihm herzlichst mit der offenen Hand zurück in sein Gesicht, wo sie liegen bleibt bis seine Schwester ihn abholen kommt. Behutsam streichelt das einige Jahre ältere Mädchen über seine schmutzigen Wangen und nimmt die Berührung mit einer Umarmung auf. Sie wird begleitet von der flehentlichen Bitte noch ein wenig auf den Spielplatz mit ihm zu gehen.

Die beiden spazieren in den nahegelegenen Park, wie sie es ohnehin geplant hatte. Während der Junge spielt und seine Kindergartenfreundin längst für den Rest des Tages vergessen ist, hält seine Schwester bereits Ausschau nach ihrer ersten großen Liebe. Der junge Mann entdeckt sie schneller und kommt winkend auf sie zu. Sie stehen nahe beeinander und sie schenkt ihm fast scheu eine zärtliche Berührung seiner Augenbrauen, ein Streicheln der Wangen, bevor sie sich sehnsüchtig umarmen.

Es wird ein schöner Nachmittag sein und einer von den beiden wird die letzte Berührung mitnehmen, wenn er sich zu Ende neigt. Und wenn die Kette der Berührungen nicht zum Stillstand kommt, dann wird sie mich eines Tages auch erreichen.

 

hallo schnee.eule,

wunderschön. es hat so einen touch von romantik und von einem klitzekleinen bisschen wehmut. aber das kommt wohl auf die verfassung des lesers an. die idee und ihre umsetzung finde ich sehr gut.
fast schon etwas poetisch...
(wahrscheinlich bekomme ich für "poetisch" von den anderen eins drüber,grins)


bussi

toxi

 

Hallo schnee.eule,

eine Berührung auf ihrer "Reise" zu begleiten ist eine wirklich schöne Idee. Es hat mir gut gefallen, ihren Verlauf verfolgen zu dürfen.

Einen lieben Gruß an dich
Déjà-vu

 

Servus toxinchen!

Lieben Dank für deine Worte. Es ist schön wie du beschreibst was du beim Lesen erfahren hast. Und wie wundervoll, einen poetischen Hauch hast du gar verspürt.

So wie ich dich hier bei deinen Geschichten und Kritiken kennenlernen durfte, wird dir weder einer eins überziehen, geschweige, du es dir gefallen lassen.

Lieben Gruß an dich - Eva

 

Servus Deja-vu!

Wunderbar, wenn du meine Berührungsreise mitgemacht hast und ihr etwas abgewinnen konntest.

Einen lieben Gruß auch an dich - Eva

 

Hallo Eva!

Mir gefällt Dein Text, der Gedanke, der dahinter steht, sehr gut...alles liest sich so flüssig, wie in einem Film, der vorbeizieht, wunderschön und unaufdringlich. Einen Kommafehler hab ich, glaub ich, noch entdeckt:

streckt seine Frau, die noch müden Glieder durch und lässt die Nacht von sich abgleiten.
zwischen "Frau" und "die"

und, was mich nachdenklich gemacht hat....wenn eine zärtliche Berührung sich so wunderbar durch den ganzen Tag, so viele Menschen, fortsetzt, wie furchtbar ist dann eigentlich Gewalt...auch sie setzt sich fort, immer weiter, nur das das dann viel mehr Menschen thematisieren, als so eine schöne Berührung...

Liebe Grüße, Anne

 
Zuletzt bearbeitet:

Servus Mauserl!

Ja, da sprichst du etwas an, das mir unbewusst ja auch in den Text hineingeflossen ist. Der Kleine gibt die Berührung als Stoß weiter und er bekommt sie als Ohrfeige zurück. Es war mir sichtlich nicht möglich diese Art von Berührung weiterziehen zu lassen, sie musste wieder retourn to sender und blieb dort liegen, durfte erst in umgewandelter Form, als liebevolle Berührung von ihm weiterziehen. Bewusst wurde mir das erst durch deine Kritik.

Wenn man bedenkt, wieviele Kinder lieber die Berührung eines Schlages heraufprovozieren von den Eltern, bevor sie erst gar nicht berührt und wahrgenommen werden - das ist schon eine traurige Sache.

Lieben Gruß an dich - Eva

 

Ja, Eva, du schickst eine Berührung auf die Reise.
Wie auch die anderen schon bemerkt haben, ist dein Text sehr romantisch und unglaublich flüssig zu lesen. Je nach Verfassung des Lesers kommt auch etwas von Traurigkeit auf. Ich habe beim Lesen Vergänglichkeit gespürt, jedoch nicht im negativen Sinn.

Der Schluss ist fabelhaft. Ich hatte das unbändige Gefühl, der Autorin auch diese Erfahrung einer Berührung zuteil werden zu lassen.

Ein sehr schöner Text, Eva.

Liebe Grüße - Aqua

 

Klar Eule wird sie dich erreichen, sehr bald hoffe ich!
...aber die Berührung lässt er da.
Das klingt aber gut habe ich gedacht. (Satz schon geklaut)
Wieder mal ein beispiel für einen einfachen Satz,
Der aber unheimlich Wirkung hat. Und dann finde ich noch was bemerkenswert. Es gibt bei dir wenig Hektik in deinen Geschichten, keine schnelle Abfolge von Handlungsverläufen, na das verrät mir doch gleich, dass du...ähm daran interessiert bist Darsteller bedächtig, friedlich ruhig und sanft erscheinen zu lassen.
Ja, das ist sie wieder die typische Eulengeschichte. Sehr schön.

lieben gruss stefan

 
Zuletzt bearbeitet:

Servus Aqualung!

Mmmmmh, sehr schön, dass du das Geschriebene und den letzten Satz so umgesetzt hast. Die von dir verspürte Vergänglichkeit ist ein neuer interessanter Gesichtspunkt. Das Weitergeben der empfangenen Berührungen machen einen ärmer und reicher zugleich.

Lieben Gruß an dich - Eva

Servus Archetyp!

Danke für deine lieben Wünsche.
Dieses stille Betrachten und Einfühlen, die Distanz, ist nur ein Schutzverhalten das ich abzulegen suche. Warte nur ab, wenn meine Geschichten leidenschaftlich und meine Darsteller sich ohne zudeckender Melancholie der Verletzlichkeit preis geben, dann kommt der andere Teil schon noch zum Vorschein. ;)

Lieben Gruß - Eva

 

Hallo schnee.eule,

mir kommt der Text auch etwas wehmütig vor. Das „wenn“ im letzten Satz drückt das besonders aus, da hier die Hoffnung ausgesprochen wird, selbst Glied der Berührungskette zu werden.
An dieser Stelle wird`s dann auch besonders philosophisch, da man sich nach dem Ursprung der Berührungsstaffel fragen kann, die ja letztlich auch eine Weitergabe von Zuwendung und Liebe bedeutet.

Alles Gute,

tschüß... Siegbert

 

Servus Woltochinon!

Ich verstehe gut was du meinst und werde den Gedanken noch eine ganze Weile sinnierend mit mir tragen. Aber manchmal werden Läufe begonnen und man reißt dir die Staffette freudig strahlend aus der Hand um sie einfach zu behalten - was dann?

Lieben Gruß an dich - Eva

 

Hallo schnee.eule,

in den meisten Geschichten wohl Selbsttötungsgedanken. Doch bei Dir? Wahrscheinlich der Anfang einer neuen Staffette...

Liebe Grüße,

tschüß... Siegbert

 

Hey schnee.eule,
schöne Geschichte!
Dann hoffe ich mal, dass ich heute auch noch eine Berührung bekomme, weil ich sonst ganz traurig bin :)!
*wehmütigdietastaturberühr*
Es ist ja soooo einsam im Büro...
Gruß
Roman

 

hallo schnee.eule.

deine Geschichte ist so sanft weich geschrieben wie die zärtliche Berührung selbst, das paßt prima und man wird selbst ganz weich.
nur kurz gestutzt habe ich als es hieß, die Schwester, einige Jahre älter, holt den Lütten ab. einige Jahre. das Mädchen war in meinem Kopf selbst noch ein Kind.
was sie ja nicht ist.
schöne Geschichte. schöner letzter Satz.

liebe Grüße, alex.

 

Hallo Schnee-Eule!
Eine Geschichte wie ein Hauch!
Ich warte jetzt auch -siehe letzter Absatz!
Grüße Heidi

 

Lieber Woltochinon!

Danke, dass du mir das zutraust, wo es mich doch selbst manchmal noch überrascht.

Lieben Gruß an dich Eva

Servus Prodi!

Zwar hab ich in meiner Geschichte nie von Einsamkeit gesprochen, aber ich wünsche dir jedenfalls von Herzen einen menschlichen Ersatz für die Tastaturberührung.

Lieben Gruß an dich Eva

Servus Alexandra!

Dass du durch eine meiner Geschichten formbar wurdest, weich nennst du es, das freut mich ehrlich sehr.

Lieben Gruß auch an dich - Eva


Servus Heidi!

Es ist schon sehr schön, dass ich dieses Bedürfnis erwecken konnte.

Lieben Gruß an dich - Eva

 

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