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Beobachtungen eines Ausserirdischen
Liebe Mitglieder meines Volkes, nach nunmehr 27 Jahren der Beobachtung möchte ich euch nun erste Erkenntnisse über die Bewohner des Planeten „Erde“ überreichen. Vieles wird euch unverständlich vorkommen, daher versuche ich alles so genau wie möglich zu erklären.
Beginnen möchte ich mit einem elementaren Problem der Menschen - der Pflege von unverständlichen und antiquierten Gewohnheiten wie z.B. der "Nahrungsaufnahme".
Dank ausgiebiger Forschungsarbeit gelang es mir letztlich, einen der wichtigsten Gründe dafür zu finden - den Einkauf.
Der Akt des Einkaufens widerspricht nur bei oberflächlicher Betrachtung den gewohnten Traditionen der Menschheit. Zu diesem Punkt sollte man wissen, daß Menschen im Grunde ihres Herzens und aus der Gewohnheit von Jahrtausenden Jäger und Sammler sind. Schon als grunzende Affenmännchen, also ungefähr zu Beginn des irdischen 20. Jahrhunderts, haben sie sich ihre Nahrung zusammensuchen oder brutal in freier Wildbahn erlegen müssen.
Einkaufen besteht logischerweise auf den gleichen Prinzipien.
Der Mensch an sich braucht die Erniedrigung, sich inmitten anderer Leute um halbwegs frisches Obst zu schlagen oder mit gleichgesinnten einen freundlichen Kampf um das letzte Stück Putenbrust auszutragen. Dazu haben sie an strategisch wichtigen Punkten ihrer Städte (Ansammlung mehrerer besonders einengungswilliger Menschen) sogenannte "Supermärkte" errichtet. In diese pilgern nun in steter Regelmäßigkeit (teilweise mehrmals täglich) hunderte, wenn nicht tausende von Erdlingen um sich einer beherzten Schlacht um Vorräte und einem Irrlauf in engen Gängen zu stellen.
Sie nehmen auch längere Anfahrtswege in Kauf, wenn sich in ihrer Nähe kein Markt in ausreichender Größe (niedrigerer Schwierigkeitsgrad) befindet.
Im Markt angekommen beginnt der erste Kampf schon auf dem Parkplatz, wo scheinbar jeder Menschling mit seinem Fortbewegungsmittel in direkter Nähe der Supermarkttüren parken will (ich habe gehört man nennt es „Pole Position“). Da dort aber nur ein exakt berechnetes Kontingent an Plätzen zur Verfügung steht (und diese klugerweise eh mit Einkaufswagen zugestellt sind), kann man sich die dortige Situation vorstellen - schwache Mitstreiter fallen schon hier der natürlichen Auslese zum Opfer.
Nun hat der Mensch es also geschafft, sein Auto irgendwo (meist in einer naheliegenden Stadt) zu parken, als nächstes folgt die Schlacht an der Eingangstür - um sich hier bessere Positionen zu verschaffen, diente ja der vorangehende Akt der Zerstörung, wenngleich recht sinnlos, da es auch fortgeschrittene Modelle des Menschen gibt, welche gleich zu Fuß anreisen.
Eingangstüren eines Supermarktes sind in der Regel einladend groß - um dem Menschen ein trügerisches Gefühl der Sicherheit zu geben, meist klemmt eine der Flügeltüren oder die Massen werden durch Seiteneingänge in die Kaufstätte geschleust. Um dem Menschen zu verdeutlichen, wie sinnlos sein Leben eh ist, existieren meist noch größere Drehtüren, welche aber schon defekt installiert werden und natürlich nie funktionieren.
Anschließend beginnt die eigentliche "Jagen und Sammeln" Tätigkeit.
Menschliche Konsumtempel sind meist groß, auf eine ungewöhnlich übersichtliche Weise ungeordnet und zudem noch einladend vollgestopft mit nur für Menschen scheinbar wichtigen Gebrauchtsgegenständen wie "WC-Reiniger-Umweltschonend-Aber-Hart-Zu-Bakterien", "Käsekräcker-Extraknackig-Mit-Vielen-Vitaminen-Auch-Für-Kinder-Geeignet" oder auch "Besonders-Günstig-Rotwein-Aus-Frankreich-Nur-1.99€" .
Ein interessanter Aspekt dieser Nahrungsbeschaffung ist der Rollentausch, welcher in den letzten Jahrhunderten die Menschheit heimgesucht haben muß. Waren es zu Beginn der Erdlingsgeschichte die stärksten Frauen des Stammes, später dann aufgrund der massiven Unpünktlichkeit der Frauen wieder die Männchen, sind es nun wieder die weiblichen Vertreter der Menschheit. Seltsamerweise bevorzugt die ältesten und langsamsten der Rasse (Meine Theorie hierzu basiert auf einer Eigenart des Menschen, die sich "Sport" nennt (beim "Sport" geht es darum, aus sicherer Entfernung einigen Leuten zuzusehen, wie sie sich entweder die Köpfe einschlagen, seltsame runde Gegenstände verfolgen und wieder wegtreten/werfen oder sonstwie körperlich verausgaben. Diesen Aspekt bitte nicht mit dem später beschriebenen "Krieg" verwechseln, auch wenn viele auffällige Parallelen erkennbar sind!). Es wird irgendwo steuernde Personen geben (vielleicht der sogenannte irdische "Gott" oder die Betreiber des Marktes), die all dieses überwachen und sich höllisch amüsieren.)
Am Anfang steht nun ein Geschicklichkeitsparkour, um in den Zentralbereich des Supermarktes zu gelangen. Schon hier locken Schilder mit den Runen für "Besonders-Billig-Greift-Alle-Zu" - einem roten Ausrufezeichen also, um unvorsichtige Personen zum Stillstand zu bringen.
Einmal in das Herz des Marktes eingedrungen, erwarten einen Gänge. Lange Gänge. Mit Regalen und Artikeln überquellende Gänge. Und natürlich wieder weitere Menschen. Sollte die Population des Marktes einmal nicht ausreichen, öffnen sich große Türen, auf denen "Mitarbeiter-Zutritt-Verboten" steht, um heimlich Sonderangebote in den Weg zu stellen, an denen der Mensch scheinbar nicht ohne längere Pause vorbeigehen kann (Es scheint hierfür einen nicht geringen Teil des Hirnes zu geben, den ich als „Gafferlappen“ bezeichnen möchte. Dieser Teil steuert die Reaktion auf bestimmte Umstände wie z.B. Autounfälle, Schlägereien, Freibier und Sonderangebote. Meist besteht diese dann aus 1)stehenbleiben, 2)Mund öffnen und 3)weiter - aber agressiver – erneutes stehenbleiben.
Nachdem es der Menschheit schon rudimentär gelungen ist, den Strassenverkehr und die Hundezucht unter Kontrolle zu bringen, scheiterte sie doch recht auffällig am Supermarktverkehr. Man schiebt hier mit kleinen und wackelnden Einkaufswagen durch Gänge welche meist für noch kleinere Wagen gebaut wurden, weicht Kontrahenten aus, versucht so schnell wie möglich die favorisierten Waren zu bekommen und begibt sich letztendlich auf die Suche nach der Kasse um dort einige Stunden in lockerer Runde mit entspannten Mitmenschen zu warten und gegebenenfalls seine Lebensmittel schon vor der Kasse zu vertilgen wenn man nicht qualvoll verhungern will.
Klingt an sich recht einfach, die Schwierigkeit besteht nur aus der Konkurrenz - alten Damen und extrem dicken Leuten. Letztere verstopfen die Gänge, indem sie bei den Süsswaren einen längeren Stau verursachen und auf Rufe nicht reagieren. Erstere sind einfach nur langsam, unkontrollierbar und gnadenlos. Besonders wenn die Rente ausgezahlt wurde sollte man sich diesem Test nur unterziehen wenn man jahrelange Erfahrung als Jäger und Sammler hat.
Desweiteren gibt es die Gruppe der "gelangweilten Hausfrauen". Diese an einigen Tagen prozentual am meisten vertretene Gruppe hat es sich zur Aufgabe und Profession gemacht, dem Gelegenheitseinkäufer den Tag und Einkauf so schwer wie möglich zu machen. Dazu schrecken sich auch nicht vor heimtückischen Mitteln zurück - sie stehen stundenlang an den Zeitschriftenregalen und blättern in Frauenmagazinen wobei sie ab und an den Einkaufswagen unbemerkt vor die Füße eines Kontrahenten schieben, sie sortieren sich mit akkurater Akribie die hübschesten Johannisbeeren in einen Beutel um diesen dann im Zeitschriftenregal zu deponieren, sie schleppen alle Arten von Kindern mit in den Markt - zum einen sicherlich frühe Kampferziehung, zum anderen Hindernis für Rivalen und Ärgernis für jeden.
Besagte Kinder gelten in diesem Jahrhundert als taktischer Höhepunkt weiblicher Strategien. Besonders im Supermarkt allerdings spielen sie in jeder Ausführung ihre Trümpfe aus. Sie zupfen, unbemerkt von der Mutter natürlich (welche hinter ihrer Frauenzeitschrift meist diabolisch grinst), Hefte aus dem Regal, mit animalischem Instinkt natürlich die teuersten und lassen sie ganz zufällig in die Einkaufswagen hektischer und unkonzentrierterer Antipoden fallen. Des weiteren greifen sie sich am Obststand die reifesten Erdbeeren, um sie entweder zu zerdrücken oder für den nächsten auf dem Boden zu deponieren. Außerdem springen sie meist schreiend und kreischend in der Gegend umher und erhöhen den Spaß am masochistischen Einkauf erheblich.
Nun haben die Betreiber des Supermarktes natürlich an alles gedacht, sollte es also Kandidaten geben, die all dem widerstanden haben, spielen sie ihr Ass namens "Probierstand" aus. Diese Einrichtung hat viele Vorteile für den Beobachter dieser Schlacht - es bilden sich lange Schlangen davor, welche wieder andere Kunden arg behindern und die Neugierde wird geweckt, außerdem das Hormon für Gratisproben. Besonders Hausfrauen und/oder Rentner stehen zumeist stundenlang vor diesen kleinen Ständen und probieren sich durch alle Arten von Marmelade, Käse, Wurst und Süßspeisen. Durch ein Naturgesetz geregelt sind diese Proben exakt dann alle, wenn ein tatsächlich interessierter Kunde an die Reihe kommt.
Es ist Zeit, diesen Exkurs zu verlassen, ich neige mich also dem Schluß zu, in der Hoffnung an der finalen Kasse nicht das Gleichgewicht oder die Geduld zu verlieren. Ein beliebtes Supermarkt-Kampfmittel heißt bekanntlicherweise "Schlange" - wobei nicht die gleichnamigen Tiere mit dem Zungenkomplex gemeint sind. Meist gibt es in einem Supermarkt erstaunlich viele Kassen. Erst nach einiger Zeit merkt man, daß dieses nur ein weiterer psychologischer Trick ist - nur ein Bruchteil davon ist auch tatsächlich zugänglich. Auch hier gibt es Joker und Nieten. Den Joker hat man erwischt, wenn man durch vorherige Selektion der Kasse genau DIE auswählt, an der wenige Rentner stehen, die Leute möglichst wenig Kinder dabei haben und die Kassiererin (Kassierern würde ich generell nicht trauen) einen guten Tag hat. Dummerweise gibt es pro Supermarkt weniger als eine dieser Jokerkassen. Rentner spielen ihr wahres Potential eh erst an der Kasse aus. Da werden schon einmal Beträge von 72,42 Euro versucht mit der antiken Pfennigsammlung zu bezahlen, um dann letztendlich doch mit dem 500 Euro Schein beglichen zu werden ("Aber das Wechselgeld bitte in 20 Cent-Stücken, Frollein!"). Oder der Rentner bemerkt nach halbstündigem Studieren des Kassenzettels, daß die Endsumme nicht stimmen kann, um letztendlich nach langer Debatte aufgeklärt zu werden, daß es nur das Datum war, was dort für Verwirrung sorgte. Es sollen auch schon menschliche Wesen kurz vor dem Ziel verendet sein, bislang habe ich mich allerdings nicht getraut zu fragen welche Lebensmittel aus den sterblichen Resten hergestellt werden.