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Benno, der Held
Benno, der Held
Ich bin Benno Springling. Wir Drei, meine Mama, meine Schwester Susi und ich, wir sind Grashüpfer. Mein Papa ist eine große, grüne Grille.
Er arbeitet bei der Wald- und Wiesenpost, als Briefträger. Den ganzen Tag lang springt er zwischen Sträuchern, Büschen und Gräsern umher, um den Bewohnern des Waldes und der umliegenden Wiesen pünktlich ihre Post zu bringen. Da die Höhlen der anderen Grashüpferfamilien, die Hügel der Ameisen und die Netze der Spinnen sehr weit voneinander entfernt liegen, braucht er sehr viel Kraft für seine Arbeit. Daher sind seine Sprungbeine die kräftigsten, die ich jemals gesehen habe.
Meine Schwester, Susi, treibt viel Sport. Stundenlang springt sie wie ein Gummiball umher. „Später will ich auch so kräftige Sprungbeine, wie Papa“, sagte sie mir gestern.
Wer mit Geschirr spülen an der Reihe ist, darüber haben wir oft gestritten. Sie wollte ihr Trainingsprogramm nicht unterbrechen, und ich hatte keine Lust, den weiten Weg zum Bach allein zu gehen. Aber, das ist jetzt alles anders!
Bis gestern wohnten wir in einer Erdhöhle auf der großen Wiese am Waldrand. Unser Papa hat auf seinem Arbeitsweg ein schöneres Erdloch für uns gefunden. Direkt am Bach unter einer Distel. Susi und ich, wir haben noch am Abend unsere Spielsachen und Mama ihre Kochtöpfe eingepackt, und los ging`s, in die neue Wohnung.
Mama war überglücklich. „Endlich muss ich keine weiten Sprünge mehr machen, um Blüten für einen leckeren Brei zu finden“, sagte sie. „Die Distel über unserer Wohnung hat unzählige blaue Blüten, die bestimmt herrlich schmecken werden.“
Geschirr spülen habe ich nun zu meiner Aufgabe gemacht. Der Bach ist ja nicht mehr weit. So hat Susi mehr Zeit für ihre Kräftigungsübungen, und ich, so sagte sie, bin ein toller Bruder.
Jeden Tag, wenn ich am Bach bin, schaue ich suchend zum anderen Ufer hinüber. Ich bin traurig, weil ich meinen Freund Alfred vermisse. Alfred ist ein Hirschkäfer. Seit einiger Zeit lebt er mit seiner Familie im Wald auf der anderen Seite des Baches.
„Gehst du heute nicht zum Bach?“, fragte Susi zickig. „Es ist bereits Nachmittag und das Geschirr ist noch nicht gespült!“
Bei ihrem ständigen Rumgehopse konnte sie kaum richtig sprechen. Jedes Mal, wenn sie wieder auf dem Boden stand, hing ihr ihr Kleid vor dem Mund.
„Ich gehe später“, antwortete ich leise.
Fast war es schon dunkel, als ich dann doch zum Bach gegangen bin. Gelangweilt stellte ich die Teller ins Gras, als ich plötzlich meinen Namen hörte. „Hatte mich jemand gerufen?“ Ich schaute in alle Richtungen, aber ich konnte nichts sehen. „Ich hab mich bestimmt verhört“, tröstete ich mich. Doch, da war es wieder! Ganz deutlich!
„Benno! Hallo! Hier drüben!“
Es dauerte eine ganze Weile, ehe ich am anderen Ufer zwischen Grashalmen und Pusteblumen ein braunes Käfergeweih entdeckte.
„Alfred!“ „Juchu!“ Beinahe hätte ich unsere Teller ins Wasser geschubst, so sehr hat es mich gefreut, meinen Freund zu sehen.
Ohne lange zu überlegen, sprang ich über den Bach und landete direkt vor Alfreds Füße. Freudig umarmten wir uns und besuchen uns jetzt jeden Tag.
Neulich hatte mir Alfred erzählt, dass er sehr traurig ist, weil er nicht so gut springen kann, wie ich. „Ich würde gern mal deine Eltern und Susi besuchen“, sagte er.
Aber Käfer sind nun mal keine guten Springer, und so kam mir die Idee, eine Brücke über den Bach zu bauen. Einen ganzen Tag lang haben wir Steine, Zweige und eine riesige Menge Moos herangeschleppt. Es war nicht immer einfach, aber Alfred ist sehr stark und ich bin unzählige Male, von einer Seite des Baches, auf die andere gesprungen, um die Brücke an den Ufern zu befestigen. Als sie endlich fertig war, kam Alfred, stolz wie ein Ritter, über die Brücke gekrabbelt. Den Besuch bei meinen Eltern haben wir auf den nächsten Tag verschoben, weil es schon sehr spät war. „Ich komme morgen früh wieder. Wir gehen dann zu deiner Familie und spielen mit meinem neuen Fußball“, sagte Alfred, bevor er sich auf den Heimweg machte.
In der Nacht tobte ein heftiges Gewitter. Grelle Blitze zuckten am Himmel und es regnete in Strömen. Unser Bächlein hatte sich in kurzer Zeit zu einem reißenden Fluss verwandelt. Ich hörte das wilde Rauschen des Wassers schon von unserer Höhle aus.
„ Benno“, sagte Papa am nächsten Morgen. „Heute gehst du nicht zum Bach! Es ist zu gefährlich. Grashüpfer können nicht schwimmen. Fällst du ins Wasser, reißt dich die Strömung mit, und du musst ertrinken.“
Mama streichelte mir über den Kopf. „Sei nicht traurig. Morgen scheint die Sonne wieder. Unser Bächlein wird sich beruhigen. Dann kannst du mit Alfred Fußball spielen.“
Ich bekam sogar ein Stück frischen Distelpollenkuchen. Meine riesige Sorge um Alfred wurde beim Essen aber auch nicht kleiner. Als sich Mama und Papa zu einem Mittagsschläfchen hingelegt hatten, schlich ich mich aus der Höhle.
Am Bach sah es sehr schlimm aus. Das Wasser stand bereits auf der Wiese und strömte wild an mir vorbei. Von unserer Brücke war nichts mehr zu sehen. Ich zitterte vor Angst, und musste daran denken, was Papa mir gesagt hatte:„Wenn du in die Fluten stürzt, musst du ertrinken.“
Angestrengt suchte ich das Ufer ab. “Alfred!!,“ rief ich. “Bist du hier? Kannst du mich hören?“ Und plötzlich sah ich ihn. Er hatte sich an einem Graspüschel geklammert. Jeden Moment konnte er abrutschen und ins Wasser stürzen. Vor Schreck standen meine Fühler kerzengerade auf dem Kopf. „Alfred!Ich hole Hilfe“, schrie ich ihm zu. Sofort dachte ich an den mächtigen Ameisenhügel am Waldrand. „Die vielen Ameisen helfen mir bestimmt.“ Um über den Bach hinüber in den Wald zu gelangen, suchte ich mir eine Stelle aus, an der große Steine die tosende Flut etwas abbremsten. Meine Augen hatte ich beim Sprung fest zugemacht. Ehrlich gesagt:“Ich hatte ziemliche Angst.“
Der Waldboden war zum Glück trocken. Ein paar kräftige Sprünge, und ich erreichte den mächtigen Hügel, aus tausenden Tannennadeln. Ein dicker Ameisenmann hielt am Eingang Wache.
„Was willst du?“, brummte er. Hastig erzählte ich von Alfreds Unglück. „Bitte helfen sie ihm! Schnell!“, jammerte ich. „Alleine schaffe ich es nicht.“ Der Ameisenmann strich sich gelassen über seine Fühler und überlegte. Er war nicht mehr so brummig, aber sein Gesicht sah finster aus. Plötzlich erschreckte mich ein schriller Pfiff. Ein zweiter Wachmann hatte unser Gespräch mit angehört. Die Unentschlossenheit seines Kollegen machte ihn wütend. Sein Pfiff muss wohl ein Alarmzeichen gewesen sein. Auf einmal umringten mich unzählige Ameisen. Alle redeten sie wild durcheinander. Der zweite Wachmann, er war zwar nicht so dick, aber viel größer, als der andere. Er brachte Ruhe in das Völkchen.
„Hört mal alle her!“, sagte er. „Benno braucht unsere Hilfe. Sein Freund Alfred, ein Hirschkäfer aus unserem Wald, ist am Bach verunglückt. Sucht alles zusammen, was wir für die Rettung brauchen, und lasst uns schnell aufbrechen.“
In letzter Minute konnte ich einen Sprung zu Seite machen, sonst hätten mich die Ameisen umgerannt. Jede von ihnen trug entweder eine Tannennadel, ein Stöckchen oder Moos. Ich riss ein paar Blätter vom Himbeerstrauch und wollte hinterher springen, da hörte ich eine Frauenstimme meinen Namen rufen.
„Benno warte! Ich möchte auch mit!“ Direkt über den Ameisenhügel hing Frau Langbein in ihrem Spinnennetz. An einem dicken Faden ließ sie sich auf den Boden herab.
„Ich kann ein Rettungsseil spinnen,“ sagte sie. „Das werden wir sicher gut gebrauchen können.“
Wie sich dann später herausstellte, war es tatsächlich so. Mit Hilfe der Spinnfäden, Tannennadeln und Moos konnten wir eine Strickleiter bauen. Als sie lang genug war, verknoteten die Ameisen beide Enden an meine Sprungbeine. Vorsichtig rutschte ich zur Uferböschung vor. Eine lange Reihe, kräftiger Ameisenmänner hielten mich fest. Das sah bestimmt ganz schön komisch aus.
„Ich lasse die Leiter jetzt runter. Haltet mich gut fest“, rief ich ihnen zu.
Langsam glitt unsere Strickleiter zu Alfred herunter. Jeder hoffte ihn gesund wieder zu sehen, als ein Platschen die Ameisen, Frau Langbein und mich vor Schreck erstarren ließ. „Ist mein Freund ins Wasser gefallen?“, fragte ich entsetzt.
Zwei Ameisen, die am Uferrand standen und hinab sehen konnten, antworteten aber nicht.
„Sagt schon, was ist passiert?“ Aber im gleichen Moment verspürte ich ein Ziehen an meinen Sprungbeinen. Das war Alfred.
„Ich kann ihn sehen“, rief eine der beiden. Freudig hüpfte sie von einem Bein auf das andere und gab ihrem Nachbarn ein Klaps auf die Schulter, so dass er umfiel. „Zwei Sprossen ist er schon nach oben gekrabbelt“, triumphierte sie.
Ich war unheimlich froh. Kurze Zeit später wagte ich einen Blick in Richtung Uferböschung. Noch immer raste mein Herz vor Aufregung.
Dann geschah endlich, worauf alle gewartet hatten. Ein mächtiges Hirschkäfergeweih und zwei braune Augen schauten glücklich über den steinigen Rand.
Die Ameisen, Frau Langbein und andere Bewohner unseres Waldes, die sich am Bach eingefunden hatten, jubelten und klatschten in die Hände.
„Alfred,Alfred,Alfred ...!“
Langsam schob sich der Käfer auf die Wiese. Schnell befreite ich mich von den Stricken der Leiter, sprang zu ihm und umarmte meinen Freund. Ihm war nichts geschehen.
„Benno, du bist ein Held. Ich bin unheimlich stolz auf dich und froh, dass wir Freunde sind“, sagte er, so dass es alle hören konnten.
Nächste Woche werden wir eine neue Brücke bauen. Alle Waldbewohner wollen uns helfen. Selbst der erfahrene Baumeister, der Biber. Er will mit seinen scharfen Nagezähnen dicke Äste durchbeißen, die er dann am Ufer richtig fest anbringt, und kein Gewitterregen wird unsere Brücke je wieder wegspülen.