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Ben
Zwei Jahre war es nun schon her.
Zwei gottverdammte Jahre.
Klara wusste nicht, wie sie es so lange ausgehalten hatte, aber irgendwie schaffte es jeder über die Runden. Der eine besser und der andere schlechter. Klara gehörte Letzterem an. In den letzten zwei Jahren hatte sie zwei Einträge in ihr Vorstrafenregister bekommen. Ihre einzigen Einträge.
Sie zog sich die zerlaufenen Chucks von den geschwollenen Füßen. Der Sand war kalt. Ihre Zehen krallten sich in die kleinen Körner. Die Diebstähle mussten sein. Seit dem Vorfall hatte sie keinen Job länger als einen Monat halten können. Wie sollte man sich sonst ernähren?
Das entfernte Kreischen der Möwen, das sich mit dem Meeresrauschen vermischte, ließ Klara wieder zurückdenken. Es war dieselbe stürmische Kulisse und dieselbe Zeit gewesen: 4 Uhr in der Frühe. Ben hatte sich gewünscht seinen Geburtstag an seinem Lieblingsort zu feiern. Sogar der abnehende Mond war so hell wie an jenem Tag. Fast so, als wollte das Wetter ihr noch ein Mal Detail für Detail vor die Nase halten wollen, wie es gewesen war. Klara stand bis zu den Knöcheln im Wasser. Immer wieder zerschellte eine Welle an ihrem Körper. Bittere Tränen liefen ihr die Wange hinunter. Er fehlte ihr so sehr. Sie würde nicht erleben, wie Ben wuchs, in der Schulmannschaft zum Kapitän gewählt wurde oder wie er seine erste Freundin nach Hause mitbrachte. Klara schluchzte. Sie hätte so gern von sich behaupten können, noch ein Foto ihres Sohnes zu besitzen. Die kleinen, tapsigen Kinderhände, seine blauen Augen, in denen nichts Verletzliches lag. Und das süße, trotzige Gesicht. Das alles lag hier begraben. Wahrscheinlich nicht mehr als eine Düne. Hilfe hatte er geschrien. Doch Klara war zu fett gewesen. Bens verkrampftes Gesicht, das immer wieder von Wellen begraben wurde, war voller Verzweiflung gewesen. Klara wusste, dass er seine Mutter gekannt hatte, dass er sah, wie dick sie gewesen war. Wie schwer es ihr fiel, sich hochzuhiefen. Aber auch wie sie immer mehr Essen in sich hinein stopfte. Wie sollte eine solche Frau ihr Kind aus den Wellen retten, wenn sie schon an ein Paar Treppen gescheitert war? Als er von den Wellen umher gerissen wurde, hatte er seiner Mutter in die Augen gesehen. Sie angesehen und da hatte er begriffen.
Aufgegeben.
Er war erst sechs Jahre alt gewesen.